Veranstaltungsberichte
Der Leiter des Bildungswerkes Mainz, Karl-Heinz B. van Lier, eröffnete den Politischen Salon mit der Feststellung, dass die Stiftung mit diesem Forum dazu beitragen wolle, die Informationslücken in Sachen Euro-Rettungsschirm und Stabilitätskriterien zu schließen. Wenn man heute den überproportionalen medialen Aufwand für die Wulf-Verfolgungsstory ansehe, könne man als zoon politicon glauben, dass die Finanz- und Schuldenkrise unbedeutend sei, so der Landesbeauftragte der KAS für Rheinland-Pfalz.
Prof. Dr. Norbert Walter, ehemaliger Chefvolkswirt der Deutschen Bank und heute in seinem
eigenen Unternehmen „Walter & Töchter Consult“ tätig, referierte zum Thema „Verschuldungskrise, Eurokrise, Rettung ohne Ende?“. Hierbei äußerte er seine
Bewunderung für Angela Merkel und Wolfgang Schäuble.
Diese stellten ihre Überlegungen im Rahmen der demokratischen Vorgaben an, nicht aber im akademischabstrakten Raum der Theorie. Da der Bürger gerne seine Ängste kultiviere, könne die Kanzlerin nicht alles offen sagen, was sie für richtig und wichtig hielte, so Prof. Walter. Auch für die Opposition hatte er ein gutes Wort übrig: „Nahezu alle
Teile der SPD schlagen kein Kapital aus dem, was die Konservativen derzeit bieten“.
Eine Eurokrise sieht Prof. Walter allerdings nicht. Seiner Auffassung zufolge handle es sich vielmehr um eine Schuldenkrise einiger Länder der Eurozone, nicht aber um
eine Währungskrise an sich. Mit Bezug auf die Diskussion um Ratingagenturen konstatierte er deren Inkonsistenz: „ Die Ratingagenturen müssen zugeben, dass sie in der Vergangenheit Fehlbewertungen vorgenommen haben. Die meist amerikanischen Institute haben keinen Blick für den Umstand, dass es derzeit – und seit vielen Jahren – keinen größeren Schuldensünder gibt, als die USA“. Den geleisteten und noch zu leistenden Finanzhilfen innerhalb der Eurozone steht Prof. Walter durchaus kritisch gegenüber. Mit diesen Hilfen würden Staaten kreiert, die fortan immer als zu betreuende Staaten gelten werden.
Walter weiter: „Man muss die Hilfe derart leisten, dass die Staaten selbst wieder in die Lage versetzt werden, sich selbst zu sanieren“.
Klaus Nieding, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht und Vize-Präsident der Deutschen
Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz e.V., kam im Rahmen seines Statements zum Thema „Die Euroländer als Spielball der Finanzmärkte“ zu dem Ergebnis, dass die vielzitierten ‚Märkte‘, die die Staaten vor sich hertrieben, keine skrupellosen
Investmentbanker seien, sondern schlichtweg ‚wir alle‘, also jeder, der eine private Rentenversicherung abgeschlossen habe.
Nieding hielt zudem fest, dass es trotz des gleichgerichteten Interesses der Märkte keine Einigung darüber gebe, wohin die Entwicklung gehen sollte. „Sollten wirklich alle glauben, dass der Euro kippt oder Griechenland wirklich pleite geht, wäre dieser
angenommene Fall schon eingetreten“, so der Anlegerschützer.
Die Ratingagenturen als Urheber der Misere anzusehen, lehnt
Nieding weitestgehend ab, da diese der Entwicklung oftmals
selbst hinterherliefen. Sein Schluss lautet daher: Die Staaten
selbst und ihre Finanzpolitik sind schuld an der gegenwärtigen
Situation.
