Der syrische Bürgerkrieg, der nun seit 13 Jahren andauert, hat eine der größten Flüchtlingskrisen der modernen Geschichte ausgelöst. Bis 2023 wurde mehr als die Hälfte der syrischen Bevölkerung vertrieben. Rund die Hälfte davon (7,2 Millionen) halten sich innerhalb des Landes auf – sogenannten “Internally Displaced Persons“ (IDPs). Drei-Viertel aller ins Ausland vertriebenen Syrer (6,4 Millionen) fanden Zuflucht in Syriens Nachbarstaaten.[1]
Syrien
Syrien ist sowohl politisch als auch territorial tief gespalten. Obwohl Bashar Al-Assad rund zwei Drittel des syrischen Territoriums zurückerobert hat, gelingt es ihm nicht, dort die volle Kontrolle auszuüben. Auch in keinem der anderen Gebiete, die von verschiedenen De-facto-Autoritäten kontrolliert werden, existiert ein funktionsfähiger Rechtsstaat. Die Intensität der Kampfhandlungen hat im Vergleich zur Hochphase des Bürgerkriegs deutlich abgenommen, zu Gefechten kommt es weiterhin an den Kontaktlinien der verschiedenen Herrschaftsgebiete und ein Wiedererstarken des sog. Islamischen Staates ist zu beobachten.
Die wirtschaftliche Lage ist desolat. 16,7 Millionen Syrer sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Für IDPs ist die Lage besonders kritisch. Dies trifft vor allem die Region Idlib, wo über die Hälfte aller IDPs (1,9 Millionen) unter prekären humanitären Bedingungen leben. Die verheerenden Erdbeben im Jahr 2023 haben die Lage weiter verschärft. Die Rückkehr der Geflüchteten an ihre Heimatorte wird durch die großflächige Zerstörung, demografische Veränderungen, politische Verfolgung und mangelnde Sicherheitsgarantien erschwert. Das syrische Regime hat bislang kaum Kompromissbereitschaft mit Blick auf die Wiederaufnahme von Flüchtlingen aus dem In- oder Ausland gezeigt.
Libanon
Der Libanon mit einer Bevölkerung von etwa 4,5 Millionen beherbergt rund 1,5 Millionen syrische Geflüchtete und hat damit die weltweit höchste Anzahl an Geflüchteten pro Kopf.[2] Diese Relationen würden jede Gesellschaft vor eine fast unlösbare Herausforderung stellen. Im Libanon jedoch fehlt der Regierung seit Ausbruch des Bürgerkriegs im Nachbarland eine klare Strategie, um mit dem Zustrom an Flüchtlingen umzugehen. Dies liegt auch daran, dass mit der Hisbollah eine libanesische Organisation aufseiten Assads in den Bürgerkrieg eingegriffen hat und damit auch für die Fluchtbewegungen mitverantwortlich ist.Die Situation hat verheerende Folgen für ein Land, das ohnehin von tiefgreifenden wirtschaftlichen, politischen und sozialen Krisen betroffen ist. Im Jahr 2024 leben rund die Hälfte der Menschen im Libanon unterhalb der Armutsgrenze und neun von zehn Syrer sind auf humanitäre Hilfe angewiesen.[3] Die sozioökonomische Krise verstärkte die bereits vorhandenen Konflikte zwischen Libanesen und Syrern, die ohnehin historisch schwierige Beziehungen haben: Syrien war eine Kriegspartei des libanesischen Bürgerkriegs (1975-1990) und hatte den Libanon im Anschluss bis 2005 besetzt. Die politische Rhetorik einiger Akteure, die Syrer als Sündenböcke für die aktuelle Krise darstellt, fällt daher oft auf fruchtbaren Boden. Seit der Wirtschaftskrise konkurrieren zunehmend verarmte Libanesen mit syrischen Flüchtlingen um Arbeitsplätze in Niedriglohnsektoren, die in der Vergangenheit nahezu vollständig von Syrern getragen wurden. Nicht selten führen diese Spannungen zu gewalttätigen Übergriffen auf Syrer. Trotz erschwerter Bedingungen und obwohl zur freiwilligen Rückkehr aufgefordert wird, treten nur wenige die Reise an. Die meisten geben Sicherheitsbedenken und den Mangel an Lebensgrundlagen in Syrien als die größten Hindernisse für eine Rückkehr an.
Jordanien
In Jordanien halten sich rund 650.000 offiziell beim UNHCR registrierte syrische Geflüchtete auf. Das Land beherbergt damit die weltweit zweithöchste Anzahl von Flüchtlingen pro Kopf.[4] Rund 80 Prozent davon leben in städtischen Gebieten.[5] Gleichzeitig befindet sich in Jordanien aber auch das weltweit größte Flüchtlingslager für Syrer, das Zaatari-Camp, welches sich im Laufe der Zeit zu einer regelrechten Siedlung entwickelt hat. Seit Ausbruch des Kriegs in Syrien arbeitet die jordanische Regierung in enger Abstimmung mit internationalen Organisationen zusammen, um Flüchtlingen Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung und humanitärer Hilfe zu bieten.
