Die bestehende Forschungsliteratur zur Östlichen Partnerschaft (ÖP) weist in vielerlei Hinsicht, insbesondere im Bereich institutioneller Reformen, Handel und Governance, eine durchaus beachtliche Tiefe und Vielfalt auf. Jedoch fällt auf, dass die Entwicklungsdimension, also die langfristige Gesamtbetrachtung politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Trends sowie die Interaktion der ÖP-Prioritäten mit den weiteren Zielen Deutschlands und der EU im Rahmen der Agenda 2030 und der Sustainable Development Goals (SDGs), bisher nur sehr begrenzt analytisch umrissen worden ist.
Diese Lücke in der Literatur wollte das Auslandsbüro Kiew gemeinsam mit der Kyiv School of Economics (KSE) mit einer Studie angehen. Die Publikation von Dr. Maryna Rabynovych können Sie auf Englisch und Ukrainisch hier nachlesen.
Flankiert wurde dieser akademische Beitrag zum Thema von einem wissenschaftlichen Seminar im Dezember 2020 zur breiteren entwicklungspolitischen Landschaft in der Ukraine mit besonderem Schwerpunkt auf der ÖP sowie der Strategie Chinas für die Region. Die Kursinhalte sind nach kostenloser Registrierung hier öffentlich einsehbar.
Um das Thema auch aus akademischen Kreisen in die Gesellschaft und interessierte Öffentlichkeit getragen, wurden ebenfalls drei journalistische Artikel zur Effektivität, den Stärken und Schwächen der EU-Unterstützung in der Ukraine sowie zu den unterschiedlichen Ansätzen der EU und Chinas in der Entwicklungspolitik im Land in Onlinemedien veröffentlicht.
Am 22. Februar kamen dann Interessierte gemeinsam mit Analystinnen und Analysten zur Präsentation und Diskussion der Studie von Dr. Rabynovych zusammen. Eine Aufnahme der Veranstaltung ist hier verfügbar.
Die Autorin wies zunächst in ihrem Impulsvortrag auf verschiedene und sektoral durchaus erfolgreiche Teilaspekte der Entwicklungsdimension der ÖP hin: insbesondere im Bereich Bildung, Makrofinanz- und KMU-Unterstützung könnten sich die Ergebnisse durchaus sehen lassen. Genauso wichtig sei die Betrachtung des „Big Picture“, wo das langfristige, durchgängige und sehr flexible Engagement der EU in Bezug auf die Region hervorzuheben sei. Gerade auch an die angespannte sicherheitspolitische Situation und latente Instabilität der Region habe sich die ÖP recht gut anpassen und gleichzeitig auch einige Fortschritte im Bereich Wirtschaft, Investitionsklima sowie Gesamtkoordination der Maßnahmen verschiedener staatlicher und nichtstaatlicher Akteure fördern können.
Gleichzeitig bestünden allerdings weiterhin eine Reihe von Problemen. Politisch hätte sich ein gewisses Spannungsfeld zwischen Partnerinteressen und ÖP-Zielen ergeben, da die Ukraine seit 2014 offen eine Vollmitgliedschaft in der EU anstrebe, was jedoch explizit kein Kernbestandteil der ÖP als Programm sei. Außerdem müsste ungeachtet der genannten Flexibilität das Instrument dennoch von schnelleren Entscheidungsprozessen der EU und ihrer Mitgliedstaaten profitieren. Bei der Ausgestaltung der Entwicklungsdimension der ÖP müsse dazu insbesondere noch das Feld der Sozialpolitik besser bespielt und die Maßnahme mit ihren konkreten Vorteilen insgesamt besser kommuniziert werden – auch um immer wieder aufkommenden Falschinformationen präventiv zu begegnen. Gleichzeitig bestünden Verbesserungsmöglichkeiten bei der Förderung und Vernetzung der Digitalwirtschaften sowie bei der Koordinierung mit nationalen Entwicklungsstrategien der ÖP-Länder. So könne auch die Wirksamkeit insgesamt noch verbessert werden.