Die Einführung einer Transaktionssteuer, so Nieding, werde die hierdurch entstehenden finanziellen Belastungen letztlich – wie so oft – nach unten an den Anleger durchreichen und zudem die Aktienkultur insgesamt belasten („Geld hat Beine wie Rehe, aber ein Gedächtnis wie Elefanten“). Die Eurobonds betreffend mahnte Nieding die dringende Notwendigkeit an, die Staatverschuldungen der
Euroländer zurück zu fahren – auch in Deutschland. Griechenland wiederum müsse endlich „liefern“,
da irgendwann auch die Zahlungswilligkeit der Anleger seiner Einschätzung zufolge nicht mehr hoch
genug sein wird. Das Fazit des Fachanwalts für Kapitalmarktrecht fällt optimistisch aus: „Wir
brauchen den Euro! Die deutsche Wirtschaft steht auch deshalb so gut da, weil wir von den Vorzügen
des Euros profitieren. Für das Wirtschaftsjahr 2012 ist eine Besinnung auf Hilfe zur Selbsthilfe
wünschenswert. Diese Einstellung würde Europa zu einem ‚Phönix aus der Asche‘ machen“.
Dr. Bernhard Hauer, der stellvertretender Generalkonsul der
Bundesrepublik Deutschland in Mailand, schilderte in seinem Statement
zum Thema „Italien nach Berlusconi: Die EU wird ungeduldig mit Italien“
die italienische Sicht auf die Krise. Seiner Einschätzung zufolge wird sich
das Schicksal des Euros in Rom entscheiden. Die drittgrößte
Volkswirtschaft der Eurozone („too big to fail, too big to rescue“) weist
derzeit die höchste Staatsverschuldungsrate auf. Vor diesem Hintergrund,
so Dr. Hauer, sei der Eurorettungsschirm bei weitem unterproportioniert,
wenn dem italienischen Staat eine Sanierung nicht gelingen wird.
Ist Italien aber wirklich das schwarze Schaf, der kranke Mann Europas? Zwar habe Italien 120 Prozent des BIP als Staatsverschuldungsrate, angesichts der italienischen Schattenwirtschaft aber, werde die
Verschuldungsrate in Italien ähnlich der deutschen sein, meint der stellvertretende Generalkonsul.
Auch bezüglich des durchschnittlichen Privatvermögens (deutscher Durchschnitt 90.000 Euro /
italienischer Durchschnitt 340.000 Euro) stehe der hoch verschuldete Staat nicht allzu schlecht da und ließe hoffnungsvoll in die Zukunft blicken. Die gegenwärtig zügig und konsequent
durchgeführten Reformen sowie die grundsätzlich gesunde und konkurrenzfähige
Wirtschaftsstruktur in Italien mit großem Anteil im produzierenden Gewerbe, gebe, so Dr. Hauer, ebenfalls Anlass zu Optimismus. Und weiter: „Italien ist ein innovatives Land mit einer hohen Quote an erfolgreichen Unternehmensgründungen, obwohl die italienischen Märkte selbst keine
Grundlagenforschung betreiben“.
Die Probleme Italiens macht der stellvertretende Generalkonsul vor allem am schlechten
Wirtschaftswachstum, am Korporativismus - der Unterentwicklung von Konkurrenz und
Konkurrenzdenken -, an der oligarchischen Wirtschaftsstruktur und der italienischen
Überregulierung, die es kaum ermöglicht ein Unternehmen legal zu führen, fest. Der Staat selbst und
seine Organisation seien die Hauptschwierigkeiten Italiens. Nirgendwo sonst gebe es so schlechte
öffentliche Leistungen und funktioniere die Justiz so schlecht, dass gar ein Rechtsstaatsdefizit zu
konstatieren sei, berichtet Dr. Hauer. Bezugnehmend auf die Titel seines Vortrags und der
Veranstaltung resümierte er, dass Europa letztlich keinen Grund habe mit Italien ungeduldig zu
werden: „ Italien ist nicht das Fass ohne Boden! Der italienischen Wirtschaft und Gesellschaft geht es
ein wenig wie Gulliver: Sie können ihre Selbstverteidigungsreflexe und eigentliche Dynamik nicht
mehr ausspielen und sind bewegungsunfähig“. Dr. Hauers Fazit: An der Oberfläche Italiens wird sich
nach Berlusconi einiges ändern, ein zweites Griechenland aber wird es nicht werden.
