Bundeswehr der Zukunft – Verantwortung und Künstliche Intelligenz
FlippingBook
Dieser Sammelband diskutiert aus historischer, politischer, gesellschaftlicher sowie ethischer und rechtlicher Perspektive die Rahmenbedingungen für einen verantwortbaren Einsatz von KI in der Bundeswehr. Dabei gehen die Beiträge unter anderen den Fragen nach, wie die Prinzipien der Inneren Führung weiterzuentwickeln sind, dass sie künstlich intelligenten Technologien Rechnung tragen und wie umgekehrt künstlich intelligente Maschinen so zu konstruieren sind, dass Menschen ihnen geistig und seelisch gewachsen bleiben und ihre verantwortliche Nutzung im militärischen Einsatz technisch erleichtert wird.
Vorwort
Bundeswehr der Zukunft – Staatsbürger in Uniform und Künstliche Intelligenz
Der Brief, in dem ich um das Vorwort zu diesem Sammelband gebeten worden bin, traf wenige Tage vor dem brutalen Überfall Russlands auf die Ukraine ein. Dies macht deutlich, dass die vorliegenden Fragen, denen sich so viele hervorragende Autorinnen und Autoren widmen, nicht erst mit dem Krieg in der Ukraine aufgekommen sind. Vielmehr handelt es sich um grundlegende Fragen, ja Herausforderungen, die sich aus den technologischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte ergeben.
Einleitung
Militärischer Auftrag zwischen technischen Optionen und ethischen Orientierungen
Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 stehen die Bundeswehr, ihr Auftrag und ihre Ausstattung so stark im Fokus der Öffentlichkeit wie schon lange nicht mehr. Mit geradezu jähem Entsetzen haben Politik und Gesellschaft angesichts einer scheinbar völlig veränderten Bedrohungslage festgestellt, dass wir uns militärisch nur unzureichend schützen können.
Lesen Sie hier die Einleitung „Militärischer Auftrag zwischen technischen Optionen und ethischen Orientierungen“ von Prof. Dr. Norbert Lammert als PDF.
Kapitel 1
Innere Führung im Spannungsfeld von Künstlicher Intelligenz: Was heißt das für den Staatsbürger in Uniform?
Innere Führung und Künstliche Intelligenz zusammen denken und gestalten
Das Konzept der Inneren Führung ist ein integraler Bestandteil der Bundeswehr. Es verankert die Bundeswehr mit Soldatinnen und Soldaten als Staatsbürgerinnen beziehungsweise Staatsbürgern in Uniform in der Mitte unserer Gesellschaft. An dieser Verankerung darf durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz nicht gerüttelt werden. So viel Innere Führung in Künstlicher Intelligenz wie möglich und so viel Künstliche Intelligenz in Innerer Führung wie nötig – mit diesen beiden Leitlinien können Innere Führung und Künstliche Intelligenz zusammen gedacht und gestaltet werden. Auf diese Weise können auch in der Bundeswehr der Zukunft die Grundsätze der Inneren Führung Bestand haben und das Leitbild vom Staatsbürger in Uniform Verwirklichung finden.
Lesen Sie hier den Beitrag „Innere Führung und Künstliche Intelligenz zusammen denken und gestalten“ von Dr. Eva Högl und Sebastian Jüngst als PDF.
Innere Führung im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz
Der Beitrag sieht Künstliche Intelligenz (KI) nicht als Gegensatz der Inneren Führung oder als Gefahr. Ganz im Gegenteil gibt Innere Führung bereits heute als Wertekompass mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und dem Grundgesetz als Bezugsrahmen wertvolle Hinweise für einen verantwortungsvollen Umgang mit KI. Das Menschenbild der Inneren Führung geht dabei von der grundsätzlichen Mündigkeit und damit auch Verantwortung des Staatsbürgers in Uniform aus, die es im Sinne der Persönlichkeitsentwicklung zu fördern gilt. KI kann zudem der konzeptionellen Weiterentwicklung dieser Führungsphilosophie wertvolle Impulse vermitteln, wenn zuvor die Möglichkeiten und Grenzen sowie die Chancen und Risiken von KI definiert und analysiert werden. KI ist kein Selbstzweck. KI muss Führung, Prozesse und Entscheidungen erleichtern beziehungsweise verbessern und zugleich einen sicherheitspolitischen Mehrwert darstellen. Die ethische Letztverantwortung bleibt jedoch beim Menschen, bei der Soldatin und dem Soldaten als Staatsbürgerin und Staatsbürger in Uniform.
