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Konrad-Adenauer-Stiftung e. V.

Länderberichte mal anders

Ringen um den Fortschritt in Spanien

od Luisa Bernhardt, Dr. Ludger Gruber

Inklusion weltweit – Aktueller Stand aus Spanien

Spanien scheint, dem ersten Eindruck nach, auf einem guten Weg hin zu Inklusion und Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderung. Diese rund 4,3 Millionen Menschen, also 9 Prozent der spanischen Bevölkerung, werden von über 8000 Verbänden politisch und gesellschaftlich vertreten. Nur 20 Prozent der beeinträchtigten Spanierinnen und Spanier fühlen sich aufgrund ihrer Behinderung diskriminiert, Inklusion steht schon seit über vier Jahrzehnten auf der politischen Agenda. Doch wie gut sind Menschen mit Behinderung wirklich gesellschaftlich integriert? Und welche Chancen haben sie auf dem spanischen Arbeitsmarkt? Ein Blick auf Statistiken zeigt: Spanien hat immer noch einen weiten Weg vor sich.

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Luis Miguel ist ein tatkräftiger Mann. Jemand, der sich nicht unterkriegen lässt, der gerne lacht. Er vermag es, mit strahlenden Augen von seinem Job in den Hotels des Unternehmens Ilunion zu erzählen. Seit nun drei Jahren arbeitet er dort. Eine Tatsache unterscheidet den 46-jährigen allerdings vom typischen Personal anderer Hotelketten: Luis Miguel sitzt im Rollstuhl, schon seit seiner Kindheit. Damit ist er einer von 4,3 Millionen Menschen mit Behinderung in Spanien und einer derzahlenmäßig deutlich weniger Menschen mit Behinderung, die eine Beschäftigung haben. Denn der spanische Arbeitsmarkt stellt für Personen mit Behinderung wie Luis Miguel eine Herausforderung dar.

Das zeigt sich schon in den Arbeitsmarktstatistiken – nur eine von vier Personen mit einem Behinderungsgrad von über 32 Prozent befindet sich in Spanien in einem Beschäftigtenverhältnis. Damit belegt Spanien den viertletzten Platz innerhalb der EU, was die Beschäftigungsquote der arbeitsfähigen Menschen mit Behinderung anbelangt, gleich nach den Schlusslichtern Irland, Griechenland und Kroatien. Woran liegt das?

 

Best Practice in Spanien?

Bei einem Spaziergang durch Madrid kann man sich dem vorläufigen Eindruck einer fortschrittlichen Inklusion eigentlich nicht erwehren. An vielen großen Straßen, Alleen und Kreuzungen stehen kleine, graphitfarbene Häuschen. Darauf prangt ein gelbgrünes Logo mit der Aufschrift ONCE und einem Männchen mit einem Stock in der Hand. Auf den ersten Blick wirken die Häuschen wie Kioske. Statt Süßigkeiten und Zeitschriften werden hier allerdings Lottoscheine verkauft.

Die Nationale Organisation für Blinde ONCE ist eine der bekanntesten nationalen Lotterien des Landes und mit 71.200 Beschäftigten der viertgrößte Arbeitgeber Spaniens. Hier arbeiten zu 58 Prozent blinde Menschen und Menschen mit anderen Behinderungen, die im Lottoverkauf eine würdige und einkommenssichernde Arbeit finden. ONCE ist eine der spanienweit bekanntesten Organisationen, die sich für die Inklusion beeinträchtigter Menschen einsetzt.

Zur Unternehmensgruppe ONCE gehört auch das Unternehmen Ilunion. 43 Prozent der 40.000 Mitarbeitende von Ilunion haben eine Behinderung. Die Angestellten arbeiten beispielsweise in Waschsalons, Geschäften, Callcentern oder in barrierefreien und inklusiven Hotels – so wie Luis Miguel. Er ist dort seit drei Jahren als Personalberater und Betreuer tätig. Damit besteht seine Hauptaufgabe darin, das Wohlergehen seiner Kolleginnen und Kollegen am Arbeitsplatz sicherzustellen. Er koordiniert Evaluierungsgespräche und Weiterbildungsmaßnahmen für die Mitarbeitenden und gibt zu: die Arbeit ist „intenso“, also intensiv, ereignisreich. Er mag seine Arbeit, schätzt das diverse Umfeld und die soziale Verantwortung, die das Unternehmen unternimmt.

