Am Ende hatten fast alle Teilnehmer an den Wahlen in Uruguay Grund zur Freude. Im Lager der bürgerlichen Regierung freute man sich über das gute Gesamtergebnis, den Vorsprung in der Abgeordnetenkammer und den Einzug von Álvaro Delgado in die Stichwahl am 24. November. Bei der oppositionellen Frente Amplio zeigte man sich über einen deutlichen Stimmenzuwachs im Vergleich zur letzten Wahl 2019, die Mehrheit im Senat und den klar ersten Platz im Präsidentschaftsrennen zufrieden. Erleichterung herrschte bei einem Großteil der uruguayischen Politik zudem über das Scheitern eines Referendums zur sozialen Sicherung.
Insgesamt 2,8 Millionen Uruguayer waren am 27. Oktober aufgerufen, die zentralen politischen Koordinaten für die nächsten fünf Jahre neu zu justieren. Neben dem ersten Wahlgang in den Präsidentschaftswahlen bestimmten sie auch die Neubesetzung der 30 Senatssitze und der 99 Mandate des Abgeordnetenhauses. Zusätzlich fanden noch zwei Volksbegehren statt.
Partido Nacional und Frente Amplio in der Stichwahl
Wie in den Umfragen bereits erwartet, gelang es dem Präsidentschaftskandidaten des linken Parteienbündnisses Frente Amplio, Yamandú Orsi, bei 99,9 Prozent der ausgezählten Stimmen mit 43,9 Prozent deutlich den ersten Platz zu erringen. Wie erwartet auf Platz zwei kam der Kandidat der bürgerlichen Traditionspartei Partido Nacional (PN) Álvaro Delgado mit 26,7 Prozent. Beide werden sich am 24. November in einer Stichwahl gegenüberstehen. Im Jahr 2019 hatte der FA- Kandidat Daniel Martinez in der ersten Präsidentschaftsrunde 39,0 Prozent, der heutige Präsident Luis Lacalle Pou (PN) 28,6 Prozent geholt. Das Ergebnis Delgados war einige Prozentpunkte besser als von den Umfragen erwartet. Auch der Unterschied zwischen Delgado und dem Drittplatzierten Andrés Ojeda von der eher städtisch-zentristischen Partido Colorado, der auf 16,0 Prozent der Stimmen kam, fiel letztlich deutlich aus. Trotzdem konnten die Colorados ihr Ergebnis von 12,9 Prozent aus dem Jahr 2019 deutlich ausbauen und waren somit ein Gewinner am Wahlabend. Auf den weiteren Plätzen folgten der Anti-System-Kandidat Gustavo Salle (Identidad Soberana, IS) mit 2,7 Prozent, Guido Manini Rios von der rechts-nationalistischen Partei Cabildo Abierto (CA) mit 2,5 Prozent sowie Pablo Mieres von der aus der Christdemokratie stammenden pragmatischen Partido Independiente (PI) mit 1,8 Prozent. Zusammen lagen die vier Parteien der Regierungskoalition PN, PC, CA und PI insgesamt somit gut drei Prozentpunkte vor der FA.
In Uruguay besteht Wahlpflicht, wenn auch die Sanktionen für Nichtwähler sehr gering sind. Die Wahlbeteiligung betrug daher auch dieses Jahr hohe 89 Prozent. Zudem kennt das kleine Land kein Auslandswahlrecht, so dass zahlreiche Uruguayer insbesondere aus Argentinien und Brasilien zum Urnengang in die Heimat reisten. Einige von Ihnen nutzten den 50 Prozent Preisnachlass, die ihnen die Fährgesellschaft Buquebus für die Fahrt über den La Plata-Fluss gewährte.
Knappe Mehrheitsverhältnisse im Parlament
Da in dem uruguayischen Wahlrecht die Präsidentschaftswahlen und die Wahlen für den Senat und das Abgeordnetenhaus über die Wahllisten gekoppelt sind, übersetzen sich die Wahlergebnisse der Präsidentschaftskandidaten auch in die Sitzverteilung der beiden Kammern. Die Koalitionäre erzielten 49 der 99 Sitze im Abgeordnetenhaus. Davon fallen 29 Sitze auf die PN, 17 auf die PC, zwei auf CA und ein Mandat auf die PI. Während die PN ihr Parlamentsergebnis von 2019 fast halten konnte und die PC sechs Mandate hinzugewann, war CA der große Verlierer des Abends. Die rechtsnationale Partei stürzte von 11 auf zwei Mandate ab. Deutlich größer wird hingegen die Fraktion der Frente Amplio, welche statt bisher 42 nun 48 Abgeordnete stark sein wird. Wie sich die beiden gewählten Abgeordneten der Anti-System-Partei IS verhalten werden, ist ungewiss.
