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RUPRECHT VON KAUFMANN

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Interview mit Ruprecht von Kaufmann

Berlin, April 2016

Kannst du den Begriff der Position in der bildenden Kunst kurz beschreiben?
Für mich ist das ein schwieriger Begriff, den ich ein wenig als abgedroschene Kunstphrase empfinde, als etwas, was vielleicht für einen Kunsthistoriker zentral ist, für mich aber während der Arbeit kaum Bedeutung hat. Ich denke nicht über meine Position nach, wenn ich ein Bild beginne. Das Einzige, was meine Position für mich definiert, ist die Tatsache, dass ich derjenige bin, der ein Gefühl hat, das ich in einem Bild festhalten will. Die Positionierung im Rahmen eines kunsthistorischen oder kunstmarktlichen Geschehens ist mir egal. Sie ist Sache der Kunsthistoriker.

Erkennst du dich denn wieder in den Beschreibungen deiner Arbeit durch Kunsthistoriker, fühlst du dich gut beschrieben?
Selten. Da gibt es einen Widerspruch: wenn ich nicht zufrieden bin, müsste ich versuchen, die Beschreibungen meiner Arbeiten mehr zu beeinflussen. Beim Schreiben über bildende Kunst wird oft nur ein bestimmter Aspekt gesehen und dann als Essenz wiederholt, was sicher auch eine Notwendigkeit ist, da es immer nur begrenzten Raum für diese Texte gibt. Dabei gehen Feinheiten verloren. Bei meinen Arbeiten wird fast immer über düstere Schattenwelten geschrieben. Alles andere fällt unter den Tisch.

Kannst du Einfluss nehmen auf Pressetexte von Galerien?
Eigentlich ist das nicht steuerbar – außer wenn ich alles selbst schreiben wollte. Selbst die Galeristen stecken nicht so in meinem Kopf, wie ich mir das für diese Texte wünschen würde.

Haben diese Texte denn eine Art Rückwirkung auf deine Arbeiten? Fängt man an, gegen sie anzumalen?
Nein, wobei es schon einen paranoiden Aspekt in der Kunst gibt. Ein Galerist in New York hat mich einmal ernsthaft gefragt, ob ich paranoid sei. Später dann bin ich zu dem Schluss gekommen, dass man als Künstler immer auf eine Art paranoid ist. Im Atelier versucht man so etwas wie ein doublethink à la Orwell: man redet sich selbst ein, es sei egal, wie Rezipienten das Bild aufnehmen, ob das, was man malt, verstanden wird, wie der Markt und die Kritiker reagieren, man versucht in einen reinen Dialog zwischen sich und dem Bild zu gelangen. Alle anderen Einflüsse von außen sind dann ein Störfaktor, der einen abbringt, von dem, was im Atelier stattfindet. Für mich ist das einer der schwierigsten Arbeitsprozesse, jeden Morgen den Kopf zu leeren.

Du hast in den USA studiert. Haben sie heute noch Einfluss auf deine Arbeit, sind sie ein Referenzraum, auf den du dich beziehst?
Ich habe aus jugendlicher Naivität begonnen, dort zu studieren. Das war kein reflektierter Vorgang. Ich habe gespürt, dass ich meinen familiären Kontext verlassen muss, um der zu werden, der ich sein möchte. Nicht, weil meine Eltern so streng waren. Nur ist es so, dass man in einer Familie immer auf eine bestimmte Art wahrgenommen wird. Aus dieser Wahrnehmung kommt man nie raus. In den USA gab es zur Zeit meines Studiums - das war noch vor dem Boom der Leipziger Schule - bereits einen Parallelkunstmarkt, auf dem figurative Kunst gemacht werden durfte. Kollegen, die gleich alt sind wie ich und in Deutschland studiert haben, finden es immer erstaunlich, dass ich von Beginn meines Studiums an figurativ gemalt habe. Ihnen wurde hier während des Studiums  gesagt, es sei unmöglich, gegenständlich zu malen.

