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Bundestag / Marc-Steffen Unger

Einzeltitel

Deutsch-Polnische Beziehungen im Bundestag

Die CDU/CSU-Fraktion in Sache der deutsch-polnischen Beziehungen

Am 22. Februar fand im Bundestag eine Debatte für "neues Vertrauen und eine gemeinsame Sicherheits- und Europapolitik in den deutsch-polnischen Beziehungen sowie eine Neuaufstellung des Weimarer Dreiecks" statt. Zu dem Antrag der Fraktion konnte auch die KAS in Warschau beisteuern.

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Deutscher Bundestag
Drucksache 20/10380
20.Wahlperiode
20.02.2024

 

Antrag
der Fraktion der CDU/CSU
Mit Entschlossenheit für neues Vertrauen und eine gemeinsame Sicherheits- und Europapolitik in den deutsch-polnischen Beziehungen sowie eine Neuaufstellung des Weimarer Dreiecks eintreten

 

 

Der Bundestag wolle beschließen:


I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:


Die Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen ist bis heute von fruchtbarem Austausch und großer Bereicherung, aber auch von den Folgen der Teilungen Polens und vor allem von den beispiellosen Verbrechen geprägt, die die polnische Nation unter deutscher Besatzung während des Zweiten Weltkrieges erleiden musste. Seit das polnische Volk ebenso wie das deutsche die kommunistische Diktatur hat abstreifen können, kam es in den Jahren nach 1989 zu einer bedeutenden historischen Annäherung zwischen Deutschland und Polen, begleitet von einer einzigartigen wirtschaftlichen Erfolgsgeschichte. Dafür steht bis heute das fruchtbare und freundschaftliche Zusammenwirken von Bundeskanzler Helmut Kohl und Ministerpräsident Tadeusz Mazowiecki. Unter Bundeskanzlerin Merkel war das bilaterale Verhältnis zu Polen und das Zusammenwirken zwischen Deutschland, Polen und Frankreich im Rahmen des Weimarer Dreiecks ein Aktivposten der Europäischen Union (EU). Diese Zeiten sind leider vergangen. Stattdessen herrscht Funkstille auf den Kanälen des einstigen aktiven Dreiecks. Es ist zu einer reinen Hülle ohne Inhalt geworden. Dieser Zustand ist so bedauerlich wie inakzeptabel.


Auch eine bilaterale Abstimmung zwischen der deutschen und der polnischen Regierung in europa-, sicherheits- oder außenpolitischen Fragen fand in den letzten Jahren faktisch nicht mehr statt. Die deutsch-polnische Freundschaft wird verdienstvollerweise heute vor allem von den Kommunen und Ländern und vielen zivilgesellschaftlichen Akteuren getragen. Auf nationaler Ebene und insbesondere in der Sicherheitspolitik prägten trotz der durch die russische Aggression ausgehenden unmittelbaren Gefahren für die europäische Friedensordnung Sprachlosigkeit und mangelndes Vertrauen das Bild.


Die Bundesregierung hat in den letzten beiden Jahren zahlreiche Gelegenheiten verstreichen lassen, polnische Positionierungen in der Sicherheitspolitik wertzuschätzen, aufzunehmen und gegebenenfalls zu unterstützen. Vertrauen zwischen Staaten entsteht durch ernsthafte Beschäftigung mit den strategischen Interessen des anderen. Darüber hinaus hat nicht zuletzt der Bundeskanzler mit seiner immer wieder zögernden Haltung zu ukrainischen Bitten um die Lieferung aller zur Verfügung stehenden Waffensysteme – darunter aktuell der Taurus-Marschflugkörper – und seiner oft bewusst nebulösen Rhetorik dazu beigetragen, Polen (wie auch andere ostmitteleuropäische Verbündete) zu verunsichern. Dazu beigetragen hat auch die völlig unzureichende und über fast zwei Jahre verschleppte rüstungspolitische Reaktion und die fehlende Priorisierung staatlicher Anstrengungen und Mittel auf die Ertüchtigung der Bundeswehr zur Landes- und Bündnisverteidigung, während Polen auf die Verausgabung von 4 Prozent des BIP abzielt, umfängliche Rüstungsvorhaben vertraglich abgesichert hat und die Stärke seines Militärs deutlich erhöhen will. Die Bundesregierung hat den Partnern ein ums andere Mal das Gefühl vermittelt, die Sorgen und Bedürfnisse der Staaten Ostmittel- und Osteuropas nicht hinreichend ernst zu nehmen.


