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BRICS-Erweiterung

Geopolitische Machtverschiebung oder transaktionale Allianz?

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Flaggen der BRICS-Staaten und den Erweiterungsstaaten vor einer blauen Weltkarte Adobe
BRICS-Staaten und die Erweiterungsstaaten ab 2024: Iran, Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate, Ägypten, Äthiopien und Argentinien (hat seinen Beitritt im November 2023 rückgängig gemacht, s. Aktualisierung unten)

Das Wichtigste in Kürze

Das BRICS-Staatenbündnis beschloss bei seinem Gipfel im August 2023, sich per Januar 2024 um sechs Länder zu erweitern. Was bedeutet die Aufnahme des Iran, der Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabiens, Argentiniens, Ägyptens und Äthiopiens für den Zusammenhalt, die Wirtschaftskraft und geopolitische Bedeutung des Bündnisses? Wie wird in den verschiedenen Regionen auf „BRICS+“ geblickt? Und vor allem: Welche Schlüsse sollten die EU und Deutschland daraus ziehen?

 

Aktualisierung 01.12.2023:

Die künftige Außenministerin Argentiniens, Diana Mondino, ließ am 30. November 2023 verlautbaren, dass Argentinien dem BRICS-Staatenbündnis doch nicht beitreten wird.  

 

 

 

1. Die BRICS 

War es in den vergangenen Jahren relativ ruhig um das 2009 gegründete Bündnis aus Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika geworden, trat es mit seinem XV. Gipfeltreffen Ende August in Johannesburg wieder ins weltpolitische Rampenlicht. Und das in erster Linie aus zwei Gründen: erstens, wegen der Erweiterung des Bündnisses um sechs Länder und zweitens, wegen der Diskussionen über die Schwächung bzw. gar Ablösung des US-Dollars als weltweite Leitwährung. Mit der Aufnahme des Iran, der Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabiens, Argentiniens, Ägyptens und Äthiopiens per Januar 2024 repräsentiert die BRICS-Gruppe nun rund 36% des weltweiten Bruttonationaleinkommens  (mehr als die G7, die bei rund 31% liegt) und 46 % der Weltbevölkerung (G7: rund 10%). Mehr als 40 % der weltweiten Öl- und mehr als 36 % der weltweiten Gas-Produktion sind nunmehr BRICS-Staaten zuzuordnen.

 

2. Wie blickt die Welt auf BRICS+?

Tendenziell wird die erweiterte BRICS-Staatengruppe weltweit als anti-westliches Bündnis gesehen. Dominierend scheint diese Sichtweise in vielen Ländern Afrikas, wo BRICS+ auch vereinzelt als anti-koloniale Allianz betrachtet wird. Die Lesart der BRICS-Erweiterung scheint unter anderem damit zu tun zu haben, wie sehr sich ein Land „dem Westen“ zugehörig fühlt: als eine Abkehr von der westlichen Hegemonie, nicht aber zwingend vom Westen insgesamt, wird die Erweiterung von vielen europäischen Ländern eingeschätzt; die USA sehen in dem erweiterten Bündnis überhaupt nur eine „sehr vielfältige Ansammlung von Ländern“, mit denen man bilateral teilweise gar enge Beziehungen pflege (wie mit Indien, Brasilien oder Südafrika), die man auch noch weiter ausbauen möchte. Zahlreiche Länder Subsahara-Afrikas begrüßen die Erweiterung ausdrücklich, weil sie in dem Bündnis Alternativen für eine wirtschaftliche Zusammenarbeit frei von „westlichen Zwängen und Einmischung“ sehen, das heißt ohne die Bindung an ethische oder normative Standards. Wenn zwar nicht als geopolitisches Gegengewicht, so betrachtet man in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern die erweiterte BRICS-Gruppe zumindest als Alternativmodell zur aktuellen Weltordnung und ihren Institutionen, das die Interessen des „Globalen Südens“ stärker berücksichtigt. Insbesondere die „BRICS-Bank“, die New Development Bank, wird als Finanzierungsalternative zu Weltbank und zum Internationalen Währungsfonds gesehen. Als geopolitische Machtverschiebung wird die Erweiterung – wenn überhaupt – jedoch nicht oder nur von (politikwissenschaftlichen) Expertenkreisen eingeschätzt. Eine Ausnahme bildet hier die Region Nordafrika-Nahost. 

 

3. …und was folgt daraus?

