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Was ist geschehen?
Rolandas Paksas, zweimaliger Bürgermeister von Vilnius und ebenfalls für zwei kurze Perioden Ministerpräsident Litauens, trat zu Beginn des Jahres 2003 als Kandidat für das Amt des Präsidenten gegen den Amtsinhaber Adamkus an. Der Präsident wird nach der litauischen Verfassung vom Volk gewählt. Zur Überraschung vieler Beobachter überflügelte Paksas, der einen sehr populistischen Wahlkampf führte, seinen Konkurrenten und wurde am 5. Januar 2003 mit 54,15 Prozent zum Präsidenten Litauens gewählt.
Paksas trat als Präsident nicht nur in der Außenpolitik sehr aktiv in Erscheinung, sondern er versuchte auch, in der Innenpolitik Akzente zu setzen und seine Befugnisse zu Lasten des Ministerpräsidenten Brazauskas auszuweiten.
Während der Kampagne zum EU- Referendum im Frühjahr diesen Jahres setzte er sich vehement für den EU- Beitritt seines Landes ein und empfing eine Reihe hochrangiger Politiker aus Westeuropa. Aber er stand auch in gutem Kontakt zu einer Reihe von Politikern aus den Nachbarstaaten der ehemaligen Sowjetunion.
In den politischen Zirkeln von Vilnius gab es über den Präsidenten und seine Umgebung aber seit seinem Amtsantritt Gerüchte, Vermutungen und Zweifel. Diese bezogen sich insbesondere auf die Frage, wie der Präsident seinen sehr aufwendigen Wahlkampf finanzieren konnte. Außerdem wurde mit Verwunderung zur Kenntnis genommen, mit welchen Beratern und Freunden sich der Präsident umgab, so z.B. mit einer Wahrsagerin aus Georgien Lena Lolischwilli, mit der er im engen Kontakt stand.
Gut zehn Monate nach seinem Amtsantritt kommen die Fragen zur Finanzierung seines Präsidentschaftswahlkampfs und zu seinen Kontakten mit dubiosen Beratern und Geldgebern unerbittlich an die Öffentlichkeit. Offensichtlich ist soviel belastendes Material zusammen getragen worden, dass eine große Mehrheit der Abgeordneten des litauischen Parlaments bereit ist, ein Amtsenthebungsverfahren in Gang zu setzen. Sie befürchten eine Bedrohung der nationalen Sicherheit, wenn der Präsident weiter im Amt bleibt.
Die Ergebnisse der parlamentarischen Untersuchungskommission
Im Einzelnen hat eine vom Parlament eingesetzte Kommission folgende Punkte aufgelistet:
- Die in Russland registrierte Firma Almax, von der vermutet wird, dass sie für den russischen Geheimdienst arbeitet, versucht Einfluss auf das Präsidentenamt zu nehmen, um die Zusammensetzung und die Struktur des Präsidialamtes zu verändern und die politischen Prozesse in Litauen zu beeinflussen.
- Der Präsident hat besondere Beziehungen zu dem russischen Unternehmer Yuri Borisov, dem wichtigsten Geldgeber von Paksas während des Präsidentenwahlkampfes. Borisov versuchte, für seine eigenen wirtschaftlichen und politischen Ziele und mit Unterstützung der Firma Almax auf die Entscheidungen des Präsidialamtes und des Präsidenten selbst Einfluss zu nehmen.
- Personen mit zweifelhaftem Ruf und Verbindungen zu kriminellen Gruppen und zur Schattenwirtschaft nahmen Einfluss auf das Präsidialamt und versuchten, Personalwechsel an der Spitze wichtiger staatlicher Institutionen des Landes herbei zu führen.
- Der Präsident und seine Berater versuchten Privatisierungsmaßnahmen und andere wirtschaftliche Geschäfte in unangemessener Weise mit zu steuern.
- Die Berater des Präsidenten dehnten ihre Machtbefugnisse unangemessen aus, indem sie in die Entscheidungen anderer staatlicher Institutionen eingriffen. Dies wurde vom Präsidenten geduldet.
- Vertrauliche Informationen wurden über den Präsidenten und seine Berater an Personen weitergegeben, für die sie nicht bestimmt waren. Es wurde auch solche Personen mit vertraulichen Informationen versorgt, gegen die wegen vermuteter Rechtsvergehen ermittelt wurde.
Dem Präsidenten wird inzwischen von vielen Seiten der Rücktritt nahe gelegt, um Schaden vom Land abzuwenden. Inzwischen hat auch Ministerpräsident Algirdas Brazauskas, der anfangs hinter Paksas stand, seinen Rücktritt gefordert. „Wenn ich Präsident wäre, würde ich zurücktreten“ (Brazauskas hatte das Präsidentenamt von 1993-1998 inne).
Der Präsident weist aber alle Aufforderungen zum Rücktritt zurück und beteuert seine Unschuld. Hingegen haben mittlerweile fast alle seine Berater ihren Posten verlassen. Einige wurden von Paksas entlassen, die meisten aber haben von sich aus ihren Rücktritt erklärt.
Offene Fragen
Zu den offenen Fragen, gehört, warum die Anschuldigungen gegen Paksas zu diesem Zeitpunkt in die Öffentlichkeit kamen und wer die Diskussion in Gang gesetzt hat. Zwar ist bekannt, dass der aus seinem Amt scheidende Chef des Geheimdienstes sich mit einem Dossier an den Parlamentspräsidenten Paulauskas gewandt hat und damit den Stein ins Rollen brachte. Aber es bleibt offen, ob er dies aus eigener Verantwortung oder auf Bitten Dritter getan hat.
In diesem Zusammenhang ist zudem die Frage aufzuwerfen, ob die Methoden, mit denen die Kontakte des Präsidenten und seiner Mitarbeiter zu dem russischen Geschäftsmann Borisov und einigen weiteren dubiosen Persönlichkeiten beobachtet wurden, rechtsstaatlichen Prinzipien entsprechen. Neben Hausdurchsuchungen in einigen Büro- und Privatwohnungen wurden die Telefongespräche selbst des Präsidenten vom Geheimdienst abgehört. Sie wurden der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und konnten Wort für Wort in der Presse nachgelesen werden. In der litauischen Presse wird darüber diskutiert, ob damit nicht der Schutz der privaten Sphäre in unangemessener Weise verletzt wurde.
Die positive Rolle der Medien
Bemerkenswert ist die Tatsache, dass Presse und Fernsehen ausführlich und weitgehend unabhängig über den Skandal, seine Hintergründe und seine Auswirkungen berichten können. Presse und insbesondere das staatliche Fernsehen berichten fair und journalistisch gut. Dies ist sicherlich ein ganz wichtiger Baustein für die demokratische Entwicklung in Litauen.
Ein schwieriger Weg steht bevor
Aller Voraussicht nach wird die Mehrheit der Parlamentsabgeordneten einem Verfahren zu Amtsenthebung des Präsidenten zustimmen. Dieses wird sich dann über mehrere Monate hinziehen. Litauen hat im kommenden Jahr, in dem es in die EU und die NATO aufgenommen wird und mit der 1.Europawahl und der Wahl zum nationalen Parlament zwei wichtige Entscheidungen bevorstehen, einen schwierigen Weg vor sich. Litauen steht in seiner jungen demokratischen Geschichte vor einer bedeutenden Bewährungsprobe.