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Heimat und Internationalität

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Wer die Klischees des Landlebens vor Augen hat, dem wird es schwerfallen, den Bogen zur Internationalität zu spannen. Sind das nicht Gegensätze? Abgeschiedenes Idyll inmitten von Natur und Tieren versus multinationale Herausforderungen …

Dabei hat diese antagonistische Konstruktion so wenig mit der Realität zu tun wie mein Aufwachsen auf dem Bauernhof mit den „Heidi“-Sendungen im Fernsehen. Zwar gibt es spezielle Beispiele dafür, dass die Welt auf dem Lande immer noch sehr klein sein kann – wie im Fall einer Landwirtin aus meinem Nachbarort, die befürchtete, dass ihr Mann sie nicht im Krankenhaus besuchen würde: Von ihrem Dorf in Rheinland-Pfalz lag das Krankenhaus im saarländischen Homburg eine halbe Stunde entfernt. Noch nie in seinem ganzen Leben sei er woanders gewesen, schon gar nicht im Saarland, so ihre Klage.

Wie steht es also um die Internationalität der „Landeier“? Und: Wie wird man dort „international“? Meine erste internationale Erfahrung war ein Schüleraustausch – und nach der schulischen Laufbahn fast ein Muss: Wer nach dem Abitur nicht mindestens drei Monate im Ausland war, galt schnell als Versager. Das ist sicher auch nicht richtig, schließlich sollte jeder für sich entscheiden, wie sein „Über-den-Tellerrand-Schauen“ aussieht.

Im Allgemeinen sammeln viele ihre ersten internationalen Erfahrungen im Urlaub. Und da gibt es einen Unterschied zwischen Städtern und den Menschen, die den ländlichen Raum ihre Heimat nennen: Mein Vater, Landwirt mit Leib und Seele, hat ein einziges Mal Urlaub in einem anderen Land gemacht – nicht, weil er nicht möchte, sondern weil das nur schwer zu ermöglichen ist. Denn im Sommer liegt für die Bauern die Arbeitsspitze des Jahres – die ganze Familie ist eingespannt. Außerdem gilt es, die Tiere auf dem Hof – Nutztiere – zu versorgen. Es geht nicht, wenn nicht jemand zur Verfügung steht, der diese – auch vertrauensvolle Aufgabe – übernimmt.

Vereine als internationale Brücken

Aber: Landwirte brauchen nicht unbedingt Urlaub, um ins Ausland zu fahren! So vielfältig andere Nationen sind, so vielfältig ist inzwischen die Landwirtschaft selbst. Groß ist die Neugierde bei vielen Junglandwirten, Betriebe und das Landleben im Ausland kennenzulernen. So erweitern sie den eigenen Horizont und schauen aus anderer Perspektive auf den eigenen Hof. Und selbst wenn man als Landwirt daheim bleibt, führt an Internationalität kein Weg vorbei. Keiner kann seine hochwertigen Produkte nur noch ab Hof direkt an den Verbraucher verkaufen, die Handelspartner werden internationaler. Wir verkaufen Getreide nach Frankreich, und es „trudeln“ Rechnungen auf Französisch bei uns ein. Ist das nicht ein Weg zu echter Internationalität, der selbst vielen Städtern fehlt?

Natürlich strahlen große Städte mehr internationale Vielfalt aus als mein kleines 800-Einwohner- beziehungsweise 500-Schweine-Dorf. In der Stadt leben weit mehr Menschen und Nationalitäten, entsprechend gibt es mehr Möglichkeiten für Kontakte und Austausch. Aber macht nur die Multinationalität im Umfeld die Menschen internationaler?

Wenn man darüber nachdenkt, wie typische „Landeier“ zu weltoffenen, neugierigen Menschen mit internationalen Erfahrungen werden können, dann ist mein Ansatz in erster Linie: durch das ehrenamtliche Engagement. Das verleiht dem ländlichen Raum Muskeln und macht ihn offen und weit. In den Dörfern sind durchschnittlich mehr Menschen ehrenamtlich engagiert und in Vereinen aktiv als in der Stadt. Vor allem ist die Bindung an die Vereine intensiver. In diesem Umfeld werden viele stabile internationale Brücken gebaut. Denn Gleichgesinnte – wie etwa beim Volkstanz, bei der Freiwilligen Feuerwehr oder dem Karneval – gibt es auf der ganzen Welt: Meine Großeltern singen in einem Dorfchor, der alle zwei Jahre eine Auslandsreise unternimmt. Sie treten dann in anderen Ländern auf und singen gemeinsam mit ihren Gastgebern. Menschen mit ähnlichen Interessen tauschen sich aus und entdecken unzählige Kleinigkeiten, die Verständnis füreinander schaffen. Sei es beim Bauernverband, dessen Aktive sich vor allem für die praktische Landwirtschaft anderer Länder interessieren, bei kirchlichen Vereinigungen, die Partnergemeinden besuchen, oder beim Heimatverein, der sich mit regionalgeschichtlich Interessierten anderer Länder über Konzepte austauscht – das „Schmoren im eigenen Saft“ wird zunehmend die Ausnahme.

