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Konrad-Adenauer-Stiftung e. V.

Länderberichte mal anders

Inklusion von Menschen mit Behinderungen im koreanischen Bildungssystem

de Eva Antonia Steding, Thomas Yoshimura

Inklusion weltweit – aktueller Stand aus Korea

Aktuell sind in Südkorea mehr als 2.6 Millionen Menschen mit Behinderungen registriert, was insgesamt 5 Prozent der Bevölkerung ausmacht. Darunter wurden im Jahr 2021 über 98.000 Schülerinnen und Schüler für Sonderförderung registriert. Die koreanische Regierung fördert zwar den Zugang zu verschiedensten Bildungseinrichtungen, trotzdem sind junge koreanische Menschen mit Behinderungen beim Zugang zu gerechter, diskriminierungsfreier und fairer Schulbildung oft mit erheblichen Herausforderungen konfrontiert. Exklusion, Separation, Integration und Inklusion bilden nach UN-Behindertenrechtskonvention die vier Kernkategorien, die es im Zusammenhang mit einem einbeziehenden Bildungssystem zu berücksichtigen gilt. Der Ansatz in Korea fokussiert sich im Bereich der Bildung zwischen Separation, dem Unterricht in Sonderschulen und Klassen, und Integration, dem gemeinsamen Unterricht in regulären Klassen. Eine klare Definition von inklusiver Bildung existiert in Korea im rechtlichen Kontext derzeit nicht, vielmehr wird der Begriff Inklusion mit dem der Integration gleichgesetzt.

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Gesetzeslage und politische Ausgestaltung

Das Thema Behinderung stellt in der koreanischen Politik grundsätzlich eher ein Schlusslicht dar, oft wird erst durch Protestaktionen der Zivilgesellschaft auf das Thema aufmerksam gemacht. Die derzeitige Gesetzeslage resultiert teilweise auch aus dem Erfolg solcher Gruppierungen. Grundsätzlich wird vom Bildungsministerium alle fünf Jahre ein Entwicklungsplan für Sonderpädagogik erlassen oder der bereits bestehende resümiert.

Darüber hinaus fördert die koreanische Regierung die Teilhabe von Schülerinnen und Schülern mit dem Act on Special Education for Persons with Disabilities (ASEPD). Der ASEPD ersetzte das Sonderschulförderungsgesetz von 1977 und legte erstmals die Verwirklichung einer integrierten Bildung durch die Einrichtung von Sonderklassen in öffentlichen Schulen für Kinder mit Behinderungen fest. Mit diesem Gesetz wurde 2008 das Ziel gesetzt, Menschen mit sonderpädagogischem Förderbedarf oder Behinderungen ein Umfeld zu bieten, das ihre besonderen Bedürfnisse einschließt und fördert. Es enthält eine operative Liste von Personen, die für sonderpädagogische Förderung in Betracht kommen. Den Anspruchsberechtigten garantiert es ein kostenloses Bildungsrecht, auch für die frühe Kindheit und Universitäten, sowie eine kostenlose öffentliche Sonderbildung für Schülerinnen und Schüler ab einem Alter von drei Jahren bis zur Vollendung der High-School Bildung. Zudem soll ein umfassender Plan für individualisierte Bildung, einschließlich Lehrplangestaltung, unterstützenden Lerngeräten und maßgeschneiderter Ausbildung für Lehrkräfte erstellt werden.

Mit dem Gesetz wurden gemäß Artikel 11 Special Education Support Centers (SESC) eingerichtet, die für die frühzeitige Ermittlung, Diagnose und Bewertung von sonderbildungsberechtigten Kindern zuständig sind. Ein solches SESC wird beispielsweise in einer Bildungsverwaltungsbehörde, einer Sonderschule, in einer speziellen Klasse an einer regulären Schule oder an einem anderen Ort eingerichtet, zu dem die Bewohnerinnen und Bewohner der Region Zugang haben. Von dem SESC lassen sich diverse Hilfsmittel kostenlos mieten.

Darüber hinaus gibt es ein Diskriminierungsgesetz, welches Diskriminierung in jeder Form und in jedem Lebensaspekt untersagt. Diskriminierung bezüglich der Aufnahme von Schülerinnen und Schülern mit Behinderungen an Schulen sowie beim Ablegen von Prüfungen wurden mit diesem Gesetz, zusätzlich auch mit dem ASEPD, verboten. Sobald Kinder mit Behinderungen offiziell registriert sind, können sie Vorteile (mehr Zeit, Hilfsmittel etc.) beim Ablegen von Prüfungen geltend machen. In einem Gespräch mit der Abteilung für Behindertenrechte der nationalen Menschenrechtskommission wurde betont, dass sich die Lage nach Einführung dieses Gesetzes seit April 2007 zumindest verbessert habe.
Hürden beim Zugang zu Bildungseinrichtungen

