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Jugendstudie Türkei 2021

Eine quantitative und qualitative Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung Türkei

Was denkt die türkische Jugend? Die Jugendstudie 2021 der Konrad-Adenauer-Stiftung Türkei gibt Aufschluss darüber. Die türkische Jugend ist unzufrieden und wünscht sich nachdrücklich eine Veränderung. Sie fühlen sich nicht beachtet und von der Gesellschaft vernachlässigt. Die Mehrheit der jungen Menschen in der Türkei hat eine pessimistische Sicht auf die Zukunft ihres Heimatlandes. Eine im Februar 2022 veröffentlichte Studie, die im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung Türkei von einem unabhängigen Forscherkollektiv unter Leitung von Prof. Dr. Ali Çağlar, erstellt worden ist, gibt neue Einblicke in das Denken, die Werte und die Lebensumstände der sogenannten „Generation Z“. Die Bedürfnisse, Ansichten und Lage dieses wichtigen Teils der Wählerschaft zu verstehen, ist entscheidend für das Verständnis der Türkei von morgen.

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Die Studie basiert auf einer repräsentativen Stichprobe von 3.243 jungen Menschen im Alter von 18 bis 25 Jahren, die in 28 Provinzen, die für die gesamte Türkei repräsentativ sind, persönlich vor Ort zu ihrer Lebenssituation, ihren politischen und sozialen Einstellungen, Meinungen, Präferenzen, Erwartungen und Orientierungen befragt wurden. Die Daten der Studie wurden zwischen dem 20. Mai und dem 10. September 2021 erhoben.

Hoffnungsloser Blick in die Zukunft

62,8 % der Befragten äußern, dass sie die Zukunft der Türkei nicht positiv sehen. Die Rate der Befragten, die angaben, dass sie die Zukunft der Türkei sogar völlig hoffnungslos sehen, liegt bei 35,2 %. Dies liegt vor allem daran, dass die türkische Jugend einen besonders pessimistischen Blick auf die wirtschaftliche Situation und ihr eigenes Leben hat. Die Gründe dafür sind hauptsächlich hohe Lebenshaltungskosten für Studenten, die hohe Inflation und die Angst vor einem möglichen wirtschaftlichen Zusammenbruch. Es ist wichtig noch einmal zu erwähnen, dass die Befragung im Sommer 2021 stattgefunden hat – bevor die Inflation im Herbst 2021 in die Höhe schoss und die Lira massiv an Wert verloren hat.

Geringes Vertrauen in das System

Was macht diese Frustration und dieser pessimistische Blick auf die eigene Zukunft mit jungen Leuten in der Türkei? Eine deutliche Mehrheit der Befragten (72,9 %) gibt an, dass sie gerne in einem anderen Land leben würden, wenn sie die Möglichkeit dazu hätten. Das Vertrauen in die grundlegenden institutionellen Strukturen des Landes wie dem Amt des Präsidenten (19,4 %) und das Justizsystem (11,9 %) ist sehr gering. Generell genießen Politiker nur (3,7 %), und politische Parteien (4,4 %) jeglicher Orientierung verschwindend geringes Vertrauen bei den Befragten. Das gleiche gilt für Journalisten – nur 6,9 % der Befragten geben an, dieser Berufsgruppe zu vertrauen.

Die Jugend steht der politischen Landschaft skeptisch gegenüber, gibt allerdings an, die politischen Ereignisse im In- und Ausland aufmerksam zu verfolgen. Die Institutionen, die das meiste Vertrauen unter den befragten Jugendlichen genießen sind die Wissenschaftler (70,3 %) und das Militär (61,8 %), welches traditionell in der Türkei eine wichtige Rolle spielt.

Die Jugend beklagt große Ungleichheit (82,9%) und sieht die Hauptprobleme des Landes hauptsächlich in der Wirtschaft und fehlenden Perspektiven für die junge Generation. Trotz all dieser Frustration und der politischen Sensibilität gibt nur ein kleiner Teil (14,2 %) an, Mitglied in einem Verein oder NGO zu sein und sich gesellschaftlich zu engagieren.

