Die COVID-19-Pandemie hat Afrika erreicht. Beinah alle Länder sind betroffen und eine humanitäre Krise droht. Dass die Opferzahlen weitaus höher als in Italien, China und Amerika liegen könnten, liegt am schlechten Zustand der afrikanischen Gesundheitssysteme, für den die afrikanischen Regierungen verantwortlich sind. Deshalb muss die absehbare internationale Gesundheitshilfe zum Aufbau ihrer Systeme nach der Krise mit klaren Pflichten und Auflagen verbunden sein. Dies als zusätzliche Forderung an die Reformpartnerschaften der G20-Compact-Initiative mit Afrika zu knüpfen, liegt nicht fern. Auf die Gesundheitskrise in Afrika könnte zudem noch eine politische folgen, mit Umwälzungen zahlreicher afrikanischer Regierungen.
„Afrika muss sich auf das Schlimmste vorbereiten“
Es ist so gut wie geschafft. Über 42 Tage hat es in der Demokratischen Republik Kongo keine neue Ebola-Erkrankung gegeben. Damit ist die zweitschwerste Epidemie in der Geschichte des Virus fast vorbei. Was fehlt, ist allein die offizielle Erklärung der Weltgesundheitsorganisation (WHO), mit der bis Mitte April zu rechnen ist.
Der Dank, der eigentlich den vielen engagierten lokalen und internationalen Hilfskräften in dieser Stunde gezollt werden muss, die eine regionale und globale Ausbreitung verhindert haben, droht jedoch ungehört zu verhallen. Denn während Ebola im Ost-Kongo endet, bereitet sich im Westen die 12-Millionen-Einwohner große Hauptstadt Kinshasa wie der gesamte afrikanische Kontinent auf die COVID-19 Pandemie vor, die in ihren Ausmaßen weitaus drastischer sein könnte als Ebola im Kongo oder in den Jahren 2014-16 in Westafrika.
„Afrika muss sich auf das Schlimmste vorbereiten“, sagte WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom vor wenigen Tagen. Mitnichten haben Afrikas Länder Gesundheitssysteme wie in Europa, Asien oder Amerika. Viele befürchten Opferzahlen bis in die Hunderttausende. Darüber hinaus könnte auf die Gesundheitskrise noch eine zweite, eine politische Krise folgen, ein „Afrikanischer Frühling“, wenngleich mit viel Trauer und Bitterkeit.
Ein „Sieg“ über Ebola, kein „Erfolg“
Es ist ein „Sieg“ über Ebola, ein „Erfolg“ ist es jedoch nicht. Dazu hat die Krise im Kongo mit beinah zwei Jahren zu lange gedauert und über 2.250 Menschenleben gekostet. Anders als 2014-16 in Westafrika führte diesmal die instabile Sicherheitslage im Kongo dazu, dass die Krise zu lange nicht unter Kontrolle kam. Zahlreiche Rebellengruppen halten sich im Land auf, weil es der kongolesischen Regierung nicht gelingt, ihr Sicherheitsmonopol durchzusetzen. Gezielt griffen einige von ihnen Gesundheitshelfer an und verhinderten ihre Arbeit im Kampf gegen Ebola. Auch wenn die Ebola-Epidemie noch ausgewertet werden muss, dürfte der „Sieg“ auf das beherzte Vorgehen des kongolesischen Militärs und vor allem der UN-Friedensmission MONUSCO zurückzuführen sein, die seit Jahresanfang Rebellengruppen zurückdrängten und Gesundheitsteams bei ihrer Arbeit schützten.
Was die staatlichen Versäumnisse bei der Sicherheit im Kampf gegen Ebola waren, sind die Mängel des Gesundheitssystems im jetzigen Kampf gegen Corona. Sie erklären, warum der gesamte Kontinent vor COVID-19 zittern muss. In der 12-Millionen-Stadt Kinshasa sind weniger als zehn Krankenhäuser zur Versorgung von COVID-19-Fällen identifiziert. Eines der besten, das „Hôpital du Cinquantenaire“, kann nach eigenen Angaben bis zu 150 Patienten am Tag versorgen.
COVID-19 erreicht Kinshasa
Am Dienstag, 10. März, gab der kongolesische Gesundheitsminister den ersten Coronavirus-Fall im Land bekannt. Ein kongolesischer Staatsbürger, der sich in Frankreich infiziert hatte, brachte die Krankheit nach Kinshasa. Mittlerweile gibt es offiziell über 150 Corona-Fälle und 18 Tote. Wie die WHO schätzt, liegt die Dunkelziffer im gesamten Kontinent jedoch weit höher, da zahlreichen Ländern die Testmöglichkeiten fehlen.