Dominiert in Asien die Sorge vor einer verstärkten Blockbildung, die den Druck, sich für eine Seite zu entscheiden, weiter erhöhen könnte, so sind in Lateinamerika eher interessierte bis wohlwollende Stimmen in Richtung BRICS+ zu vernehmen: Letztere von links- bis sozialistisch regierten Ländern, erstere von durchaus auch „westlich“ orientierten Staaten wie Kolumbien, die BRICS+ als Bündnis für wirtschaftliche Kooperation sehen (wollen) und sich durch einen eventuellen Beitritt pragmatische Zugänge für wirtschaftliche Zusammenarbeit und neue Finanzierungsquellen erhoffen. Auch bedeutet die BRICS-Erweiterung noch komplexere Abwägungen in der regionalen Zusammenarbeit, z.B. in der Region Asien-Pazifik für Länder wie Japan oder Australien. In Subsahara-Afrika wiederum sieht man in erster Linie die Chancen, die sich für den Kontinent aus der Erweiterung ergeben: Alternative wirtschaftliche Kooperations- und Investitionsmöglichkeiten, zusätzliche außenpolitische Handlungsoptionen sowie die Möglichkeit, die globale Ordnung im Sinne der Interessen Afrikas bzw. des „Globalen Südens“ neu zu gestalten. Letzteres überwiegt auch in der Region Nordafrika und Nahost, wo die BRICS-Erweiterung am ehesten als geopolitische Verschiebung wahrgenommen wird. In jedem Fall erhöht die BRICS-Erweiterung den Reformdruck auf internationale Organisationen, den Entwicklungs- und Schwellenländern endlich eine angemessene Repräsentation zu ermöglichen; der Weckruf sollte in jedem Fall auch in der EU gehört worden sein – am Westbalkan ist man des Wartens auf einen EU-Beitritt müde und es ist nicht auszuschließen, dass das eine oder andere Land BRICS+ mittelfristig beitreten möchte.

 

4. Wird BRICS+ Fahrt aufnehmen?

Dass mit Ägypten und Äthiopien zwei der großen strategischen Rivalen des afrikanischen Kontinents sowie mit Saudi-Arabien und Iran die zentralen Widersacher des Nahen und Mittleren Ostens dem Bündnis beigetreten sind, dem schon die „alten Erzfeinde“ China und Indien angehören, ließ vielfach Fragen nach dem Zusammenhalt und der daraus resultierenden Stärke des Bündnisses aufkommen. Eine Ausnahme bildet hier Lateinamerika, wo die BRICS+ auch schon mal bedeutender als die G7 eingeschätzt werden. Die Frage der ökonomischen Stärke des Bündnisses ist vielfach ein zweiter Grund, den zukünftigen Einfluss von BRICS+ als gering einzuschätzen. Mit Ägypten hat man sich nicht gerade ein wirtschaftliches „power house“ hinzugeholt; die russische Wirtschaft ist durch den Krieg gegen die Ukraine angeschlagen, China verzeichnet stagnierende Wachstumsraten. – Letzteres könnte übrigens auch Chinas klare Führungsrolle negativ beeinträchtigen, wenn es sich nicht ändert. Zu beobachten bleiben in jedem Fall die Ambitionen der BRICS+, den US-Dollar mittelfristig zu schwächen oder gar als weltweite Leitwährung abzulösen – wenn zum derzeitigen Zeitpunkt auch noch als unrealistisch einzustufen. Sollte BRICS+ erfolgreich an diesem Thema dranbleiben, könnte das fundamentale Veränderungen für die weltweite Finanzarchitektur nach sich ziehen.

 

5. Fazit

Die BRICS-Erweiterung hat vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländer Hoffnungen geweckt: auf ein größeres Mitspracherecht der Länder des „Globalen Südens“ bis hin zu einer Neugestaltung der globalen Ordnung in deren Sinne, auf neue Optionen für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Finanzierungsquellen „ohne strings attached“ sowie insgesamt auf eine Reduktion der Abhängigkeiten von und Einflussnahme durch die „westlichen Partner“.