Zuvor war Luis Miguel in leitender Position in der Seniorenbetreuung angestellt. Nachdem diese Firma mit einem anderen Unternehmen fusionierte, wurde seine Stelle abgebaut und er begab sich auf Jobsuche. Diese stellte eine Herausforderung dar und die angebotene Bezahlung war oftmals schlecht. Trotz seiner Qualifikationen in der Berufsberatung, seinen jahrelangen Arbeitserfahrungen und seinen zwei Masterabschlüssen machte er die Erfahrung, dass ihm seine durch den Rollstuhl schnell ersichtliche Behinderung zum Hindernis wurde und seine Chancen im direkten Wettbewerb mit Kandidatinnen und Kandidaten ohne Behinderung deutlich verringerte.

 

Arbeitsmarkt: Prekarität und Zugangsschwierigkeiten

Mit diesen Erfahrungen ist Luis Miguel nicht allein. Der Olivenza-Bericht 2023 der staatlichen Beobachtungsstelle für Behinderungen resümiert, dass Menschen mit Behinderung auf dem spanischen Arbeitsmarkt schlecht integriert sind. Wenn Firmen Personen mit Behinderung anstellen würden, dann häufig, um das eigene Image zu verbessern oder nur, wenn die Behinderung nicht sofort sichtbar sei.

Auch offizielle Zahlen des Nationalen Statistikinstituts INE, der staatlichen Arbeitsdienste SEPE und der Beobachtungsstelle für Behinderungen und den Arbeitsmarkt in Spanien ODISMET belegen, dass die rund 1,9 Millionen beeinträchtigter Spanierinnen und Spanier im arbeitsfähigen Alter, trotz des generellen Wunsches nach Beschäftigung und der politischen Fördermaßnahmen, weiterhin auf große Probleme auf dem Arbeitsmarkt stoßen. So liegt die Beschäftigungsquote von Menschen mit Behinderung um 40 Prozent niedriger als diejenige von Menschen ohne Behinderung. Die Arbeitslosenzahlen sind deutlich erhöht und liegen, obwohl nach dem Höhepunkt im Jahre 2013 rückläufig, heute immer noch über dem Niveau von 2008.

Befristungen, rasche Jobwechsel, Langzeitarbeitslosigkeit, vor allem unter Frauen, und eine niedrige Qualifizierung der ausgeübten Tätigkeiten offenbaren, in welch prekären Arbeitsverhältnissen sich Menschen mit Behinderung oftmals befinden. Zwei Drittel der neu geschlossenen Arbeitsverträge mit beeinträchtigten Personen fielen 2021 unter die Kategorien „Aufgrund der Produktionsbedingungen zeitlich befristet". 81 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Behinderung arbeiten im Dienstleistungssektor. Typische Berufsbilder sind Reinigungsarbeiten in Hotels und Büros, Verkaufs- und Servicetätigkeiten, Hilfsarbeiten in der verarbeitenden Industrie und andere geringfügig qualifizierte Jobs. CERMI, der größte Behindertenverband Spaniens, konstatiert:

„Die relativ wenigen [Menschen mit Behinderung], die Zugang zu einer – oft prekären – Beschäftigung haben, üben meist Tätigkeiten aus, die als gering qualifiziert gelten, was zu niedrigen Löhnen und großen Lohnunterschieden führt.“


Gleichberechtigung als Ziel der spanischen Politik

Um diesen Zuständen entgegenzuwirken, beschloss die spanische Regierung 2022 die Neuauflage der Estrategia Española sobre Discapacidad 2022–2030, der spanischen Strategie zu Behinderungen. Ziel ist es, die Chancengleichheit und Zugänglichkeit für Menschen mit Behinderung zu garantieren. Dazu soll unter anderem die soziale Partizipation, die Unterstützung von Familien mit beeinträchtigten Mitgliedern, die Barrierefreiheit und die persönliche Unabhängigkeit von Menschen mit Behinderung vorangetrieben werden. Die spanische Regierung nimmt in der Strategie verschiedene Arten von sich gegenseitig verstärkenden Diskriminierungsformen stärker in den Blick und legt ihren Fokus auf die Rechte von beeinträchtigten Frauen und Kinder.

