Von Ouiza Galleze
Wenn ein Volk seine Unabhängigkeit von einer Kolonialherrschaft beansprucht, hat die internationale Meinung selten eine ausgewogene Meinung über die Situation. Häufig ist sie geteilt zwischen denen, die traditionelle Verbündete der Kolonisatoren sind und sich gegen den Anspruch stellen, und denen, die ohne Bündnisverpflichtung das Unabhängigkeitsstreben unterstützen. Während die Mehrheit der kleineren Staaten in ihrer schwierigen Situation auch eine neutrale Rolle einnimmt, so bleibt für größere Staaten weniger Raum für eine ausgewogene Positionierung. Der folgende Artikel beleuchtet die Rolle der jungen Bundesrepublik Deutschland zwischen einerseits der Verpflichtung gegenüber dem französischen Nachbarn und ihrer Bedeutung für die Rehabilitation Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg und der Anerkennung des Unabhängigkeitsstrebens der algerischen Bevölkerung.
Mehr als bei anderen Unabhängigkeitsbewegungen hat die algerische Revolution, die offiziell 1954 begann, auf internationaler sowohl politisch wie humanitär für Aufsehen gesorgt, denn Algerien war das erste Land Afrikas, das seine Unabhängigkeit forderte, aber das letzte, das sie erlangte. Sein Kampf für die Unabhängigkeit während des achtjährigen Krieges bis zur Unabhängigkeit am 5. Juli 1962 war lang und besonders blutig. Auf seine besondere sowohl innen- wie außenpolitische strategische Position für Frankreich war zurückzuführen, dass der französische Staat seinen Einfluss über Algerien nicht aufgeben wollte, wodurch die lange Phase eines achtjährigen Unabhängigkeitskrieges entstand. Frankreichs Position wurde damit international auf eine zunehmend harte Probe gestellt.
Seit 1956 wurden die Folgen des algerischen Unabhängigkeitsstrebens zunehmend international sichtbar (Soummam-Kongress) und die auch in Frankreich lebenden Vertreter der algerischen Unabhängigkeit waren zunehmender Verfolgung ausgesetzt. Viele Angehörige der Unabhängigkeitsbewegung suchten daraufhin Zuflucht in den Nachbarländer Frankreichs, so in Belgien und die Schweiz wurden sie zu Dutzenden willkommen geheißen. Später sollte sich Deutschland als ihr Hauptziel erweisen.
Diese Wahl erklärte sich aus der Nähe und dem einfachen Reiseverkehr zwischen Frankreich und Deutschland und weil einige Regionen, wie das Saarland, von einem Doppelstatut profitierten. Nach der Zeit unter französischem Protektorat wurde diese Grenzregion mit dem Département Moselle ab 1957 politisch wieder in die Bundesrepublik Deutschland eingegliedert, gehörte aber bis 1959 zum französischen Zollgebiet, so dass der Grenzverkehr von einer gewissen Duldung der örtlichen Polizei profitierte. Zeitgleich hatte sich der algerische Unabhängigkeitskrieg weiter verschärft, so dass die Orte des Saarlands eine vorteilhafte Rückzugszone für die algerischen Revolutionäre boten. Hier waren sie geschützt und konnten dennoch weiterhin ins benachbarte französische Lothringen gelangen. Dort lebten Tausende von algerischen Arbeitern, die eine wichtige wirtschaftliche, finanzielle und soziale Unterstützung der Aktivitäten der Revolutionäre darstellten (unter anderem Geld, Waffen oder "Revolutionssteuern").
Aber die Wahl Deutschlands als Gastland hat neben den regionalen Gegebenheiten auch eine politische Dimension. Vor dem Hintergrund zunehmender internationaler Spannungen spielten die zunehmenden deutschlandpolitischen Konfliktlinien eine wichtige Rolle. Die beiden deutschen Staaten haben auch unterschiedliche Position zur algerischen Unabhängigkeit. Während die Deutsche Demokratische Republik (DDR) sich auf die Seite der algerischen Revolutionäre stellt, ist die Rolle der Bundesrepublik Deutschland komplizierter. Konrad Adenauer, der ersten Bundeskanzler, entscheidende Figur des Wiederaufstiegs und der atlantischen und europäischen Verankerung, ist vor allem auch der Förderer der deutsch-französischen Aussöhnung. Und in seiner Freundschaft zu General de Gaulle einer der Gründerväter des europäischen Aufbauwerks. Ohne die deutsch-französische Aussöhnung ist die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nicht erzählbar, und das hat auch Auswirkungen auf die bundesdeutsche Rolle in der algerischen Unabhängigkeitsbewegung.
