„Wer angesichts von Gewalt seine Neutralität erklärt, unterstützt den Angreifer. Das mag zwar nicht die Absicht sein, aber das ist die Wirkung!" – mit diesen Worten eröffnet Prof. Dr. Norbert Lammert unser Cafe Kyiv. Den ganzen Tag über finden Workshops, Diskussionen, Talks, Salons und Kultur statt. Im Fokus steht dabei: Wir sprechen nicht über Ukrainerinnen und Ukrainer, sondern mit ihnen.
Kunstaktion "Cafe Kyiv"
„Die Ukraine steht bedauerlicherweise nicht unter Denkmalschutz. Nicht die Orte und leider auch nicht die Menschen“, deswegen sprechen wir als Stiftung uns dafür aus, dass die Behörden zumindest für die Zeitdauer der anhaltenden Kriegshandlungen Russlands in der Ukraine das Cafe Moskau umzubenennen. Der ukrainische Botschafter in Berlin, Oleksii Makeiev unterstrich diese Forderung. Aktuell konnten wir erzielen, dass im Rahmen einer Kunstaktion das Cafe für einige Tage in „Cafe Kyiv“ umbenannt wurde. Der ukrainische Botschafter begrüßte das Publikum: „Ich freue mich, dass heute die Herzen in einem blaugelben Takt schlagen“, sagte Makeiev. „Dauernder Frieden fällt nicht vom Himmel, sondern muss erkämpft werden. Und die Freiheit ist der Kern dieses Friedens“, betonte er. Makeiev bedankte sich bei der deutschen Bevölkerung, dass sie seine Landsleute aufgenommen hat. Dies zeige, dass Deutschland und die Ukraine sich näher gekommen und eine familiäre Beziehung eingegangen seien.
Freedom to be secure: Warum die Ukraine den Krieg gewinnen muss
Panel 1: Freedom to be secure: Warum die Ukraine den Krieg gewinnen muss
3Q
In unserem Panel „Freedom to be secure: Warum die Ukraine den Krieg gewinnen muss“, diskutierten Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Ivana Klympush-Tsintsadze, Ratislav Kácer und Sönke Neitzel unter der Moderation von Sabine Adler.
Rastislav Káčer, Minister für auswärtige und europäische Angelegenheiten der Slowakei, rief dazu auf, aktiv zu werden. „Wenn wir jetzt nicht handeln, werden alle historischen Verträge, die wir in Europa errungen haben, über den Haufen geworfen“. Daher wäre selbst eine neue territoriale Realität nicht akzeptabel. Er stellte sich hinter die Ukraine und sprach ihr Souveränität zu. „Frieden kommt, wenn die Ukraine gewinnt und ihr Territorium zurück hat“, sagte Káčer. Der slowakische Minister hob hervor, dass Deutschland ein verlässlicher Partner sei und sich auch mit Waffenlieferungen einbringe.
Auch Sönke Neitzel, Professor für Militärgeschichte / Kulturgeschichte der Gewalt an der Universität Potsdam, sprach sich für weitere Waffenlieferungen an die Ukraine aus. Reine Friedensverhandlungen reichten nicht aus, wie die Historie zeige. „Kriege werden auf dem Schlachtfeld entschieden. Friedensverträge wie der Versailler Vertrag sind leider nur ein ade on“, erklärte Neitzel.
Dringlichkeit von militärischer Unterstützung
Viel militärisches Gerät sei bereits an die Ukraine geliefert worden, aber Marie Agnes Strack-Zimmermann, Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, bedauerte, dass die industriellen Produktionszeiten für militärische Ausrüstung zu lange dauerten. „Wenn Russland erfolgt hat, dann werden die baltischen Staaten in Gefahr sein und dann ist das NATO-Gebiet betroffen“, warnte sie. Einer vorzeitigen NATO-Mitgliedschaft für die Ukraine erteile sie eine Absage, da bestimmte Aufnahmeregeln eingehalten werden müssten. Aber für sie ist klar, dass zukünftig die Ukraine ein Mitglied werden muss. Sie sprach sich dafür aus, die Werte Europas zu verteidigen und illegale territoriale Übergriffe zu verurteilen. Denn es gelte, die kommenden Generationen zu schützen. „Zu einem freien Europa gehört auch die Ukraine“, sagte Strack-Zimmermann.
Friedensverhandlungen rücken in weite Ferne
Der Blick auf mögliche Friedensverhandlungen vonseiten der Ukrainer ist derzeit ernüchternd. „Wir sehen, dass ein Land uns angreift und tilgen will“, sagte Ivanna Klympush-Tsintsadze, Abgeordnete der Rada, ehemalige Vize-Premierministerin der Ukraine. Vonseiten des Aggressors sehe die Abgeordnete keine Bereitschaft für Verhandlungen. „Alle Diktaturen in der Welt erhalten eine positive Botschaft, wenn wir aufgeben“, warnte sie eindringlich. Wenn die Ukraine verliere, hätte dies drastische Konsequenzen für den Globus und für den Wohlstand. „Wir haben aufgehört, Angst zu haben“, sagte sie auf dem ersten Panel und zeigte sich gestärkt. „Wir müssen gewinnen, damit wir zurück zu unseren fundamentalen Werten kommen“.