Drei Thesen zur nationalen Regulierung von Autonomie in Waffensystemen
Der vorliegende Beitrag argumentiert, dass Deutschland eine nationale Leitlinie zur Nutzung von Autonomie in Waffensystemen braucht. In Form dreier Thesen wird aufgezeigt, dass über die dafür notwendigen konzeptionellen Grundlagen Konsens herrscht, die Form der Regulierung geklärt ist und aus dieser kein militärischer Nachteil erwächst.
Kapitel 2
Vom Gestern ins Heute nach Morgen: Die Innere Führung als eine geistesgeschichtliche Errungenschaft?
Nur wer weiß, wo man herkommt, wird sich seiner Standpunkte bewusst, nimmt die wichtigen und richtigen Ziele wahr und kann Wege wählen, die zu ihnen führen. Eine Betrachtung der Historie der Bundeswehr ist daher unerlässlich. Welche Lehren zog die junge Bundesrepublik aus der NS-Zeit mit Terrorherrschaft und totalem Krieg? Warum ist Innere Führung „die Grundlage des militärischen Dienstes in der Bundeswehr, die Führung, Erziehung und Ausbildung“? Was verbirgt sich hinter dem Konzept des Staatsbürgers in Uniform? In einem Streitgespräch widmen sich Sönke Neitzel und Peter Tauber diesen Fragen und versuchen Unterschiede und Gemeinsamkeiten herauszustellen.
Kapitel 3
Militärische Dimensionen: Wie viel Künstliche Intelligenz braucht die Bundeswehr?
Digitalisierung der Streitkräfte – Ein (nicht nur) technischer Blick
Digitalisierung führt aufgrund ihrer Querschnittlichkeit und breiten Anwendungen die Wissenschaften notwendigerweise zusammen. Die militärische Anwendung ist dabei kein Sonderfall, benötigt aber besondere Betrachtungen zu Verantwortung, Ethik und Führung. Der Mensch, die Technologie und die Ethik werden hierdurch aufeinander hin geordnete „Bereiche“. Datenzentriertheit und ein Cyber-Umfeld erfordern eine neue Form der Resilienz. Zugleich ist Führung – bei Erhalt einer Auftragstaktik – an ein digitales Umfeld deutlich zu verändern.
Die Bundeswehr und das Gefechtsfeld der Zukunft – Entwicklungsperspektiven in Verbindung mit Künstlicher Intelligenz aus der Sicht eines Verteidigungsplaners
Verteidigungsplanung1 ist umfassend angelegt und weit nach vorn gerichtet. Sie versucht mithilfe der Zukunftsanalyse zu antizipieren, womit Streitkräfte konfrontiert sein könnten. Sie bietet eine Vorstellung von dem, was diese leisten müssen und was sie dafür brauchen. Die Strategische Vorausschau mit einer Perspektive von circa 25 Jahren beschreibt dazu einen Möglichkeitsraum langfristiger sicherheitspolitischer Entwicklungen auf Grundlage relevanter Trends. Diese abstrakten Vorstellungen gilt es weiter zu operationalisieren. Wie könnte ein Einsatzumfeld oder ein Gefechtsfeld in zehn bis 15 Jahren aussehen? Welche Folgerungen müssen Streitkräfte daraus ziehen?
Gedanken zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz beim militärischen Führen und Entscheiden
Der Beitrag behandelt die Rolle der Künstlichen Intelligenz beim militärischen Führungsprozess. Grundlage ist ein auf Basis zukünftiger technologischer Entwicklungen verändertes Kriegsbild, das unausweichlich zwingt, den Führungsprozess anzupassen. Der Beitrag stellt heraus, dass mit der Unterstützung durch KI der Mensch in die Lage versetzt wird, schnellere und bessere Entscheidungen zu treffen.