Der Beobachtungsstelle für Behinderungen zufolge ließen sich seit 2022 vor allem in der barrierefreien Kommunikation, im Zugang zu Informationen über Behinderungen und in der Sensibilisierung der Gesellschaft für inklusive Themen zumindest Teilfortschritte beobachten. Auch Luis Miguel beobachtet, dass sich die Situation von Menschen mit Behinderung in den letzten Jahren verbessert hat: „Wir sehen zwar Fortschritte, aber müssen immer noch hart dafür kämpfen.“

Ein Beispiel für hart erkämpften Fortschritt ist die im Januar 2024 vollzogene Verfassungsänderung, in welcher der Artikel 49 und der darin enthaltene abwertende Begriff „disminuidos“ – „Verminderte“ durch die Formulierung „personas con discapacidad“ – „Menschen mit Behinderung“ ersetzt wurde. Damit gingen nun alle großen spanischen Parteien außer der rechtspopulistischen Partei Vox auf diese jahrzehntelang erhobene Forderung verschiedenster Behindertenorganisationen ein und setzten gemeinsam ein Zeichen für Inklusion und Wertschätzung von Menschen mit Behinderung.

Partido Popular (PP) und Partido Socialista Obrero Español (PSOE) widmen dem Thema Inklusion auch in ihren Parteiprogrammen immerhin eingeschränkt Aufmerksamkeit. Während die sozialistische Partei PSOE auf verbesserten Zugang zu Sozialleistungen und zum Arbeitsmarkt setzt, legt die Volkspartei PP ihren thematischen Schwerpunkt auf die Förderung einer eigenständigen Lebensweise und die Verbesserung der Bildungsangebote für Menschen mit Behinderung.

 

Maßnahmen zur Beschäftigungsförderung

Schon in den 1970ern traf der spanische Staat die ersten Maßnahmen, Menschen mit Behinderung besser in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Noch heute findet eine im Allgemeinen Gesetz zu den Rechten von Personen mit Behinderung und ihrer sozialen Integration festgeschriebene Beschäftigungsquote Anwendung. Firmen mit mehr als 50 Mitarbeitenden sind verpflichtet, 2 Prozent der Stellen mit Menschen mit Behinderung zu besetzen. In der Öffentlichen Verwaltung gilt hier sogar eine 10-Prozent-Quote.

Anspruch und Realität klaffen allerdings weit auseinander: Nicht einmal der Staat selbst erfüllt seine eigenen Vorgaben. Laut der NGO Plena Inclusión sind in öffentlichen Verwaltungen gerade einmal 0,08 Prozent Menschen mit Behinderung angestellt. Nur eine von 100 Firmen ist aufgrund der Unterschreitung der Mindestanzahl von 50 Mitarbeitern überhaupt zur Einhaltung dieser Quote verpflichtet. Unternehmen können sich außerdem durch die Vergabe von Aufträgen an CEEs, durch Spenden oder durch sonstige Ausnahmeregelungen von der Einhaltung der Quote befreien, wenn dies mit „unzumutbaren Schwierigkeiten“ verbunden ist.

Und das, obwohl es auch finanzielle Anreize für die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung gibt, beispielsweise Steuererleichterungen und reduzierte Sozialversicherungsabgaben. Selbst die Anpassung von Arbeitsplätzen in Form einer adäquaten Ausstattung für Menschen mit Behinderung wird staatlich unterstützt. Hinzu kommt, dass der Staat Firmen, welche die 2-Prozent-Vorgabe nicht einhalten, von öffentlichen Ausschreibungen ausschließt. Zumindest in der Theorie, denn laut Recherchen der ILO und des European Disability Forums ist unklar, inwiefern Firmen in Spanien wirklich für die Nichteinhaltung der Vorgaben finanziell zur Rechenschaft gezogen werden.

Eine weitere Maßnahme, um die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung zu fördern, ist die Schaffung von Beschäftigungszentren, den sogenannten Centro Especiales de Empleo (CEE). Darunter fällt auch das Hotel Suites Ilunion Madrid, für dessen Mitarbeiter Luis Miguel zuständig ist.

Diese Zentren kennzeichnen sich dadurch aus, dass sich ihr Personal zu mindestens 70 Prozent aus Menschen mit Behinderung zusammensetzt. Diese können in den Zentren je nach Art und Grad der Behinderung besser gefördert werden. Ihr Arbeitsplatz ist besser an ihre individuellen Bedürfnisse angepasst – wobei dies in der Theorie auch in „normalen“ Unternehmen der Fall sein sollte. Modelle wie die „unterstützte Beschäftigung“ (empleo con apoyo) oder auch sogenannte Arbeitsenklaven (enclaves laborales), also die befristete Beschäftigung von Arbeitnehmern mit Behinderung in einem Fremdunternehmen unter Betreuung durch das verantwortliche CEE, zielen auf die erfolgreiche Eingliederung von Menschen mit Behinderung in den regulären Arbeitsmarkt ab.