Im Senat konnte die Frente Amplio von der Aufsplittung der Koalitionsstimmen profitieren und der Koalition mit 16 zu 14 ihre bisherige Mehrheit im Senat entreißen. Im Vergleich zur letzten Legislatur verlor die Partido Nacional ein Mandat und kam auf neun Sitze, während die Colorados einen Sitz hinzugewannen und künftig fünf Senatoren stellen. Dazu kommt ein 31. Senatssitz, den in Uruguay der Vizepräsident oder die Vizepräsidentin einnimmt.
Inhaltsarmer Wahlkampf
Der vorausgegangene Wahlkampf war selbst für das stark Konsens orientierte Uruguay durch wenig Debatten und Auseinandersetzungen geprägt. Wechselstimmung war genauso wenig zu spüren wie übermäßige Begeisterung. Die Zustimmungswerte für den amtierenden Staatschef Luis Lacalle Pou, dem die Verfassung eine direkte Wiederwahl untersagt, liegen mit rund 50 Prozent vergleichsweise hoch. Die Inflation ist niedrig, die Reallöhne haben sich nach der Corona-Pandemie erholt und die Arbeitslosigkeit verharrt auf niedrigem Niveau. Zwar wurden Themen wie Sicherheit, Wirtschaft, Bildung oder Armutsbekämpfung von den Kandidaten angesprochen, ein beherrschendes Thema hatte die Kampagne jedoch nicht.
Der nur milde Wahlkampf war auch dem staatstragenden Stil der beiden sich vom Habitus her nicht unähnlichen Spitzenkandidaten Yamandú Orsi und Álvaro Delgado geschuldet. Beide versuchten, wenig Angriffsfläche zu bieten und letztlich erfolgreich durch Mobilisierung der eigenen Basis die Stichwahl zu erreichen. Insbesondere Orsi wich der direkten Debatte aus. Der 57-Jährige präsentierte sich als konzilianter und erfahrener Regierungspragmatiker. Der ehemalige Geschichtslehrer und Regierungschef (genannt Intendente) von Canelones (zweitbevölkerungsreichste Provinz Uruguays) suchte intensiv den direkten Kontakt zur Bevölkerung und gab nur wenige Interviews. Dabei setzte er auf die starke Verankerung seiner Partei in der uruguayischen Wählerschaft. Unterstützt wurde er von Vizepräsidentschaftskandidatin Carolina Cosse, die als ehemalige Ministerin und Bürgermeisterin von Montevideo ein deutlich linkeres und aggressiveres Profil pflegt, sich im Wahlkampf aber zurückhielt.
Álvaro Delgado hatte sich als Präsidialamtsminister während der ersten vier Jahre der Regierung Luis Lacalle Pous einen Ruf als erfahrener Regierungshandwerker erarbeitet. Seine Kampagne zielte darauf, die eigene Kandidatur als eine „Wiederwahl“ der ausgehenden Regierung zu präsentieren. Ähnlich wie Orsi tritt auch Delgado versöhnlich, pragmatisch und gemäßigt auf. Eher nüchtern und sachlich betonte der 55-jährige gelernte Tiermediziner immer wieder, er sei zwar nicht der charismatischste Kandidat, aber er werde ein guter Präsident sein. An seine Seite als Vizepräsidentschaftskandidatin holte sich Delgado die deutlich jüngere und links sozialisierte ehemalige Gewerkschaftsfunktionärin Valeria Ripoll, die das städtische Milieu für die Partei erschließen sollte.
Der sonst eher gemächliche Wahlkampf wurde lediglich von dem drittplatzierten Andrés Ojeda aufgemischt. Der 40-jährige telegene Anwalt ohne große politische Erfahrung konnte sich im Vorwahlkampf der Partei Colorados auch dank einer extrem gut gefüllten Wahlkampfschatulle durchsetzen und präsentierte sich als Kandidat der Erneuerung. Im Wahlkampf omnipräsent setzte er mit Tierwohl und mentaler Gesundheit auf eher progressiv besetzte Themen, fuhr aber gleichzeitig die schärfsten Attacken gegen die Frente Amplio. Mit Wahlkampfvideos aus dem Fitnessstudio und einer präsenten Social-Media-Kampagne bricht Ojeda schon habituell mit dem klassischen uruguayischen Politikertypus. Nachdem ihm manche Umfragen einige Wochen vor der Wahl sogar Chancen auf die zweite Wahlrunde eingeräumt hatten, schien seine Überexposition in den Medien dies letztendlich zu verhindern. So debattierte er mit Hologrammen, tanzte in Discos, beleidigte einen kritischen Journalisten bei laufender Kamera und beklagte angebliche Fake-News-Kampagnen gegen ihn. Es half dem selbsterklärten Tierschützer auch nicht, dass ein Turtel-Video von ihm ausgerechnet mit einer Großwildjägerin im Internet auftauchte.