Warum ging das damals in den USA, aber hier nicht?
Ich glaube, dass das mit einem dogmatischen Denken zu tun hat, damit dass sich jeder Künstler die gedankliche Welt, in der er lebt, so zurechtlegt, dass sie mit dem, was er macht, überein stimmt. Das ist ein willkürlicher Vorgang: etwas wird benutzt, etwas anderes ignoriert. Gerade bei Künstlern, die sehr strikt den modernen Gedanken selbst noch an der Hochschule gelernt haben, ist Modernität wie ein Dogma. Das Narrative ist für diese Künstler eine Negierung von allem, was der Modernismus in der Kunstgeschichte erreicht hat. Ich sehe das nicht so. Es muss versucht werden, in sich widersprüchliche Komponenten zusammen zu bringen. Kunst ist in einer Sackgasse, wenn sie sich nicht weiter entwickeln darf.

Du hast von Anfang an narrativ gedacht und gemalt?
Es hat mir immer Spaß gemacht. Narrative bergen natürlich eine Gefahr: wenn das Narrativ zu klar oder zu offen ist, wird es didaktisch. Wenn sich das Narrativ allerdings einer Entschlüsselung teilweise entzieht, kann man idealerweise erreichen, dass der Betrachter immer wieder hinein gezogen wird: er kann alles erkennen, was abgebildet ist, kann es aber nicht einfach kausal verstehen. Das spiegelt das Leben wider: wir haben alle Informationen, alle Einzelkomponenten und trotzdem verstehen wir nicht, warum Menschen tun, was sie tun, warum Dinge so passieren, wie sie passieren.

Dahinter steckt auch eine bestimmte Vorstellung von Psychologie. Arbeitest du lange an den Verschlüsselungen der Narrative auf deinen Bildern?
Nicht wirklich. Diese Verschlüsselung entspricht meinem Wesen.

Waren die Reaktionen  auf deine Bilder sehr verschieden in Deutschland und in den USA?
Mein Studium ging kurz vor Beginn des Leipziger Booms zu Ende. Damals wurde man sowohl in New York als auch in Europa ausgelacht mit solchen Bildern. Die Galeristen hielten sie für nette technische Übungen, aber nicht für ernstzunehmende Malerei. Drei oder vier Jahre später ist das umgeschlagen. Genau die Galeristen, die mich ausgelacht hatten, zeigten plötzlich gegenständliche Malerei. In den USA war von Vorteil, dass es dort diesen Parallelkunstmarkt gab, der immer schon gegenständliche Malerei gezeigt und vermarktet hatte. Leider kommt dieser Kunstmarkt in den großen amerikanischen Museen nicht vor. Um bei L.A. zu bleiben, wo ich damals gelebt habe: diese Art von Malerei wird nie im LACMA gezeigt werden. Es ist, als existiere sie dort nicht

Das wird sich auch nicht ändern?
Ich glaube nicht. Inzwischen gibt es viele Maler in Los Angeles, die beharrlich gegenständlich malen, man könnte fast von einer Los Angeles Schule sprechen und vielleicht wird es irgendwann einmal eine Ausstellung dieser Maler in einem großen amerikanischen Museum geben – im Moment bezweifele ich das aber eher.

Aus welchen Elementen baust du die Narrative deiner Bilder? Ich habe viele Bildzitate entdeckt und auch viele literarische Referenzen, eine Reihe zu Medea, ein Bild mit dem Titel Schimmelreiter. Wie viel Wissen setzt du bei den Betrachtern voraus?
Ich arbeite häufig mit Zitaten von Motiven und Themen, die in der Kunstgeschichte viel  vorkommen, mit Stoffen an denen sich die Menschheit immer wieder abarbeitet, weil sie die individuellen und die universellen Erfahrungen, die wir machen, zusammenbringen. Erfahrungen, die alle durchmachen und die trotzdem als akut individuell und als traumatisch erlebt werden: geboren werden, Kinder bekommen, einen geliebten Menschen verlieren, sich das erste Mal zu verlieben – Erlebnisse, die die meisten Menschen machen, die sich aber dabei so anfühlen, als ließen sie sich mit niemandem teilen. Ich suche immer nach Schnittpunkten, wo ich versuche eine Lebenserfahrung wiederzugeben, die universell funktioniert und trotzdem von jedem individuell besetzbar ist.

