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Nord Stream 2: Die letzte Phase

Nord Stream 2 war bis zur Corona-Krise eines der kontroversesten Themen der gegenwärtigen internationalen Politik, möglicherweise wird das Thema auch nach der Epidemie wieder dazu werden. Eine Bestandsaufnahme: Ökonomische und politische Interessen sind in den bestehenden Spannungen kaum auseinanderzuhalten. Während die US-Regierung im Dezember 2019 Sanktionen gegen die am Bau der Pipeline beteiligten Unternehmen verhängte, kritisierte Deutschland ein solches Handeln als Eingriff auf Souveränitätsrechte. Auch wenn die Sanktionen die Fertigstellung des Projekts verlangsamen, bestehen sowohl aus deutscher wie auch aus russischer Sicht kaum Zweifel daran, dass es trotzdem erfolgreich abgeschlossen wird.

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Die amerikanischen Sanktionen und ihre Folgen

Kurz vor Fertigstellung der Pipeline hatte US-Präsident Donald Trump am 21.12.2019 bei der Unterzeichnung des neuen US-Verteidigungsetats die Sanktionen gegen Unternehmen, die an Pipelineprojekten mit Russland beteiligt sind, rechtskräftig bekannt gegeben. Dabei geht es primär um Sanktionen gegen Nord Stream 2, die neue, von Russland nach Deutschland durch die Ostsee führende Pipeline, sowie gegen Turkish Stream, die 2020 in Betrieb genommene Pipeline zwischen Russland und der Türkei.

Das Dokument enthält einen speziellen Abschnitt, der Maßnahmen "zur Hemmung der Aggression" Russlands vorsieht. Zu diesen Maßnahmen gehört das Teilnahmeverbot für Unternehmen an der Realisierung der Pipelineprojekte. Die Sanktionsmaßnahmen beinhalten unter anderem Einreiseverbote und das Einfrieren von Vermögen beteiligter Firmen in den USA. Das am Bau von Nord Stream 2 maßgeblich mitwirkende Schweizer Pipeline-Unternehmen Allseas hat als Reaktion auf die US-Sanktionen am 23.12.2019 die Arbeiten an der Nord Stream 2 Pipeline einstellen müssen und sein Verlegeschiff „Solitaire“ abgezogen. Nord Stream 2 ist heute zu über 90 Prozent fertiggestellt. Um die Arbeiten am Meeresgrund der Ostsee aber vollständig abzuschließen, müssen noch 160 Kilometer Rohr verlegt werden.

Deutschland hat die US-Sanktionen als Eingriff in die inneren Angelegenheiten und die eigene energiepolitische Souveränität bezeichnet. Angela Merkel brachte deutliche Kritik gegen die US-Sanktionen zum Ausdruck: „Ich sehe keine andere Möglichkeit, als Gespräche zu führen, aber sehr entschiedene Gespräche, dass wir diese Sanktionen nicht billigen“.  Präsident Wladimir Putin brachte auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Angela Merkel seine Zuversicht zum Ausdruck, das Projekt spätestens im ersten Quartal 2021 beendet zu haben. Auch der russische Energieminister, Alexander Nowak, zeigte sich trotz der Umstände zuversichtlich, das Projekt noch bis Ende 2020, spätestens zu Beginn 2021 fertig zu stellen.

Das Schiff „Akademik Tschersky“ des russischen Gasunternehmens Gazprom soll nun, nach dem sanktionsbedingten Ausscheiden des Schweizer Unternehmens Allseas, die Verlegearbeiten für Nordstream 2 zu Ende führen. Es hat am 22. Februar 2020 seinen Heimathafen Nachodka im Japanischen Meer, etwa 10.000 km von seinem potentiellen Einsatzort entfernt, verlassen und wird Anfang Mai in der Ostsee eintreffen.

Bedeutung von Nord Stream 2 für die EU

Der Zugang zu Erdgasressourcen ist für die Europäische Union von zunehmend strategischer Bedeutung. Bei anhaltender Steigerung des Bedarfs an Erdgas schwinden zugleich die eigenen Vorkommen auf den Territorien der EU-Staaten. Wirtschaftswachstum und Beschäftigung in Deutschland hängen maßgeblich von energieintensiven Schlüsselindustrien, wie der Chemie oder der Metallerzeugung, ab. Trotz der steigenden Bedeutung erneuerbarer Energien spielt für diese Industrien Erdgas als zweitgrößter Energieträger in Deutschland eine gewichtige Rolle. Mangels eigener Ressourcen wird Erdgas beinahe vollständig von Deutschland importiert. Dabei machen russische Gaslieferungen etwa die Hälfte der deutschen Gasimporte aus.  Die Bundesrepublik Deutschland begann 1969/70 mit Importen aus der Sowjetunion. Die Kooperation auf diesem Gebiet verlief zwischen Deutschland und Russland auch in den Jahren des Kalten Krieges weitgehend problemfrei. Heute ist Russland zum Hauptlieferanten von Erdgas für Deutschland avanciert.