Ein so zerrüttetes deutsch-polnisches Verhältnis können sich weder Berlin noch Warschau oder schon gar nicht die EU als Ganzes leisten. Neben dem ebenfalls bedauerlichen Zustand der deutsch-französischen Beziehungen ist es das Fehlen einer belastbaren Verbindung zwischen dem größten ostmitteleuropäischen Mitgliedstaat und Deutschland ein Grund für die mangelnde Handlungsfähigkeit der EU in wesentlichen Fragen. Die EU braucht institutionelle Reformen; diese können eine gemeinsame strategische Ausrichtung aber nicht ersetzen. Reformen sind nicht dazu da, um Dissens zu übertünchen und praktikablere Mehrheitsverhältnisse zu schaffen. Mehr Vertrauen zwischen Berlin und Warschau ist vielmehr Grundvoraussetzung für erfolgreiche Reformen aber auch für ein schnelleres und robustes Agieren der EU.


Der Regierungswechsel in Warschau eröffnet jetzt die Möglichkeit, die Beziehungen zwischen Deutschland und Polen ebenso wie das Weimarer Dreieck mit neuer Kraft und gemeinsamem Engagement wiederzubeleben. Natürlich löst der Regierungswechsel längst nicht alle Herausforderungen: Vieles hat sich im Stil bereits geändert. Die Rücknahme der Kürzung des muttersprachlichen Deutschunterrichts in Polen durch die neue Regierung zum nächsten Schuljahr ist ein wichtiges Signal gegen Diskriminierung von Minderheiten und für partnerschaftliche Zusammenarbeit. Die strategischen sicherheitspolitischen Interessen Polens aber bleiben. Diese gilt es anzuerkennen und daraus gemeinsame Schlussfolgerungen zu ziehen. Bei der Abschreckung Russlands vor weiteren militärischen Aggressionen sollten Deutschland und Polen eng zusammenarbeiten. Unterschiedliche Auffassungen zu europa- und migrationspolitischen Themen dürfen ebenso wie Debatten über die Vergangenheit nicht dazu führen, die Arbeit an einer gemeinsamen Zukunft zu überschatten.


Dafür braucht es in Deutschland mehr Wissen über die polnischen Interessen, mehr Ressourcen und mehr Polenkompetenz im Auswärtigen Amt und weiteren Bundesressorts und eine Bereitschaft im Bundeskanzleramt, diesen Prozess aktiv zu unterstützen, wo polnische Interessen betroffen sind. Das ist insbesondere in der Abwehr des russischen Angriffs auf die Ukraine der Fall. Polen hat einen außerordentlich hohen Beitrag zur militärischen Unterstützung der Ukraine und zur Unterbringung ukrainischer Flüchtlinge geleistet. Von diesen Anstrengungen Polens für die europäische Sicherheit profitiert auch Deutschland.


Das Jahr 2024 kann zu einem Wendejahr werden. So stehen wir vor einer Reihe von Jubiläen, die für die deutsch-polnischen Beziehungen von zentraler Bedeutung sind. Zum 35. Mal jährt sich der Fall der Mauer, der das Ende der Spaltung Deutschlands und Europas einleitete und der ohne die Vorgeschichte der „Solidarnosc“ in Polen so nicht zustande gekommen wäre. Im November 1989 kam es im niederschlesischen Kreisau zu der historischen Friedensgeste zwischen dem seinerzeitigen Bundeskanzler Helmut Kohl und seinem polnischen Amtskollegen Tadeusz Mazowiecki. Diese Geste der Versöhnung ist so besonders beeindruckend vor dem Hintergrund der in ihrer Brutalität einzigartigen Schrecken der deutschen Besatzung während des Zweiten Weltkrieges, dessen Beginn sich in diesem Jahr zum 85. Mal jährt. Wir werden zudem Anfang August des 80. Jahrestages des Beginns des Warschauer Aufstands gedenken.