Freedom to be sustainable: Economic development and recovery
Das zweite Panel thematisierte die wirtschaftliche Entwicklung und den Wiederaufbau der Ukraine. Der Präsident der Kyiv School of Economics, Tymofiy Mylovanov, eröffnet mit einem Video-Statement, in dem er wichtige Fakten zur aktuellen Situation präsentierte: Die ukrainische Wirtschaft schrumpfte im Jahr 2022 um mehr als 30 %, kein Wirtschaftswachstum, die Inflation beträgt 25 % und 30 % des ukrainischen Bodens sind durch Minen verseucht. Thomas Kleine-Brockhoff, stellvertretender Vorsitzender der Transatlantic Task Force des German Marshall Fund, unterstreicht: "Damit die Ukraine erfolgreich sein kann, braucht sie Sicherheit und wirtschaftlichen Aufschwung. Die Nachkriegsplanung muss jetzt beginnen!"
Multi-Donor Coordination Platform: financial Ramstein
Große Hoffnungen werden auf die von den G7-Ländern geschaffene Multigeber-Koordinierungsplattform, das sogenannte "financial Ramstein", gesetzt. Maria Repko, stellvertretende Leiterin des Zentrums für Wirtschaftsstrategie, plädiert für eine klare Agenda, die die Organisation von humanitärer Soforthilfe, Infrastrukturhilfe, Wirtschaftsförderung, Wiederaufbauhilfe und humanitärer Minenräumung umfassen sollte.
Deutsche Firmen in der Ukraine
Reiner Perau, Geschäftsführer der Deutsch-Ukrainischen Industrie- und Handelskammer, verdeutlicht die Probleme, mit denen deutsche Unternehmen in der Ukraine konfrontiert sind, wie z. B. höhere Produktionskosten, Mangel an Arbeitskräften (Männer ziehen in den Krieg), Bürokratie und fehlende Transportkapazitäten.
Internationale Investoren gesucht
Ein zentrales Thema der Diskussion war ebenfalls die Frage der Investitionen. Kleine-Brockhoff machte deutlich: "Die Idee der bedingungslosen finanziellen Unterstützung ist nicht nachhaltig und wird wohl auch in Zukunft so nicht weitergehen." Die Mobilisierung von privatem Kapital werde der Schlüssel sein, um Investoren anzuziehen, aber man brauche Investitionsversicherungen und Garantien.
Drohender Brain-Drain
Alle Diskussionsteilnehmer waren sich einig, dass Wiederaufbaubemühungen entscheidend sein werden, um das Risiko der Abwanderung von Fachkräften zu vermeiden. Kleine-Brockhoff lieferte bereits einen konkreten Vorschlag und befürwortete Anreizsysteme für Rückkehrer.
Freedom to be democratic – Kyiv statt Moskau – Perspektiven einer neuen deutschen und europäischen Ostpolitik
Auf dem dritten großen Panel waren sich die vier Diskutanten Roderich Kiesewetter MdB, Tomáš Kafka, Botschafter der Republik Tschechien, Ralf Fücks, Leiter des Zentrums Liberale Moderne und Fredrik Löjdquist, Direktor des Stockholm Centre für Eastern European Studies unter der Moderation von Dr. Volker Weichsel, Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde, einig, dass es eine neue Ostpolitik brauche. Das bedeutet, dass es eine eigene Russland-Politik und eine neue Ostpolitik brauche, die nicht mehr durch den Blick nach Russland geformt werde. Dazu gehört auch, Entscheidungen aus der Vergangenheit kritisch zu reflektieren.
Neue Narrative in Deutschland nötig
Roderich Kiesewetter MdB betont, dass dieser Krieg nicht einfach zwischen Russland und der Ukraine stattfinde: „Wir müssen verstehen: Wir sind Kriegsziel!“ Deshalb müsse das Ziel sein, dass die Ukraine den Angriffskrieg gewinnen muss. „Russland muss verlieren lernen“, hebt er auch in der Diskussion hervor. Weiterhin müssten die EU und NATO Forderungen stellen; beispielsweise nukleare Waffen aus Kaliningrad abzuziehen sowie der Abzug russischer Truppen aus Transnistrien und Georgien.
Mehr Mut bei der politischen Unterstützung der Ukraine
Ralf Fücks fasst zusammen, wie weit die Ukraine komme, hänge von der Kampfmoral Bevölkerung ab und wie viele Ressourcen der Westen in die Waagschale legt. Die deutsche Unterstützung resümiert er allerdings: „Too little, too late!“ Es sei noch nicht genug, dass Russland sich zurückziehen müsse. Dafür brauche es mehr Mut bei der Unterstützung der Ukraine, denn der Kreml rücke von seinen Forderungen seit Beginn des Angriffskrieges nicht ab.
