Justiz gegen Wahlergebnis
Die Vorboten der jetzigen politischen Krise waren nicht zu übersehen. Bereits nach dem 1. Wahlgang zu den Präsidentschaftswahlen im Juni 2023 und dem unerwarteten Einzug von Bernardo Arévalo, Kandidat einer eher dem linken Spektrum angehörenden Partei SEMILLA, in die Stichwahlen, begannen Teile des Justizapparates, die Legitimation von Partei, Kandidaten und das Wahlergebnis selbst in Frage zu stellen. Die Generalstaatsanwältin, ein Leiter einer Spezialstaatsanwaltschaft sowie ein Richter an vorderster Stelle.
Zunächst wurde ein Verfahren gegen Semilla eingeleitet, um diese Partei zu annullieren, da bei ihrem Gründungsprozess Protokolle gefälscht worden seien. Man wollte damit verhindern, dass die Partei und Arévalo für die Stichwahl zugelassen wurden. Das wurde zwar durch das Verfassungsgericht verhindert, der Prozess als solcher lief und läuft aber nach wie vor weiter.
Danach wurde versucht, den Wahlgerichtshof an der Verkündung des offiziellen Wahlergebnisses zu hindern, damit war über Wochen hinweg fraglich, ob und wann es zum 2. Wahlgang kommen würde. Der Wahlgerichtshof konnte sich schließlich durchsetzen, der 2. Wahlgang fand statt und Arévalo gewann.
Die massiven Versuche der genannten Teile des Justizapparates, das Wahlergebnis als gefälscht darzustellen, unter anderem wurde der Wahlgerichtshof mit bewaffneten Einheiten untersucht, Wahlurnen und Unterlagen mitgenommen, führte zu einer zunehmenden Solidarisierung verschiedener Sektoren mit dem gewählten Präsidenten. Die Haltung war eindeutig: Das Wahlergebnis sei klar und zu respektieren. Darin stimmten viele Sektoren der Zivilgesellschaft überein, auch solche, die nicht im Verdacht standen, besondere Sympathien für Arévalo zu haben.
Zunächst wurde dann der Prozess zur Vorbereitung der Regierungsübergabe eingeleitet, nach kurzer Zeit aber durch Arévalo gestoppt, da er nicht die Voraussetzungen für eine geordnete Übergabe als gegeben sah. Der amtierende Staatspräsident Giammattei gab schließlich entsprechende Garantien und sicherte die Amtsübergabe, traditionell am 14. Januar, zu.
Schnell wurde jedoch klar, dass dies seitens der Justiz keinerlei Verhaltensänderungen zur Folge haben würde. Ganz im Gegenteil. Der Druck auf Arévalo, die Partei, die Mitglieder des Wahlgerichtshofes bis hin zu den Auszählern in den tausenden von Wahllokalen nahm dramatisch zu. Alle wurde mit Prozessen überzogen bzw. solche angekündigt. Die Richter des Wahlgerichtshofs wurden mit einem Amtsenthebungsverfahren konfrontiert, selbst der Pressesprecher des Gerichts soll belangt werden, weil er das falsche Wahlergebnis verkündet habe.
Je länger dies andauerte, desto weniger verstand die guatemaltekische Öffentlichkeit, was dieser ganze Zinnober solle. Das Wahlergebnis war klar, von keiner der zahlreichen Beobachter wurde Zweifel an der ordnungsgemäßen Durchführung der Wahl geäußert, und von allen Seiten der Zivilgesellschaft kam die Aufforderung, das Wahlergebnis endlich anzuerkennen um eine geordnete und verfassungsmäßige Amtsübergabe im Januar sicherzustellen. Gleichzeitig war aber auch klar, dass die oben genannte Generalstaatsanwältin, der Leiter einer Spezialstaatsanwaltschaft sowie der besagte Richter kaum auf eigene Faust und ohne jegliche politische Rückendeckung so handeln würden, wie sie handeln, auch wenn nicht klar ist, wer tatsächlich diese Rückendeckung in diesem erstaunlichen Ausmaß gibt. Vor diesem Hintergrund schossen und schießen natürlich vielfältige Spekulationen ins Kraut.
Eine davon war von Beginn an, ob man es darauf anlegt, die Bevölkerung zur Mobilisierung zu reizen, um so das Militär auf den Plan zu rufen. Das Zusammenwirken von weiteren Teilen des Justizapparates – so wurde eine Verfassungsbeschwerde der Richter des Wahlgerichtshofes und SEMILLAS abgelehnt, mit dem die Generalstaatsanwältin zur Einstellung der Verfahren gezwungen werden sollte – ist ein Bestandteil des in Guatemala seit Jahren beklagten institutionellen Defizits. Im Kern überwiegt allerdings nach wie vor Ratlosigkeit angesichts dieses Vorgehens und das Rätseln darüber, wie man meinen könne, mit diesem Vorgehen durchkommen zu können.
