Interview mit Nezaket Ekici
Villa Massimo/ Rom - Berlin, November 2016
Können Sie den Begriff der Position in der bildenden Kunst kurz erklären?
Für mich bedeutet Position die Perspektive, den Standort, den ein Künstler im Bereich der bildenden Kunst einnimmt. Man steht zu dem was man macht: das ist die Position. Wenn ich etwas mache, muss ich dazu stehen
Wie würden Sie Ihre eigene Position beschreiben?
Über die Jahre sind verschiedene Begriffe, die meine Arbeit beschreiben, für mich bedeutend geworden. Kann ich in Stichworten antworten?
Bitte!
Nomad of Art - deutsche, türkische und internationale Kultur - vielfältig - ästhetisch - radikal - emotional - Atmosphäre - intensiv - Körper als Skulptur. Diese Begriffe fassen es für mich am besten. Das ist meine Position.
Wie sind Sie dazu gekommen, die Art von Körperkunst zu machen, die Sie heute machen?
Das war ein langer Weg. Ich hatte schon als Kind Interesse an Malerei und am Zeichnen und später, in der Pubertät, am Ausdruck durch den Körper. Das waren die Anfänge. Ich habe eine Ausbildung zur Druckformherstellerin gemacht. Nach der Ausbildung, wollte ich freie Kunst studieren. Das hat zunächst nicht geklappt, ich habe die Aufnahmeprüfung nicht bestanden. Über verschiedene Umwege - ein Studium der Kunstpädagogik auf Magister an der LMU München gleichzeitig ein Doppelstudium Kunsterziehung/Bildhauerei an der Akademie der Bildenden Künste München, wo auch der Körper als Mittel für mich immer wichtiger wurde - habe ich mich in der freien Klasse von Marina Abramović an der Hochschule der Bildenden Künste in Braunschweig beworben. Ich wurde sofort angenommen und wurde später dann Meisterschülerin mit Schwerpunkt Performancekunst bei Abramović. Wenn man sich meine Arbeiten genau anschaut, entdeckt man Aspekte von Malerei, Bildhauerei und Installationskunst, die von meinen vorherigen Studien ausgehen. Ich arbeite nicht rein mit dem Körper, meine Arbeit ist immer auch raumbezogen.
Sie arbeiten mit dem Medium des eigenen Körpers, mit Körperbildern. Wie entstehen diese?
Die Inspirationen hinter meinen Arbeiten können ganz unterschiedlich sein; sie können von meiner kulturellen Identität zwischen der Türkei und Deutschland ausgehen, von Erlebnissen auf Reisen, von Kunstgeschichte, Architektur, von Alltagsszenen. Manchmal entstehen sie spontan, teilweise auch in Träumen. Es gibt auch Performances, die themenbedingt entstehen: wenn mich ein Festival einlädt zu einem konkreten Thema zu arbeiten. Der häufigste Ausgangspunkt ist allerdings meine eigene Biographie, meine eigene Erfahrung, die in meinem Körper gespeichert ist. Ausgehend von der Inspiration beginne ich mit einer Skizze. Ich muss die Idee, die Umsetzung im Raum in einer Zeichnung festhalten. Ebenso den Kostümentwurf, der ein weiteres wichtiges Element meiner Arbeiten ist. Die Kostüme entwerfe ich selbst, genäht werden sie von einer Schneiderin. Sobald meine Skizzen fertig sind, brauche ich viele weitere Menschen, die mir helfen, meine Arbeiten umzusetzen: Lichttechniker, Videokünstler, Kameraleute, Soundtechniker... Ich könnte natürlich vieles davon selbst machen, aber ich bin keine Expertin in diesen Feldern. Es ist mir wichtig, mit Menschen zu arbeiten, die sich in ihrem Wirkungsbereich gut auskennen. Das beeinflusst die Qualität meiner Arbeiten ungemein.
Wann bzw. wie stellen Sie fest, dass ein Entwurf fertig ist?
Oft weiß ich das vor Beginn der Performance nicht, es gibt bei vielen Arbeiten nicht die Möglichkeit, sie vorher auszuprobieren. Das ist auch gut so. Die Performances entstehen ohne Probe direkt vor Ort vor dem Publikum. Ich reiche ein Konzept für eine Performance bei einem Festival, einem Museum, einer Galerie einer Biennale ein. Vieles wird dann dort vor Ort vorbereitet und entwickelt, die Institution ist für die Produktion verantwortlich. Ich reise an, habe dann noch einen Tag Zeit, mit den Technikern alles zu montieren und dann muss ich die Performance machen. Oft bin ich selbst vom Ergebnis überrascht.
