Veranstaltungsberichte
Dr. Tibor Navracsics, stellv. Ministerpräsident und Verwaltungs- und Justizminister, erinnerte in seinen Eröffnungsworten an die „hohe Bedeutung dieses Tages und die Auswirkungen bis in unsere heutige Zeit“. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wären erstmals die Grenzen gezogen worden, in denen wir heute teilweise noch leben. Aber nicht nur die Grenzen, sondern auch die modernen Demokratien mit ihren Bürgerrechten, wie wir sie kennen, hätten ihren Ursprung in dieser Zeit. Jedoch brachte dieses Ende nicht nur positive Entwicklungen mit sich, betonte Navracsics. Denn in einigen Staaten Europas, wie in Italien und nach dem Zusammenbruch der Weimarer Republik auch in Deutschland, war dies die Geburtsstunde des Faschismus. Die wohl schwerwiegendste Folge des Ersten großen Kriegs wäre der Zweite Weltkrieg gewesen, so Navracsics. Aus diesem Grund sei es von großer Bedeutung, dass wir uns immer wieder die Folgen der beiden Kriege vor Augen hielten und dies im Zusammenhang betrachteten, um eine solche Katastrophe in Zukunft vermeiden zu können.
Das Deutsche Kaiserreich sei bei seiner Gründung 1871 zu groß, um von seinen Nachbarn ignoriert zu werden, allerdings auch zu klein gewesen, um eine Hegemonialstellung in Europa einnehmen zu können. Mit diesen Worten eröffnete Prof. Dr. Mária Schmidt, Generaldirektorin des Museums Haus des Terrors, ihre Rede und führte weiter aus: „Der Ursprung des ersten Weltkriegs liegt eigentlich im Jahre 1871“. Das Kaiserreich sei in den Jahren nach seiner Gründung aus Sicht der Briten zur größten Bedrohung geworden, weil das Land mit einem rasanten Tempo die industrielle Revolution vollzogen hätte und bis 1907 zur zweitgrößten Wirtschaftsmacht, nach den USA, aufstiegen sei. Im weiteren Verlauf führte Frau Dr. Schmidt aus, dass sich Großbritannien, Frankreich und Russland zur Entente zusammengeschlossen hätten, um in Europa einen Ausgleich zu den Mittelmächten Deutschland und Österreich-Ungarn zu schaffen. Vor dem Hintergrund dieser Konstellation wäre es auch nicht weiter verwunderlich, dass der Erste Weltkrieg als sogenannter Bruderkrieg bezeichnet werde. Abschließend erklärte sie, dass die Pariser Vorortverträge keinen gerechten Frieden für Europa gebracht hätten und so der Kontinent in die hoffnungslose Lage geraten sei, die den Zweiten Weltkrieg bedingte.
Das Ende des Ersten Weltkriegs sei gleichzeitig die Geburtsstunde einer neuen Weltordnung, meinte der Wissenschaftler Dr. Ferenc Glatz, Präsident der Ungarischen Akademie der Wissenschaften a. D und Direktor des Europa Instituts Budapest. Ferner führte er aus, dass in Russland diese neue Ordnung bereits mit dem Sturz des Zaren und der Machtergreifung durch Lenin einen ersten Vorreiter gehabt hätte. Für ihn ende die Krise, die 1918 begonnen hätte, erst mit der Grenzöffnung im Jahre 1989. Die neue Weltordnung zeichne sich nun mehr nicht durch Kriege (heiß oder kalt) aus, sondern durch zwischenmenschliche Interaktionen. In seinem Beitrag stimmte er auch Frau Dr. Schmidt zu: „Die Krise des Ersten Weltkriegs ist auf den Kapitalismus zurückzuführen“.
Dieser Meinung schloss sich auch Norman Stone in seinem Vortrag „Schreckliches Ende und Ende ohne Schrecken“ an. Er betonte: „vieles hängt an der Wirtschaft“. Jedoch ging es bei ihm weniger um wirtschaftliche Zusammenhänge, als vielmehr um die Auswirkungen, die der Erste Weltkrieg mit sich brachte. Auch er skizzierte u.a., wie die Folgen des Krieges den Faschismus zunächst in Italien und dann auch in Deutschland begünstigten: „ohne Mussolini wäre Hitler nicht zu dem geworden, was er später war“. Stone sprach auch über die mögliche Verfehlung seitens der ungarischen Regierung gegenüber den Balkanländern. Er meinte, dass Ungarn den Balkanvölkern mehr Autonomie hätte zugestehen sollen.
Im Anschluss an das eröffnende Panel gab es fünf weitere mit unterschiedlichen Beiträgen zahlreicher internationaler Wissenschaftler. Eine Besonderheit dieser internationalen Konferenz war es, dass jeder Wissenschaftler nicht nur über den Krieg im Allgemeinen referierte, sondern auch immer einen Bezug zum eigenen Land sowie den Auswirkungen und Folgen herstellte.
(Text: Frank Wermter)