Ich musste teilweise sehr lachen beim Durchsehen deiner Bilder, bei Offenbarung zum Beispiel, wo sich der Humor aus dem Zusammenspiel von Bild und Titel ergibt. Wie stark baust du auf Sprache und wie arbeitest du mit Titeln? Stehen sie am Anfang der Arbeiten?
Die Sprache ist für mich essentiell als Inspirationsquelle. Viele Arbeiten kommen von der Sprache. Bei Offenbarung habe ich sowohl mit einem bildlichen Zitat aus der klassischen Malerei gearbeitet, als auch im Titel ein Zitat genutzt. Dieses Bild ist relativ leicht zu entschlüsseln.

Manche deiner Motive tauchen auf verschiedenen Bildern auf, zum Beispiel das Kind mit Maske oder das Einhorn. Sind das Referenzen, die du zwischen deinen Bildern baust wie Botschaften, oder sind das eher obsessive Motive, die du immer wieder benutzt?
Es gibt schon Elemente, die ich immer wieder verwende, weil ich das Gefühl habe, dass sie gut funktionieren. Das Kind mit der Maske kommt auf den Nebel Bildern vor, die als Serie entwickelt worden sind. Das Nashorn taucht in der Serie auch auf jedem Bild auf, immer in anderer Form: einmal ist es eine Maske, die das Kind aufsetzt, auf einem anderen Bild sind die Nashörner kleine Kampfmaschinen, die in eine wilde Kriegsszenerie geschickt werden und auf einem weiteren Bild sieht man eine Nashornstatue in einem Panzer auf einem Schrottplatz festgefahrener Ideen. Das Nashorn ist stark beeinflusst von Ionescos Theaterstück Die Nashörner, wo sich Figuren in Nashörner verwandeln. Ich habe das immer so verstanden, dass Menschen eine Idee übernehmen und einfach mit dieser Idee weiterlaufen und so habe ich das in den Bildern auch benutzt.

Das ist eine literarische Referenz?
Richtig. Eine literarische Referenz, die ich versucht habe, in einem visuellen Kontext anders zu benutzen. In Bildern hat man einen ganz anderen Erzählstrang. Ich habe versucht, das Nashorn sich verändern zu lassen. Zuerst war es etwas, was man sich spielerisch aufsetzt; wie Ideen, die einem die Eltern weitergeben und die man als Kind nicht hinterfragt. Je weiter sich der Mensch entwickelt, desto stärker verfestigen und verhärten die Ideen sich, bis sie zu dieser großen Statue werden, die jemand mitschleppt. Die Idee hat sich zu einer Art Ballast entwickelt, den ich mit mir mitschleppe, einfach weil ich ihn immer schon mitgeschleppt habe.

Ionesco war Dramatiker. Ich musste bei deinen Bildern oft in Bezug auf deine Räume an Theater denken und habe mich gefragt, ob es sich bei deinen Räumen um Bühnenräume handelt.
Es ist ein bewusster Einsatz von Räumen, die nicht strikt illusorische Räume sind.

Könnte man sagen, es handelt sich Traumbühnen?
Um Traumbühnen oder um Räume wie im Theater, wo ich weiß, ich sitze vor einer Bühne und bin gleichzeitig noch in einem anderen Raum. Der Raum, in den ich schaue, ist nicht der Raum, in dem ich bin. Es gibt zwei Ebenen: das, was ich auf der Bühne verfolge und das, was um mich herum geschieht. Man ist im Theater, im Unterschied zum Kino, nicht voll drin. Ich versuche, Bildwelten zu kreieren, die den Betrachter reinziehen und gleich wieder hinauswerfen. Der Betrachter soll sofort merken, dass das Dargestellte eine Illusion ist und er sich nicht komplett auf den Erzählstrang verlassen kann. Der Erzählstrang ist wie eine Falltür, die ihn auf sich selbst zurückwirft. Das Bild geht über ihn und das, was in ihm selbst stattfindet, nicht hinaus.