Auch wenn es Kritik an den Centros Especiales de Empleo gibt, da diese bisher häufig abgekapselt vom regulären Markt agieren würden und somit die Eingliederung der Angestellten mit Behinderung auf den normalen Arbeitsmarkt eher verhindern würden, sieht Luis Miguel das Unternehmen Ilunion als positives Gegenbeispiel: „Ilunion macht vor, dass soziale Verantwortung eines Unternehmens nicht automatisch mit wirtschaftlichen Verlusten einhergeht.“

Circa 51 Prozent aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Behinderung sind bei privaten Firmen angestellt, 19 Prozent im öffentlichen Sektor, 8 Prozent sind selbstständig.

Entsprechende Maßnahmen, die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung fördern, sowie das politische Bewusstsein sind also vorhanden. Warum gibt es also immer noch so viele Ungleichheiten und Probleme?

 

Viele Gründe für die Schwierigkeiten

Luis Miguel sieht eine Ursache im noch fehlenden gesellschaftlichen Bewusstsein für die Relevanz und die Ausmaße des Problems. Er beobachtet, dass viele Menschen ihre Vorurteile hinter politischer Korrektheit verstecken und nicht laut aussprechen würden, die Vorurteile jedoch immer noch vorhanden seien.

Seine Kollegin, die Rezeptionistin Lorena, berichtet zudem von fehlendem Zutrauen. Bei ihrem vorhergehenden Arbeitgeber, einer Tourismus-Agentur, sei sie aufgrund ihrer visuellen Einschränkung nicht mit den gleichen Aufgaben bedacht worden wie ihre Kolleginnen und Kollegen ohne Behinderung, obwohl sie mit einem Tourismus-Studium die gleichen Qualifikationen vorweisen konnte. Überbehütung, Diskriminierung und Vorurteile seitens der Arbeitgeber sind leider kein Einzelfall und hemmen die berufliche Weiterentwicklung der Betroffenen.

Analysen im Jahr 2023 erschienenen Weißbuch zu Beschäftigung und Behinderung (Libro Blanco sobre empleo y discapacidad) zeigen außerdem, dass Arbeitgeber oft nicht über staatliche Fördermaßnahmen zur Einstellung von Menschen mit Behinderung Bescheid wissen.

In der Spanischen Zeitschrift für Behinderung beschreibt der Soziologe Miguel A. V. Ferreira, dass die Gründe für die schlechte Inklusion auf dem spanischen Arbeitsmarkt aber nicht ausschließlich in einer unzureichend inklusiven Gesetzgebung liegen. Vielmehr hätte die Arbeitsmarktpolitik der letzten Jahrzehnte insgesamt zu einer höheren Flexibilität und damit einhergehend zu mehr Prekarität auf dem spanischen Arbeitsmarkt geführt, auch für Arbeitnehmende ohne Behinderung.

 

Keine (würdige) Arbeit ohne Bildung

Im direkten kausalen Zusammenhang zu den Problemen von Menschen mit Behinderung steht auch das noch nicht ausreichend inklusive spanische Bildungssystem. Es gelingt Menschen mit Behinderung in Spanien unterdurchschnittlich oft, einen höherwertigen Bildungsabschluss zu erwerben, was sich im Berufsleben negativ auf Jobchancen und Gehalt auswirkt.

Erst 2020 unternahm die sozialistische Regierung unter Pedro Sánchez den Versuch, das spanische Bildungswesen inklusiver zu gestalten. Dafür reformierte sie das spanische Bildungsgesetz. Das Gesetz Ley Celaá sah unter anderem vor, dass ein großer Teil der 37.500 Förderschüler und -schülerinnen, die bis dahin in sogenannten Centros Educativos Especiales unterrichtet wurden, auf Regelschulen wechseln. Um trotzdem hohe Bildungserfolge für alle Kinder sicherzustellen, versprach die Regierung, für individuellere Förderungen der Schülerinnen und Schüler sowie ein besseres Lehrer-Schüler-Verhältnis auf Regelschulen zu sorgen.