In Korea gibt es (Stand 2021) insgesamt 187 Sonderschulen, an denen 28% der über 98.000 für Sonderförderung qualifizierten Schülerinnen und Schüler betreut werden. Der Rest wird an öffentlichen Regelschulen unterrichtet, entweder gemeinsam mit Lernenden ohne Behinderungen in allgemeinen Klassenräumen oder in Sonderklassen, die mehr auf die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schülern mit Behinderungen angepasst sind. Die Mehrheit der in Regelschulen untergebrachten Betroffenen wird in solchen Sonderklassen betreut, insgesamt etwa 55 % der rund 71.000 Schülerinnen und Schüler. Grundschulen betreuen mit rund 46 % die größte Anzahl der für Sonderförderung qualifizierten Betroffenen. Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen und ihre Eltern stehen jedoch oft vor unverhältnismäßig schwierigen Herausforderungen, die aus diesen Statistiken nicht hervorgehen.

Die Menschenrechtskommission gab an, dass vor allem Kinder mit geistigen Behinderungen oder Autismus mit sehr vielen Hindernissen zu kämpfen hätten. Die betroffenen Schülerinnen und Schüler würden in allgemeinen Klassenräumen regelmäßig als „unterrichtsstörend“ wahrgenommen werden, sowohl von Mitschülerinnen und Mitschülern ohne Behinderung als auch von den Lehrkräften. Daraus resultiere ein zunehmend wachsender Wunsch auf eine Versetzung in eine Sonderklasse oder Sonder-schule, vornehmlich von den Eltern der betroffenen Kinder. Langfristig würde dadurch eher die ohnehin schon vorherrschende Separation gestärkt.

Schülerinnen und Schülern mit körperlichen Behinderungen stünden in der Regel genügend Hilfsmittel zur Verfügung. Etwa 80% aller Schulen ließen einen barrierefreien Zugang verzeichnen. Die größte Hürde für körperlich Behinderte stellt oft der Weg zur Schule dar. In Seoul sind nur etwa 58% der Busse rollstuhlfreundlich, landesweit sind es nur 28%. Behindertentaxidienste sind verfügbar, aber Wartezeiten von 1-2 Stunden sind während der Stoßzeiten leider üblich. Die Stadtverwaltung hat in ihrem Fünfjahresplan bis 2023 allerdings formuliert, der öffentliche Transport solle bis 2023 barrierefrei sein. Dafür würden 890 Billionen Won (784 Millionen Dollar) investiert.

Anzumerken ist, dass die Integration behinderter Schülerinnen und Schüler an Grundschulen wohl grundsätzlich besser funktioniert als an Mittel- und Oberschulen. Dafür sei der ohnehin sehr starke Leistungs- und Wettbewerbsdruck im koreanischen Schulsystem mit Blick auf Abitur- und Aufnahme-prüfungen für Universitäten verantwortlich. Es sei daher nicht selten, dass Schülerinnen und Schüler, vorwiegend Betroffene mit Autismus, nach dem Besuch einer öffentlichen Grundschule auf eine Sonderschule wechseln.

 

Neubau von Sonderschulen in Korea

Der Bau neuer Sonderschulen lässt sich nicht so leicht umsetzen wie wünschenswert wäre. Ein Vorfall im Gangseo-Distrikt von Seoul im Jahr 2017 löste eine hitzige Debatte aus und veranschaulicht den allgemeinen Widerstand einiger Anwohner gegen die Errichtung solcher Sonderschulen. Vornehmlich benachbarte Hausbesitzer wehrten sich vehement gegen die Neuerrichtung einer Schule. Sie wollen keine neuen "unangenehmen Einrichtungen" in ihrer Wohngegend, in denen die Immobilienpreise bereits vergleichsweise günstig sind. Mit dem Bau einer Sonderschule würde der Immobilienwert noch weiter sinken. Verzweifelte Eltern behinderter Kinder knieten auf dem Boden und baten um Verständnis. Der Vorfall löste eine Reihe von Protesten aus, die schlussendlich zur Einrichtung der Sonderschule führten.

