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Nairobi: Sturm auf das Parlament

von Jan-Ole Voß, Laurence Jost

Die Republik Kenia in Aufruhr

Die Proteste gegen die geplanten Steuererhöhungen in Kenia sind am Dienstag eskaliert als Demonstranten das Parlament in Nairobi stürmten. Unter anderem wurde das Büro des Gouverneurs in Brand gesteckt und zahlreiche Politiker mussten evakuiert werden. Bei den Ausschreitungen kam es bereits zu mehreren Todesfällen.

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Seit Amtsantritt der derzeitigen kenianischen Regierung unter Präsident Ruto im Jahr 2022 kämpft diese mit einer enormen Staatsverschuldung und versucht sich daher an einer Konsolidierung des Staatshaushalts. Zum Leidwesen der Bevölkerung fokussiert sich die Regierung dabei besonders auf die Erhöhung der Steuerlast. Für das kommende Finanzjahr wurden nun diverse Steuererhöhungen in einer neuen Finance Bill angekündigt, die in ihrem Ausmaß und Umfang weit über die der vorherigen Jahre hinausgingen. Seit der Ankündigung gibt es massive Proteste gegen die Zustimmung zu diesem Gesetz.

 

Angespannte sozio-ökonomische Lage

Kenia steht mehreren sozioökonomischen Herausforderungen gegenüber, die die Lebensqualität der Bevölkerung sowie die politische und wirtschaftliche Stabilität des Landes bedrohen. Seit 2016 ist die Arbeitslosigkeit in Kenia um rund 3% gestiegen, von 2,76% auf 5,5%, was etwa 2,6 Millionen arbeitslosen Menschen entspricht. Besonders betroffen sind die hunderttausenden jungen Kenianer, die jedes Jahr auf den Arbeitsmarkt drängen und kaum feste Anstellung finden können. Der Anteil der Bevölkerung, die unter der absoluten Armutsgrenze lebt, lag in den Jahren 2023 und 2024 konstant zwischen 36% und 38%. Im Durchschnitt sind die Lebenshaltungskosten in Kenia in den letzten fünf Jahren um bis zu 30% angestiegen. Die Konsequenz dieser Entwicklungen ist, dass viele Kenianer um ihre Existenzgrundlage fürchten müssen.

 

Der Unmut der Bevölkerung

Die Proteste der vergangenen zwei Wochen wurden dominiert von der sogenannten Generation Z, den Jahrgängen zwischen 1997 und 2012. Diese Gen Z‘s überraschen die kenianische Gesellschaft und Politik seither mit ihrer Kreativität und Unnachgiebigkeit. Die Organisation der Proteste und Vernetzung der Demonstranten lief über populäre Social-Media Plattformen wie Tik-Tok, X, Facebook und Instagram. Eine klare Führung und Organisationsstruktur waren nicht zu erkennen, trotzdem wurden in den vergangenen Tagen viele prominentere Demonstranten, auch außerhalb der Proteste, verhaftet. Die Proteste beschränkten sich nicht nur auf die Straße, auch Regierungswebsites wurde gehackt und verbreiteten Protestaufrufe. Nachdem die ersten Proteste lediglich ein kleines Entgegenkommen der Regierung erwirkten, riefen Demonstranten zu einer Woche des Zorns auf. Ihrer Ansicht nach verlässt die Regierung unter Präsident Ruto mit der Finance Bill den Boden dessen, was der kenianischen Gesellschaft zugemutet werden kann. Ihre Forderung, die vollständige Ablehnung der Finance Bill, blieb jedoch ohne Erfolg.