Das funktioniert für mich, neben der räumlichen Komponente, auch durch die vielen Tierfiguren auf deinen Bildern. Wie in einem Traum oder in der Perspektive eines Kindes, gleichzeitig dadurch sofort psychologisch.
In vielen Kinderbüchern gibt es Tierfiguren als Vertreter für Menschen. Ich bin mir nicht sicher, warum das so ist, vielleicht erleichtert es den Kindern die Identifikation. Das trifft in meiner Arbeit eine Frage, mit der ich mich viel beschäftige: wie male ich individuelle Figuren, die nicht zu erkennbar sind? Sobald eine Figur genau erkennbar ist, ist sie für den Betrachter fremd. Er sieht eine Szenerie, in der  jemand anderes agiert. Dadurch ist der Betrachter außen vor, ein Voyeur. Ich versuche, einen Punkt zu treffen zwischen individuell genug – der Betrachter weiß, was für ein Typ Mensch dargestellt ist; jung, alt, fit, fett – und trotzdem nicht genau der Mensch, sondern es könnte auch jemand sein, den der Betrachter kennt, es könnte auch er sein.

Welche Strategien wendest du an, um das zu erreichen?
Meistens versuche ich, die Gesichter so weit zu entstellen, wegzudrehen oder zu verbergen, dass dass sie ihren Porträtcharakter verlieren. Individuen werden zu Archetypen.

Welche Dinge sind klein, welche groß? Wie arbeitest du mit Formaten?
Es gibt Motive, die sich in großen Formaten besser ausarbeiten lassen. Dramatische Perspektiven funktionieren groß anders als auf kleinen Bildern. Auch weil das, was der Betrachter dann sieht, nicht mehr mit dem übereinstimmt, was er durch sein Gleichgewichtsorgan kommuniziert bekommt. Er erlebt idealerweise einen leichten Schwindel. Er wird hinterfragt in seiner Position im Raum. Inhaltlich verhalten sich große Bilder, so pathetisch das klingt, zu kleinen Bildern wie Krieg und Frieden zu einer Kurzgeschichte von Tschechow. Bei kleinen Bildern muss man Dinge prägnant und kurz auf den Punkt bringen. Bei großen Bildern kann man Nebenplots entwickeln. Ich arbeite auch deswegen entweder nur extrem groß oder extrem klein, weil die Art, wie der Betrachter auf das Bild eingeht oder das Bild auf den Betrachter, auf eine Art zusammenhängt. Bei kleinen Bildern muss der Betrachter nah ran gehen, er muss einen Schritt aufs Bild zugehen, um eine intime Verbindung zu ihm aufzubauen. Wenn auf dem Bild Figuren zu sehen sind, wird es voyeuristisch. Bei großen Bildern findet die Bewegung vom Bild aus statt. Als Betrachter komme ich nicht daran vorbei, mich zu dem Bild zu positionieren und mich damit auseinanderzusetzen. Zwischenformate, bei denen man auf einen Blick, ohne sich bewegen oder verhalten zu müssen, alles sofort sieht, haben sich für mich immer falsch angefühlt.

Der Betrachter muss sich bewegen, um deine Bilder betrachten zu können. Hat das didaktische Gründe, wird dadurch eine Fähigkeit trainiert, die dir wichtig ist, eine Perspektive? 
Im Idealfall wird durch die Bewegung im Körper des Betrachters beim Betrachten auch etwas im Inneren des Betrachters bewegt. Wir können von Bildern bewegt werden, weil wir als Menschen evolutionär so geprägt sind, dass wir auf Bewegung reagieren. Das hat mit den Spiegelneuronen in unserem Gehirn zu tun. Die figurative Malerei kann emphatische Reaktionsmechanismen auslösen. Je mehr Bewegung ich darstelle, um so mehr bewegt, im emotionalen Sinn, das Bild den Betrachter.  Das finde ich wichtig. Der Betrachter soll sich bewegt, soll sich angestoßen fühlen. Gar nicht so sehr im Verständnis, aber auf der Ebene einer emotionalen Reaktion.

 


 

Ruprecht von Kaufmann, geboren 1974 in München, bildender Künstler, lebt in Berlin. EHF Fellowship der Konrad Adenauer Stiftung 2007.
Katharina Schmitt, geboren 1979 in Bremen, Theaterregisseurin und Autorin, lebt in Berlin und in Prag. EHF Fellowship der Konrad Adenauer Stiftung 2014.

Bilder © Ruprecht von Kaufmann, c/o Galerie Crone Berlin
Texte © Katharina Schmitt

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