In den ersten Jahren nach 1990 wurde die öffentliche Debatte über die
Kirchen in der Diktatur vorwiegend um die Verstrickungen mit dem
Ministerium für Staatssicherheit (MfS) zahlreicher Geistlicher und Kirchenjuristen
geführt. Die Kollaboration von kirchlichem Personal mit dem
politischen Geheimdienst schockierte. Die Kirchen hatten noch kurz vor solchen
Enthüllungen in der Revolution 1989 eine zentrale Rolle gespielt. Über
Jahrzehnte galten die Kirchen zudem als die letzte gesellschaftliche Bastion
gegen den totalitären Staat, der stets auch Anspruch auf die Köpfe und Seelen
der Menschen erhoben hatte. In den dauernden Auseinandersetzungen hatten
die Kirchen zwar zweidrittel ihrer Mitglieder verloren. Aber sie konnten sich
dennoch behaupten und in der Öffentlichkeit präsent bleiben. Die kirchenpolitischen
Maßnahmen des SED-Staates und auch die Infiltration mit Agenten
haben den Kirchen zwar geschadet, aber damit konnte nicht verhindert werden,
dass in den Kirchen Kräfte und geistige Haltungen mobilisiert wurden, die zum
Sturz des kommunistischen Regimes beitrugen.
Die Kirchen haben in den drei Phasen der DDR-Geschichte, der kommunistischen
Transformation bis Anfang der 1960er Jahre, der Stabilisierungs- und
Stagnationsphase bis 1989 und schließlich im revolutionären Verfall des Systems
1989/90 sich jeweils unterschiedlich auf die Verhältnisse eingestellt. Das
kirchenpolitische Handeln und die Verteidigung der geistigen Substanz folgten
auch keinen einheitlichen Strategien. Vielmehr handelte es sich um Suchbewegungen,
die durchaus widersprüchlich sein konnten. In allen Phasen aber
spitzten sich Konflikte mit der SED-Politik derart zu, dass sie nicht mehr befriedet
werden konnten. Diese Konfliktlinien sollen hier nachgezeichnet werden.