 

Mangelnder Handlungsspielraum der Regierung

Der kenianische Schatzmeister Chris Kiptoo betonte, dass Kenia dringend zusätzliche Einnahmen benötige, um die öffentlichen Schulden, die derzeit bei etwa 80 Milliarden Euro liegen, zu bedienen. Daraus ergibt sich ein Verhältnis von Schulden zu BIP von 73%, was weit über dem gesetzlichen Limit von 55% liegt. Ein erheblicher Teil der staatlichen Einnahmen wird daher für die Schuldentilgung verwendet. Für das Haushaltsjahr 2024/2025 wird hierfür mit etwa 8 Milliarden Euro gerechnet, dies entspricht etwa einem Drittel des Staatshaushaltes. Der politische Druck auf die Regierung nimmt zu: von innen, was sich in den aktuellen Protesten und der gestrigen Eskalation zeigt; aber auch von Seiten internationaler Geber, wie dem IWF, die eine Konsolidierung des Haushaltes fordern. Dieser doppelte politische Druck führt zu einem Spannungsverhältnis. Weite Teile der Bevölkerung stellen sich daher deutlich gegen zusätzliche finanzielle Belastungen und fordern stattdessen den Stopp von Steuerverschwendungen und die Bekämpfung der weitverbreiteten Korruption.

 

Die aktuelle Lage

Nachdem verschiedene Persönlichkeiten aus dem Umkreis der Protestanten in den letzten Tagen zum Sturm auf das Parlament aufriefen und entsprechende Hashtags auf X verbreiteten, entwickelten sich aus den zuvor weitgehend friedlichen Demonstrationen gewalttätige Ausschreitungen. Die finale Abstimmung zur Finance Bill fiel deutlich aus: 195 Abgeordnete stimmten dafür, 106 stimmten dagegen. Kurz nach Abschluss der Abstimmung kam es zum Sturm auf das Parlament. Als Reaktion kündigte Präsident Ruto in seiner Rede an die Nation am Dienstagabend um 21:00 Uhr Ortszeit ein hartes Durchgreifen der Sicherheitskräfte gegen aufrührerische Kräfte an, um ähnliche Szenen in der Zukunft zu verhindern. Die Problematik hierbei liegt besonders in der begrenzten Kapazität der Sicherheitskräfte, handfeste Ausschreitungen ohne Blutvergießen aufzulösen. Zwischen Tränengas und Schusswaffen haben die kenianischen Polizisten und Soldaten nur wenige Optionen und so kam es nachts vielerorts zu exzessivem Gewalteinsatz, die genaue Zahl der Opfer ist bisher noch unbekannt.

Am frühen Mittwochnachmittag verkündete der Präsident, dass er die Finance Bill in ihrer aktuellen Fassung nicht unterzeichnen wird. Das Parlament hat nun bis zum 23. Juli Zeit, Änderungen vorzunehmen. Offen bleibt, wie die in den letzten Wochen so viel gerühmte Gen Z auf diesen Versuch der de-eskalation reagieren wird. Seit Dienstagnachmittag wird der Tonfall in den Sozialen Medien rauer, Rutos Rücktritt wird gefordert und eine Vielzahl an Nutzern sozialer Medien ruft zu einer Fortführung und Intensivierung der Proteste auf. Die exzessive Gewalt in der vergangenen Nacht dürfte hier zu einer Radikalisierung der Demonstranten beitragen. Die offensichtlich gezielte Drosslung der Internet-Bandbreite und die Blockierung verschiedener Websites wird die Vernetzung und Organisierung der Demonstranten jedenfalls nicht aufhalten können. Auch im Nachbarland Uganda ist man bereits in Sorge vor Protesten der desillusionierten Gen Z’s. So hat die Regierung in Kampala bereits die Armee in Alarmbereitschaft versetzt. Nach Aussagen vieler an den Protesten der letzten Wochen beteiligten Kenianer gehen die Probleme viel weiter als die Finance Bill. Es geht um Korruption, Vetternwirtschaft, Missmanagement, wirtschaftliche Perspektivlosigkeit und die enorm gestiegenen Lebenshaltungskosten. Für einige sind die Ausschreitungen die lang ersehnte Möglichkeit, ihrem Ärger Luft zu machen. Wie es auch weitergeht in Kenia, feststeht, dass mit einem Durchschnittsalter von gerade einmal 19 Jahren eben diese Generation Z die Mehrheit bei den kommenden Wahlen im Jahr 2027 stellen wird.

 

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