Vor einer Woche nahmen schließlich indigene Verbände die Sache in ihre Hände und begannen mit punktuellen Straßenblockaden und forderten den Rücktritt dieses Justiz-Trios. Am vergangenen Wochenende wurden diese Maßnahmen drastisch ausgeweitet, auch griffen die Blockaden auf den Ostteil des Landes und die Hauptstadt über. Für die nächsten Tage sind weitere Ausweitungen angekündigt, die kleineren Gewerbetreibenden haben angekündigt, ihre Geschäfte und Märkte zu schließen. Das Warenangebot in den Märkten der Hauptstadt sind bereits ausgedünnt.
Interessant ist vor allem, dass die Initiative von indigenen Verbänden ausging, und damit einer Bevölkerungsgruppe, die nicht unbedingt zu den Privilegierten des aktuellen politischen Systems zählt. Das sollte manchen im Lande zu denken geben. Bei allem Ärger und allen Einschränkungen durch diese Blockaden ist für die Menschen jedoch die entscheidende Frage: Wann, wenn nicht jetzt!? Insofern ist es nicht verwunderlich, dass die Basis der Demonstranten sich erweitert, in der Hauptstadt haben sich inzwischen Studenten der Bewegung angeschlossen.
Der Stresstest geht weiter
Aktuell können keine belastbaren Aussagen über die Entwicklung der kommenden Tage getroffen werden. Dies umso weniger, als sich die Situation in der Nacht von Montag auf Dienstag weiter verschärft hat. Im Stadtzentrum von Guatemala kam es zu gewaltsamen Ausschreitungen und polizeilichem Einsatz von Tränengas. Angeblich soll die Generalstaatsanwaltschaft in Brand gesetzt, der Zentralpark verwüstet worden sein. Wer hinter den Gewaltausbrüchen steckt kann nur vermutet werden. Die Demonstranten oder eingeschleuste Sicherheitsleute der Regierung? Alles wird momentan für möglich gehalten.
Das bisherige Schweigen des amtierenden Staatspräsidenten, zunächst eher ausgelegt als neutrale Position im institutionellen Machtkampf, wurde zuletzt zunehmend als zumindest schweigende Unterstützung des Vorgehens des Justiz-Trios verstanden und verbunden mit der Frage, wer was von wem wisse und wie in der Hand habe. Eventuell bestehende Zweifel räumte Giammattei nun aus, als er sich in der Nacht von Montag auf Dienstag in eine Fernsehansprache an die Nation nun erstmals zu Wort meldete. Er sagte zwar, Arévalo werde im Januar die Regierung übernehmen. Mit dem Rest seiner Rede dürfte er jedoch mehr Öl ins Feuer gegossen als irgendetwas zur Beruhigung der Lage beigetragen haben. Zu den Rücktrittsforderungen der Demonstranten kein Wort. Vielmehr bezeichnete er diese Demonstrationen als illegal und gewaltsam, von einigen ausländischen Staaten und NGO´s finanziert und lediglich durch trainierte Gewalttrupps getragen. Die Regierung werde diesem Treiben nicht mehr zusehen. Zudem könne von einem Staatsstreich gegenüber jemand, der noch nicht regiere, keine Rede sein. Er rief alle und jeden zum Nachdenken auf, nur der Begriff Selbst-Reflektion tauchte in seiner Rede nicht auf. Sein Aufruf zum Dialog dürfte daher schon am Ende des Aufrufs verpufft sein.
In dieser Situation ist es beachtlich, dass sich die guatemaltekische Bischofskonferenz deutlich zu Wort gemeldet hat, was sie in politischen Angelegenheiten ansonsten äußerst selten tut. Sie weist die Verantwortung für die entstandene Situation klar der Generalstaatsanwaltschaft, in Teilen aber auch den Obersten Gerichtshöfen zu und fordert den Staatspräsidenten auf, den Rücktritt der Generalstaatsanwältin und aller anderen Mitwirkenden zu fordern.
Sicher dürfte sein, dass sich die Demonstranten durch die Drohung strafrechtlicher Verfolgung seitens der Generalstaatsanwältin oder des Präsidenten nicht werden beeinflussen lassen. Dies dürfte die Wut auf das Justiz-Trio und den Präsidenten eher noch verstärkt haben. Sollte die Regierung Polizei oder gar die Streitkräfte zur Beendigung der Blockaden einsetzen, dürfte eine landesweite gewaltsame Eskalation die Folge sein, mit allen dann offenen Weiterungen. Erkennbar ist jedoch bereits jetzt eine politische Erweiterung. Die Forderung vieler Demonstranten beschränkt sich nicht mehr auf den Rücktritt des verhassten Justiz-Trios, vielmehr steht nun auch die Forderung nach der Einberufung einer Verfassunggebenden Versammlung auf der Tagesordnung. Die nächsten Tage, unter Umständen auch Wochen werden zeigen, wie weit bestimmte Hardliner zu gehen bereit sind, mit welcher faktischen Unterstützung sie rechnen können und welcher der Unterstützer mit offenem Visier antritt.
Der politische Stresstest für die Demokratie Guatemalas jedenfalls ist noch nicht beendet.
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Oficina de la Fondation en Guatemala
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