II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel daher auf,

 

1. zeitnah die in der Vergangenheit regelmäßig tagenden Deutsch-PolnischenRegierungskonsultationen wieder aufzunehmen und dafür zu sorgen, dassdiese erneut fest verankert werden;
2. in wesentlichen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik grundsätzlicheine Abstimmung mit den Partnern Polen und Frankreich zu suchen undpolnische Sicherheitsinteressen stärker wahrzunehmen und in die eigenenPlanungen einfließen zu lassen;
3. insbesondere die deutsche Unterstützung für die Ukraine, die notwendigenRüstungsanstrengungen und die deutsche Russlandpolitik eng mit Polenabzustimmen und in diesem Sinne endlich Taurus-Marschflugkörper sowieweitere, dringend benötigte Systeme und Munition an die Ukraine zu liefern;
4. die wichtige polnische Rolle im Dialog Deutschlands mit den ostmittel- und osteuropäischen Staaten anzuerkennen und grundsätzlich wieder bessere Verbindungen zu unseren EU-Partnern im östlichen Europa zu suchen;
5. einen regelmäßigen strategischen Dialog über außen- und sicherheitspolitische Themen mit Polen fest zu etablieren und im Zuge dessen konkreteFelder der Zusammenarbeit in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der EU sowie der bilateralen Zusammenarbeit zu identifizieren, zuvorderst eine verstärkte Kooperation in der Ostsee;
6. das wichtige Amt des Koordinators für die deutsch-polnische Zusammenarbeit auch personell so auszustatten, dass neben der zivilgesellschaftlichenKomponente eine stärkere politische Begleitung und Bündelung des außen- und sicherheitspolitischen Dialogs, insbesondere in Zusammenarbeitmit dem Bundestag, ermöglicht wird;
7. angesichts der bedeutenden Verflechtung der deutschen und der polnischenWirtschaft die Abstimmungen in den Bereichen der Wirtschafts-, Energie- und Umweltpolitik zu verbessern;
8. die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Bildung, Wissenschaft undForschung substanziell auszubauen. In diesem Zuge sollte u. a. das prestigeträchtige deutsch-polnische Forschungszentrum CASUS in Görlitz/Zgorzelec durch eine vertiefte bilaterale Zusammenarbeit weiter alsKristallisationspunkt für die deutsch-polnische Wissenschaftskooperationim Bereich der Simulationswissenschaften und der Datenanalyse von komplexen Systemen spürbar gestärkt werden;
9. die Deutsch-Polnisch-Tschechische Wissenschaftsplattform nach dem Jahr2021 zeitnah wieder auszurichten und das Dreiländereck in der geografischen Mitte Europas gemeinsam mit Polen und Tschechien zu einem Innovationstreiber von internationaler Strahlkraft weiter aufzubauen;
10. das Format des deutsch-polnischen Runden Tisches wiederzubeleben;
11. eine engere Verbindung der diplomatischen Dienste vorzusehen und dazujedes Jahr einen Platz für einen polnischen Diplomaten in der Attaché-Crew des Auswärtigen Amts anzubieten;
12. die enorm wichtige Funktion der deutschen Minderheit in Polen als Wahrervon Kultur und Sprache in ihren historischen Siedlungsgebieten und alsBrücke zwischen beiden Völkern nachdrücklich anzuerkennen, die Förderung der deutschen Minderheit in Polen auf hohem Niveau fortzusetzenund insbesondere im Jugendbereich auszubauen, um die Zukunftsfähigkeitzu stärken;
13. sich für eine institutionalisierte Förderung des schulischen- und außerschulischen Polnischunterrichts aus Bundesmitteln einzusetzen und sich überdies gemeinsam mit den Bundesländern für eine Weiterentwicklung derFörderung des Erlernens der polnischen Sprache in Deutschland einzusetzen;
14. den Dialog mit der polnischen Zivilgesellschaft in Deutschland, der Polonia, zu suchen und regelmäßige Konsultationsrunden zwischen Vertreterinnen und Vertretern der Polonia und der Bundesregierung abzuhalten;
