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Länderberichte

Unabhängigkeit des Bulgarischen Nationalen Radios (BNR) in Gefahr?

von Hendrik Sittig, Darija Fabijanić

Die vorübergehende Suspendierung einer Moderatorin, ein fünfstündiger Sendestopp und die Frage, wer hier wo und warum an welchen Fäden zieht

Es ist die schwerste Krise in der bulgarischen Medienlandschaft seit langem. Seit einigen Tagen kommt das Bulgarische Nationalradio nicht aus den Schlagzeilen. Die zeitweilige Versetzung einer langjährigen Moderatorin zeigt den politischen Einfluss auf die Arbeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Bulgarien. Der Protest der Kollegen und Hörer zeugt jedoch vom Bewusstsein, sich dagegen wehren zu können.

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Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten in Südosteuropa stehen immer mehr als zu regierungs-nah in der Kritik der Bevölkerung. Im Frühjahr dieses Jahres gingen die Bürger in Serbien, Montenegro und Kroatien auf die Straße (siehe dazu KAS-Länderbericht "Öffentlich-rechtliche Rundfunksender im Kreuzfeuer der Protestbewegungen", März 2019). Am Freitag, 13. September, versammelten sich nun auch in Bulgarien Protestierende vor dem Gebäude des Bulgarischen Nationalen Radios (BNR). Auslöser war die kurzfristige Suspendierung der Justizjournalistin und langjährigen Moderatorin Silvia Velikova am Tag zuvor. Anstatt wie üblich ihre Morgensendung im Sender "Horizont", dem Informationskanal von BNR, zu moderieren, sollte sie auf Anweisung des neuen Programmdirektors Nikolai Krastev, der gerade einen Tag im Amt war, andere Aufgaben im Sender übernehmen. Velikova ist bekannt für die Aufdeckung von Korruptionsskandalen und gilt als kritische Journalistin, die auch unangenehme Fragen stellt. So hatte sie sich in ihrer Sendung immer wieder kritisch mit der geplanten Ernennung Ivan Geshevs als Generalstaatsanwalt auseinander-gesetzt. Dieser soll im Oktober ohne tatsächliche Wahl ernannt werden, da es keinen weiteren Kandidaten gibt. Dagegen gibt es seit Wochen öffentliche Demonstrationen in Bulgariens Hauptstadt Sofia.

Radio muss für fünf Stunden Sendebetrieb aussetzen

Nachdem Silvia Velikova die Moderation ihrer Sendung entzogen wurde, versuchte die BNR-Führung Ersatz für die Leitung des Morgenprogramms zu finden – jedoch ohne Erfolg. Ihre Kolleginnen und Kollegen setzten zum Protest an. Dadurch war BNR gezwungen, am Vormittag den Sendebetrieb von seinem Hauptprogramm „Horizont“ für fünf Stunden einzustellen; erst-mals in der Geschichte des Senders. Offiziell begründete das BNR-Management dies mit technischen Wartungsarbeiten an der Sendeanlage.
Für viele war diese Erklärung jedoch zu offensichtlich vorgeschoben und schlicht gelogen. So versammelten sich Journalisten und Hörer vor dem BNR-Gebäude, um gegen dieses Vorgehen zu protestieren. Selbst Ministerpräsident Boyko Borissov schaltete sich ein. Medien berichten, er habe Velikova angerufen und seine Unterstützung zugesagt. Danach ging es ganz schnell: Velikova bekam ihre Sendung zurück. Sie muss diese jedoch ab sofort zusammen mit einem Kollegen moderieren. Damit solle mehr Pluralismus in der Sendung gewährleistet werden, so die Begründung des Managements. Diesem gehört allerdings der zuvor frisch ernannte Programmdirektor Nikolai Krastev nicht mehr an. Er verkündete seinen Rücktritt und bat um Entschuldigung für seine Unerfahrenheit im Umgang mit solchen Managementprozessen.
Damit hätte einer der bemerkenswertesten Vorgänge in der Geschichte des traditionsreichen Bulgarischen Nationalradios abgeschlossen sein können, aber seitdem kommen immer mehr Details ans Licht; die Schlagzeilen in der bulgarischen Presse reißen nicht ab. Der Druck auf das weitere Management nimmt zu.

