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Polen: Die Regierung Belka
vor der Vertrauensabstimmung im Sejm
von
Stephan Raabe
Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Polen
Warschau, 14. Oktober 2004
Die Regierung von Ministerpräsident Marek Belka, erst seit Mai des Jahres im Amt, steht am morgigen Freitag erneut vor einer Vertrauensabstimmung im polnischen Parlament Sejm. Vor der Vertrauensfrage wird auf Antrag der Oppositionsparteien über ein Misstrauensvotum ge-gen den Gesundheitsminister Marek Balicki und gegen Außenminister Wlodzimierz Cimo-szewicz abgestimmt. Dem Gesundheitsminister wird vorgehalten, keine Gesundheitsreform auf den Weg gebracht zu haben; dem Außenminister wird vorgeworfen, gegen die Interessen Polens zu handeln, u.a. auch weil er – wie die Regierung insgesamt – die Sejmresolution über deutsche Kriegsreparationen missachte. Es wird allgemein damit gerechnet, dass die Miss-trauensanträge gegen die Minister keinen Erfolg haben werden.
Belka hat angekündigt, dem Parlament den Rücktritt seiner Regierung im April und vorgezo-gene Wahlen für Ende Mai kommenden Jahres vorzuschlagen. Regulär würden die Parla-mentswahlen im Herbst 2005 stattfinden. Zudem wird im Herbst 2005 ein neuer Staatspräsi-dent gewählt und wahrscheinlich das Referendum zur europäischen Verfassung abgehalten.
Sollte die Vertrauensabstimmung für die Regierung negativ ausfallen, würden Neuwahlen innerhalb von 45 Tagen notwendig werden. Jedoch ist damit zu rechnen, dass Belka die not-wendige Mehrheit der anwesenden Abgeordneten erhält. Die beiden postkommunistischen Linksparteien Sozialisten (SLD, 157 Abgeordnete) und Sozialdemokraten (SDPL, 33 Abg.) sowie die Splittergruppe der „Volksdemokraten“ (PLD, 11 Abg.) haben ihre Zustimmung zugesagt. Nach gesonderten Gesprächen mit Belka hat am gestrigen Abend auch die Arbeits-union (UP, 15 Abg.) ihre Unterstützung versprochen. Damit hätte die Regierung bereits 216 von insgesamt 460 Sejmabgeordneten auf ihrer Seite, 15 fehlen zur absoluten Mehrheit. Al-lerdings ist davon auszugehen, dass nicht alle Abgeordneten anwesend sein werden. Entschei-dend wird sein, wie die 24 unabhängigen Abgeordneten und die Vertreter der kleinen Parteien votieren werden. Überwiegend haben sie wenig Interesse an vorgezogenen Wahlen, auch weil dies den Verlust Ihres Mandates bedeuten könnte. Staatspräsident Kwasniewski wird heute mit allen „linken“ Fraktionen und auch mit den kleineren Abgeordnetenklubs im Sejm spre-chen, um die Regierung Belka zu stützen.
Die großen Oppositionsparteien des rechten Spektrums Bürgerplattform (PO, 56 Abg.), Recht und Gerechtigkeit (PIS, 44 Abg.) und Volkspartei (PSL, 40 Abg.) haben sich auf ein Nein in der Vertrauensabstimmung festgelegt. Sie rechnen sich bei den kommenden Wahlen gute Chancen aus und wollen einen Regierungswechsel herbeiführen. Ein Wahltermin im Frühjahr käme aber, so ist intern zu hören, hier vielen durchaus entgegen.
Ebenso werden die populistischen Parteien Selbstverteidigung (Samoobrona, 31 Abg.) und Liga der polnischen Familien (LPR, 25 Abg.) gegen Belka stimmen.
Nach der aktuellen Umfrage eines der führenden Meinungsforschungsinstitute (CBOS) von Anfang Oktober führt die Bürgerplattform (PO) mit 27 % deutlich vor Recht und Gerechtig-keit (PIS) und der Liga der Polnischen Familien (LPR) mit jeweils 14 %. Freiheitsunion (UW) und Volkspartei (PSL) haben jeweils 6 %. Die populistische Selbstverteidigungspartei (Sa-moobrona) liegt bei 12 %. Sozialisten (SLD) und Arbeitsunion (UP) kommen zusammen auf 9 %, die Sozialdemokraten Polens (SdPL) – eine Abspaltung von der SLD - auf 4 %. Wäh-rend die derzeit regierungstragenden Linksparteien somit nur noch 13 % verzeichnen, bleiben die ausgesprochen populistischen Parteien Liga der Polnischen Familien und Samoobrona mit zusammen 26 % auf einem bemerkenswert hohen Niveau.
Für die Bürgerplattform (PO) geht es in dieser Situation darum, möglichst stark aus den Wah-len hervorzugehen, um dann in Koalitionsverhandlungen mit Recht und Gerechtigkeit (PIS) und den möglichen kleineren Partnern Freiheitsunion und Volkspartei eine neue Regierung zu bilden. Dies wird vor allem mit Blick auf die PIS, die in direkter Rivalität zur PO steht und zum Teil antideutschen und antieuropäischen Tendenzen Vorschub leistet, nicht einfach wer-den und einen „historischen Kompromiss“ erfordern, wie der Publizist P. Semka jüngst in der großen polnischen Tageszeitung Rzeczpospolita bemerkte.
Laut verschiedener Bevölkerungsumfragen zur Vertrauensabstimmung teilt sich die Meinung grob gesagt in jeweils ein Drittel Unentschiedene, Befürworter und Gegner der derzeitigen Regierung. Die Mehrheit verbindet jedoch mit Belka keine Hoffnung auf eine Verbesserung der eigenen materiellen Situation.
Der Regierung, die sich zur Hälfte aus parteilosen Fachleuten zusammensetzt, wird zu gute gehalten, für eine Beruhigung der Situation nach den Affären der vorherigen Regierung Miller gesorgt zu haben und sachbezogen zu arbeiten. Sie verfügt allerdings über keine ausreichende Unterstützung im Parlament und ist als Regierung auf Abruf kaum in der Lage, die strategi-sche Richtung der Politik festzulegen und eine energische Reformpolitik durchzuführen.