Trotz Jordaniens Bemühungen steht das Land vor großen wirtschaftlichen Herausforderungen. Die Arbeitslosigkeit ist hoch und nicht nur syrische Flüchtlinge, sondern auch die jordanische Bevölkerung kämpfen darum, stabile Beschäftigungsmöglichkeiten zu finden. Die jordanische Regierung betont, dass das Land an seine Belastungsgrenze gekommen sei und fordert mehr internationale Unterstützung, um den Druck auf die Aufnahmegesellschaft zu mindern. In einem Versuch, die politischen und diplomatischen Hindernisse für eine Rückführung von Flüchtlingen nach Syrien abzubauen, hat Jordanien 2023 die Normalisierung der Beziehungen zu Damaskus vorangetrieben. Da das Assad-Regime jedoch keinerlei Kompromissbereitschaft gezeigt hat, bleiben diese Bemühen bislang erfolglos.
Türkei
Seit Beginn des Syrien-Kriegs fanden rund 3,3 Millionen Syrer Zuflucht in der Türkei.[6] Dies macht die Türkei zu dem Land mit den meisten Flüchtlingen weltweit. Zu Anfangs hielt die Regierung Erdogans die Grenzen offen und gewährte Syrern einen temporären Schutzstatus. Dieser gab ihnen Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen wie Gesundheitsversorgung, Bildung und begrenzte Beschäftigungsmöglichkeiten.
Trotz vieler Integrationserfolge syrischer Flüchtlinge wuchsen die Herausforderungen für die Flüchtlings- und Aufnahmegemeinde in den letzten Jahren erheblich. Die Wirtschaftskrise, unter der die Türkei seit 2018 und verstärkt ab 2021 leidet, und eine zunehmende Politisierung der Flüchtlingsthematik führen zu wachsenden gesellschaftlichen Spannungen bis hin zu gewaltvollen Übergriffen auf Geflüchtete. In den Wahlen der vergangenen Jahre forderten alle führenden Parteien eine restriktivere Flüchtlingspolitik. Eine besonders kontrovers diskutierte Frage ist dabei die potenzielle Wiederannäherung zwischen Ankara und Damaskus, die vor allem für den Norden Syriens weitreichende Folgen hätte. In dieser Region übt die Türkei nicht nur durch ihre militärische Präsenz, sondern auch durch den Bau von Wohnanlagen und Infrastrukturprojekten erheblichen Einfluss aus..
Die internationale Gemeinschaft bleibt gefordert, sowohl die Bedürfnisse der syrischen Flüchtlingsgemeinden als auch der Aufnahmegesellschaften zu adressieren und gemeinsam an nachhaltige Lösungen zu arbeiten.
[1] UNHCR, “Global Trends Forced Displacement in 2023”, June 2024.
[2] UNHCR, “Country Operations Lebanon”, 2024.
[3] UNHCR, “Lebanon – Needs at a Glance”, 2024.
[4] UNHCR, “Global Trends Forced Displacement in 2023”, June 2024.
[5] UNHCR, “Jordan”.
[6] UNHCR, “Türkiye Fact Sheet”, September 2023.
Special Report: Refugees
A Special Report published by Executive Magazine in collaboration with the Konrad-Adenauer-Stiftung’s Lebanon Office.
Check out the full report here.
Wenn Rückkehr keine Option ist
Seit nunmehr zwölf Jahren dauert der Bürgerkrieg in Syrien an, und ebenso lange suchen syrische Geflüchtete Schutz im Ausland. Heute halten sich mehr als 80 Prozent der ins Ausland geflohenen Syrer in der Türkei, im Libanon und in Jordanien auf. Zu Beginn des Bürgerkriegs hielten die Nachbarländer bereitwillig ihre Grenzen offen für diejenigen, die vor der zunehmenden Gewalt in Syrien flohen. Jedoch geriet die Standhaftigkeit der Nachbarländer mit Andauern des Kriegs zusehends ins Wanken. Besonders innerhalb der letzten Jahre verschlechterte sich die Lage syrischer Geflüchteter in den drei Aufnahmeländern aufgrund von wirtschaftlichen Missständen, politischer Meinungsmache sowie globalen Krisen enorm. Dennoch gibt es für die meisten keinen Weg zurück in ihre Heimat, wo die Wirtschafts- und Sicherheitslage noch desaströser ist und sich das Assad-Regime weiterhin an der Macht hält.
Dieser Artikel ist Teil eines 46-seitigen Syrien-Dossiers der Konrad-Adenauer-Stiftung im Fachmagazin zenith. In der Winter-Ausgabe 2023 werden die aktuellen Entwicklungen rund um Syrien genauer beleuchtet. Obwohl der Konflikt aus der Ferne den Anschein einer „eingefrorenen“ Situation erwecken mag und die Position von Assad stabil scheint, wird bei genauerer Betrachtung deutlich, dass das Land und seine Bewohner nach wie vor erheblichen Schwierigkeiten stehen. Dieses Dossier geht über eine oberflächliche Analyse hinaus und wirft einen tiefgehenden Blick auf die komplexen Dynamiken, die die Situation in und um Syrien maßgeblich beeinflussen.
The New Syrian Diaspora: From Basic Survival Struggles to Aspirations of Success and Integration
Against the backdrop of four different country-specific contexts, this report examines the asylum and integration experiences of Syrian refugees in Lebanon, Turkey, Germany and the U.S., shedding light on their challenges as well as societal and economic contributions.
Check out the full report here.
Beirut '22
Beirut'22 Documentary
YouTube, KASLebanon