Kapitel 4
Politische Implikationen: Welche Weichen muss die Politik jetzt stellen?
Verantwortungsvoller Umgang mit Künstlicher Intelligenz
Das in der Inneren Führung begründete Prinzip vom Staatsbürger in Uniform basiert auf den Werten des Grundgesetzes, allen voran der Achtung und dem Schutz der Würde des Menschen. Die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr sind diesen Werten verpflichtet und handeln bei der Erfüllung ihrer Aufgaben danach. Mit Künstlicher Intelligenz hat eine neue, herausragende technische Veränderung auch im militärischen Bereich Einzug gehalten. Die Bundeswehr wird sich dieser Technik nicht verschließen können, muss aber einen Weg finden, diese verantwortungsvoll in Einklang mit den Werten der Inneren Führung zu nutzen.
Die stärksten konventionellen NATO-Streitkräfte in Europa
Die dramatische Verschlechterung der sicherheitspolitischen Lage verlangt eine nachhaltige Neujustierung der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Im Kern sollte diese zum Ziel haben, die Bundeswehr zu den stärksten konventionellen NATO-Streitkräften in Europa und damit zum Rückgrat der NATO-Verteidigung in Europa auszubauen. Damit würde Deutschland seinem demografischen, wirtschaftlichen und finanziellen Gewicht innerhalb des Bündnisses gerecht werden und den berechtigten Erwartungen seiner Verbündeten folgen. Doch um dieses Ziel umzusetzen, braucht es eine klare politische Zielsetzung, langfristige Planungen und nachhaltige Investitionen in die Bundeswehr.
Für Frieden, Freiheit und ein starkes Deutschland in einem starken Europa
Die Ereignisse des Jahres 2022, allen voran der Überfall Russlands auf die Ukraine, führen uns in Deutschland schmerzhaft unsere Abhängigkeiten vor Auge. Wir sind von den USA militärisch abhängig, von Russland energiepolitisch und von China wirtschaftlich. Um uns in Zukunft weniger abhängig zu machen und um selbst zu gestalten anstatt gestaltet zu werden, müssen wir in allen Bereichen Stärke projizieren.
Kapitel 5
Politische Implikationen: Welche Weichen muss die Politik jetzt stellen?
Verantwortbarkeit als Designprinzip wehrtechnischer Systeme
Ohne die Welt der Algorithmen, ohne Künstliche Intelligenz (KI), ist die militärische Technosphäre unbeherrschbar. KI ist die Schlüsseltechnologie künftiger Verteidigungssysteme, die natürliche Intelligenz- und Autonomieleistungen des Menschen im jeweils erforderlichen Umfang zum Teil weit über ein natürliches Maß steigert. Die Frage nach dem verantwortlichen Umgang damit stellt sich jedoch nicht erst bei der Nutzung künstlich intelligenter Waffen, sondern bereits bei der Forderung, militärische Ausrüstung systemtechnisch so zu entwerfen, dass ihr Einsatz stets verantwortbar bleibt. Denn Europäerinnen und Europäer dürfen ihre Lebensform und Wertewelt nicht dadurch verraten, dass sie diese im Widerspruch dazu verteidigen.
Digitalisierung der Bundeswehr
Digitalisierung optimiert die Durchsetzungsfähigkeit der Streitkräfte, erhöht die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr als Ganzes sowie auf dem digitalisierten Gefechtsfeld und unterstützt das Verwaltungshandeln. Damit trägt Digitalisierung entscheidend zur Auftragserfüllung der Bundeswehr bei. Die im Aufbau befindliche Digitalisierungsplattform der Bundeswehr macht mit ihrem Prinzip der Modularität, Skalierbarkeit und Wiederverwendbarkeit den Aufbau von Wirkungsketten für den Einsatz so transparent wie möglich. Die Normierung der Fähigkeiten zur Künstlichen Intelligenz in einem Cluster Analytics and Simulation schafft auch in diesem Bereich die Voraussetzungen für einen verantwortlichen Einsatz der dort vorgehaltenen Verfahren. Das dazu etablierte Regelwerk kann – und muss – sich an dem in der Bundeswehr etablierten Wertekanon ausrichten, der sich mit dem Konzept der Inneren Führung über viele Jahre bewährt hat. Es stellt die mündige Staatsbürgerin beziehungsweise den mündigen Staatsbürger in den Mittelpunkt, die auch in der Wahrnehmung des militärischen Auftrags wertegebundenes Handeln leitet.