Welche Rolle spielt die Zeitkomponente in Ihrer Arbeit? Wann ist eine Performance vorbei?
Das hängt davon ab, wie die Performance angelegt ist. Es gibt kurze und lange Performances. Zum Beispiel Emotion in Motion ist eine Arbeit, in der ich einen Raum mit Lippenstiftabdrücken durch Küsse bedecke. Das ist nicht mit einem Kuss getan. Das Ziel war, den gesamten Raum abzuküssen: die Wände, den Fußboden, die Möbel und, wenn möglich, auch die Decke. Das dauert bis zu drei Tage, in Abhängigkeit von der Raumgröße. Der zeitliche Rahmen ist die immer durch die Rahmenbedingungen der Performance gegeben. Das Publikum hat die Gelegenheit über die Dauer die Entwicklung der Performance zu sehen. Somit ist es mehr eine Living Installation. Es gibt auch viele kurze Performances, die zwischen 30 Minuten und einer Stunde angelegt sind. Während dieser Zeit verausgabe ich mich komplett, ich bemühe mich, die gebündelte Energie im Raum vor dem Publikum auf den Punkt zu bringen. Ein weiteres Beispiel: bei einer meiner letzten Arbeiten, einer Performance Pondus für das Duisburger Lehmbruck Museum, hatte ich einen Tonblock, der 1,60m groß - genau so groß wie ich - und 1,5 Tonnen schwer war. Auf diesen Tonblock habe ich eingeboxt, so lange es ging. Ich habe 45 Minuten gebraucht, danach konnte ich nicht mehr, alles hat weh getan. Während dieser 45 Minuten habe ich alles gegeben – das haben die Leute auch gesehen. Ich merke immer körperlich und auch seelisch, wann Schluss ist. Es gibt Performer, die bis zur Selbstverletzung arbeiten, das tue ich nicht. Für mich ist es wichtig, eine gute, kraftvolle Energie im Raum zu erhalten und mit dieser Energie die Zuschauer zu verabschieden.
In einigen Ihrer Arbeiten nutzen Sie Sprache als Material, so zum Beispiel in Work in Progress – Personal Map und Lifting a Secret. Gerne würde ich genauer auf diese beiden Performances eingehen. Wie haben Sie Sprache dort genutzt, um welche Texte geht es genau und wie sind diese entstanden?
Bei Work in Progress – Personal Map geht es darum meine Weltkarte dem Publikum zu zeigen. Ich nehme eine weiße Plattform, roten Wollfaden und Nägel und stelle vor Augen des Publikums, eine Weltkarte her, auf der jede meiner Reisen vermerkt ist. Dann bitte ich das Publikum um Hilfe, ich frage es, wo Berlin liegt, wo Mumbai auf dieser großen Fläche – das ist gar nicht so einfach zu bestimmen. Dabei erzähle ich Anekdoten von den Reisen, erzähle den Inhalt aller meiner Performances, alles, was mir widerfahren ist. Das habe ich 2013 zuletzt in Brügge zu meiner Einzelausstellung als Installation gemacht. Vor einem Publikum habe ich die Arbeit zuletzt 2011 im ZKM Karlsruhe präsentiert, damals hat sie etwa neun Stunden gedauert. Heute wäre sie sicher länger. Deswegen work in progress, es kommt mit den Jahren immer Neues hinzu.
Diese Arbeit hat einen narrativen Rahmen.
Richtig, es geht um das Erzählen von Leben. Während der Performance laufe ich auf der Plattform – es geht, neben dem Erzählen, um einen Körper, der in Bewegung ist. Ich laufe, sitze, erzähle - stundenlang.
Sind die Texte, die Sie erzählen, vorbereitet?
Für diese Arbeit habe ich mir alle Performances und Ausstellungen der Vergangenheit, meine gesamte Ausstellungsbiographie, mit Edding auf den Körper geschrieben. Das ist mein Spickzettel, davon gehe ich aus. Den brauche ich auch, es sind viel zu viele Ausstellungen, als dass ich sie mir merken könnte. Ich lese also von meinen Armen, Beinen, von meinem Rumpf ab, was ich 2012 gemacht habe und was 2007 passiert ist. Den Rest erzähle ich frei.
In Lifting a Secret haben Sie Sprache als Material nicht auf ihren Körper, aber auf einer Wand eingesetzt. Worum geht es in dieser Arbeit?
