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Noch am Morgen des Wahltages sei ein sehr enges Ergebnis vorausgesagt worden, erklärt Hans-Hartwig Blomeier. "Bei den prozentualen Werten lagen Conservatives und Labour wirklich Kopf an Kopf und auch bei der Sitzverteilung sah alles nach einem sehr engen Ergebnis aus." Insofern sei die erste Hochrechnung um 22 Uhr, die einen deutlichen Vorsprung für die konservative Partei andeutete, eine Überraschung gewesen. "Im Moment (Stand: Freitag 10.30 Uhr deutscher Zeit) sieht alles danach aus, dass die Conservatives sogar eine absolute Mehrheit erzielen könnten."
Ende der Zwei-Parteien-Herrschaft"?
Bereits die Wahlen 2010 brachten eine Überraschung für die britische Politik mit sich, als nach Jahrzehnten erstmals wieder eine Regierungskoalition gebildet werden musste. Nun bestätige der erfolgreiche Einzug der Scottish National Party, dass "das einfache Wechselspiel zwischen Conservatives und Labour offensichtlich der Vergangenheit angehört". Das Wahlergebnis lasse mehrere Schlussfolgerungen zu, so Blomeier. Zum einen seien David Cameron und seine Conservatives eindeutige Sieger, genauso wie die Scottish National Party, die mit 56 der 59 schottischen Wahlbezirke „regelrecht abgeräumt“ habe. Zum anderen gebe es mit den Liberal Democrats (LibDems) und Labour zwei eindeutige Verlierer. „Die LibDems haben offenbar einen sehr hohen Preis für die Regierungskoalition gezahlt. Daraus könnte man schließen, dass der Versuch von Koalitionen in Großbritannien offensichtlich mit einer entsprechenden Abstrafung bei anschließenden Wahlen verbunden ist.“
Labour habe nicht nur in Schottland nahezu alle Sitze bis auf einen verloren, sondern auch in England in vielen der knappen Wahlbezirke gegen die Conservatives verloren. „Darunter sind prominente Opfer, wie beispielsweise der designierte Schatzkanzler Ed Balls, der gegen eine junge Conservative-Kandidatin verloren hat.“
Camerons Position gegenüber euroskeptischem Flügel gestärkt
Mit Blick auf das von Cameron für 2017 angekündigte Referendum über einen möglichen EU-Austritt seines Landes müsse man angesichts der sich abzeichnenden Mehrheit der Conservatives im Parlament von einer tatsächlichen Umsetzung ausgehen, so Blomeier. Allerdings sei er überzeugt, dass „Cameron als Parteivorsitzender und Prime Minister eindeutig gestärkt aus dieser Wahl hervorgeht, was auch seine Position gegenüber dem Euro-skeptischen Flügel in seiner eigenen Partei stärken wird“.
Hatte UKIP bei den Wahlen zum Europäischen Parlament noch 25 Prozent erzielt, so liegt ihr Anteil bei den Unterhauswahlen nur noch bei 12,5 Prozent und sie wird maximal zwei Abgeordnete stellen, ein Umstand, der mit dem britischen Wahlsystem zusammenhängt. Trotzdem solle man die euroskeptische Stimmung nicht unterschätzen, vor der vor allem UKIP bisher profitiert hat, warnt Blomeier. „12,5 Prozent der Stimmen sind nach wie vor ein substanzieller Part und sie sind, was den Stimmenanteil angeht, drittstärkste Partei geworden.“
Auch wenn UKIP nicht die Rolle spiele, die befürchtet worden sei, werde das Thema Europa in den kommenden Monaten jedoch wieder stärker in den Vordergrund rücken, nachdem es im Wahlkampf selbst so gut wie keine Rolle gespielt habe. Vielmehr habe sich die öffentliche Diskussion um Wirtschaft, das Gesundheitssystem, Steuerpolitik und Migration gedreht und weniger um die zentralen Themen, die mit der Mitgliedschaft in der EU zusammenhängen.
Ausblick
Er glaube, dass neben Verschuldung, Steuern und Gesundheitsversorgung vor allem zwei Themen im Hintergrund eine Rolle spielen werden: die Reform des Wahlrechts und die Unabhängigkeit Schottlands.
„Die Aufsplitterung der Parteienlandschaft ist offensichtlich, aber sie spiegelt sich nicht so in der Sitzverteilung wider.“ Schaue man sich die Stimm- und Sitzverteilung an, werde klar, dass das bisherige Wahlsystem nicht mehr der Realität entspreche. Eine Reform des Systems sei daher wichtig, angesichts der dafür notwendigen Mehrheiten, sei eine Umsetzung derzeit jedoch nicht wahrscheinlich.
Das zentralere Thema werde der Umgang mit Schottland sein. „Die erstarkte SNP wird ihre Stimme in Westminster entsprechend zu Gehör bringen“, so Blomeier und die schottische Ministerpräsidentin und SNP-Vorsitzende Nicola Sturgeon habe bereits angekündigt, die Frage der schottischen Unabhängigkeit bei den schottischen Wahlen nächstes Jahr in den Vordergrund zu rücken. Die Schottland-Frage werde damit zur Herausforderung für den alten und neuen Premierminister Cameron, der gesagt hat, die Einheit des Vereinigten Königreichs werde seine zentrale Priorität sein. „Und da hat er ein erhebliches Problem zu lösen.“
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