15. das Kompetenz- und Koordinationszentrum Polnisch der Stiftung Internationales Begegnungszentrum St. Marienthal in eine bessere, möglichst dauerhafte Finanzierung zu überführen;
16. die Arbeit des deutsch-polnischen Jugendwerks analog zum deutsch-französischen Jugendwerk gut auszustatten und gemeinsam mit den über 500deutsch-polnischen Städtepartnerschaften stärker in den Fokus zu rücken;
17. den Bundestagsbeschluss vom 30. Oktober 2020 zur Schaffung eines Gedenkorts in Berlin an das Leid der deutschen Besatzung Polens 1939-45zügig umzusetzen;
18. das Weimarer Dreieck als Format, das symbolisch wie operativ unter Bundeskanzlerin Merkel von großer Bedeutung für Deutschland war, gemeinsam mit den Partnern wieder mit Leben zu füllen;
19. dafür das deutsch-französische Verhältnis spürbar zu verbessern und dementsprechend verstärkt französische Initiativen aufzugreifen und vor allemzügig gemeinsam umzusetzen. Im Mittelpunkt der Wiederannäherung anFrankreich muss die jahrzehntelang gewachsene, bewährte und vertrauensvolle Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik mit dem Deutsch-Französischen Verteidigungs- und Sicherheitsrat stehen;
20. im Weimarer Dreieck eine gemeinsame Positionierung vorrangig zu folgenden Themen zu suchen: strategische Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik, Verbesserung der Handlungsfähigkeit und Wirksamkeit vonGASP und GSVP, strategische Fragen der Beziehungen der EU zu ihrenöstlichen und südlichen Nachbarn, Beziehungen zu China;
21. als Weimarer Dreieck zu gewährleisten, dass die EU-Beitrittsperspektivefür die Ukraine nach dem am 14./15. Dezember 2023 erfolgten Grundsatzbeschluss des Europäischen Rates über die Aufnahme formaler Beitrittsverhandlungen weiter mit Leben gefüllt wird sowie eine gemeinsame Positionierung über Möglichkeiten der Stärkung der Sicherheit der Ukrainenach dem Ende des russischen Angriffskrieges zu suchen;
22. als Weimarer Dreieck sicherzustellen, dass mit den Erweiterungskandidaten einem schrittweisen Integrationsansatz folgend möglichst bald geeignete Zwischenschritte einer engeren Anbindung an die EU auf dem Wegzu einer Vollmitgliedschaft vereinbart werden wie beispielsweise ein „phasing in“ in EU-Programme und EU-Politiken, eine Assoziierung im Bereich der Gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik/GASP (ohne Stimmrecht) oder die Gewährung des graduellen Zugangszum EU-Binnenmarkt unter der Voraussetzung der Erfüllung der dafür erforderlichen Kriterien;
23. als Weimarer Dreieck auf politische, wirtschaftliche und institutionelle Reformschritte innerhalb der EU zur Stärkung ihrer Handlungs- und Aufnahmefähigkeit hinzuarbeiten. Dazu müssen insbesondere eine Ausweitungqualifizierter Mehrheitsentscheidungen im Rat der EU v. a. in bestimmtenFragen der Außen- und Sicherheitspolitik wie der Verhängung von Sanktionen sowie eine schlankere und agilere EU-Kommission gehören;
24. im Rahmen des Weimarer Dreiecks rechtzeitig vor G7- und G20-Treffeneine grundsätzliche Verständigung herbeizuführen;
25. zum geeigneten Zeitpunkt einen Austausch zwischen dem Weimarer Dreieck und dem Lubliner Dreieck zwischen Polen, der Ukraine und Litauenvorzusehen;
26. Infrastrukturverbindungen, insbesondere auf der Schiene, mit Schnellzugverbindungen zwischen Frankreich, Deutschland und Polen, auch angesichts der infolge des Russland-Ukraine-Kriegs geänderten logistischenAnforderungen gezielt weiterzuentwickeln und das Projekt Railbaltica voranzutreiben.


Berlin, den 20. Februar 2024
Friedrich Merz, Alexander Dobrindt und Fraktion

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Kontakt

Dr. Daniel Lemmen

Daniel Lemmen

Projektkoordinator

Daniel.Lemmen@kas.de +48 22 845-9339

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