Um den eigenen Bedarf zu decken und global konkurrenzfähig zu bleiben, benötigt die EU den langfristigen Zugang zu wettbewerbsfähigen Erdgasquellen. Eine wirkliche Alternative zum Import von Erdgas besteht derzeit nicht. Mit dem Atom- und Kohleausstieg (2022 bzw. 2038)  verstärkt sich das aufgrund des Mangels an eigenen Reserven schon immer bestehende Versorgungsdefizit Deutschlands. Nord Stream 2 kann die deutsche und europäische Erdgasversorgungssicherheit langfristig garantieren und die Erreichung der klimapolitischen Ziele in der EU maßgeblich unterstützen.

Nord Stream 2: Eine Übersicht

Die Ostseepipeline Nord Stream 2 wird Erdgas von den weltweit größten Erdgasvorkommen  der Russischen Föderation nach Deutschland transportieren. Die Pipeline ist ca. 1.230 Kilometer lang und verläuft größtenteils parallel zu der ersten Nord Stream-Pipeline, die seit 2012 erfolgreich etwa 55 Milliarden Kubikmeter Gas nach Deutschland transportiert. Die neue Pipeline soll die gleiche Kapazität zur Verfügung stellen, was für die langfristige Versorgung von 26 Millionen Haushalten ausreichend ist. Die Gaslieferung über Nord Stream 2 sichert Stabilität in der Versorgungssicherheit, gilt als umwelt- und klimafreundlich und ermöglicht zudem, die schwankende Energieversorgung durch die erneuerbaren Energiequellen in Deutschland flexibel zu ergänzen.

Für die Planung, den Bau und die Inbetriebnahme der Pipeline wurde die Projektgesellschaft Nord Stream 2 AG mit Sitz in der Schweiz gegründet. Der größte Anteilseigner ist der russische Konzern Gazprom, der die Hälfte der Finanzierung übernimmt. Weitere Finanzierungsvereinbarungen für das Projekt wurden mit den Konzernen ENGIE (Frankreich), OMV (Österreich), Shell (Niederlande, Großbritannien) und den Deutschen Unternehmen, Uniper und Wintershall Dea, abgeschlossen. Die Gesamtkosten des Projektes belaufen sich auf ca. zehn Milliarden Euro.

Das Projekt betrifft die Gerichtsbarkeiten Russlands, Deutschlands, Finnlands, Schwedens und Dänemarks. Dänemark war das letzte Land, das dem Bau von Nord Stream 2 seine Zusage erteilte. Die Arbeiten in den Gewässern, die zur ausschließlichen Wirtschaftszone Dänemarks zählen, sind derzeit im Gange.

Interessenausgleich

Trotz der wiederholt ausgesprochenen These, Nord Stream 2 sei ein rein wirtschaftliches Projekt, ist eine politische Dimension schwerlich zu bestreiten. Kein anderes energiepolitisches Vorhaben wird so kontrovers diskutiert wie dieses. Dies liegt vor allem daran, dass in diesem Fall gewichtige strategische Interessen aufeinandertreffen.

Befürworter des Baus sind in erster Linie Russland als Gaslieferant und Deutschland sowie einige weitere EU-Länder als Abnehmer. Das Argument der Verteidiger ist meist, dass Nord Stream 2 Versorgungssicherheit auf Dauer garantieren kann. Gegen den Bau sprechen sich vor allem die USA und die östlichen EU-Staaten, die jetzigen Transitländer, aus. Allen voran befürchtet die Ukraine, dass sie in Zukunft gänzlich vom Transitgeschäft ausgeschlossen wird. Die östlichen EU-Staaten haben zudem sicherheitspolitische Ängste wegen einer möglichen strategischen Sonderbeziehung zwischen Russland und Deutschland, von der diese Länder glauben, dass sie nachteilige Konsequenzen für die östlichen EU-Staaten haben könnte. Die USA argumentieren ebenfalls primär sicherheitspolitisch. Deutschland mache sich abhängig von Russland und könne eine „Geisel“ der Russischen Föderation werden. Doch russisches Gas gelangt auch ohne Nord Stream 2 nach Deutschland.

