Ein „Problem mit unserer politischen Streitkultur“ stellte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier fest, denn sie habe „über die vergangenen Jahre ein gefährliches Substrat aus verrohter Sprache, Hass und Hetze wachsen lassen“. Und aus Worten erwachsen Taten: Dass der Weg zur offenen Gewalt kurz geworden sei, belege der Anschlag in Halle, denn der Täter sei „von rechtsextremen Seilschaften im Internet inspiriert und getragen, von dumpfen Parolen auf Marktplätzen und in sozialen Medien befeuert“ worden, so Steinmeier. Vor 300 Gästen appellierte der Bundespräsident in der Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin an Bürger und Politiker gleichermaßen: „Wer in einem friedlichen Land leben will, der darf Gewalt auch in der Sprache niemals tolerieren!“
Das gelte offline genauso wie online – und gerade „der politische Diskurs im Internet“ sei „zu einem festen Bestandteil unserer Demokratie geworden“, stellte Steinmeier fest.
Am Stammtisch und im Chat: Es braucht „einen Konsens, wie Konflikte auszutragen sind“
Dass wir die „quantitative und qualitative Wirkung“ dieser immer noch neuen Kommunikationsformen „nicht unterschätzen dürfen“, betonte der Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung, Prof. Dr. Norbert Lammert zu Beginn der Veranstaltung. Denn „die Digitalisierung revolutioniert das Kommunikationsverhalten von Personen und Institutionen mit nachhaltigen Wirkungen für den privaten sowie öffentlichen Bereich. Die Konfliktfähigkeit unserer Gesellschaft setzt einen Mindestkonsens darüber voraus, wie verschiedene Standpunkte zusammengebracht werden können. Nur wenn es einen Konsens gibt, wie Konflikte auszutragen sind, kann sich eine Gesellschaft diese Konflikte tatsächlich leisten.“
Unmut über Künast-Urteil: Der Rechtsstaat unter Druck
Die Gesprächsrunde nach Steinmeiers Rede verdeutlichte, wie intensiv Politiker, Medien und Ermittlungsbehörden von der neuen Debattenkultur herausgefordert sind. Die Politikerinnen Claudia Roth und Sawsan Chebli, ZDF-Journalistin Bettina Schausten und Oberstaatsanwalt Markus Hartmann diskutierten mit dem Moderator der Runde, Kommunikationswissenschaftler Prof. Martin Emmer, über die sprachlichen Entgleisungen, die sie und andere täglich erleben.
Wichtig sei es zunächst einmal zu differenzieren zwischen tatsächlichen Straftaten und Verletzungen der Anstandsnormen, so Hartmann – denn nur bei Straftaten könnten die Ermittlungsbehörden einen Beitrag leisten. Wie stark unter Druck der Rechtsstaat ist, zeigte das jüngst ergangene Künast-Urteil, das bei allen Diskutierenden für Unmut sorgte. Lammert mahnte in seinem Schlusswort an, dass in der öffentlichen Wahrnehmung der Rechtsstaat – auch durch dieses Urteil – beim Persönlichkeitsschutz weniger verlässlich erscheine. Für Roth war der Richterspruch „Öl ins Feuer dessen, was wir täglich erleben.“
Beides, unanständige Kommentare genauso wie Hate Speech, prägen den Alltag und die Kommunikation vieler demokratischer Akteure in diesem Land. Das reicht von der Verächtlichmachung des Bundespräsidenten während einer Rede im Bundestag durch Volksvertreter, von der Roth berichtete, über persönliche Beleidigungen und Bedrohungen in den sozialen Medien – Chebli stellt bis zu 30 Strafanzeigen pro Woche – bis hin zu Lügen vor laufender Kamera: „Dann endet auch das journalistische Rüstzeug“, stellte Schausten nüchtern fest.
Das Erbe Ostdeutschlands: Voller Leidenschaft die Zukunft diskutieren
Um diesen Herausforderungen zu begegnen, sah Steinmeier in seiner Ansprache zwei Möglichkeiten, wie Staat und Bürger handeln können: Erstens „geltende Regeln strikter durchsetzen“, indem beispielsweise Polizei und Gerichte strafbare Äußerungen konsequenter ahnden. Und zweitens, „dass die demokratische Mehrheit sich nicht vertreiben lässt vom Gebrüll der Wenigen“, „denn die Hater stehen nie und nimmer für die Mehrheit in unserem Land“.
Der Bundespräsident wünscht sich eine Debattenkultur, in der die Menschen vernünftig argumentieren, sich auch mal von Argumenten überzeugen lassen, und ihr Gegenüber wertschätzen und ihm Respekt zollen. Die Friedliche Revolution vor dreißig Jahren habe gezeigt, dass und wie sich Menschen aus „ganz unterschiedlichen, gegensätzlichen Teile(n) einer Gesellschaft im Umbruch“ zusammensetzen konnten: „Sie diskutierten voller Leidenschaft, (…) sie suchten eine neue Zukunft für ihr Land.“ Die Runden Tische, an denen die Menschen damals Politik machten, könnten auch heute Vorbilder sein, empfiehlt Steinmeier: „Nicht zur Vermeidung von Streit, sondern zum Gelingen des Streits.“
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