Nationalismus als Bindeglied der jungen Gesellschaft

Das Vertrauen in das Militär spiegelt sich auch in der Bedeutung, welche den nationalen Symbolen der Republik zugemessen wird: die Daten zeigen eine nationalistische junge Gesellschaft, welche die nationalen Symbole wie die Türkische Flagge (89,7 %), die Republik Türkei als Institution (87,4 %) und das Türkischsein (71,6%) für äußerst wichtig hält.  Auch der Gründer der Republik, Mustafa Kemal Atatürk ist weiterhin sehr wichtig für den Großteil (83,3 %) der jungen Bevölkerung.

An dieser Stelle ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass Nationalismus in der Türkei nicht negativ konnotiert ist und in gewisser Weise eine Aufrechterhaltung und Orientierung an den Idealen der Republik Türkei bezeichnet.

Die „Heimatliebe“ wurde auch deutlich in den Gesprächen in denen einige junge Menschen erzählten, dass sie aus Verzweiflung ins Ausland gehen wollten, sich aber für einen Verbleib in der Türkei entschieden haben, weil sie Nationalisten sind und ihr Land lieben.

Dennoch distanziert sich die türkische Jugend davon sich selbst in einen ideologischen Rahmen zu stellen, wie es die Jugend der 1970er - 1980er und 1990er Jahre tat. Obwohl die am häufigsten zum Ausdruck gebrachte ideologische Identität "Pro-Atatürk - Kemalist" (20,5 %) ist, definiert sich fast ein Fünftel (18,8 %) nicht mit einer ideologischen Identität und erklärt, keine Ideologie zu haben und unpolitisch zu sein.

Die Teilnehmer gaben im Untersuchungszeitraum Mai - September 2021 an, dass wenn morgen gewählt werden würde, sie mit 23,9% CHP und 10,0 % AK Partei wählen. Wesentlich relevanter ist jedoch die Quote der Unentschlossenen, welche bei insgesamt 44,8% liegt. Der Hauptgrund für diese Unentschlossenheit scheint, dass die derzeitigen politischen Parteien und ihre Vorsitzenden die Erwartungen und Bedürfnisse der Jugend nicht erfüllen. Dies wird auch deutlich bei der Frage, welche politische Führungspersönlichkeit sie am meisten bewundern und schätzen.

Von den Politikern, die derzeit in der Türkei Parteivorsitzende sind, wurde "keiner von ihnen" (20,1 %) an erster Stelle genannt. An zweiter Stelle wurde der Name von Präsident Recep Tayyip Erdoğan mit 16,8 % genannt. Als den Befragten die Möglichkeit gegeben wurde jemanden zu benennen dessen Name nicht auf der Frageliste stand, nannten 16,3 % der Teilnehmer den Oberbürgermeister von Ankara Mansur Yavaş als die politische Person, die sie am meisten bewundern und respektieren.

Besonders deutlich und daher hervorzuheben ist außerdem die wachsende einwanderungsfeindliche Haltung in der Türkei, vor allem gegenüber syrischen und afghanischen Einwanderern, die in den letzten Monaten ein beliebtes Thema der Tagespolitik war und auch bei der Jugend präsent ist. Die überwiegende Mehrheit der Jugendlichen hält die derzeitige Flüchtlingspolitik für falsch und wünscht sich eine Reform (80,4%). Mehr als die Hälfte der Teilnehmer (56,8 %) möchte, dass die syrischen Flüchtlinge zurückgeschickt werden, wenn in Syrien Frieden herrscht. Sie sagen, dass den Syrern in Bezug auf die Grundversorgung geholfen werden sollte (26,6 %), betonen aber besonders, dass auch die türkischen Bürger Hilfe brauchen (41,7 %) und „statt den Syrern eher den eigenen Bürgern geholfen werden“ solle. Dazu kommt, dass die Jugend sehr skeptisch gegenüber der Integration der syrischen Geflüchteten steht. Sie glauben, dass diese sich nicht an die Türkei anpassen können aufgrund großer Unterschiede in Kultur und Lebensweise (75,8%).

Gesellschaftsliberal und weltoffen

Insgesamt zeigen die Ergebnisse der Studie jedoch trotz nationalistischer Einstellungen eine gesellschaftsliberale und aufgeschlossene Jugend. Die überwältigende Mehrheit der Befragten (80 %) sieht Frauen und Männer als gleichberechtigt an und hält romantische Beziehungen zwischen Männern und Frauen vor der Ehe für normal (92,3 %). Menschen- und Tierrechte sind für die Jugend sehr wichtig und sie zeigen sich äußerst sensibel für Umweltfragen. Familie (96,6 %) und Freunde (82,9 %) bleiben für die Befragten sehr wichtig.