Die Ukraine ist bunt und stark
Neben meinungsstarken Diskussionen auf verschiedenen Podien fanden auch Workshops und künstlerische Begegnungen statt. Im Film "DER VIERUNDZWANZIGSTE" berichten fünf Sur-Place-Stipendiatinnen und Stipendiaten über ihre Erinnerungen an den 24. Februar 2022 und stellten ihn zur Diskussion. Doch auch in 3D wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Events per VR-Brille mit in die Welt von Museumskunst oder an anderer Stelle in zerstörte Häuserschluchten genommen. Handwerklich Begabte konnten traditionelle Blumenhaarkränze flechten oder an den verschiedenen Ständen nach Schmuck und Bekleidung stöbern. Die verschiedenen Food-Stände nahmen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit auf eine kulinarische Reise durch die verschiedenen Regionen der Ukraine. Aus diesen vielen Gebieten flohen nicht nur Menschen, sondern mit ihnen auch viele Haustiere. Daher waren einige Vierbeiner auf dem Flur oder in den Veranstaltungsräumen unterwegs und auf dem Event herzlich willkommen.
Freedom to be free – Wir wählen die Freiheit
"Die Menschen in der Ukraine, die Menschen hier in Kyiv nehmen in diesen Tagen besonders war, was in Deutschland passiert. Wer auf die Straße geht und für was auf die Straße gegangen wird.“
Panel vier startet mit einer Videobotschaft von Paul Ronzheimer, Stellv. Chefredakteur BILD, der sich aktuell wieder in der Ukraine befindet. Er betont, dass vor Ort einige internationale Journalisten bereits abgereist sind – die Aufmerksamkeit für die Ukraine nehme ab.
Über acht Millionen Menschen aus der Ukraine leben mittlerweile in europäischen Staaten als Flüchtling, berichtet Sevgil Musayeva, Chefredakteurin Ukrayinska Pravda, eine der einflussreichsten ukrainischen Online-Zeitungen. Auch sie betont die Angst der Ukrainer vor dem Verlust von menschlichem Kapital (Brain Drain).
„Kunst existiert auch in den Schutzbunkern und in der U-Bahn“
Galyna Grygorenko, Stellv. Ministerin für Kultur in der Ukraine, verdeutlichte die Einschränkung von kulturellen Freiheiten vor Ort. So werden beispielsweise in den besetzten Gebieten unverzüglich Straßen umbenannt, Denkmäler abmontiert, ukrainische Bücher entfernt und Schulprogramme geändert. Noch seien 80% der Künstler vor Ort, viele davon stehen aktuell an der Front.
„Alice Schwarzer erhebt die Stimme für ein Land, dass die Rechte für Frauen mit Füßen tritt“
Marieluise Beck, Senior Fellow im Zentrum Liberale Moderne, äußerte klar ihr Unverständnis über die Forderung von Kompromissen die in Deutschland immer lauter werden. In der Debatte würde man ignorieren, dass es eben nicht „nur“ um Kompromisse für Territorien gehe, sondern konkret um Menschen, die in diesen Territorien leben, die mit schwersten Kriegsverbrechen konfrontiert sind. Schuld daran seien auch die öffentlich-rechtlichen Medien, die den falschen Menschen eine Bühne geben würden.
„Wir leben die Zeitenwende nicht so wie wir sie leben müssten“
Tillmann Kuban, Mitglied des Bundestags und Beauftragter für den EU-Beitritt der Ukraine in der CDU/CSU-Fraktion ist der Meinung: „Es wird in Deutschland nicht genug gewürdigt, was die Ukrainer vor Ort tun.“ Gleichzeitig sprach er eine Forderung an alle aus: „Jeder Einzelne von uns ist gefordert, Multiplikator zu sein!“
Feiern für die Freiheit
Nach intensiver Workshoparbeit und Panel-Diskussionen klang der Abend unter musikalischer Begleitung von zwei Bands aus. Im Erdgeschoss sang die in Deutschland lebende ukrainische Musikerin Tankataka selbst komponierte Lieder im Chamber Pop Stil. Eine Etage höher präsentierten Musikerinnen und Musiker gemeinsam das Requiem „Lullaby for Mariupol“, in Gedenken aller Opfer der russischen Aggression. Die Solidarität mit der Ukraine wurde an der Bar mit Cocktails gefeiert, die stark wie „Selensky“ waren oder wach hielten bis zum „Kyiv Sunrise“.
3.000 Besucherinnen und Besucher zeigten an dem Tag Ihre Verbundenheit mit der Ukraine und waren sich einig: Wir wählen die Freiheit. Und zur Freiheit zählt auch Tanzen.
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