Die im Anschluss an die Statements der
Referenten von Dr. Georg Paul Hefty,
Frankfurter Allgemeine Zeitung,
moderierte Podiumsdiskussion eröffnete
der Journalist mit der an das Podium
gerichteten Frage, ob die EZB in der
Vergangenheit richtig gehandelt habe
und wie die Experten ihr Handeln mit
Blick in die Zukunft bewerten. Dr. Hauer
kritisierte, dass sich die EZB derzeit nicht
mit ihrer Tradition, das Wachstum zu
fördern, identifiziere. An die Schwierigkeiten, es im Euroraum allen recht zu machen, erinnerte Klaus
Nieding. Dies sei seiner Auffassung nach der Grund für die gegenwärtig gemischten Bewertungen der
Politik der Bank, die in Vorkrisenzeiten tendenziell immer positiv ausgefallen seien. Prof. Walter
bewertet vor allem das Fluten der Finanzmärkte mit Liquidität äußerst kritisch: „Dieses Vorgehen
bedeutet eine Vertrauensgefährdung auch für die EZB, da die Mittel nicht in die Hände von
Konsumenten oder Investoren weitergereicht werden, um eine Nachfrage zu generieren“. Als
gänzlich falschen Ansatz bewertet der ehemalige Chefökonom der Deutschen Bank den verstärkten
Kauf von Staatsanleihen, da es sich hier um keine sachgerechte Strategie handele. Aber, meint
Walter, viel Spielraum sei hierbei nicht vorhanden, wenn die Staaten selbst nicht adäquat handeln.
Eine Chance den Druck der Finanzmärkte abzumildern sieht er zur Not auch in der Einführung von
Eurobonds zur Stabilisierung der wirtschaftspolitischen Souveränität der einzelnen Staaten.
Die Frage, ob selbst im Fall des Ausschlusses einzelner Länder aus der Eurozone noch immer von der
europäischen Solidargemeinschaft gesprochen werden könne, beantwortete Nieding eindeutig.
„Wirtschaftliche Entscheidungen müssen völlig unabhängig von historischen Fragen getroffen
werden. Wirtschaftliche Unsinnigkeiten dürfen nicht aufgrund historischer Verbindlichkeiten
durchgesetzt werden“, so der Anwalt. Und der stellvertretende Generalkonsul Hauer stellte fest: „Die
Banken sind natürlich Teil des Problems, der größte Teil der Problematik aber ist die Politik selbst.
Vor allem politische Entscheidungen formen den Verlauf der Krise“.
Den Blick in die langfristige Zukunft gerichtet, erinnerte Prof. Walter auch an die Auswirkungen des
demografischen Wandels für die deutsche Wirtschaft. „Das geringe deutsche Arbeitskräftepotential
wird uns künftig zu Bittstellern bei den anderen europäischen Ländern machen. Wir werden nicht
immer die Zahlmeister der Welt oder Europas bleiben, wer dies glaub ist romantisch veranlagt“,
führte Prof. Walter aus. Er appellierte an ein Umdenken der Akteure ihre Kraft einzusetzen, um die
Dinge zu bessern statt angesichts der Krise immer nach der richtigen Gesinnung zu suchen.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass mit großer Wahrscheinlichkeit ein erneuter Zusammenbruch
ansteht, sich dieser aber im Rahmen eines zeitlich unübersehbaren, schleichenden Prozess
entwickeln wird. Der Auffassung Prof. Walters zufolge aber ist der Euro unbedingt zu stützen: „Wenn
der Euro nicht mehr existiert, dann Gnade uns Gott, wenn es kein notwendiges Gegengewicht - vor
allem zum US-Dollar - mehr gibt“.
Karl-Heinz B. van Lier, Landesbeauftragter der Konrad-Adenauer-
Stiftung Rheinland-Pfalz, resümierte in seinem Schlusswort, dass ein Paradigmenwechsel anstehe,
Deutschland aber insgesamt zu den Gewinnern der Gesamtentwicklung gehören wird. Voraussetzung
hierfür, so van Lier, sei die Förderung von notwendigen Entwicklungen dort, wo wirkliche Stärken zu
fördern sind.