Drei Präsidenten und eine Dynastie
Kaum jemand erinnert sich mehr, dass der erste Präsident Aserbaidschans, Abulfas Elchibej, demokratisch gewählt worden war und dass es in den ersten Monaten der Unabhängigkeit Anfang der 90er Jahre durchaus Hoffnungen gab, dass dem Land am Kaspischen Meer eine demokratische und Europa zugewandte Zukunft beschieden sein könnte. Doch diese Hoffnung währte nicht lange, und dafür gab es vor allem zwei Gründe: Der erste war die Niederlage Aserbaidschans gegen Armenien im ersten Krieg um Bergkarabach und der zweite, dass Elchibej ausgesprochen russlandkritisch war. Und so wurde er 1993 durch einen von Heydar Alijew angeführten Militärputsch gestürzt. Alijew war nicht nur von 1982 - 1987 Erster Sekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei in Aserbaidschan, sondern auch Mitglied des Politbüros der KPdSU und erster stellvertretender Ministerpräsident der Sowjetunion. Das hieß, er war in Russland und vor allem in den russischen Geheimdienstkreisen bestens vernetzt, was ihm ganz offensichtlich half, im unabhängigen Aserbaidschan die Macht an sich zu reißen und in der Folge ein von Russland toleriertes autoritäres Regime zu installieren. Heydar Alijew führte das Land bis kurz vor seinem Tod im Dezember 2003 und hatte, was angesichts der bis dahin bereits konsolidierten autoritären Verfasstheit Aserbaidschans nicht schwierig war, im Oktober 2003 seinen Sohn Ilham zum Nachfolger küren lassen. Ilham Alijew war zuvor fast zehn Jahre lang stellvertretender Vorsitzender der staatlichen Ölgesellschaft SOCAR und über fünf Jahre Vorsitzender des olympischen Komitees von Aserbaidschan gewesen. Er folgte seinem Vater nahtlos und setzte den autoritären Ausbau des Staates weiter fort. 2009 ließ er die Amtszeitbegrenzung von Präsidenten per Referendum aufheben und die Amtszeit selbst von fünf auf sieben Jahre verlängern. 2017 wurde seine Frau Mehriban Alijewa Vizepräsidentin von Aserbaidschan.
Warum jetzt?
Vorgezogene Wahlen finden zumeist in Zeiten politischer Krisen statt, eine solche zeigt sich in Aserbaidschan jedoch nicht, ganz im Gegenteil: Nachdem er Bergkarabach im September letzten Jahres vollständig unter aserbaidschanische Kontrolle gebracht hatte, scheint Ilham Alijew jetzt sicherer im Sattel als je zuvor zu sitzen, und die schon zuvor lediglich sehr verhalten bzw. äußerst vorsichtig geäußerte Kritik an seiner Person ist vollends verstummt. Deshalb taten sich viele Beobachter im Land zunächst schwer damit zu erklären, warum er entschied, die Wahlen vorziehen zu lassen. Dann aber nannte Alijew selbst in einem Gespräch mit staatlichen Medien drei Gründe für seine Entscheidung: Erstens sei nach der Erlangung der vollständigen territorialen Integrität eine neue Ära angebrochen, und die Wahlen würden die zurückliegende Ära abschließen. Zweitens würde es das erste Mal sein, dass Wahlen im gesamten Staatsgebiet von Aserbaidschan, einschließlich Bergkarabach, stattfinden, und er habe entschieden, so Alijew, „dass es zunächst Präsidentschaftswahlen sein müssen“. Und drittens würden die vorgezogenen Wahlen die 20-jährige Ära der Präsidentschaft von Alijew abschließen. Viele Beobachter bezweifeln indes, dass diese Begründungen verfassungskonform sind und eine Vorziehung der Wahlen rechtfertigen. Als tatsächlicher Grund für den Schritt wird vermutet, dass Alijew sich bewusst ist, auf dem Höhepunkt seiner Popularität als „siegreicher Präsident“ zu stehen und dass diese Popularität durchaus verblassen kann. Denn die alltägliche, vor allem die soziale Realität hinter der Euphorie über die Wiedererlangung von Bergkarabach ist trist: Die Wirtschaft des Landes stagniert, das Durchschnittseinkommen lag 2022 bei 450 Euro und damit unter dem in Georgien und Armenien, die Arbeitslosigkeit insbesondere in ländlichen Gegenden ist hoch, und es gibt gravierende Probleme im Bildungs- oder Gesundheitswesen. Insbesondere die Miliarden, die der Staat in die Wirtschaftsförderung von Bergkarabach steckt, kontrastieren scharf mit der deprimierenden Situation in den meisten anderen Regionen des Landes und sorgen zunehmend für Unmut.
Angeblicher amerikanischer Spionage-Ring
Im Bewusstsein dieser Stimmungen sucht Alijew nun eine neue politische Legitimation und will dabei jedwede Kritik an den Wahlen und deren Verlauf verhindern. Deshalb schwappt bereits seit Monaten wieder eine Repressionswelle durch das Land, bei der die letzten kritischen Stimmen im Land mundtot gemacht und unabhängige Journalisten verhaftet werden. Im Zentrum der repressiven Aufmerksamkeit des Regimes stehen die Online-Portale Abzas Media und Kanal 13, deren Direktoren im November inhaftiert und als Teil eines angeblichen amerikanischen Spionagerings diffamiert wurden. Denn auch die USA waren in das Fadenkreuz der aserbaidschanischen Regierung geraten, nachdem James O‘Brien, Ministerialdirektor im amerikanischen Außenministerium, bei einer Anhörung im Kongress das Vorgehen Aserbaidschans in Bergkarabach kritisiert hatte. Es folgte eine hysterische Kampagne gegen USAID und gegen alle zivilgesellschaftlichen Akteure im Land, die amerikanische Unterstützung erhielten. O’Brien war sogar gezwungen, nach Baku zu reisen, um die Wogen in den amerikanisch-aserbaidschanischen Beziehungen zu glätten. Einen Tag nach seinem Besuch verkündete Alijew dann die Vorziehung der Wahlen.
Was zu beobachten ist
Mit den Wahlen sucht Alijew auch außenpolitisch Legitimation, und ein wichtiges Instrument ist dabei Wahlbeobachtung, lokal wie international.
Für die OSZE/ODHIR sind seit Anfang Januar 26 Langzeitbeobachter in Aserbaidschan, zu denen für den Wahltag 280 Kurzzeitbeobachter stoßen. Ein Zwischenbericht der OSZE-Mission liegt bereits vor. Außerdem werden drei lokale NGO-Koalitionen die Wahlen beobachten, von denen jedoch erwartet wird, dass sie die offiziellen Ergebnisse lediglich abnicken. Weitere Legitimationsbemühungen des Regimes scheiterten jedoch: Das Europäische Parlament erklärte Mitte Januar, dass es die Wahlen weder beobachten noch kommentieren werde. Und dann wurde Aserbaidschan auch noch von der parlamentarischen Versammlung des Europarats für ein Jahr ausgeschlossen, u.a. weil die Regierung Berichterstatter und Wahlbeobachter des Europarates nicht zu den Wahlen eingeladen hatte.
Nüchtern betrachtet gibt es neben den ungleichen Wettkampfbedingungen bereits im Vorfeld der Wahlen zahlreiche Zweifel an einem fairen Verlauf: So erklärte etwa die Zentrale Wahlkommission, dass 6,3 Millionen Aserbaidschaner wahlberechtigt seien, was fast 1 Million mehr sind als noch vor vier Jahren. Dieser signifikante Anstieg wurde wenig glaubwürdig mit dem Bevölkerungszuwachs im Zuge der Covid-19-Pandemie und als Folge des Krieges in der Ukraine erklärt.
Boykotttradition
Angesichts der zu erwartenden Manipulationen erklärten die führenden Oppositionsparteien, allen voran Musavat und die Volksfront, die Wahlen zu boykottieren. Es gebe keine Zeit, einen einheitlichen Oppositionskandidaten zu küren oder Wahlkampf zu führen, und der Opposition fehlten hierzu außerdem die finanziellen Mittel. Dadurch, so Arif Hajili, Vorsitzender von Musavat, würde sich die Opposition jedoch nicht selbst isolieren, vielmehr sei es die Regierung, die die Opposition isoliert. Es sind damit dann die siebten Wahlen hintereinander, die von den Oppositionsparteien boykottiert werden (zuvor zwei um die Präsidentschaft, vier zum Parlament). Um den Schein zu waren, erhielten dennoch sieben Kandidaten von der Wahlkommission eine Registrierung, obwohl lediglich eine Woche Zeit gewesen war, die dafür notwendigen 40.000 Unterschriften zu sammeln. Drei davon befanden sich bereits vor sieben Jahren in dem Kandidatenfeld, das bei den letzten Wahlen 2018 gegen Alijew angetreten war. Diese hatte Alijew laut offiziellen Angaben mit rund 86% der Stimmen gewonnen.
Langweiligste Wahlen
Ende Januar führten die Präsidentschaftskandidaten eine Fernsehdebatte, bei der Alijew selbst sich vertreten ließ, aber von allen Kandidaten für die Rückeroberung von Bergkarabach gelobt wurde. Die Debatte spiegelte den vom Regime gewünschten Diskurs wider: Es wurde für engere Beziehungen mit Russland und China geworben oder territoriale Ansprüche auf Südarmenien erhoben. Die Sendung fand praktisch keine Aufmerksamkeit in einer Öffentlichkeit, die in einem noch nicht dagewesenen Maße apolitisch ist. Die endemischen staatlichen Repressionen haben dazu beigetragen, dass die politische Apathie in Aserbaidschan selbst im Vergleich zu den ähnlich inszenierten Wahlen von 2018 noch einmal massiv gestiegen ist. Und so könnten die Präsidentschaftswahlen 2024 – wie es in einem Beitrag des Webportals Eurasianet formuliert wurde - „die langweiligsten Wahlen in der Geschichte von Aserbaidschan“ werden. Zumindest geben sie wohl einen guten Vorgschmack darauf, was im März in Russland zu erwarten ist.מסופק על ידי
Regionalprogramm Politischer Dialog Südkaukasus
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