Auch wirtschaftliche Interessen sind Motive des US-amerikanischen Widerstands. Im konkreten Fall prävalieren wohl wirtschaftliche Intentionen, da die Vereinigten Staaten Deutschland und Europa als potentiellen Absatzbereich für eigenes, wesentlich teureres und folglich nicht konkurrenzfähiges Flüssiggas in den Blick nehmen. Gerade das Umgehen des Transitlandes Ukraine wurde immer wieder als Argument gegen Nord Stream 2 stark gemacht. Nord Stream 2 gefährde demnach die ohnehin unsichere wirtschaftliche Lage des Landes, da der Ukraine gewichtige ökonomische Einnahmen durch den Verlust der Transitgebühren entfallen. Russland konnte jedoch mit der Ukraine trotz der angespannten zwischenstaatlichen Beziehungen, auch vor dem Hintergrund starken politischen Einwirkens aus Deutschland, eine Verlängerung des am 31.12.2019 ausgelaufenen Gastransitvertrags abschließen. Der Vertrag soll weitere fünf Jahre versichern, dass die Ukraine als Transitland für die nach Europa gehenden Gaslieferung in Anspruch genommen wird, auch wenn die vorgesehene Menge des durchgeleiteten Gases im Vergleich zum vorigen Transitvertrag gesunken ist. Er kann demnach auch als eine Verbesserung der angespannten russisch-ukrainischen Beziehungen mit sich bringen.

Zudem ist die Abhängigkeit der Europäischen Union (EU) von russischen Erdgasimporten niedriger als umgekehrt. Der Anteil Russlands an Erdgasimporten in die EU liegt bei etwa 40 Prozent. Damit ist dieser geringer als der Anteil der EU an den russischen Erdgasexporten, der derzeit etwa 70 Prozent beträgt.  Zudem schaffen die EU-Staaten durch den Bau verschiedener LNG-Terminals Möglichkeiten für alternative Importwege, sollten diese nötig werden. Dies bedeutet schlussendlich, dass der potenzielle Schaden eines Lieferengpasses oder einer Unterbrechung für die russische Volkswirtschaft schwerer wiegt als für die europäische Seite. Dass ein Stopp Russland somit härter trifft als Deutschland, entkräftet die wiederholt geäußerten Sorgen vor einer übermäßigen Abhängigkeit von Russland und erklärt, dass selbst zu Hochzeiten des Kalten Krieges Energieexporte aus der Sowjetunion nach Deutschland stabil blieben und kaum politisch instrumentalisiert wurden. Die Trump‘sche Behauptung, im Energiebereich sei Deutschland „Gefangener Russlands“, greift zu kurz.

Russischer Blick gen Osten

Derzeit besteht von russischer Seite eine hohe Bereitschaft zur partnerschaftlichen Zusammenarbeit, nicht zuletzt aufgrund der teilweisen Abhängigkeit des weltweit größten Erdgasunternehmens und größten russischen Steuerzahlers Gazprom vom europäischen Absatzmarkt. Die Gewinne der russischen Volkswirtschaft werden vor allem auf dem europäischen Absatzmarkt für Erdgas erwirtschaftet. Dabei ist die Bundesrepublik der größte Abnehmer russischen Erdgases. Andererseits strebt der Kreml eine Diversifizierung seiner Energieexporte an. Ursache hierfür sind vor allem die Unsicherheit und Transitkonflikte durch die andauernden Konfrontationen mit dem Westen und der Ukraine. Direkte Auswirkungen dieser Diversifizierungspolitik sind LNG-Anlagen auf Jamal von der Firma Novatek und das Gazprom-Pipeline-Projekt Sila Sibiri (Kraft Sibiriens) , welches direkt den chinesischen Markt beliefern soll.

Die Folgen dieser Diversifizierungspolitik werden langfristig sein. Bei Abschluss der Pipeline Sila Sibiri, mit welcher noch 2020 gerechnet wird (75 Prozent der Pipeline sind bereits verlegt), steigt China zum zweitgrößten Abnehmer russischen Erdgases auf. Strategisch ist die Abhängigkeit vom europäischen Abnehmer langfristig gebrochen. Auf lange Sicht benötigt Russland Deutschland und die EU nicht mehr im selben Maße als Abnehmer wie heute. Hierfür sind hauptsächlich drei Ursachen auszumachen: der Aufbau und die Nachfrage an nichtstandortgebundenen Export von Flüssiggas, die anhaltende Unsicherheit im Gastransit per Pipeline nach Europa und der zunehmenden Vertragsbindung mit China. Dennoch besteht von russischer Seite weiterhin Einigkeit über eine Intensivierung der Zusammenarbeit mit Deutschland und der EU, bei erst langfristig abnehmender Tendenz. Da dies im umgekehrten Fall auch für Deutschland und die EU gilt, ist Nord Stream 2 im Augenblick im Interesse aller Partner.

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Leiter des Auslandsbüros und Landesbeauftragter für Albanien

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Analysen und Argumente
30. Oktober 2019
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