Kooperative Systeme und hybride Intelligenz
Um Chancen und Risiken „künstlich intelligenter Maschinen“ einzuschätzen, hilft das Konzept der Disruptiven Technologie. Ursprünglich im zivilen Umfeld entwickelt, wird dieses Konzept zunehmend auch auf Anwendungen in der Verteidigung übertragen, auf das „scharfe Ende der Digitalisierung“. Der Blick auf die Anwendungen in der Verteidigung soll als Beispiel dienen, aus dem sich für die grundsätzliche Problematik der Digitalisierung Lösungen wie kooperative Systeme und hybride Intelligenz ableiten lässt, in denen Menschen, Technik und Organisation ganzheitlich integriert sind.
Kapitel 6
Internationale Perspektive: Was können wir von unseren Partnern lernen?
Germany and Israel – Approaches to the Future Battlefield: The Armed Drones as a Case Study
Notwithstanding certain immutable features of war, some of its concrete techniques do change, notably following new technological developments. Advanced electronic weapon systems, including armed drones, are a case in point. We shall examine how countries handle the opportunities and challenges involved by means of a comparative analysis of Israel and Germany.
France and Germany – Assessing a common praxis: towards the development, the use and the rise of artificial intelligence?
The following article argues that Artificial Intelligence (AI) still holds much untapped potential and could constitute an essential part of future weapons systems in the next few years. AI is a technology of dual interest with an extremely wide range of applications. Defence and security are not the only sectors to be affected by the rapid development of AI, like the economy, law, institutions, health etc. For the moment, the use of this technology might not seem revolutionary, but it becomes clear that in terms of resources, humans are just as important as artificially intelligent technologies themselves. Computers are able to outperform humans when it comes to some tasks, however, the competence of the machine usually stops at the execution of those tasks. Finally, beyond the multitude of issues, questions of sovereignty and technological autonomy form a common thread regarding power and competition amongst states and private actors. Looking ahead, the EU AI strategy proposes powerful synergies between European partners that will ensure our present and future autonomy, and will play a key role.
Artificial Intelligence, Geopolitics, and the US-China Relationship
Understanding the current US approach to artificial intelligence (AI) has less to do with how AI is currently being used in the military domain than it does with how the United States is approaching the rise of China, and the policy choices to which this framework leads. US apprehension about China’s advancing economic and military capabilities has catalysed efforts not only to integrate AI-enabled technologies into the US defense enterprise, but also to use tools of economic statecraft to stymie China’s ability to do the same. It is impossible to predict whether these efforts will succeed in endowing the United States military with technological superiority over China’s People’s Liberation Army, but the repercussions of the attempt for the overall US-China relationship are serious and likely to be longlasting.
Kapitel 7
Industriepolitische Folgerungen: Was soll die wehrtechnische Industrie leisten?