Meine persönliche Biographie ist grundlegend für meine Werke, ich arbeite mit meinem seelischen und körperlichen Zustand und viele Bilder kommen aus mir selbst heraus, auch aus meiner Kindheit und Jugend – im Fall von Lifting a Secret ist das so. Es geht um die Brautschau in der Türkei, die ich zwar nicht erlebt habe, aber eine Vorstufe davon, eine Kaffeezeremonie, in deren Rahmen mir und meiner Familie ein Heiratskandidat vorgestellt wurde. Meine Rolle dabei war es, alle Anwesenden zu bedienen. Dabei hatte ich das Glück, selbst entscheiden zu dürfen, ob ich den Anwärter heiraten wollte oder nicht. Trotzdem aber musste ich diese Zeremonie absolvieren, Kaffee kochen, bedienen, mit der Familie am Tisch sitzen, zuhören. Danach musste ich mit dem Jungen in ein separates Zimmer gehen, um uns kurz kennenzulernen. Danach sagte das Gastoberhaupt mit ernster Stimme: „Mit dem Willen Gottes und dem Segen des Propheten Muhammed halten wir für unseren Sohn um die Hand ihrer Tochter an“. Mein Vater sagte: „Von meiner Seite aus bin ich herzlichst bereit. Aber wir sollten die Meinung unserer Tochter anhören“. Was nicht immer der Fall ist, es gibt heute noch Frauen, die so verheiratet werden. Diese intensive Erfahrung, die über 20 Jahre zurück lag, als die Arbeit entstand, war Ausgangspunkt für Lifting a Secret.
Wie haben Sie Sprache im Fall dieser Performance benutzt?
Zunächst habe ich die Erfahrung schriftlich festgehalten, als Geschichte auf Papier gebracht. In der Performance schreibe ich diese Geschichte an eine Wand, mit Vaseline. Der Text ändert sich jedes mal ein wenig, die Erfahrung ist sehr emotional und es kommen oft während des Schreibens neue Sätze hinzu. Insgesamt dauert dieser Schreibvorgang etwa vier bis fünf Stunden, manchmal noch länger, das hängt von der Raumgröße ab. Währenddessen koche ich Kaffee, etwa 50 Liter. Den schütte ich mit einer kleinen Tasse an die Wand. Wodurch die Schrift sichtbar wird. Auch das dauert mehrere Stunden. Das Geheimnis lüftet sich langsam.
Für National Anthems haben Sie die deutsche Nationalhymne mit dem Text der türkischen gesungen und umgekehrt. Wie stark ist für Sie Sprache mit Identität verbunden?
Ich stelle leider fest, dass ich in keiner Sprache zu Hause bin. Mittlerweile spreche ich vier Sprachen - Deutsch, Englisch, Türkisch und Italienisch - aber keine davon wirklich gut, keine davon grammatisch perfekt. Das hat mit meiner Biographie zu tun. In den deutschen Schulen gab es früher keine Programme, um die Sprachkompetenz der Gastarbeiterkinder zu fördern. Man ging davon aus, dass die Gastarbeiter irgendwann zurück in die Türkei gehen. In meiner Klasse in Duisburg gab es nur türkische Kinder und eine deutsche Lehrerin. Ich konnte so weder Deutsch, noch Türkisch gut lernen. Was mich nicht davon abhält, Sprache als Material immer wieder zu verwenden. Bei National Anthems habe ich die Texte der deutschen und türkischen Nationalhymne zu der jeweils anderen Melodie gesungen. Dabei merkt man, trotz aller Schwierigkeiten, die so ein Experiment aufwirft, dass es einen Identitätskern der Hymnen gibt, der immer erkennbar bleibt.
Die Titel Ihrer Arbeiten sind zu einem Großteil auf Englisch. Was ist ihre emotionale Bindung zum Englischen? Zum Türkischen? Zum Deutschen?
Ich denke bei den Titeln auf Deutsch, manchmal auch auf Türkisch, Englisch, Italienisch oder in einer Kunstsprache. Da ich viel international arbeite, suche ich dann nach der englischen Entsprechung – so entstehen Titel, oft allerdings nicht als genaue Übersetzungen; Lifting a Secret ist natürlich ein Germanismus im Englischen. Manche Titel werden auch aus dem Stegreif erfunden. Bei einer Arbeit aus dem Jahr 2004, wo ich in einem acht Meter langen Hochzeitskleid versuche, einen Reißverschluss selbst hochzuziehen, war das der Fall. Da habe ich ein deutsch-italienisches Wörterbuch mit geschlossenen Augen aufgeschlagen und mit dem Zeigefinder blind ein Wort ausgewählt. Der Finger zeigte auf das Wort Inafferrabile. Was ungreifbar bedeutet und perfekt passte. Das wurde dann der Titel: Inafferrabile – greifbar fern. Titel finde ich sehr wichtig zur historischen, zur kunstgeschichtlichen Einordnung, ich denke viel über sie nach.