Dr. Olga Oleinikova, die Direktorin der „Ukraine Democracy Initiative“ an der Universität Sydney rezipierte die Publikation im Hinblick auf ihre eigene Forschung zur Offenheit der verschiedenen Gesellschaften und Staaten der ÖP für die Zivilgesellschaft mit Fokus auf deren Finanzierungsmöglichkeiten. Im Vergleich zur sehr restriktiven Situation beispielsweise in Belarus und Russland habe gerade die Ukraine hier eine positive Atmosphäre geschaffen. Jedoch gebe es auch in der Ukraine gelegentlich Versuche, die Zivilgesellschaft zum Beispiel durch die Anwendung der strengen Transparenzvorschriften für Staatsdiener auf den gesamten zivilgesellschaftlichen Sektor zu behindern. Jedoch seien solche Bemühungen bisher erfolglos geblieben.
Anschließend unternahm Teodor Moga, der an der Alexandru Ioan Cuzu Universität in Iasi, Rumänien, Europäische (Außen-) Politik lehrt, eine wirtschaftliche Analyse, die die Fortschritte der ÖP-Region der letzten 20 Jahre komparativ zu den Ländern Zentralasiens betrachtete. Hier ließen sich eine Reihe positiver Trends der ÖP-Länder im Hinblick auf Wirtschaftswachstum, Investitionsklima, Handel mit der EU, Strukturreformen und Marktmechanismen feststellen. Gleichzeitig ließen sich in beiden Regionen klar die negativen gesamtwirtschaftlichen Effekte bewaffneter Konflikte nachweisen während andere Schocks wie die Finanzkrise nach 2007 die ÖP-Region aufgrund der höheren Vernetzung mit der EU stärker trafen als Zentralasien. Im Vergleich zu offiziellen Kandidaten auf die EU-Mitgliedschaft sei aber zu bemerken, dass in der ÖP-Region der unterschiedliche Stand institutioneller Konvergenz kein signifikanter Faktor beim Wirtschaftswachstum sei.
Dr. Ivan Nagorniak, der als Berater für die Vizepremierministerin für Europäische und Euroatlantische Integration tätig ist, betonte in seinem Beitrag ebenfalls, dass die Ukraine eine Beitrittsperspektive in die EU auch im Rahmen des ÖP-Formats sehr begrüßen würde. Dies wäre ein starkes Signal und würde für die ganze Region weitere starke Anreize weitere Integration und Zusammenarbeit setzen. Auch unter diesen Vorzeichen sei man gespannt auf die Ergebnisse des ÖP-Gipfels 2021. Weiterhin bestehe großes Interesse in der ukrainischen Wirtschaft, an wichtigen EU-Initiativen zur digitalen Transformation und dem European Green Deal teilzuhaben; eine entsprechende Feinausrichtung der ÖP-Entwicklungsdimension wäre hier zu begrüßen.
Abschließend analysierte Natalia Khinotska, Koordinatorin für Beziehungen zur Zivilgesellschaft des „EU4Civil Society Project“ die Publikation. Dabei fokussierte sie sich insbesondere auf die Problematik der strategischen Ausrichtung der ÖP und ihrer Entwicklungsdimension. Es stelle sich generell die Frage, wie das Instrument auf die unterschiedliche und sich verändernde Nachfrage aus den Zielländern reagiere und welche Elemente umfassend verwendet könnten, während andere auf spezifische Lagen zugeschnitten werden müssten. Denn dies eröffne ein strategisches Dilemma zwischen Inklusion und Differenzierung. Darüber müsse sich auch innerhalb der ÖP-Länder besser ausgetauscht werden, um klare Vorschläge insbesondere für nachhaltige und anpassungsfähige Prioritäten kommunizieren zu können. Doch auch die EU müsse mehr in Kommunikation investieren, um einerseits die EU-Dimension der SDGs klarzumachen, obwohl die Initiative ja oft mit den Vereinten Nationen in Verbindung gebracht wird. Genauso müsse in den Zielgesellschaften klarer gemacht werden, dass die ÖP zwar auf Konfliktmanagement und -lösung teilweise eingehen, jedoch diese alleine nicht fundamental lösen könne.
Alle Panellisten betonten die hohe Qualität der Studie von Dr. Rabynovych und hoben insbesondere die Methodologie, die eine tiefe Literaturrecherche mit quantitativer Datenerhebung und direkten Interviews mit einer Vielzahl von Stakeholdern kombinierte, hervor.