Namibia zählt zu den Ländern Afrikas, die besonders anfällig für die Phänomene des Klimawandels sind. Es gehört zu den trockensten Ländern Afrikas, gleichzeitig ist ein großer Teil seiner Bevölkerung (60%) stark abhängig von der Landwirtschaft. Im Jahre 2019 erlebte Namibia eine extreme Dürre mit verheerenden Auswirkungen für die eigene Lebensmittelversorgung. Als eines von wenigen Länder Afrikas nahm Namibia bereits frühzeitig (1990) den Schutz der Umwelt in die Verfassung auf. In Kapitel 11 Artikel 95(l) heißt es (in der von der KAS Namibia herausgegebene Übersetzung) , „dass der Staat das Wohlergehen der Bevölkerung aktiv fördern und erhalten soll, indem er Maßnahmen ergreift, die auf die Erhaltung der Ökosysteme, der wesentlichen ökologischen Prozesse und der biologischen Vielfalt Namibias abzielen“.
Namibia hat sowohl das Kyoto-Abkommen als auch das Pariser Abkommen unterzeichnet. Damit hat es sich rechtlich verpflichtet, seine Kohlendioxid-Emissionen zu reduzieren und das Langzeitziel der Vereinten Nationen zur Klimaneutralität zu erfüllen. Bis 2050 will das Land alle CO2- Emissionen deutlich zu senken.
Warum der Hype um grünen Wasserstoff?
„Our green hydrogen agenda (…) has now set sail,“ so Präsident Geingob auf der UN-Weltklimakonferenz COP27 in Sharm El-Sheikh im November 2022. Namibia will zu einem weltweit führenden Produzenten und Exporteur von grünem Wasserstoff werden.
Die hervorragenden Sonnen- und Windverhältnisse, kombiniert mit der vorteilhaften Nähe zum Atlantischen Ozean mit einer Küstenlänge von über 1.500km, mit seinen riesigen unbewohnten Landflächen, gut ausgebauten Straßennetzen und politischer Stabilität, machen Namibia zu einem attraktiven Standort für die Entwicklung einer grünen Wasserstoff-Industrie. Außerdem verschaffen diese Faktoren dem Land einen komparativen Vorteil gegenüber Wettbewerbern wie Chile, Saudi-Arabien, Marokko, Brasilien oder Australien.
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Bisher ist Namibia weitgehend von der Einfuhr von Flüssigbrennstoffen und Stromimporten aus Ländern der SADC Region abhängig. Größter CO2-Verschmutzer ist der Transportsektor gefolgt von der Fischereiindustrie. Dabei haben nur 56% aller Namibier regelmäßig Zugang zu Strom. Dieser wird größtenteils von veralteten und unzuverlässigen Kohlekraftwerken aus Südafrika geliefert. Deshalb wäre die Erzeugung eigener erneuerbarer Energie für Namibia ein enorm wichtiger Schritt, um unabhängiger zu werden von Strom-Importen und resilienter in punkto Energiesicherheit.
Große Pläne, große Erwartungen
Seit dem Frühling Mai 2021 macht die Regierung ernst: Ob der neue Rat für grünen Wasserstoff, der neue, direkt dem Präsidenten unterstellten Kommissar für Grünen Wasserstoff (James Mnyupe), das jüngst gegründete nationale Forschungsinstitut für grünen Wasserstoff, oder das neu eingerichtete „Namibian Investment Promotion and Development Board“ zur Stärkung der einheimischen Wettbewerbsfähigkeit, der wirtschaftlichen Entwicklung und der Schaffung von Arbeitsplätzen – Namibia ist im Wasserstoff-Fieber, und das nicht ohne Grund. Seit knapp zwei Jahren besteht das Hyphen Hydrogen Energy-Konsortium, ein Joint Venture zwischen Nicholas Holdings aus dem Vereinigten Königreich und ENERTRAG aus Deutschland, das als erster ernstzunehmender ausländischer Investor Investitionen in Milliardenhöhe verspricht. Die Eckdaten: Es wurde eine 40-jährige Konzession für rund 4.000 km2 im Südwesten Namibias zur Errichtung eines Hochleistungs-Wasserstoffprojekts vereinbart, das mit 9,4 Milliarden USD veranschlagt ist. Hyphen will jährlich 300.000 Tonnen Rohwasserstoff für den heimischen und den Weltmarkt produzieren. Dadurch würden fünf bis sechs Millionen Tonnen CO2 eingespart. Die erste Phase des Projekts soll Ende 2026 beginnen und 125.000 Tonnen grünen Wasserstoff produzieren.
Neben dem Hyphen-Projekt sind vier weitere Projekte für grünen Wasserstoff in Planung, die u.a. auf die Anwendung von grünem Wasserstoff in der Hafenindustrie, den Bau und Betrieb einer "Hydrogen-Diesel Dual Fuel Locomotive“, die Entwicklung eines „Green Village“ zur landwirtschaftlichen Nutzung von Ammoniakdünger und auf den Tankstellenvertrieb von grünem Wasserstoff abzielt.
Architektonische Darstellung der HYPHEN-Anlage im Süden Namibias.
Quelle: hyphenafrica.com
Des Weiteren unterzeichneten im August 2021 die namibische und die deutsche Regierung eine gemeinsame Absichtserklärung, die für die gemeinsame grüne Zukunft eine Finanzierung in Höhe von 40 Millionen EUR durch das deutsche Bundesforschungsministerium vorsieht. Dieser Betrag soll für ein dreiteiliges Programm bereitgestellt werden, von dem 5 Millionen EUR für Stipendien, 5 Millionen EUR für die Entwicklung einer nationalen Strategie für synthetische Kraftstoffe und 30 Millionen EUR für vier Pilotprojekte vorgesehen sind.