Nichtsdestotrotz trug dieser Wahlkampf zu einer deutlichen Revitalisierung der zuvor stark geschwächten Colorado-Partei bei. Auch der Wiedereintritt des hochangesehenen politischen Schwergewichts und wertkonservativen Altmeisters der Colorados, Pedro Bordaberry, tat hierzu ihr übriges.
Populistisches Volksreferendum abgelehnt
Neben den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen stimmten die Wähler auch über zwei Volksreferenden zu Verfassungsänderungen ab. Eines davon hatte für Unruhe und Nervosität bei weiten Teilen der uruguayischen Politik gesorgt. Dem größten Gewerkschaftsverband Uruguays, PIT-CNT, war es gelungen, die notwendigen Unterschriften zu sammeln, um das Wahlvolk über eine deutliche Ausweitung sozialer Systeme abstimmen zu lassen. So sollte das Mindest-Renteneintrittsalter von 65 auf 60 Jahre abgesenkt werden bei gleichzeitiger Anpassung der Mindestrente an den monatlichen Mindestlohn, was in der Praxis eine deutliche Erhöhung vieler Rentenbezüge bedeutet hätte. Zudem wollten die Initiatoren die kapitalgestützte Säule des uruguayischen Rentensystems (AFAP) abwickeln und dieses zu einem reinen Umlagesystem umbauen. Nach Einschätzung von Experten hätten diese geforderten Änderungen in dem geburtenarmen Land eine Überlastung des Sozialsystems zufolge gehabt. Aus diesem Grund hatte sich selbst die Frente Amplio nicht für diese Reform ausgesprochen, sondern eine neutrale Haltung dazu eingenommen. Das Regierungslager sprach sich klar dagegen aus. Letztlich votierten nur rund 40 Prozent für den Vorschlag. Eine zweite Volksabstimmung über mehr Polizeibefugnisse bei Hausdurchsuchungen scheiterte ebenfalls deutlich.
Ausblick
Da es keinem der Kandidaten gelang, mehr als 50 Prozent der Stimmen zu erzielen, werden Orsi und Delgado nun am 24. November das höchste Staatsamt in einer Stichwahl unter sich ausmachen. Noch am Wahlabend erklärten alle Kandidaten der Regierungskoalition, Delgado unterstützen zu wollen.
Gelingt es ihm, die Wähler der Koalition hinter sich zu versammeln, hat er durchaus Chancen, zum ersten Mal in der Geschichte der uruguayischen Demokratie als zweiter Präsident der Partido Nacional hintereinander in den Amtssitz des uruguayischen Staatsoberhauptes einzuziehen. Helfen könnte ihm dabei die immer stärker wahrnehmbare Spaltung der politischen Landschaft in zwei praktisch gleich große Lager. Umfragen zeigen, dass sich Wähler mittlerweile nicht nur mit einer Partei, sondern auch mit einer Koalition identifizieren, was Stimmenverluste für die zweite Runde im Vergleich zu 2019 unwahrscheinlicher macht. Zudem wird es für Yamandú Orsi schwer, seine Taktik der mangelnden Konfrontation im Hinblick auf die Stichwahl weiterzuführen. Das Wahlgesetz zwingt ihn zumindest zu einem TV-Duell mit Delgado.
Durch ein Wahlergebnis, welches überraschend nah an das Resultat von Polit-Superstar Luis Lacalle Pou aus dem Jahr 2019 kam, hat Delgado intern Rückenwind bekommen. Während er sich in seiner Wahlkampfzentrale am Wahlabend mit Sprechchören „Presidente, Presidente“ feiern ließ, musste Orsi erklären, warum es der FA nicht gelungen ist, wie erhofft in die Nähe der absoluten Mehrheit zu kommen. Das Rennen um die Präsidentschaft Uruguays bleibt somit offen. Egal wer die Stichwahl gewinnt, wird in der Regierungsführung auf Kompromisse angewiesen sein, da er zumindest in einer der beiden Parlamentskammern nicht über die Mehrheit verfügt. Die im Vergleich zu anderen Ländern geringe Polarisierung des Wahlkampfes und der konziliante Charakter beider Spitzenkandidaten lassen dies jedoch als wahrscheinlich erscheinen.
Einmal mehr machte Uruguay am Wahltag seinem Ruf als lateinamerikanische Vorzeige-Demokratie alle Ehre. In einem friedlich-festlichen Ambiente - dank einer technisch einwandfreien Abwicklung - und der Akzeptanz der Wahlergebnisse von allen Seiten konnten sich somit alle uruguayischen Demokraten letztlich als Sieger fühlen.
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