Immer mehr Existenzen bedroht
Aufgrund saisonaler Überschwemmungen mussten seit Oktober 2023 rund 1,5 Millionen Menschen in der Region Ostafrika ihre Häuser verlassen. Insgesamt sind über 3,1 Millionen Menschen betroffen. Die negative Entwicklung der Vorjahre (vgl. 2016 mit 1,1 Millionen vertriebenen Menschen) beschleunigt sich somit nochmals. Ursächlich sind die saisonalen Starkregenereignisse El Niño und Indischer-Ozean-Dipol, welche aufgrund des sich verändernden Klimasystems deutlich stärker ausfallen und derzeit besonders die Länder Südsudan, Kenia, Äthiopien und Somalia vor substanzielle Herausforderungen stellen. Die aktuellen Überschwemmungen treffen eine Region, die zuvor durch einen Rekord anhaltender Dürreperioden herausgefordert wurde und somit den zunehmenden Starkwetterereignissen eines fortschreitenden Klimawandels besonders ausgesetzt scheint.
Die multiplen Krisen der Region
Der Klimawandel verstärkt die in Ostafrika parallel verlaufenden sozialen, ökonomischen und fiskalpolitischen Herausforderungen. Starkwetterereignisse und eine diesen vorausgegangene Heuschreckenplage zerstören die Einkommensgrundlage vieler Familien und verschärfen das regional hohe Niveau an unter- und mangelernährten Menschen. Das Welternährungsprogramm schätzt die Anzahl der in Ostafrika an schwerem Hunger leidenden Menschen bereits jetzt auf 23 Millionen. Ökonomisch ist die Region zusätzlich aufgrund von veränderten Produktionsbedingungen in Folge des Ukrainekriegs sowie steigender Nachhaltigkeitsanforderungen im wichtigen europäischen Absatzmarkt herausgefordert. Zwar zeigt das Wirtschaftswachstum Ostafrikas mit derzeit 5,1 Prozent eine beachtenswerte Resilienz gegenüber beschriebenen exogenen Schocks, reicht jedoch nicht aus, um das regionale Bevölkerungswachstum (rund 2,5 Prozent im Jahr 2023) sowie den damit verbundenen Eintritt vieler junger Menschen in den Arbeitsmarkt zu kompensieren. Beispielsweise wächst allein in Äthiopien die erwerbsfähige Bevölkerung um jährlich zwei bis drei Millionen Menschen. Der politische Handlungsspielraum ist für viele Regierungen dabei begrenzt. Dies hat einerseits militärische Konflikte in einem Teil der Region zur Ursache, welche die politische Instabilität verstärken und besonders Äthiopien, Somalia sowie den Südsudan betreffen. Andererseits ist eine zunehmende Überschuldungskrise ursächlich, die beispielsweise Ende 2023 zu einem ersten Zahlungsausfall Äthiopiens führte.
Was bedeutet das für die Zukunft?
Agrarwirtschaft, Ernährungssicherung und ländliche Sicherheitsarchitektur
Der Schaden für die Landwirtschaft und Ernährungssicherung kann noch nicht abschließend bemessen werden, wird jedoch gravierend ausfallen. Beispielsweise steht allein in Somalia eine Fläche von mindestens 1,5 Millionen Hektar unter Wasser, die Größe Schleswig-Holsteins. Auch die Ernährungssituation, die der Welthungerindex für die Region bereits zuvor als ernst bis sehr ernst bemaß, wird sich weiter verschlechtern. Kurzfristig beeinträchtigen Überschwemmungen die landwirtschaftliche Produktion und regionale Ernährungssicherung aufgrund einer Disruption regionaler Lieferketten, vermehrter Bodenerosion sowie einer erhöhten Wahrscheinlichkeit von großflächigem Schädlingsbefall. So waren bereits im Zeitraum 2019/2020 nach vorausgegangenen Überschwemmungen sich wiederholende Heuschreckenplagen in verschiedenen Regionen Ostafrikas zu beobachten. Mittel- und langfristig wird der hieraus entstehende Anstieg der Produktionskosten zu einer vermehrten Aufgabe landwirtschaftlicher Betriebe führen. Studien zeigen, dass besonders diese längerfristigen Effekte nicht unterschätzt werden dürfen. Zunächst belasten Betriebsaufgaben eine ohnehin angespannte Ernährungssituation und verstärken die von vielen Menschen in der Region empfundene, ökonomische Perspektivlosigkeit im ländlichen Raum. Grund hierfür ist der Mangel an alternativen Anbauflächen und somit landwirtschaftlicher Einkommensmöglichkeiten, der bereits vor den aktuellen Überschwemmungen regional zu erheblichen Konflikten um das verbliebene, fruchtbare Acker- und Weideland führte. Auch ist ökonomische Perspektivlosigkeit einer der Faktoren, welcher politische Instabilität begünstigt und die bestehende Sicherheitsarchitektur im ländlichen Raum untergräbt.