Untersuchungskommission fordert Strafe für BNR

Die Generalstaatsanwaltschaft hatte mittlerweile eine Untersuchung eingeleitet. Denn per Gesetz darf BNR den Sendebetrieb nicht einstellen, da dies die nationale Sicherheit gefährden würde. An der Untersuchung waren die staatliche Agentur für nationale Sicherheit (DANS), der Rat für elektronische Medien (SEM) und die Regulierungskommission für Kommunikation (KRS) beteiligt. Ironischerweise geschah dies alles unter der direkten Aufsicht von Ivan Geshev in seiner Funktion als stellvertretender Generalstaatsanwalt.
Die Untersuchungskommission kam zu dem Schluss, dass BNR den Sendebetrieb nicht hätte einstellen dürfen. Die Wartung sei nicht der wahre Grund gewesen. Es wurde eine Geldstrafe an BNR verhängt – die Höhe wird noch festgelegt. Doch für die Journalisten von BNR war dies keine ausreichende Konsequenz für das Handeln des Managements.
Insbesondere die unklare Rolle des BNR-Generaldirektors Svetoslav Kostov rückt nun im-mer mehr in den Vordergrund. Das Redaktions-kollegium von BNR forderte vor dem SEM – dem Aufsichtsgremium und vergleichbar mit dem Rundfunkrat in Deutschland – die Entlassung des Generaldirektors. Eine weitere Zusammenarbeit sei aus Sicht der BNR-Redakteure nicht mehr möglich. Kostov war erst vor drei Monaten ins Amt gewählt worden und hatte den bisherigen Direktor Alexander Velev, der in Politikkreisen als zu kritisch und selbstbewusst galt, abgelöst.
Silvia Velikova berichtete der Untersuchungskommission, Kostov habe ihr noch vor den Ereignissen des 13. September erzählt, dass ihn vier Personen angerufen und ihre Entlassung gefordert hätten. Ihm und seiner Familie sei gedroht worden, wenn er den Forderungen nicht nachkäme. Wer diese Personen waren, ist unklar. In einem offenen Brief weist Kostov die Anschuldigungen, er habe Einfluss auf die Medienfreiheit genommen, zurück. Er werde um seine Rechte notfalls vor Gericht kämpfen. Am nächsten Freitag (27. September) wird der SEM, der auch für die Wahl des Generaldirektors zuständig ist, erneut tagen und möglicherweise über die Abberufung Kostovs entscheiden. Zuvor haben BNR-Journalisten und diverse NGOs am 26. September zu einer Demonstration vor dem BNR Gebäude aufgerufen.
Lauter werden nun auch wieder die Rufe nach einem neuen Rundfunkgesetz und einem neuen Verfahren für die Wahl und Zusammensetzung des SEM, dessen fünf Mitglieder derzeit vom Parlament und vom Staatspräsidenten ernannt werden.
Auch die Überlegungen, BNR mit dem Bulgarischen Nationalfernsehen (BNT) zu fusionieren, sind wieder zu vernehmen. Bisher agieren beide mit unterschiedlichen Managements und Etats unabhängig voneinander – ein Konstrukt im öf-fentlich-rechtlichen Rundfunk, was es in dieser getrennten Form in Südosteuropa nur in Bulgarien und Rumänien gibt. Kritiker warnen jedoch davor, bei einer Zusammenlegung werde BNR seinen – im Vergleich zum Fernsehen – unabhängigeren Status und die Möglichkeit freier zu be-richten verlieren.

KAS-Umfrage: Öffentlich-rechtlicher Rundfunk leidet unter niedrigem Vertrauen und politischem Einfluss

Der aktuelle BNR-Skandal wirft einen weiteren Schatten auf die ohnehin schwierige Mediensituation in Bulgarien, das in der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ auf Platz 111 von 180 geführt wird und damit Schlusslicht der EU-Länder ist. Das Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, das nach einer aktuellen Meinungsumfrage des KAS Medienprogramms für Südosteuropa in Bulgarien niedriger ist als in die privaten Fernseh- und Radiosender, wird mit den derzeitigen Vorgängen bei BNR weiter schwinden. Bereits jetzt sagen – laut der Umfrage – rund 70 Prozent der Befragten, der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei nicht frei von politischem Einfluss.
Es ist offensichtlich, die demokratischen Instituti-onen sind geschwächt, Entscheidungen werden an anderen Stellen getroffen. Dass das Manage-ment eines öffentlich-rechtlichen Senders auf Druck von außen eine kritische Journalistin sus-pendiert und der Ministerpräsident den Eindruck vermittelt, er könne dies mit einem Telefonat wieder rückgängig machen, spricht sehr für ein Ungleichgewicht im demokratischen Gesellschaftsgefüge.

Allerdings zeigt dieser Fall auch, es gibt nach wie vor Journalisten, die um ihre Rolle als kritische und kontrollierende Instanz in der Demokratie wissen, dafür lautstark eintreten und sich gegen Einflussnahme von außen wehren. 
Das KAS-Medienprogramm Südosteuropa unter-stützt diese Journalisten und tritt für eine Verbes-serung der Mediensituation wie auch einen unab-hängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk ein. In den vergangenen Monaten hat das Medienpro-gramm einen verstärkten Blick auf die aktuelle Situation und Entwicklung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Südosteuropa geworfen. Das Resultat dieser Beobachtungen wird in einer Studie im Herbst veröffentlicht.


 

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