Eine Gruppenausstellung an der Sie dieses Jahr teilgenommen haben, hieß Mother Tongue. Was ist Ihre Muttersprache?
Ich habe keine Muttersprache. In meiner Familie wurde mit unseren Eltern zwar Türkisch gesprochen, aber mit den Eltern sprachen wir Kinder nicht so viel. Wir Geschwister sprachen untereinander eher eine Mischform auf Türkisch und schlechtem Deutsch. Das hat negative Auswirkungen auf meine Sprachbeherrschung bis heute. Und weil es mit der Sprache hapert, ist für mich die Körpersprache sehr ausgeprägt und präsent.
Könnte man sagen, dass die Körpersprache Ihre Muttersprache ist?
Richtig! Falls ich eine Sprache beherrsche, ist es die Sprache des Körpers. Das ist meine Muttersprache.
Nezaket Ekici, geboren 1970 in Istanbul, Performancekünstlerin, lebt in Berlin, Stuttgart und Istanbul. Zur Zeit (bis Ende Juni 2017) Stipendiatin der Villa Massimo in Rom. EHF Fellowship der Konrad Adenauer Stiftung 2002.
Katharina Schmitt, geboren 1979 in Bremen, Theaterregisseurin und Autorin, lebt in Berlin und in Prag. EHF Fellowship der Konrad Adenauer Stiftung 2014.
Credits
Nezaket Ekici, Lifting a Secret, Performance Installation since 2007, presented live at: HANDLUNG und RELIKT, Galerie L. Fasciati, Chur Switzerland 2007, photo by Luciano und Marlen Fasciati
Nezaket Ekici, Living Ornament Solo, Photoedition 2012, photo by Nihad Nino Pušija
Nezaket Ekici, National Anthems, Video Performance Installation 2005, photo by Andreas Dammertz
Nezaket Ekici, Emotion in Motion, Photoedition 2004, photo by Rüdiger Lubricht
Nezaket Ekici, Emotion in Motion, Performance Installation since 2000, Version Düsseldorf (2006), Presented at: Solo Exhibition: Nezaket Ekici, Emotion in Motion, Künstlerverein Malkasten, Düsseldorf 2006 photo by Johannes Post
Nezaket Ekici, Work in Progress - Personal Map, Performance Installation since 2008, photo by Andreas Dammertz
Nezaket Ekici, Journey, Variable Motives, Photo Edition 2012, photo by Nihad Nino Pušija
Nezaket Ekici, Madonna, Performance Installation since 2008 and Photoedition, Presented Live at: Memories of Objects, DNA Gallery Berlin, 27.6. - 7.9.2008, photo by Nihad Nino Pušija
Nezaket Ekici, Human Cactus, Photo Edition and Videoperformance 2012, photo by Nihad Nino Pušija
Nezaket Ekici, Blind, Performance Installation since 2007, Presented Live at: Staatsgalerie Stuttgart, Lange Nacht der Museen 2007, photo by Andreas Dammertz
Nezaket Ekici, Pondus, Performance Installation 2016, Presented at: An der Oberfläche_On Surface Von Rodin bis De Bruyckere. Die Oberfläche als Bedeutungsträger in der Skulptur, Lembruck Museum 2016, photo by Susanne Sistig
Nezaket Ekici, But All That Glitters Is Not Gold, Performance Installation and Photoedition 2014, Tarabya Cultural Academy Istanbul, photo by Güvenç Özgür
Nezaket Ekici, Fountain/ Blue; Variable Motives, Photo Edition 2004, photo by André Jenchen
Nezaket Ekici, Inafferabile/ Greifbar Fern, Performance Installation since 2004, Presented at; Gasag Kunstpreis, 2yk Galerie, Kunstfabrik am Flutgraben e.V., Berlin 9.9.2004, photo by A.D.
Nezaket Ekici, Permanent Words, Performance Installation since 2009, Verbo 09 , 5 edicao da mostra de performance, Galerie Vermelho Centro Cultural Sao Paulo, Brasilien, 6.-11.7.2009, photo by Verbo