Ενιαίος τίτλος
Begünstigend wirken dabei einige typische Charakteristika der Netzkultur: Dort ist der schnelle Klick die gültige Währung. Schnelligkeit ist aber kein Ausweis von Demokratiesteigerung, ihr wohnt die große Gefahr der Oberflächlichkeit inne. Das Internet ist eben auch ein nervöses Skandalisierungsmedium. Nirgends entstehen so viele Gerüchte und nirgends werden sie so schnell verbreitet wie im Netz.
Mauern gegen Unbekanntes
Die Ambivalenz des Internets manifestiert sich zugleich in der Spannung zwischen globaler Öffnung und der Abschottung im Gewohnten. Zwar schafft das Internet Gemeinschaft über Grenzen hinweg, indem es Menschen miteinander verbindet, die wegen großer Entfernungen nur über das Netz Kontakt halten können oder sich erst im Internet kennen lernen. Zugleich ermöglicht es der Cyberspace aber auch, für die globalisierte Kontaktaufnahme das sichere zu Hause nicht verlassen zu müssen und die Kommunikation auf Vertrautes zu beschränken. Im Netz lässt sich eben nicht nur viel Neues entdecken, sondern es lassen sich auch Mauern gegen das Unbekannte errichten.
Mosaikgesellschaft
Der grenzenlose Cyberspace ist auch eine Mosaikgesellschaft, die in einer Vielzahl kleinster Teilöffentlichkeiten das Bedürfnis vieler Internetnutzer bedient, vor allem Gleichgesinnte zu finden. In der damit verbundenen Erfahrungsverdünnung liegt auch eine Herausforderung für die freiheitliche Demokratie. Wo Gleichgesinnte abgeschottet von Andersdenkenden überwiegend einander begegnen, gedeiht aber leicht Radikalität, Extremismus und Ideologie.
Die Parallelexistenz vieler unterschiedlicher, auf sich selbst bezogener und sich selbst radikalisierender Gruppen ist eine Bedrohung für das Grundprinzip freiheitlicher Demokratie: Einheit in Vielfalt (e pluribus unum). Die offene Gesellschaft findet ihre modernen Feinde in der fragmentierten Echogesellschaft des Internets.
Doppelte Anonymität
Hinzu kommt die Wirkung einer doppelten Anonymität: Übereinander zu reden war schon immer einfacher als miteinander. Selbst wer im Netz die eigene Identität preisgibt, erlebt sein Gegenüber nicht persönlich fassbar, sondern abstrakt und quasi anonym. Der Begegnung im Netz fehlen die sozialen Leitplanken personaler Interaktion. Virtuell zu diskutieren ist eben nicht das Gleiche wie miteinander zu reden. Das wird um ein Vielfaches potenziert, wenn sich die Beteiligten selbst in der Anonymität verstecken, so dass ihnen ihr Agieren nicht mehr zugeordnet werden kann.
Es ist kein Zufall, dass Konflikte online oft mit wesentlich größerer Aggression ausgetragen werden als offline. Das Internet begünstigt die Auflösung des Zusammenhangs von Freiheit und Verantwortung.
Auf diesem Nährboden dominiert oft im Netz die Herrschaft der Stärkeren und Lautesten, die für sich ein digitales Faustrecht reklamieren. Ein fast prototypisches Beispiel dafür ist die „Anonymous“-Bewegung. Angeblich um die Freiheit des Internets zu schützen, bedient sich die Hacker-Bewegung des größten Feindes der Freiheit: der Angst. Aus dem Lehrbuch des Totalitarismus könnten die Slogans stammen, die Anonymous-Anhänger als gemeinsames Erkennungszeichen im Internet wie ein Mantra wiederholen: „Wir sind viele, aber Du weißt nicht wer; wir sind überall, doch du weißt nicht wo.“
Dieser impliziten Drohung gegenüber Andersdenkenden entspricht das explizit aggressive Vorgehen. Anonymous propagiert nicht nur, sondern praktiziert virtuelle Gewalt im Internet. So werden durch systematische Hackerangriffe Internetangebote unliebsamer Anbieter lahmgelegt. Solche digitalen Anschläge richteten sich gegen Unternehmen wie RTL oder Sony ebenso wie gegen die griechischen Regierung, den Vatikan, die Städte Salzburg und Frankfurt a. Main, die Internetangebote unliebsamer Parteien, das FBI, Scotland Yard und verschiedener Kreditkartenunternehmen.
Rückfall in das vorzivilisatorische Zeitalter
Einen pseudo-moralischen Anstrich gibt sich diese digitale Selbstjustiz durch vermeintlich legitime Ziele wie Scientology oder rechtsextremistische Organisationen. Das für eine freiheitliche Gesellschaft essentielle staatliche Gewaltmonopol ignoriert solche virtuelle Privatgewalt konsequent. Im modernen Internet vollzieht sich so auch der Rückfall in das vorzivilisatorische Zeitalter des Faustrechts.
Maßstab für solche Attacken auf die Meinungsfreiheit (für Anbieter) und Informationsfreiheit (für Nutzer) ist in totalitärer Attitüde die Willkür des eigenen Gutdünkens. Zur Selbstverständlichkeit für sich Wahrheits- und Absolutheitsrechte wahrzunehmen gesellt sich in merk¬würdigem Widerspruch die Weigerung, dafür Verantwortung zu übernehmen. Das Prinzip der Anonymität ist sakrosankt.
Man sollte nicht dem Irrtum verfallen, dass diese Phänomene nicht so ernst zu nehmen sind, weil Sie sich „nur“ im Cyberspace abspielen würden. Es geht nicht um harmlose Online-Spielereien. Solche Formen virtueller Gewalt manifestieren sich zugleich schnell in realer Gewalt. Das belegen die vielen tragischen Beispiele des Internetmobbings ebenso wie die Verabredung zur Gewalttätigkeit, die Extremisten jeder Couleur inzwischen gerne im Netz treffen. Schon deshalb darf nicht verharmlost wer¬den, was scheinbar „nur virtuell“ im Internet geschieht. „Wehret den Anfängen“ gilt online wie offline.