Liebe Rüstungsindustrie: Mach Dich agil, oder Du wirst von der neuen Realität überholt
Agilität ist das Grundprinzip, nach dem die Arbeit an digitalen Innovationen funktioniert. Der Begriff ist weit mehr als ein Modewort – dahinter stecken Prinzipien wie Anpassungsfähigkeit, Flexibilität, Schnelligkeit, proaktives Handeln oder antizipatorisches Denken, ohne die technische Neuerungen in der digitalen Welt nicht möglich wären. In der Zusammenarbeit zwischen dem Militär und der deutschen Industrie fehlt es jedoch bis heute an agilem Denken. Mehr noch: Mangelnde industrielle Agilität wird zu einem Kernproblem, das sich auch auf die sicherheitspolitische Fähigkeit auswirkt, schnell und anpassungsfähig auf sich wandelnde weltpolitische Lagen reagieren zu können. Die praktische Umsetzung der Zeitenwende ist ohne agiles Denken und Handeln nicht vorstellbar. Es gibt vier Problemfelder, die so bald wie möglich gelöst werden müssen. Erstens: Innovationen werden immer noch zu weit in die Zukunft gedacht. Zweitens: Die Beschaffungszeiten sind viel zu lang. Drittens: Ausschreibungszeiten sind viel zu lang. Und viertens: Die Nicht-Existenz von Schnittstellen wird zu einem Innovationshemmnis. Der Handlungsbedarf ist da, und er ist akut. Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges in der Ukraine sollten wir endlich so etwas wie einen „Sense of Urgency“ empfinden – das Dringlichkeitsbedürfnis, diese seit langer Zeit bestehenden Probleme zu lösen.
Innere Führung vor dem Hintergrund der Digitalisierung
Die Grundzüge der Inneren Führung der Bundeswehr sind heute relevanter denn je. Erfolg im Systemwettstreit hat, wer die Potenziale der Digitalisierung versteht und unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen Grundwerte orchestrieren kann. KI Anwendungen stellen dabei einen Teilaspekt dar. Der Beitrag betont, dass Innovationszyklen immer schnelllebiger sind. Das erfordert agile Strukturen und ein digitales Mindset in Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Bundeswehr, um die Werteordnung zu verteidigen.
Zu den industriepolitischen Folgerungen des Einsatzes Künstlicher Intelligenz im militärischen Bereich
Im vorliegenden Beitrag wird die These vertreten, dass die Bundesrepublik Deutschland sich der KI (Künstlichen Intelligenz) aus sicherheitspolitischer Sicht widmen muss, um ihre Verteidigungsfähigkeit angesichts der Zeitenwende auch in Zukunft gewährleisten zu können. Damit dies erfolgreich gelingen kann, gilt es, die nationalen industriepolitischen Forderungen mit einzubeziehen und den notwendigen Kontext in die meist generische KI-Debatte zu bringen. Wie dies erfolgreich funktionieren kann, zeigt sich anhand der komparativen Analyse ausgewählter Nachbarländer (Frankreich und UK), die gemeinsam mit ihrer nationalen Industrie und Wissenschaft an technologischen Lösungen für den militärischen KI-Einsatz arbeiten. Weiterhin gilt es im Rahmen des globalen Wettstreites um die KI-Vorherrschaft, aus europäischer Sicht die Vorhand zu gewinnen, um in dem sich veränderten globalen Verteidigungs- und Sicherheitsumfeld adäquat verteidigungs- und abschreckungsfähig zu sein. Dabei wird die Frage diskutiert, ob die von der EU in Gestalt des sogenannten AI-Act geplante Herangehensweise zur Erreichung dieses Ziels geeignet ist oder die Industrie allzu sehr in ihren technologischen Entwicklungsmöglichkeiten beschränken könnte.
Industriepolitische Perspektive
Deutschland hat sich viel zu lange darauf verlassen, dass andere Staaten für seine äußere Sicherheit sorgen. Vor allem nach 1990 wurden die deutschen Budgets für alles Militärische signifikant heruntergefahren – mit den mittlerweile bekannten Folgen. Der russische Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 hat die geopolitische Gemengelage grundlegend verändert. Ob sich die sogenannte Zeitenwende in der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik langfristig als eine solche erweisen wird, oder sich als kurzfristiges politisches Strohfeuer entpuppt, wird sich erst in einigen Jahren zeigen. Die deutsche und europäische Industrie kann einen wichtigen Beitrag für ihre Umsetzung leisten. Die fortgesetzte strategische Partnerschaft zwischen Industrie und den Regierungen in Europa ist vor diesem Hintergrund eine unerlässliche Voraussetzung für den langfristigen Erfolg der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Dazu gehören europäische Kooperationsprojekte ebenso wie die Förderung neuer Technologien und kluge Regelungen für den gemeinsamen Export.
Lesen Sie hier den Beitrag „Industriepolitische Perspektive“ von Dr. Michael Schöllhorn als PDF.