Lorena, die selbst eine halbprivate Regelschule besucht hat, hält diese Idee prinzipiell für richtig. Jedoch stellt sie fest: „Damit Inklusion an Regelschulen gelingt, braucht es bei weitem mehr Ressourcen, vor allem Lehrpersonal.“ Auch Luis Miguel konnte, trotz erheblicher gesundheitlicher sowie schulbehördlicher Widerstände, auf einer normalen Schule sein Abitur machen. Er findet es richtig, dass es Kindern mit Behinderung nun vereinfacht wird, eine Regelschule zu besuchen. Allerdings fügt er hinzu: „Manche Kinder haben nicht die kognitiven oder motorischen Fähigkeiten, am regulären Unterricht teilzuhaben und brauchen gesonderte Unterstützung durch die „Centros Educativos Especiales.“

Auch die staatliche Beobachtungsstelle für Behinderungen betont die Notwendigkeit, Kinder mit hohem Förderbedarf individuell zu unterstützen, statt sie ohne zusätzliche Hilfe am regulären Unterricht teilnehmen zu lassen. Es lässt sich annehmen, dass dies je nach Art und Grad der Behinderung an Förderschulen besser gelingt.

Das Vorgehen der Regierung und die geplante Schließung von Förderschulen stieß deshalb auf Kritik der konservativen Partei PP. Auch die Elternplattform Inclusiva Sí, Especial También setzte sich für den Erhalt der Förderzentren ein, da dort den Bedürfnissen von Kindern mit Behinderung individueller gerecht werden könne. Laut dem neuen Ley Celaá solle die Entscheidung, welche Schule förderbedürftige Kinder besuchen, künftig von den Schulbehörden und nicht mehr von den Eltern getroffen werden. Der Streit um die Entscheidungsgewalt zwischen Eltern und Behörden stellt im spanischen Schulsystem schon länger einen Grundkonflikt dar, der nicht nur Fragen der inklusiven Bildung betrifft. Auch wenn das neue Gesetz von der wichtigen Behindertenorganisation CERMI als Erfolg verkauft wurde, halten viele Eltern die darin getroffenen Entscheidung für falsch und fürchten nun die Schließung der Förderschulen.

 

Lösungsansätze sind da, nun kommt es auf die Umsetzung an

Es braucht also dringend Lösungen, die diese strukturellen Chancenungleichheiten beseitigen, auch und vor allem im insgesamt fortschrittlichen Spanien.

Die Expertinnen und Experten, die am Weißbuch zu Beschäftigung und Behinderung mitgewirkt hatten, schlagen dazu eine grundlegende Reform der politischen Rahmenbedingungen für die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung vor. Diese Reform würde benötigt, um auf Veränderungen wie Digitalisierung und Künstliche Intelligenz angemessen zu begegnen, die besonders gering qualifizierte Jobs bedrohen könnten.

Die Autoren und Autorinnen des Weißbuchs fordern, den verschiedenen Lebensrealitäten und Beeinträchtigungsarten von Menschen mit Behinderung individueller gerecht zu werden. Zusätzlich zur bisher gesetzlich garantierten Nichtdiskriminierung sei es notwendig, die Anstellung von Menschen mit Behinderungen durch Affirmative Action bzw. positive Diskriminierung zu fördern. Dies bedeutet, gezielte Maßnahmen zu ergreifen, welche für Menschen mit Behinderung Vorteile bei der Arbeitssuche schaffen, um deren strukturelle Benachteiligung auszugleichen. Der Staat müsse mehr finanzielle Anreize für die Einstellung von Menschen mit Behinderung setzen und das bisherige System von Steuererleichterungen, Subventionen und verminderten Sozialabgaben erweitern. Gleichzeitig soll die verpflichtende Beschäftigungsquote von Menschen mit Behinderung erhöht, deren Geltungsbereich auf kleinere Firmen ausgeweitet und Sanktionen bei Nichteinhaltung verschärft werden. Der Begriff der „unzumutbaren Belastungen“ in Unternehmen in Bezug auf die behindertengerechte Anpassung von Arbeitsplätzen müsse genauer definiert werden, um Ausnahmeregelungen und die Möglichkeit, sich von der Einhaltung der Quote „freizukaufen“ oder „freizuspenden“, einzuschränken.