Ob diese Hoffnungen erfüllt werden können, liegt zum einen daran, ob BRICS+ die offensichtlichen Herausforderungen in den Griff bekommt: Die politischen wie sozialen Verhältnisse in den potenziellen elf Mitgliedsländern sind sehr divers, die Beziehungen der Länder untereinander sind teilweise von außenpolitischen Spannungen bis hin zu handfesten Rivalitäten geprägt, von einem einenden „Werte-Überbau“ kann keine Rede sein – außer, man betrachtet Prinzipien wie die „Nicht-Einmischung in innere Angelegenheiten“ oder wirtschaftlichen Pragmatismus schon als „einende Ideologie“. Hinzu kommt die Frage nach der wirtschaftlichen Stärke des Bündnisses insgesamt angesichts der ökonomischen Probleme einiger Mitgliedsländer – nicht zuletzt Chinas. Ob die erweiterte BRICS-Allianz vor dem Hintergrund dieser Gemengelage zukünftig also gemeinsame Ziele formulieren bzw. ein geeintes Vorgehen zu bestimmten (weltpolitischen) Streitpunkten koordinieren kann, wird sich erst zeigen müssen. Ebenso bleibt zu beobachten, ob diese Herausforderungen stärker wiegen als der unbestreitbar starke symbolische Charakter der Bündniserweiterung sowie das gestärkte Selbstvertrauen vieler Entwicklungs- und Schwellenländer, das damit einherging.

Andererseits kann die Frage, ob BRICS+ zur Erfolgsgeschichte wird, auch nicht ganz unabhängig vom Agieren der „westlichen Länder“ betrachtet werden. Nimmt die Global Gateway-Initiative der EU Fahrt auf und wird zur gern gesehenen „Marke“ bei alten und neuen Partnern? Wie geht es mit dem Beitrittsprozess am Westbalkan voran? Welchen Einfluss wird der Ausgang der Wahlen in den USA auf die US-Außenpolitik haben? Rümpft man in Europa und den USA das diplomatische Näschen, weil ein Land – z.B. Argentinien – BRICS beitreten wird, oder versucht man stattdessen, „der bessere Partner“ zu sein, indem man mit passgenauen Angeboten auf das Land zugeht? – Hier sei auch noch angemerkt, dass es für die Zusammenarbeit Deutschlands mit BRICS-Mitgliedsländern wohl sinnvoll ist, zwischen Staaten mit klar anti-westlicher Agenda und solchen, die pragmatisch auf der Suche nach neuen Handelspartnern und Kooperationsmöglichkeiten sind, zu unterscheiden.

Was man wohl mit Sicherheit konstatieren kann, ist, dass die BRICS-Erweiterung einen weiteren Schritt hin zu einer multipolaren Welt markiert – und somit auch zu einer neuen globalen Ordnung, wenn auch noch wenig klar ist, wer in dieser dann den Ton angibt.

 

Regionale Betrachtungen

Europa und Nordamerika

Regierungsvertreter aus Europa und Nordamerika hielten sich insgesamt mit öffentlichen Stellungnahmen zum jüngsten BRICS-Gipfel und der BRICS-Erweiterung auffällig zurück. Die geringe mediale Beachtung wird auch damit in Zusammenhang gebracht, dass man BRICS nicht aufwerten möchte. Lesen Sie die Kurzanalyse zu Europa und Nordamerika.

Subsahara-Afrika

Zum ersten Mal in seiner Geschichte fand der BRICS-Gipfel auf dem afrikanischen Kontinent in Johannesburg statt. Auch das Thema des Gipfels „BRICS und Afrika: Eine Partnerschaft für Wachstum, nachhaltige Entwicklung und Multilateralismus" spiegelt das wachsende Interesse der BRICS an Afrika wider. Lesen Sie die Kurzanalyse zu Subsahara-Afrika.

Nahost und Nordafrika

Vier der sechs potenziellen neuen BRICS-Mitglieder - Ägypten, Saudi-Arabien, Iran und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) - gehören zur Region Naher Osten und Nordafrika. Die Beweggründe dieser vier Länder für den Beitritt zu BRICS sind divers. Lesen Sie die Kurzanalyse zu Nahost und Nordafrika.

Lateinamerika

Während der BRICS-Gipfel in Johannesburg und die dabei vollzogene Erweiterung des Bündnisses in Mexiko, Zentralamerika, den Andenstaaten sowie in Uruguay ein eher geringes Medienecho hervorrief, wurde das Ereignis im Mitgliedsland Brasilien, aber auch in Chile mit größerem Interesse verfolgt. Lesen Sie die Kurzanalyse zu Lateinamerika.

Asien und Pazifik

Eine für alle Länder Asiens gleichermaßen geltende Antwort auf die Frage, ob die BRICS als eine anti-westliche Allianz wahrgenommen werden, gibt es – wenig überraschend – nicht. Mit China und Indien liegen gleich zwei der fünf BRICS-Länder in Asien. Lesen Sie die Kurzanalyse zu Asien und Pazifik.

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