Kapitel 8
Ethisch-rechtlicher Imperativ: Wie folgt ihm die digitale Transformation der Streitkräfte?
Wert und Mensch in der Ethik der KI
Der Einsatz digitaler Systeme, insbesondere von Systemen Künstlicher Intelligenz (KI), in moralisch sensiblen Bereichen unseres Zusammenlebens muss stets ethisch-philosophisch beleuchtet werden. Dafür gibt es eine Vielzahl von Gründen, die tiefer liegen als ein allgemeiner Hinweis auf potenzielle oder gar Science-Fiction-Szenarien, die KI-Systeme nach dem Terminator-Modell als Gefahr für die Menschheit betrachten. Im Folgenden werde ich zunächst erläutern, was unter KI beziehungsweise KI-Systemen zu verstehen ist. Im Anschluss werde ich dafür argumentieren, dass sich die Ethik der KI mit der Frage beschäftigt, wie die Mensch-Maschine-Interaktion ausgestaltet werden sollte. Damit verschiebt sich die Fragestellung auf den humanen Kontext der KI-Anwendung. Sie führt zuletzt auf den Menschen als unbedingte Wertquelle zurück, dem nicht nur als Objekt möglicher technisch-militärischer Operationen, sondern vor allem als Subjekt seiner Werturteile Würde zukommt.
Über den Mehrwert des menschlichen Soldaten
Können militärische Entscheidungen, und damit letztlich die Entscheidung zu töten, an vollautonome letale Waffensysteme (LAWS), auch „Kampfroboter“ genannt, ausgelagert werden? Befürworterinnen und Befürworter einer solchen „Entmenschlichung“ der Kriegsführung verweisen unter anderem auf fehlende Emotionen, höhere Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit solcher Systeme, wodurch letztendlich das Kampfgeschehen „humanisiert“ werde. Legt man den Begriff der Menschenwürde, wie er unter anderem im Grundgesetz niedergelegt ist und der Konzeption der Inneren Führung zugrunde liegt, als zentrales Kriterium an, so bestehen an dieser Argumentation zumindest Zweifel. Die Menschenwürde impliziert das Verbot, den Menschen zum Objekt zu machen und das Individuum einer Zweck-Mittel- Kalkulation zu unterwerfen. Die ethische Dimension der Entscheidung über Leben und Tod – die man mit Paul Scharre als „Kern des Soldatenberufs“ ansehen kann – wird aber bei einem rein algorithmenbasierten Prozess ausgeblendet. Mit der zunehmenden Entfernung der menschlichen Soldatin beziehungsweise des menschlichen Soldaten aus der Entscheidungskette bleibt die Empathie und alle aus ihr folgenden Abwägungen auf der Strecke. Weil es auf absehbare Zeit keinen internationalen Konsens über die Definition und das Verbot von LAWS geben dürfte, gilt es umso mehr, Tendenzen zur „Auslagerung“ militärischer Gewalt entgegenzutreten und wertebasierte Überlegungen in Entwicklung und Einsatz solcher Systeme einzubeziehen.
Künstliche Intelligenz – jenseits von Eden
Es besteht kein Grund zur Sorge, auch mit künstlicher Intelligenz bleibt der Mensch ein Geschöpf unter Geschöpfen. Vor dem Hintergrund der biblischen Paradieserzählung lotet der Autor ethische Fragen rund um die Entwicklung und Anwendung künstlicher Intelligenz aus. Wie schon zuvor bei anderen technologischen Innovationen taucht die Frage auf, ob wir eine neue Ethik brauchen. Von Schubert hält das nicht für erforderlich. Stattdessen ist darauf zu achten, dass im Überschwang neuer technischer Möglichkeiten keine moral- und rechtsfreien Räume entstehen. Die Ethik muss dazu nicht neu erfunden werden.
Kapitel 9
Gesellschaftliche Akzeptanz: Was können wir der Bundeswehr geben, damit sie handlungsfähig ist?
Eine gesellschaftliche Verantwortung für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz?