Während die DDR Algerien starke und unerschütterliche Unterstützung verspricht, wird Frankreich gegenüber der Bundesrepublik Deutschland auf Unterstützung seiner Position pochen. Diese aus französischer Sicht nachvollziehbare Position riskierte, die Bundesrepublik Deutschland der harten Kritik der arabischen Staaten auszusetzen, die sich hinter die separatistischen Anliegen stellten. Diese Kritik hatte für die jungen Bundesrepublik Deutschland, für die in dieser Phase das Streben nach Wiedererlangung internationale Anerkennung Priorität genoss, erhebliche politische, aber als Exportnation auch wirtschaftliche Risiken. Der Spielraum für Konrad Adenauer war eng bemessen, das Risiko, es sich mit beiden Seiten zu verderben, entsprechend hoch. Er wollte weder Frankreich noch die arabische Welt vor den Kopf stoßen und musste beobachten, dass die DDR durch ihre eindeutige Positionierung bereits beträchtliche Unterstützung arabischer, afrikanischer und auch einiger asiatischer Länder erhalten hatte. Die Bundesrepublik Deutschland und Adenauer schafften diesen Spagat dadurch, dass sie einerseits in Fragen der französischen Politik in Algerien und Nordafrika größte Zurückhaltung übte, andererseits Frankreichs in allen Vorschlägen im Rahmen der fortschreitenden europäischen Einigung unterstützte, und drittens die Rolle der Vereinten Nationen für eine Beilegung des Konflikts um die algerische Unabhängigkeit betonte.
Nicht zu unterschätzen für die Lösung der komplizierten politischen Gemengelage waren Entwicklungen vor Ort. Nach und nach werden Städte wie Köln, Hamburg, München oder Saarbrücken nicht allein zu Zufluchtsorten der Unabhängigkeitskämpfer, sondern auch Begriffe für die Algerierinnen und Algerier zuhause. Mehrere noch heute lebende Kämpfer (sog. Mudschaheddin), die vor Verfolgung und Gefängnis in Algerien oder Frankreich flohen, berichteten, von deutschen Familien aufgenommen und bis zum Ende der Feindseligkeiten beschützt worden zu sein. Auch die algerischen Medien verfolgten die Organisierung der Unabhängigkeitskämpfer in Deutschland. Diese Erfahrungen trugen dazu bei, dass der Bundesrepublik Deutschland der beschriebene außenpolitische Spagat auch in den Augen der algerischen Öffentlichkeit gelang. Die bis heute hohe Reputation der Bundesrepublik Deutschland lässt sich auch auf diese Phase der deutschen Algerienpolitik zurückführen.
Nach der Rückkehr de Gaulles an die Spitze des französischen Staates im Jahr 1958 werden die Überlegungen zu Selbstbestimmung und Unabhängigkeit Algeriens immer deutlicher. Frankreich droht, die internationale Unterstützung seiner Algerienposition weiter zu verlieren. Die blutigen Anschläge der OAS (Geheimarmee), die sich vehement gegen die Unabhängigkeit Algeriens wehrt, können die historischen Entwicklungen nicht mehr aufhalten. Mit dem Abkommen von Evian wird am 18. März 1962 die Unabhängigkeit Algeriens vertraglich vereinbart.
Die politische Haltung der jungen Bundesrepublik Deutschland zum algerischen Unabhängigkeitsstreben ist ein Teil des politischen Lebenswerks von Konrad Adenauer. Er bewahrte in einer der herausforderndsten Phasen der deutschen Nachkriegspolitik seine deutsch-französische Überzeugung, ohne sich dem Streben der algerischen Unabhängigkeit entgegenzustellen. Dies brachte der Bundesrepublik Deutschland auch die Anerkennung der Länder Nordafrikas und der arabischen Welt ein.
Die Autorin:
Ouiza Galleze war Professorin für Philosophie an der Universität Alger
Literaturhinweis: