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Warum der entwicklungspolitische Dialog mehr als eine Einbahnstraße sein muss

Lehren aus Indiens G20-Präsidentschaft

In den aktuell herausfordernden Zeiten werden in Europa derzeit zwei eklatante Fehler gemacht: Wir teilen die Welt gedankliche in Kategorien der Vergangenheit und schätzen die Bedeutung von aufstrebenden Regionen wie Indien immer noch nicht richtig ein. Zum anderen führen die Geberländer den entwicklungspolitischen Dialog als Einbahnstraße – und das können wir uns nicht mehr erlauben.

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Indien, das derzeit die G20-Präsidentschaft innehat, verfolgt in dieser Rolle einen entwicklungspolitischen Ansatz. In Europa kaum beachtet ist Indien zum Advokaten des globalen Südens avanciert. Die indische Regierung genießt im globalen Süden ob ihrer eigenen entwicklungspolitischen Erfolge im letzten Jahrzehnt eine hohe Glaubwürdigkeit und kann die eigenen Erfahrungswerte in die Diskussion einbringen. Die indische G20-Präsidentschaft verdient daher jede Unterstützung. Indien bemüht sich dabei möglichst viele Stimmen aus dem globalen Süden zu Wort kommen zu lassen und entpolitisiert gleichzeitig die Diskussion. Diese Versachlichung lässt allerdings einige politische Klippen außer Acht. Diese Klippen sind im Dialog zwischen globalen Norden und globalen Süden, aber auch in der deutschen Debatte, weitestgehend unberührt.

Wie sollten globaler Süden und globaler Norden definiert werden? Keine unwichtige Frage, da ein Geldfluss von Nord nach Süd forciert wird. Indien selbst ist immerhin die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt und betreibt ein Raumfahrtprogramm, Flugzeugträger und Antarktisstationen. Der reichste Inder ist mehr als doppelt so reich wie der reichste Deutsche[i]. Indiens reichste Prozent besitzen 40 Prozent des Wohlstandes[ii], während die ärmere Hälfte auf 3 Prozent kommt[iii]. In Afrika zeigt sich ein ähnliches Bild: In Afrika gibt es immerhin 352.000 Millionäre und deren Zahl wird sich wahrscheinlich bis 2026 fast verdreifachen.[iv] Südafrika ist im Gini-Index, der die Einkommensungleichheit misst, ganz weit vorne und erhält gleichzeitig großzügige Entwicklungshilfe. Bei den letzten Regierungsverhandlungen zwischen Deutschland und Südafrika sind Ende 2022 Mittel in Höhe von 355 Millionen Euro vereinbart worden[v]. Von den zwanzig reichsten Afrikanern sind fünf aus Südafrika. Angola verfügt über 9 Mrd. Barrel nachgewiesener Öl-Reserven und Billionen Kubikmeter Gas[vi]. Bei einer Produktion von 1,1 bis 1,8 Mio. Barrel am Tag, einem Preis für 70-90 UDS pro Barrel und rund 35 Millionen Einwohner wären dies über 1.000 UDS pro Kopf im Jahr, ohne das Gas einzuberechnen[vii]. Im Human Development-Index belegt das Land lediglich Platz 148[viii]. Viele Länder des sogenannten globalen Südens sind nicht per se arm, lediglich die Mehrheit ihrer Bevölkerung ist es. Das ist ein signifikanter Unterschied. Eine globale Debatte um internationale Solidarität ist sicherlich angebracht, aber gleichzeitig sollte (abseits von Fragen der Korruption und good governance) auch die Umverteilung im eigenen Land zum Thema gemacht werden. Natürlich schafft Umverteilung nie Wohlstand, aber umgekehrt basiert der Reichtum einiger Weniger in einigen Staaten auf Faktoren, die sich politisch hinterfragen lassen. Der Fingerzeig in Richtung des globalen Nordens eignet sich zweifellos, um Umverteilungsdebatten innerhalb einer Gesellschaft zu vermeiden.