Zusätzlich hat die Europäische Union eine strategische Partnerschaft mit Namibia vereinbart, die auf der COP27 unterzeichnet wurde. Die Europäische Investitionsbank (EIB) hat sich zudem verpflichtet, ihre Zusammenarbeit mit Namibia im Bereich erneuerbare Energien zu vertiefen, in dem sie der namibischen Regierung einen Kredit in Höhe von 500 Millionen Euro zur Finanzierung nachhaltiger Investitionen und Projekte gewährt.
Und schließlich soll eine Partnerschaft zwischen dem namibischen Hafen und dem Hafen von Rotterdam entstehen. Partnerschaften mit japanischen Unternehmen sind ebenfalls im Gespräch.
Ein Wirtschaftswunder made in Namibia?
Nach einer Schätzung von ENERTRAG wird der Sektor der erneuerbaren Energien in Namibia etwa 200.000 Arbeitsplätze schaffen. Andere Projektionen sehen sogar bis zu 600.000 Arbeitsplätze in greifbarer Nähe – bis 2040. Denn auch Privatunternehmen sollen den Boom verstärken, und zwar vorrangig Hersteller von Windturbinen, Sonnenkollektoren, Wasserwirtschaft-, Beratungs- und IT-Dienstleistungsunternehmen, die Hafenindustrie und der Eisenbahnbau, sowie Düngeproduzenten.
Steiles Wirtschaftswachstum: Das Ministerium für Bergbau und Energie hofft, dass Namibia zu einem globalen Lieferant für Produkte rund um Wasserstoff und Ammoniak aufsteigen kann und Märkte in Europa, Indien und China, aber auch seine unmittelbare Nachbarschaft (Südafrika, Botsuana, Angola und Sambia) beliefert. Und nicht nur das: Die namibische Regierung schätzt, dass grüner Wasserstoff bis 2030 der eigenen Volkswirtschaft zusätzliche 4,1 Milliarden USD beschert und das Wachstum des BIP um sagenhafte 32% nach oben schießen könnte!
Rosige Zukunft in Namibia? Logistische und rechtliche Hürden aus dem Weg räumen
Derzeit gibt es kaum die notwendigen rechtlichen Rahmenbedingungen für den erhofften Investitionsboom. Auch die Umwelt- und Sozialstandards sind noch nicht angepasst. Schließlich ist es notwendig, einen Rechtsrahmen zu schaffen, welcher der namibischen Regierung Methoden zur Bewältigung von Ressourcen-konflikte verschiedener Umwelt- und Interessengruppen an die Hand gibt.
Blickt man auf die logistischen Herausforderungen, sind diese alles andere als unerheblich: Der Transport von Wasserstoff kann nur durch Verflüssigung erfolgen. Er muss komprimiert werden, damit er über eine Pipeline transportiert werden kann. Diese Pipelines, die grünen Wasserstoff durch Namibia transportieren könnten, sind noch nicht gebaut, die Hafen- und Transportinfrastruktur noch nicht vorhanden. International herrscht noch Unklarheit darüber, wie grüner Wasserstoff sicher transportiert werden könnte. Daraus ergibt sich ein weiteres Problem, nämlich, dass ein solcher Transport nicht CO2-neutral wäre, wenn die Schiffe oder Lkw mit Benzin- oder Dieselmotoren betrieben würden.
Und schließlich besteht die Herausforderung der Wasserknappheit: Für die Herstellung von grünem Wasserstoff werden große Mengen Wasser benötigt, was im Wüstenland Namibia Mangelware ist. Selbst wenn Entsalzungsanlagen an der Küste Namibias diese Herausforderung meistern könnten, ergibt sich ein weiteres Umweltproblem. Entsalzungsanlagen sind nicht nur teuer in der Errichtung und Wartung, sondern auch umweltschädlich. Es werden Salz und Sole ins Meer zurückgepumpt, was ein hohes Risiko der Vergiftung der Meeresumwelt darstellt und gleichzeitig Namibias Entwicklung in der „Blue Economy“ behindern könnte. Bei dem Elektrolyseprozess entstehen giftige Laugen, die umweltfreundlich entsorgt werden müssten.
Von der Vision in die Wirklichkeit
Politiker und Fachleute im In- und Ausland sind sich einig: Namibia hat das Potenzial, als Produzent des grünen Wasserstoffs in die erste Liga aufzusteigen. Die Regierung in Windhoek lässt bis jetzt keine Zweifel aufkommen, dass es ihr ernst ist mit dem Aufstieg. Auch kann sie mehr vorweisen mit ihren Plänen als nur heiße Wüstenluft: Das Projekt Hyphen ist ein konkreter Beweis für das über Europa hinausgehende internationale Interesse an Namibias Potential. Doch ohne umfassende, nachhaltige internationale Unterstützung, ohne die langfristige Einbindung internationaler Unternehmen und ihres Knowhows, aber auch ohne eine kluge, ressortübergreifende und weitsichtige Förder- und Wirtschaftspolitik kann der Traum vom Exportschlager und Jobgenerator grüner Wasserstoff kaum gelingen. Hat die namibische Politik das Personal, die Kompetenz und den langen Atem dafür?