Die große Mehrzahl der Erkrankungen im Kongo konzentriert sich auf Kinshasa, offenbar auf den engen Kreis der Regierung, von dem viele regelmäßig nach Europa fliegen. So infizierte sich die Wirtschaftsministerin, ihr Bruder starb, ebenso ein Berater des Präsidenten und andere politische Entscheidungsträger. Es besteht die Angst, dass sie das Virus mittlerweile an Angestellte und Hausbedienstete übertragen haben, so dass es von den Reichenvierteln auf die Armenviertel der Stadt, die „quartiers“, überspringt, in denen eng an eng Millionen Kongolesen leben. Mittlerweile ist das Virus auch in anderen Landesteilen aufgetaucht, in denen Provinzen Ituri, Kwilu und Nord-Kivu sowie in der Stadt Bukavu in der Provinz Süd-Kivu. Doch das Epizentrum ist Kinshasa.
Wie andere afrikanische Staats- und Regierungschefs ergriff auch der kongolesische Präsident Félix Tshisekedi schnell Maßnahmen. Er untersagte In- und Auslandsflüge, ließ Restaurants, Kirchen und andere Plätze des öffentlichen Lebens schließen. Er berief ein Krisenteam, um die Hilfe zu koordinieren und erklärte den „Notstand“.
Kein Vorteil: „Drakonische Maßnahmen“
Wie kurz jedoch der scheinbare Vorteil nur reicht, den autokratische Staatssysteme gegenüber westlichen Demokratien bei der Erlassung „drakonischer“ Maßnahmen haben, zeigt sich sehr gut in Kinshasa wie auch in anderen Ländern Afrikas. Schlecht geführten Regierungen fehlt einerseits das Ohr der Bevölkerung, so dass die sich nicht an die Regeln hält. Andererseits sind schwache Institutionen nicht in der Lage, ihre Vorschriften durchzusetzen. So ging das Leben in Kinshasa auch nach der Ankündigung der Maßnahmen munter weiter. Die Menschen nutzten uneingeschränkt den öffentlichen Nahverkehr, fuhren dicht aneinander gedrängt in Kleinbussen oder zu dritt auf dem Rücksitz eines Motorrads.
Auch das Krisenmanagement selbst zeigt Schwächen. Statt den gesamten öffentlichen Nahverkehr zu untersagen, reduzierte die Stadtregierung lediglich die zulässigen Fahrgastzahlen je nach Fahrmittel. In Bussen dürfen weiter bis zu 20, in kleineren Bussen bis zu 16 Personen fahren. Vor einer Woche fand das Krisenmanagement dann einen vorläufigen Höhepunkt. Überraschend kündigte der Gouverneur von Kinshasa am Donnerstagabend, 26. März, eine vollständige Ausgangssperre an, die über einen Zeitraum von drei Wochen reichen und schon 24 Stunden später, am Samstag, beginnen sollte.
Eine Ausgangssperre für Kinshasa
Die Idee war eine Staffelung: Zunächst sollte die Ausgangssperre vier Tage lang gelten. In dieser Zeit dürften sich nur Sicherheitskräfte, Staatsbedienstete und Gesundheitshelfer auf den Straßen bewegen. Selbst Einkäufe wären den Menschen untersagt. Nach vier Tagen würde die Ausganssperre dann für zwei Tage aufgehoben, so dass die Menschen ihre Vorräte aufstocken könnten. Danach würden wieder vier Tage Ausgangssperre folgen, usw.
Ein Chaos bahnte sich an. In Tausenden strömten die Menschen am Freitag auf die Märkte, um noch rasch Wasser und Nahrungsmittel zu kaufen. Viele liehen sich Geld, wenn sie ihr Gehalt noch nicht bekommen hatten. Die Lebensmittelpreise stiegen in die Höhe. Bettelarme Menschen, die von einem US-Dollar oder weniger am Tag leben und die große Mehrzahl der Bevölkerung darstellen, wussten nicht, wie sie vier Tage über die Runden kommen sollten. Der Druck auf die Stadt wuchs und wuchs, so dass sie noch am Freitagnachmittag die – im Grunde richtige, aber ohne Vorlauf vorbereitete – Ausgangssperre kassierte.
„Die Menschen waren wütend“, sagt ein Beobachter. „Erst liehen sie sich Geld, um dann verteuerte Waren zu kaufen. Und dann am Abend wurde die Ausgangssperre wieder aufgehoben. Beim nächsten Mal werden die Menschen einen solchen Schritt nicht akzeptieren, vermute ich.“
Die folgenden Tage waren von Diskussionen beherrscht. Eine Woche später, am Donnerstag den 2. April, erließ die Stadtregierung abermals eine Ausgangssperre, die am 6. April beginnen soll und für zwei Wochen gilt. Diesmal umfasst sie jedoch nur Kinshasas wichtigsten und reichsten Bezirk, Gombe. Auch erweiterte die Regierung die Liste der Personen, die sich währenddessen zur Arbeit begeben können.