Beschleunigte Urbanisierung und resultierende informelle Siedlungen
Die entstehende ökonomische Perspektivlosigkeit im ländlichen Raum beschleunigt indes die rapide Urbanisierung vieler ostafrikanischer Staaten. Am Beispiel Kenias zeigt sich die Problematik dieser Entwicklung. Mit einer Urbanisierungsrate von etwa 4 Prozent werden ab dem Jahr 2030 nahezu 23 Millionen Kenianerinnen und Kenianer in der Stadt leben, heute trifft dies nur auf etwa 16 Millionen zu. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung müssten allein in Kenia jährlich mindestens 200.000 zusätzliche Wohneinheiten in urbanen Gebieten entstehen. Dieser Mangel wird, bedingt durch die sich häufenden Wetterextreme, große Teile der ärmeren Bevölkerungsschichten weiter in informale Siedlungsgebiete treiben, wo es neben grundlegender Infrastruktur auch an Bildungsmöglichkeiten, ärztlicher Versorgung und administrativem Zugang mangelt. Vergleichbare Herausforderungen bestehen besonders für urbane Ballungszentren im Südsudan, Äthiopien und Somalia. Gleichzeitig ist im urbanen Raum keine Subsistenzwirtschaft möglich, weshalb ein erheblicher Anteil des Haushaltseinkommens für Lebensmittel aufgewendet werden muss. So werden beispielsweise in Kenia bereits jetzt 48,8 Prozent des Haushaltseinkommens der urbanen Bevölkerung für Lebensmittel verwendet. Die Bevölkerung der wachsenden informalen Siedlungen im urbanen Raum ist somit auch von steigenden Kosten der Lebensmittelproduktion überdurchschnittlich betroffen. Insgesamt ist deshalb davon auszugehen, dass beschriebene Überschwemmungen nicht nur den Zuzug an Menschen in informelle urbane Siedlungsgebiete erhört, sondern gleichzeitig bestehende Verteilungskonflikte aufgrund steigender Lebensunterhaltskosten auch in informellen, urbanen Siedlungsgebieten verschärft.
Ein fiskalpolitisch begrenzter Handlungsspielraum
Allein in den Jahren 2020–2022 sind der Region Ostafrikas aufgrund von Wetterextremen Schätzungen zufolge jährlich Schäden in Höhe von 2–4 Prozent ihres BIPs entstanden. Aktuelle Überflutungen zeigen erneut die Dringlichkeit diesen steigenden Kosten durch eine klimaresiliente Wirtschaft- und Sozialpolitik zu begegnen. Auf lokaler Ebene kann dies beispielsweise durch die Etablierung besserer Frühwarnsysteme sowie der Verwendung klimaresilienterer Anbaumethoden in der Landwirtschaft (beispielsweise trockenresistente Reispflanzen, klimaschonender Ackerbau, Wetterindexversicherungen) Umsetzung finden. Auch auf nationaler Ebene müssen Wetterrisikoversicherungen breiter etabliert werden und im sozialen Bereich Kapazitäten für Menschen ausgebaut werden, die klimabedingt ihre Einkommensgrundlage verloren haben. Das alles kostet viel Geld, weshalb aktuelle Überschwemmungen die Fiskalpolitik betroffener Staaten weiter unter Druck setzen. Auf internationaler Ebene ist deshalb zu erwarten, dass die Praktikabilität des „Common Frameworks for Debt Treatment“ durch die betroffenen Länder weiter in Frage gestellt wird. Besonders die Geschwindigkeit, mit der Umschuldungen vorgenommen werden können, stellt Länder wie beispielsweise Äthiopien und Kenia bereits jetzt vor erhebliche Herausforderungen. Auch wird die Diskussion eines damit verbundenen Schuldenschnittes voraussichtlich neuen Auftrieb erfahren. Um ihre fiskalpolitische Handlungsfähigkeit wiederzuerlangen, wird es für die Staaten Ostafrikas noch wichtiger, zunächst die skizzierten, marktwirtschaftlich durchdachten Investitionen in eine klimaresiliente Wirtschaft durchzuführen. Gelingt dies, ist es möglich, einen wirtschaftlichen Gewinn auch unter dem Einfluss von Starkwetterereignissen zu generieren und das erwirtschaftete Kapitel anschließend für weitere strategische Investitionen auf nationaler Ebene zu nutzen.