Die Zugehörigkeit zum Islam (70,5 %) bleibt für die überwiegende Mehrheit der Befragten nach wie vor eine äußerst wichtige Selbstkategorisierung. Der Anteil derjenigen, die sich selbst als fromm bezeichnen, beträgt allerdings nur 29,8 %, während der Anteil derjenigen, die sagen, dass sie an Gott glauben, sich aber explizit nicht als fromm definieren, bei 56,9 % liegt.

Wo steuert die Türkei hin?

Die türkischen Jugendlichen machten in der Untersuchung deutlich, dass sie mit dem derzeitigen Bildungssystem absolut unzufrieden seien und dass die häufigen Änderungen der Bildungs- und Prüfungssysteme bei ihnen nur Verzweiflung und Pessimismus hervorriefen. Sie zeigten Unmut über die Tatsache, dass die Wirtschaftskrise, die Arbeitslosigkeit und die schlechte Bildung in der Türkei die größten Probleme darstellen und Vorzugsbehandlung, Korruption, sowie Vetternwirtschaft und fehlende Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt, dazu führten, dass sie hoffnungslos in die Zukunft blicken. Die Unzufriedenheit und Verdrossenheit gegenüber den etablierten Politikern und Parteien ist keineswegs nur gegen die Regierung gerichtet: Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass ein Großteil der Jugend der Meinung ist, dass alle Politiker, einschließlich der Regierung und der Opposition, für die aktuelle Lage verantwortlich gemacht werden müsse. Eine beträchtliche Anzahl gibt an, dass es den Oppositionsparteien nicht gelungen sei, eine Alternative zur Regierung zu schaffen, wodurch die AK Partei an der Regierung bleiben konnte, und dass daher die Opposition eine Mitschuld an den Problemen des Landes trage.

Es bleibt festzuhalten, dass die Befragten insgesamt ein großes Interesse an dieser vor Ort durchgeführten Forschung zeigten, und sich und ihre Bedürfnisse und Meinungen durch diese Studie ernst genommen fühlten. Zu oft würden sie von der Gesellschaft nicht beachtet und respektiert. Einige gaben an, dass sie sich fühlten, als würden sie „in der Luft hängen bleiben“.

Die Jugend fordert Veränderungen in einem Umfeld, das ihrer Meinung nach hoffnungslos erscheint. Auch wenn diese Verallgemeinerungen je nach soziologischer und ethnischer Struktur der Provinzen unterschiedlich ausfallen, sind diese Trends insgesamt im ganzen Land zu erkennen.

Die Jugendstudie 2021 der Konrad-Adenauer-Stiftung Türkei zeigt, dass die türkische Jugend keineswegs ignorant gegenüber dem ist, was in ihrem Land oder der Welt geschieht. Sie sucht nicht nur Vergnügen und Unterhaltung und ist keineswegs sorglos, sondern hat, im Gegenteil, zu fast allem eine Meinung, von der Bildung bis zur Politik, von der Arbeitslosigkeit bis zur Einwanderung. Sie haben das Gefühl, dass ihnen nicht genug Aufmerksamkeit und Fürsorge zuteilwird, dass sie nicht genug Möglichkeiten haben, sich zu verbessern und mehr zum Land beizutragen und dass sie in gewisser Weise einfach sich selbst überlassen werden. Was aber auch deutlich wird, dass es eine gut ausgebildete, weltoffene und politisch sensibilisierte Generation ist, die sich ihrem Land verpflichtet fühlt und sich eine gute Zukunft für die Türkei und sich wünscht.

Für weitere Ergebnisse, detailliertere Informationen zu den Daten, die Anforderung eines gedruckten Exemplars des Buches oder einer digitalen Version der Executive Summary sowie Medienanfragen zum Projekt, wenden Sie sich bitte direkt an das Auslandsbüro Türkei der Konrad-Adenauer-Stiftung.

Eine englische Übersetzung der Gesamtstudie finden Sie hier.

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Ankara, Türkei

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