In unserer globalisierten Welt entgeht auch in Afrika weder den Herrschenden noch dem Volk, was sich außerhalb ihrer Staatsgrenzen abspielt. So verfolgen die Kongolesen per WhatsApp oder YouTube wie Sicherheitskräfte in Kenia, Südafrika oder Nigeria versuchen, ihre „drakonischen“ Maßnahmen mit Knüppeln und Tränengas durchzusetzen. Oftmals hat die Bevölkerung die Erlassung der Maßnahmen jedoch gar nicht erreicht. Ein anderes Problem ist der Bildungsmangel breiter Bevölkerungsschichten, die so den Ernst der Lage verkennen oder weit verbreiteten „Fake News“ Glauben schenken, die dieser Tage Hochkonjunktur in Afrikas Netzen haben.
Politische Folgen im gesamten Kontinent
All das birgt eine soziale Sprengkraft, welche aus der Gesundheitskrise in Afrika eine folgenschwere, politische machen könnte. Sollte die COVID-19-Epidemie hohe Opferzahlen verursachen, zu Gewalt führen, die Volkswirtschaften beschädigen und zu noch höherer Arbeitslosigkeit führen, werden viele Menschen die Schuld dafür den Regierungen geben, die es jahrelang versäumt haben, ihre Staaten, allen voran ihre Gesundheitssysteme aufzubauen, die der Ursprung der Krise sind. Es mag ausreichen, dass Menschen während einer Ausgangssperre nicht arbeiten können. In Deutschland gibt es Kurzarbeit. In afrikanischen Ländern nicht. Als letztes Mittel gegen Hunger bleibt die Gewalt. Der Sudan zeigt als jüngstes Beispiel, dass allein die Verteuerung von Benzin- und Lebensmittelpreisen reicht, um zu politischen Umwälzungen zu führen.
Es stellen sich jedoch noch viele weitere Fragen neben der politischen. Sollte es nicht gelingen, die COVID-19-Pandemie in Afrika unter Kontrolle zu bringen, droht sie – ohne Impfstoff – monatelang ein Risiko für die größten Volkswirtschaften zu bleiben, mit den bekannten Folgen für die gesamte Welt, selbst wenn sie dann schon in Europa, China und Amerika besiegt sein sollte.
„Und wenn sich das Virus ungehindert ausbreitet, steigt auch das Risiko von Mutationen. Wenn sich der Erreger verändert, könnten alle Investitionen, die wir in die Suche eines Impfstoffes geben, vergeudet sein“, sagte UN-Generalsekretär António Guterres vor ein paar Tagen im französischen Fernsehen.
Wer trägt die Verantwortung?
Der äthiopische Premierminister und Friedensnobelpreisträger Abiy Ahmed forderte vor wenigen Tagen von den G20-Staaten 150 Milliarden US-Dollar zur Unterstützung der afrikanischen Gesundheitssysteme. Die G20 berieten zu dem Zeitpunkt und sagten schließlich 5 Billionen US-Dollar an globalen Wirtschaftshilfen in Folge der Krise zu. In einem Meinungsbeitrag für die Financial Times legte Abiy Ahmed nach und forderte einen Schuldenerlass sowie die Aufrechterhaltung bisher zugesagter nationaler Budgets für Entwicklungsausgaben. „Das ist, was wahre Menschlichkeit und Solidarität demonstriert“, endete er seinen Artikel. Der Nobelpreisträger sagte jedoch nicht, dass auch die afrikanischen Regierungen selbst Verantwortung tragen müssten.
Gesundheitshilfe für Afrika: mit Pflichten und Auflagen
Im Augenblick gilt es, eine mögliche humanitäre Katastrophe zu verhindern. Die darauf folgende und bereits absehbare Milliardenhilfe zum Aufbau der afrikanischen Gesundheitssysteme – die wie Abiy Ahmed auch zahlreiche andere afrikanische Staats- und Regierungschefs bereits fordern – darf jedoch diesmal nicht zum Gratispreis kommen. Sie sollte Auflagen, Vorschriften und Berichtspflichten umfassen, die bei Nicht-Einhaltung Sanktionen beinhalten. Die Regierungen Afrikas können dann zeigen, wie reformwillig sie sind und auch beweisen, wie viel ihnen am Wohle ihrer eigenen Bevölkerung liegt. Denn die Aufbauhilfe wird, gut umgesetzt und investiert, langfristig ihre Wirtschaften stärken, die Bevölkerung gesünder machen. Gesundheitssysteme als Unterbau stabiler Wirtschaften? Dies als zusätzliche Forderung an die Reformpartnerschaften der G20-Compact-Initiative mit Afrika zu knüpfen, liegt nicht fern.
Proporcionado por
Auslandsbüro Demokratische Republik Kongo
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