Diese Debatte wäre umso wichtiger, wenn man die Auswirkungen des Ukraine-Krieges für die globale Entwicklungspolitik antizipiert. Dieser Zusammenhang ist im globalen Süden noch nicht durchgedrungen. Die Top-10-Entwicklungshilfezahler sind ausnahmslos Ukraine-Unterstützter[ix]. Abseits der Ukraine-Kontaktgruppe ist lediglich die Schweiz als Geberland der Rede wert[x]. Die USA sind der größte Entwicklungshilfezahler der Welt und haben bisher über 75 Mrd. USD für den Krieg ausgeben müssen[xi]. Deutschland, das zweitgrößte Geberland, hat 2022 rund 50 Mrd. Euro Wehretat und 100 Mrd. Euro Sondervermögen[xii] sowie rund 200 Mrd. Euro zur Abfederung der Energiekrise zu schulten[xiii]. Dazu kommen über eine Million ukrainische Flüchtlinge, die versorgt werden müssen[xiv]. Das kleine Norwegen ist auf Platz 9 der globalen Geber und gibt mit 0,7 Prozent seiner Wirtschaftsleistung so viel für Entwicklungshilfe aus wie kaum ein anderer Staat[xv]. Oslo hat jüngst beschlossen die Ukraine jedes Jahr mit 1,36 Mrd. Euro zu unterstützen. Es stellt sich zwangsweise die Frage nach Prioritäten[xvi]. Es ist aus indischer Sicht nachvollziehbar, den Ukraine-Krieg während der G20-Präsidentschaft bestmöglich zu umschiffen – umschifft wird die unmittelbar verbundene Frage nach der Finanzierung entwicklungspolitischer Vorhaben und Klimaschutz. Wenn die Geberländer nicht 1oder 2 Prozent ihres BIP[xvii], sondern 4, 6 oder 8 Prozent für ihre Sicherheit ausgeben müssen, dann wird man an anderer Stelle sparen.

Es wäre daher anzunehmen, dass die Staaten des globalen Südens ein Eigeninteresse daran haben, den Kriegszustand im globalen Norden schnell zu beenden. Blickt man jedoch auf die Abstimmung der UN-Vollversammlung vom 2. März 2022, die die Invasion Russlands in der Ukraine verurteilte, dann fällt auf, dass die Top-Geberländer alle mit JA gestimmt haben, während unter den Enthaltungen der globale Süden vorherrscht[xviii]. Die ärmsten Staaten der Welt wie Burundi, Mozambique oder die Zentralafrikanische Republik finden sich unter den Enthaltungen[xix]. Staaten wie Kongo, Südsudan oder Uganda, die im Human-Development-Index die Schlusslichter sind, haben sich ebenfalls enthalten[xx]. Rund die Hälfte der Enthaltungen kam aus Afrika. Ausnahmslos alle sich enthaltenden Staaten finden sich auf der Development-Assistance-Commitee-Liste der OECD, wobei die Mehrheit der niedrigsten der vier Entwicklungskategorien zugeordnet wird [xxi]. Gerade die Staaten, die von den Institutionen der UN, ihren Werten und vor allem ihrem Mitteln profitieren, sind nicht bereit durch ihr Abstimmungsverhalten einen Mindestbeitrag zur Aufrechterhaltung dieser Ordnung zu leisten. Dass es sich bei Russlands Invasion um einen klassischen Kolonialkrieg handelt, macht das Abstimmungsverhalten einiger ehemaliger Kolonien noch tragischer.

Mit der Frage nach der Ungleichheit innerhalb des sogenannten globalen Süden oder dem politischen Beitrag zu einer regelbasierten internationalen Ordnung sollte nicht von post-kolonialen Debatten oder der Verantwortung, insbesondere die der Industrieländer, für den Klimawandel abgelenkt werde, aber der globale entwicklungspolitische Dialog ist momentan eine Einbahnstraße. Der Akzeptanz für Entwicklungszusammenarbeit in den Geberländern tut man durch diese nicht geführten Diskussionen keinen Gefallen.