„Fremde werden Freunde“

Doch in den sogenannten strukturschwachen peripheren ländlichen Regionen, in denen die Kultur- und Freizeitangebote der kommunalen Seite nicht (mehr) sichtbar sind, wittern rechte Gruppierungen (immer noch) ihre Chance. Gezielt bieten sie Rockkonzerte, Ferienlager oder Sommerfeste insbesondere für Jugendliche und junge Erwachsene an. Nicht nur die jungen Leute durchschauen nicht sofort, dass es sich um rechtsradikale Lockangebote handelt, auch Eltern freuen sich oft zunächst über diese zusätzlichen Sport- oder Kreativkurse für ihre Kinder. Dahinter steckt aber die Strategie, als „Kümmerer“ die „Lücken“ zu besetzen, die sich ihnen bieten, um rechtsextreme Netzwerke aufzubauen. Haben sie sich erst etabliert, können sie ihre menschenverachtenden Theorien verbreiten. Dabei fällt ins Gewicht, dass in ausgedünnten Regionen eine Gruppe von zehn Personen bereits eine „Macht“ darstellen kann – in einer Stadt würde sie mit dieser Anzahl diese Wirkung nie erzielen. Daher ist das Klischee, „Landeier“ würden stärker ins rechte Lager tendieren, falsch. Nur bieten sich den „Rechten“ günstigere Bedingungen, um mit überschaubarem Aufwand Fuß zu fassen. Insofern ist diese Strategie auch kein spezifisch ostdeutsches Problem. Strukturschwache Regionen gibt es in Ost und West, Nord und Süd.

Auch auf dem Land gibt es viele demokratiefördernde Projekte, Aktionstage, Initiativen und Proteste gegen rechte Gruppierungen, mit denen die Menschen klare Zeichen für ein kulturelles und internationales Miteinander setzen. Unser Projekt bei der Landjugend heißt „Fremde werden Freunde“, mit dem wir für Demokratie und ein friedvolles Miteinander eintreten und beispielsweise Geflüchtete mit einbinden, wenn zum Wohl der Gemeinschaft angepackt wird. Voraussetzung für eine lebendige und couragierte Zivilgesellschaft in jeder Gemeinde ist jedoch ein klares politisches Bekenntnis dazu, dass auch die prekären ländlichen Regionen künftig nicht im Stich gelassen werden. Ein gezieltes Förderprogramm wäre notwendig, eine langfristig angelegte Raumplanung im Sinne einer Struktur- und Entwicklungsplanung müsste vorangetrieben werden, die den Dialog mit den Organisationen, Institutionen und vor allem mit den Bürgern nicht scheut und die Potenziale wiederentdeckt.

Internationales Engagement

Seit fast zehn Jahren engagiere ich mich bei der Landjugend. Angefangen bei der Ortsgruppe bis heute als stellvertretende Bundesvorsitzende ist der internationale Austausch alles andere als eine unbedeutende Fußnote. Wir haben Partnerlandjugendgruppen in Österreich, Polen, Russland, der Schweiz, selbst in Ghana. Zahlreiche deutsch-französische Kinderfreizeiten und Tandemkurse, Austauschtreffen mit Junglandwirten und Jungwinzern verschiedener Länder, Lehrfahrten nach Israel, Irland, Ungarn finden statt. Hinzu kommen Kooperationen mit der Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch, mit dem Deutsch-Französischen und dem Deutsch-Polnischen Jugendwerk, multinationale Seminare mit der Rural Youth Europe (RYEurope) und dem Europäischen Rat der Junglandwirte (Conseil Européen des Jeunes Agriculteurs, CEJA). Das ist nur eine kleine Auswahl unseres internationalen Engagements. Daraus sind bereits viele internationale Freundschaften erwachsen, von denen wir enorm profitieren. Oft haben sich Erfahrungen herausbildet, die eigene Probleme relativieren und lösen helfen. Die internationalen Begegnungen prägen, weil es überall junge engagierte Menschen gibt, die unsere Welt besser machen wollen – lokal, national und global. Die Möglichkeit, gemeinsam mit ihnen unsere Zukunft zu gestalten, und das Herz fürs Land entwickeln eine eigene Dynamik, die stark und glücklich macht.

Meine Heimat ist das Leben auf dem Land. Das sind meine Wurzeln. Die möchte ich nicht aufgeben. Aber nur, wenn Bäume starke Wurzeln haben, können sie über sich hinauswachsen. Das gilt im übertragenen Sinne auch für uns, denn unsere Dörfer haben nur dann Zukunft, wenn wir sie als Teil einer zunehmend globalen Welt betrachten. Einzelkämpfer haben langfristig keine Chance.

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Barbara Bißbort, geboren 1992 in Zweibrücken, stellvertretende Vorsitzende des Bundes der Deutschen Landjugend e. V. (BDL), zuständig unter anderem für die Internationale Jugendarbeit und internationale Jugendpolitik.

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