Als dringend notwendig wird auch die Bereitstellung qualitativ hochwertiger, sinnvoller Arbeitsplätze zu fairen Arbeitsbedingungen und einer angemessenen Bezahlung erachtet. Das senke das Armutsrisiko und ermutige zum Eintritt in einen Beruf. Die Centros de Empleo Especiales sollen deshalb reformiert und in inklusive und soziale Unternehmen, die auf dem normalen Markt agieren, umfunktioniert und umbenannt werden.

Das Ziel ist es, die Inaktivität von Menschen mit Behinderung zu reduzieren. Bildungs- und Berufsvorbereitungsangebote könnten die Beschäftigungsfähigkeit von Menschen mit Behinderung steigern. Eine bessere Kompatibilität zwischen Beschäftigung und gleichzeitigem Empfang von Sozialleistungen gäbe zudem Sicherheit im Übergang von der Inaktivität in die Beschäftigung.

Außerdem müsse der Staat Unternehmertum und Selbstständigkeit von Menschen mit Behinderung stärker fördern.

Die staatliche Beobachtungsstelle für Behinderungen erachtet in ihrem Bericht Olivenza 2023 zudem die Verbesserung des Zugangs zu Informationen über staatliche Unterstützungsangebote sowohl für Menschen mit Behinderung und deren Familien als auch für Unternehmen als nötig. Auch stelle die Bürokratie eine Hürde für die Abrufung von vorhandenen staatlichen Leistungsangeboten dar. Die Anpassung des Arbeitsplatzes an die Bedürfnisse von behinderten Arbeitnehmenden bedarf außerdem mehr finanzieller und personeller Mittel.

Ideen, wie Menschen mit Behinderung besser in den spanischen Arbeitsmarkt integriert werden können, gibt es also. Nun liegt es an der Politik, die Vorschläge der Experten umzusetzen.

 

Inklusion? Ja, aber…

Spanien ist also auf dem Weg hin zu einer inklusiveren Gesellschaft. Das Land hat sich Chancengleichheit und Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderung schon lange zum Ziel gesetzt. Inklusion wird immer wieder politisch thematisiert. In den vergangenen Jahren wurden überfällige Entscheidungen, wie beispielsweise die Einführung des uneingeschränkten Wahlrechts, auch für Personen mit geistiger Behinderung und die Abschaffung der unfreiwilligen Sterilisierung geistig behinderter Frauen nachgeholt.

Aktuelle Fortschritte, wie die erwähnte Verfassungsänderung und das 2021 eingeführte Recht auf kognitive Zugänglichkeit, sind Indikatoren für die politische und gesellschaftliche Relevanz des Themas Inklusion, die auch und vor allem dank ziviler Organisationen wie ONCE, CERMI, Plena Inclusión und unzähligen weiteren Verbänden aufrechterhalten wird.

Nichtsdestotrotz steht Spanien noch vor großen Herausforderungen. Aktuelle Statistiken belegen, dass Menschen mit Behinderung immer noch von Zugangsschwierigkeiten, prekären Arbeitsbedingungen und fehlenden Aufstiegschancen betroffen sind. Auch müssen besonders vulnerable Personengruppen wie Frauen und Jugendliche besser geschützt werden.

Dafür bedarf es aber nicht nur einer besseren Inklusionspolitik, sondern auch einer strukturellen Neuausrichtung der Arbeitsmarktpolitik. Denn solange Befristungen, eine hohe Jugendarbeitslosigkeit und ein großer Anteil an Langzeitarbeitslosen vorherrschen, wird es umso schwieriger, Menschen mit Behinderung vollständig auf dem spanischen Arbeitsmarkt zu integrieren.

Luis Miguel wünscht sich vor allem eines: „Mehr Vertrauen in unsere Fähigkeiten. Unsere Fähigkeiten und Qualifikationen sind genauso wertvoll. Wir sind gut ausgebildet und bereit, uns in der Arbeit zu engagieren. Es wäre schön, wenn es mehr hohe Posten für Menschen mit Behinderung gäbe. Unsere Erfahrungen und Sichtweisen bringen nämlich alle Unternehmen voran!“

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Kontakt

Dr. Ludger Gruber

Dr

Leiter des Auslandsbüros Spanien und Portugal

ludger.gruber@kas.de +34 91 781 12 04 / +34 91 781 12 02
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Barbara Bergmann

Barbara Bergmann bild

Referentin für Inklusionsfragen in der Europäischen und Internationalen Zusammenarbeit

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