Free and Open – oder wo kommen wir her?
In den 1990er und 2000er Jahren wurden die Chancen und Potenziale des Internetzeitalters betont. Dank einem freien und offenen Internet erhoffte man sich weltweit mehr Demokratie, mehr Menschenrechte und mehr wirtschaftliches Wachstum. Frei und offen stand dabei für die Idee, dass Menschen ohne Hindernisse weltweit Informationen austauschen können und einen möglichst uneingeschränkten Zugang zum Internet erhalten. Weiterhin impliziert ein freies und offenes Internet eine spezifische Governancestruktur, bei der alle relevanten Stakeholder eingebunden werden (multistakeholder-Ansatz). Sollte das Internet als ein globales Gemeingut nicht ausschließlich von Staaten gestaltet und reguliert werden.[2] Dieser libertären Ordnungsidee folgend waren Standardisierungen und Protokolle für die Funktionalität des Internets wichtig. Die Setzung rechtsverbindlicher Normen war aber nur von nachgeordneter Bedeutung.
Freiheitlich ja – libertär naja
Im Jahr 2019 hat das Internet massiv an Bedeutung gewonnen und die Verwerfungen der digitalen Welt wirken heute viel stärker auf die „reale Welt“ ein.[3] Damit ist auch der Bedarf an rechtsverbindlichen Normen für den digitalen Raum gestiegen. Damit Regelsetzungen erfolgreich sind, bedarf es zweierlei: Erstens braucht es eine Fortschreibung der Ordnungsidee des digitalen Raums. Diese muss nicht nur freiheitliche Antworten auf heutige Herausforderungen liefern. Sie muss die Freiheit und Offenheit des Internets mit den analogen Werten und Prinzipien freiheitlicher Gesellschaften versöhnen. Zweitens bedarf es intensiver Kooperation sowohl mit nichtstaatlichen Stakeholdern wie auch staatlichen Wertepartnern. Nur in einer breiten Allianz wird es gelingen, eine robuste und legitime Ordnung des Internets zu etablieren, die zugleich eine Zersplitterung des Internets verhindert. Bergen regulatorische Alleingänge doch das Risiko, dass im digitalen Raum neue Grenzen entstehen und das Internet in immer mehr regulatorische Teilräume zerfällt.
Freiheit und Ordnung verteidigen
Darüber hinaus muss eine freiheitliche Ordnung gegen illiberale Bestrebungen verteidigt werden. Bereits seit Jahren errichten autoritäre Regime mit dem Verweis auf eine vermeintlich notwendige Informationssicherheit neue Grenzen im digitalen Raum. Innerhalb dieser illiberalen virtuellen
Räume wird nicht nur der Zugang zum Internet stark eingeschränkt, etwa indem westliche Plattformen blockiert oder Zugänge zum Internet temporär abgeschaltet werden. Es werden auch einzelne Inhalte ohne rechtsstaatliche Verfahren zensiert und die Meinungsfreiheit eingeschränkt.
Kurzum: Mit Hilfe des Internets etablieren autoritäre Regime Systeme der Massenüberwachung, um autoritäre Herrschaftssysteme zu stabilisieren. Parallel ist das Internet auch nach außen ein Operationsraum. Dabei werden verschiedene Instrumente und Strategien eingesetzt, um den politischen Handlungsspielraum offener Gesellschaften einzuschränken. Es gibt also nicht nur einen Systemwettbewerb um die Ordnung im digitalen Raum. Der digitale Raum ist auch Austragungsort des Systemwettbewerbs.
Was das für Deutschland und Europa bedeutet
Für Deutschland und Europa ergeben sich damit vier Schlussfolgerungen: Erstens sollten Deutschland und Europa die Weiterentwicklung einer freiheitlichen Ordnungsidee für den digitalen Raum vorantreiben. Kooperation basierend auf geteilten Werten ist hierfür entscheidend. Nur mit einer breiten Allianz wird am Ende eine belastbare Ordnungsidee entstehen. Zweitens sollten Deutschland und Europa den digitalen Raum weiterhin aktiv gestalten, hierbei aber die Kooperation mit Wertepartnern stärken. Innovative Normsetzungen (z.Bsp. die DSGVO) bzw. Normsetzungsprozesse anzustoßen, ist auch in Zukunft wichtig. Diese Setzungen und Prozesse sollten aber stärker mit Partnern koordiniert werden bzw. stärker mit bestehenden Regelsetzungen von Wertepartnern harmonisiert werden. Drittens sollten Deutschland und Europa den multistakeholder approach und das damit verbundene Internet Governance Forum stärken. Ziel muss es sein, dass das IGF effektiver sowie repräsentativer wird und als digitalpolitisches Forum an Relevanz gewinnt. Last but not least sollten Deutschland und Europa Themen der digitalen Ordnungspolitik in etablierte multilaterale Foren tragen. Gilt es dort ebenso, eine Agenda für ein freiheitliches Internet voranzutreiben.
[1] Für eine Übersicht über Aufbau, Akteure und Institutionen des Internets siehe Benner, T. / Hohmann, M. 2018: Getting „Free and Open“ Right: How European Internet Foreign Policy Can Compete in a Fragmented World“, Berlin, S.24 und Hoxtell, W./ Nonhoff, D. 2019: Internet Governance: Past, Present, Future, (Studie der Konrad-Adenauer-Siftung), Berlin, i.E, S. 8-9.
[2] Hier ist anzumerken, dass das Internet vielen als ein technologisch-komplexer und grenzüberschreitender Raum galt, der durch einzelne Staaten oder Staatengemeinschaften sowieso kaum reguliert werden konnte.
[3] Seien es dabei Cyberangriffe und Desinformationskampagnen, der Schutz der Privatsphäre im digitalen Zeitalter bis hin zur Gestaltung der Datenökonomie.
Thèmes
Raum für ein wettbewerbsfähiges und resilientes digitales Europa schaffen
Bits und Bytes für die globale Gesundheit: Chancen und Herausforderungen von Digital Health und KI
Werkzeuge für eine smarte Stadtentwicklung: Urbane Digitale Zwillinge
Von Schutzsuchenden zu Fachkräften
CO2-Kompensation – Klimaschutzinstrument, Etikettenschwindel oder moderner Ablasshandel?
Bitte melden Sie sich an, um kommentieren zu können