Trotzdem fehlen in acht von insgesamt 25 Bezirken Seouls eingerichtete Sonderschulen, insgesamt gibt es 32 in der Hauptstadt. Das Bildungsministerium bemüht sich zwar stets um den Neubau von zusätzlichen Sonderschulen, vielversprechender wäre es allerdings, wenn Betroffene an regulären Schulen mit weniger Hindernissen zu kämpfen hätten. Im Jahr 2018 wurde von dem koreanischen Bildungsministerium eine Fallstudie an 12 Schulen über die Einbindung von Schülerinnen und Schülern mit Behinderungen in Regelklassen durchgeführt. In den Fächern Mathe und Koreanisch wurden die Betroffenen, statt wie gewohnt in Sonderklassen, zusammen mit ihren nicht behinderten Mitschülern und Mitschülerinnen im Klassenraum unterrichtet. Der Unterricht wurde aufgezeichnet und später vom Bildungsministerium ausgewertet; der Grad der Zufriedenheit, sowohl von behinderten und nicht behinderten Schülerinnen und Schülern war sehr hoch. Ein solches Ergebnis würde in zukünftigen Gesetzesentscheidungen des Ministeriums wohl berücksichtigt werden. Die Menschenrechts-kommission zeigt sich jedenfalls zuversichtlich – die Durchführung einer solchen Studie sei wenigstens ein entscheidender Schritt in die richtige Richtung.

Es sollte aber beachtet werden, dass beide Systeme notwendig sind, um eine Wahlmöglichkeit für Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen und ihre Eltern zu gewährleisten, unabhängig davon, ob es sich um Sonderschulen, Sonderklassen oder allgemeine Klassen an öffentlichen Schulen handelt.

 

Bewusstsein der Lehrkräfte und allgemeinen Bevölkerung

Der Mangel an Bewusstsein über die Einbeziehung von Menschen mit Behinderungen von Lehrkräften stellt eine große Hürde für die Umsetzung eines integrierenden und inklusiven Lernumfeldes dar. An Sonderschulen unterrichten fast ausschließlich Lehrkräfte, die für den Umgang mit behinderten Schülerinnen und Schülern ausgebildet sind. Die Zahl der für die sonderpädagogische Förderung zuständigen Lehrkräfte ist auf einen pro vier Schüler festgelegt. Hindernisse an Regelschulen entstehen dann, wenn ihre Lehrkräfte nicht ausreichend auf den Umgang mit Behinderung geschult sind und die Lehrpläne und –Methoden nicht ausreichend auf Behinderungen angepasst werden.

An Regelschulen seien Lehrkräfte grundsätzlich für die gesamte Klasse, einschließlich von Schülerinnen und Schülern mit Behinderung verantwortlich. Auf spezielle Situationen im Umgang mit behinderten Kindern seien Lehrkräfte aber oft nicht vorbereitet oder fühlen sich überfordert. Daraufhin würden meistens Sonderpädagogen eingeschaltet. In der bereits erwähnten stark wettbewerbsorientierten Bildungsatmosphäre Südkoreas würden Lehrkräfte auch oft dazu neigen, leistungsstarken Schülerinnen und Schülern den Vorrang zu geben, was die effektive Umsetzung der Inklusion unterbricht.

 

Fazit und Ausblick

Die Menschenrechtskommission weist darauf hin, dass die Rechtslage bezüglich eines behinderten-gerechten Bildungszuganges in der Theorie stabil sei, die praktische Umsetzung aber wegen eines Mangels an Budget und Personal oft außen vor bliebe.

Die größte Hürde einer inklusiven Lern- und Lehratmosphäre in Korea liege zudem weiterhin in der sehr leistungsorientierten Bildungsatmosphäre des Landes. Eltern von Kindern mit Behinderungen basieren ihre Entscheidungen hinsichtlich der Schulwahl im Einklang mit dem hohen Leistungs-druck des Systems. Der Lernerfolg des Kindes stehe prinzipiell im Vordergrund. In der Abschaffung dieses Systems läge daher großes Potential für mehr Inklusion an Schulen, wird aber wahrscheinlich nicht realisiert werden können. Auf der anderen Seite wird betont, dass Eltern auch zunehmend Sorge um das Lernerlebnis und die Lerneffektivität ihrer Kinder haben. Wenn sie das Gefühl haben, dass ihre Kinder an Regelschulen nicht ohne Diskriminierung oder Benachteiligung aufgenommen werden, wie in Sonderschulen- oder Klassen, würde letzteres immer bevorzugt werden.

Damit der Weg von weniger Separation zu mehr Integration in Korea gelingen kann, muss das allgemeine Bewusstsein über Behinderungen gestärkt und das hohe Wettbewerbsdenken zumindest für Schülerinnen und Schülern mit Behinderungen ausgesetzt werden.

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Interlocuteur

Thomas Yoshimura

Thomas Yoshimura

Leiter des Auslandsbüros Korea Interimsleiter des Auslandsbüros Japan bis Juli 2024

thomas.yoshimura@kas.de +82 2 790 4774 +82 2 793 3979
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Eva Antonia Steding

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Barbara Bergmann

Barbara Bergmann bild

Referentin für Inklusionsfragen in der Europäischen und Internationalen Zusammenarbeit

Barbara.Bergmann@kas.de +49 30 26996-3528 +49 30 26996-53528

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