 


[i] Statista (2023): Ranking der zehn reichsten Inder nach Vermögen im Jahr 2023, in: https://bit.ly/3JqMReX [24.03.2023]

[ii] The Times of India (2023): India's richest 1% own more than 40% of total wealth: Oxfam, in: https://bit.ly/42lB8Y4 [24.03.2023]

[iii] The Indian Express (2023): In India, 5% own more than 60% of country’s wealth: Oxfam report, in: https://bit.ly/3JQBJcI [24.03.2023]

[iv] Africa Wealth Report 2022 (2022), Henley & Partners, in: https://bit.ly/3FzUMWe [24.03.2023]

[v] Deutscher Bundestag (2023): 355 Millionen Euro für die Entwicklung Südafrikas, in: https://bit.ly/3mSezK4 [24.03.2023]

[vi] US International Trade Administration (2022): Angola – Country Commerical Guide, in: https://bit.ly/3yQFWah [24.03.2023]

[vii] Statista (2023): Erdölproduktion in Angola in den Jahren 1965 bis 2021, in: https://bit.ly/3UUMj6A [24.03.2023]

[viii] UNDP (2022): Human Development Report 2021/2022, in: https://bit.ly/3ljOS4W [24.03.2023]

[ix] Statista (2023): Ranking of the largest development aid donors in 2021, in: https://bit.ly/3TniuLb  [24.03.2023] & Statista (2023): Largest donors of humanitarian aid worldwide in 2022 (in million U.S. dollars), by country, in: https://bit.ly/3YVM5N4 [24.03.2023]

[x] Ebd. 8 & Business Standard (2023): Union Budget 2023: Allocation for aid to foreign countries cut by 2.6%, in: https://bit.ly/3LxI7qz [24.03.2023]

[xi] Jonathan Masters & Will Merrow (2023): How Much Aid Has the U.S. Sent Ukraine? Here Are Six Charts, Council on Foreign Relations, in: https://on.cfr.org/3yOxzMs [24.03.2023] & Statista (2023): Militärhilfe: Die Top 10 Unterstützer der Ukraine, in: https://bit.ly/3yMPL95 [24.03.2023]

[xii] Bundesministerium der Finanzen (2022): Bundeshaushalt 2022, in: https://bit.ly/3n0jyZh [24.03.2023]

[xiii] ZDF heute (2023): "Doppelwumms" wird wohl nicht ausgeschöpft, in: https://bit.ly/3n0J4xw [24.03.2023]

[xiv] Statista (2023): Gesamtzahl der offiziell gezählten Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine in Deutschland von März 2022 bis Februar 2023, in: https://bit.ly/3ZYAPkj [24.03.2023]

[xv] Welternährung (2020): Kompass 2020: Analyse der ODA, in: https://bit.ly/3JOLQyQ [24.03.2023] & Thomas Borchert (2022): Skandinavien: Geld für die Ärmsten der Armen wird umgewidmet, Frankfurter Rundschau, in: https://bit.ly/3ZXAvSC [24.03.2023]

[xvi] Wiener Zeitung (2023): Norwegen sagt Kiew 7,5 Milliarden Euro zu, in: https://bit.ly/3n3kVGL [24.03.2023] & Thomas Sabin (2023): Die Milliarden-Helfer - nur die USA unterstützt die Ukraine mehr als Deutschland, Focus Online, in:  https://bit.ly/3n1lbGe [24.03.2023]

[xvii] Statista (2023): Anteil der Militärausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Deutschland von 2006 bis 2021, in: https://bit.ly/43OYrKp [24.03.2023]

[xviii] European Union (2022): UN General Assembly demands Russian Federation withdraw all military forces from the territory of Ukraine, in: https://bit.ly/40jRaQ2 [24.03.2023]

[xix] Worldometer (2023): GDP per Capita, in: https://bit.ly/40lNKg1 [24.03.2023] & Ben Mendelson und Sören Imöhl (2022): Das sind die ärmsten Länder der Welt, Wirtschaftswoche, in: https://bit.ly/40zviRd [24.03.2023]

[xx] UNDP (2023): Human Development Insights, in: https://bit.ly/3Ltdnap [24.03.2023]

[xxi] OECD (2023): DAC List of ODA Recipients, in: https://bit.ly/40me5di  [24.03.2023]

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