Der Beitrag nimmt die gesellschaftspolitische Dimension der Debatte um KI und Innere Führung in den Blick. Er nimmt seinen Ausgangspunkt in der Annahme, dass die Zivilgesellschaft in die Debatten um mehr Einsatz von KI einbezogen werden muss und arbeitet das Verhältnis der Bürgerinnen und Bürger zur Bundeswehr auf. Der erste Teil untersucht, wie das Zusammenspiel von Zivilgesellschaft und Bundeswehr im Grundgesetz angelegt ist. Er kommt zu dem Schluss, dass sich aus dem Grundgesetz eine Verantwortung der Bürgerinnen und Bürger für die Bundeswehr und ihre Ausstattung herleiten lässt, die sich möglicherweise auch auf die Beschaffung und den Einsatz von KI bezieht. Der zweite Teil beschreibt, dass sich die Bürgerinnen und Bürger dieses Ausmaßes ihrer Verantwortung nicht bewusst sind und unternimmt den Versuch einer Erklärung.
Verteidigungs- und Sicherheitspolitik im Spannungsfeld zwischen Elitendiskurs und öffentlicher Meinung
Seit dem Ende des Kalten Krieges erfuhr die Bundeswehr eine Abrüstung unvorhersehbaren Ausmaßes. Das Ende der Blockkonfrontation schien die Realisierung einer Friedensdividende möglich zu machen, und in der Tat wurde die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands über alle Maßen reduziert. Die Bewahrung von Verteidigungsfähigkeit basiert jedoch auf der Einsicht, dass Friedensordnungen nicht zwangsläufig auf Ewigkeit gebaut sind und die Möglichkeit eines nicht durch Verhandlungen einhegbaren Aggressors immer besteht. Die gerade in Deutschland geschichtsphilosophisch begründete Ignoranz gegenüber Gewalt in den Internationalen Beziehungen hat die Politik blind gegenüber diesen Feinden der offenen Gesellschaft gemacht. Die feststellbare Zögerlichkeit Deutschlands in Fragen der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik hat ihre Ursachen jedoch eher in den Werthaltungen der Eliten und deren (falschen) Beurteilung der Bevölkerungsmeinung als in den tatsächlichen Werthaltungen der breiten Bevölkerung. Der Grundkonsens zur Verteidigungsfähigkeit Deutschlands ist in breitem Maße vorhanden und seit Jahren stabil. Erst mit dem russischen Überfall der Ukraine deutet sich eine Zeitenwende an. Die Stärkung der Leistungs- und Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr ist dabei ohne eine umfassende Digitalisierung der Streitkräfte nicht zu leisten. Die Bevölkerung jedenfalls wird diesen Weg zu größerer Verteidigungsfähigkeit auf technologischem Gebiet und der Übernahme größerer außenpolitischer Verantwortung bereitwillig mitgehen, wenn die Politik dieser größeren Verantwortung gerecht wird.
„… als ob es den Frieden auf Erden wirklich gibt“ (Die Toten Hosen, Nur auf Besuch)
Die sogenannte Zeitenwende in Folge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine hat den Blick der deutschen Zivilgesellschaft auf die Bundeswehr grundlegend gewandelt. Pazifistische Überzeugungen und Appeasementpolitik kamen auf den Prüfstand und können in der aktuellen Krise immer weniger überzeugen. Bundesdeutsche Politik muss immer eingedenk ihrer besonderen historischen Verantwortung agieren, doch kann dies in einer grundlegend gewandelten Welt nicht bei den guten Vorsätzen vergangener Jahrzehnte bleiben. Das „Nie wieder“ muss in die aktuelle Wirklichkeit übersetzt werden.
Schlusswort
Verantwortung und Künstliche Intelligenz
Die digitale Transformation markiert eine Wende eigener Art, die längst auch die Streitkräfte erfasst hat. Geprägt von Lehren aus „totalem Krieg“ und Verbrecherdiktatur sowie dem Wandel von einer „Armee der Einheit“ zu einer Armee im Einsatz nach dem Kalten Krieg, verbindet sich die Bundeswehr in der Gegenwart mit künstlich intelligenter Hochtechnologie.