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"Optimismus bei einer Hälfte der Bevölkerung, Skepsis bei der anderen"

Dr. Hubert Gehring, Leiter des Auslandsbüros Kolumbien, über den jetzt beschlossenen Friedensvertrag zwischen Regierung und FARC-Guerilla

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Der Friedensvertrag hat zwar die Gewaltspirale beendet. Doch die Hardliner in der kolumbianischen Politik könnten Zulauf erhalten. Im Interview mit kas.de erläutert Dr. Hubert Gehring, wie es nun weitergeht in Kolumbien und warum er eine Polarisierung der kolumbianischen Bevölkerung befürchtet.

Im zweiten Anlauf haben die kolumbianische Regierung und die FARC-Guerilla nun einen Friedensvertrag schließen können, dem auch das Parlament zustimmt. Was bedeutet das für Kolumbien?

Dr. Hubert Gehring: Das Friedensabkommen ist zweifellos ein wichtiger und entscheidender Schritt auf dem Weg zu etwas wie einem „Wendepunkt“. Es besteht nun die Möglichkeit, von einem seit zwei Generationen bestehenden Konflikt mit Tausenden von Toten und Millionen von Vertriebenen zu einem stabilen und dauerhaften Frieden zu kommen. Das wird noch jahrelange, anhaltende Anstrengungen auf verschiedenen Ebenen verlangen, aber ein erster Erfolg ist schon jetzt zu sehen - ein Nachlassen der Gewaltspirale.

Man muss abwarten, was die Zukunft dann konkret bringen wird. Erstens, weil die wirkliche Einbindung und Umsetzung des zwischen den Verhandlungspartnern vereinbarten Abkommens noch aussteht. Das wird mit der Umsetzung von Reformen und Gesetzgebungsprozessen verbunden sein, verlangt aber auch politische Maßnahmen und ein entsprechendes Budget. Außerdem fällt die Umsetzung des Friedensabkommens mit der letzten Phase der Legislaturperiode des amtierenden Präsidenten Santos zusammen. In 2017 beginnt hier in Kolumbien der Wahlkampf für die Präsidentschaftswahlen 2018.

Zweitens ist es unabdingbar, dass beide Seiten ihre Versprechungen erfüllen, einerseits die Regierung aber auch die FARC die z.B. mit der Demobilisierung beginnen und die Waffen übergeben muss. Da wird es in der Praxis noch hier und da zu Rückschlägen kommen. Wichtig ist, dass der Weg in Richtung Zukunft weitergegangen wird.

Neun Geschichten aus einem Land, das Frieden lernt

In einem Projekt der Journalistischen Nachwuchsförderung der Konrad-Adenauer-Stiftung berichten deutsche und kolumbianische Journalisten aus neun Regionen Kolumbiens. Von Bogota über unwegsame Andengebiete bis zu vergessenen Pfahldörfern am Pazifik.

Wie ist Ihr Eindruck, wie wird der Vertragsabschluss von den Menschen aufgenommen? Diesmal konnte die Bevölkerung ja nicht mitentscheiden.

Nach der allgemeinen „Zermürbung“ vieler Kolumbianer in Folge des jahrelangen Friedensprozesses einerseits und vor allem nach der Ernüchterung, die das „nein“ bei der Volksabstimmung mit sich brachte, will die Regierung in diesem Thema wohl ein für alle Mal vorwärtskommen. In diesem Sinne herrscht zumindest bei einer Hälfte der Bevölkerung Hoffnung und Optimismus. Es muss jedoch auch betont werden, dass die andere Hälfte recht skeptisch ist und es noch sehr viel Kritik an dem Friedensabkommen gibt.

Was das Ergebnis der Volksabstimmung betrifft muss auch gesagt werden, dass, wie bei einigen anderen Abstimmungen und Wahlen in 2016, nicht nur rationelle Argumente und Fakten entscheidend waren, sondern auch Emotionen. In Kolumbien haben Gefühle wie Schmerz, Angst und Zorn bei dem Referendum eine große Rolle gespielt. Die Regierung war nicht in der Lage, diese Gefühle bei einer Hälfte der Bevölkerung aufzufangen. Insofern wollte sie wohl auch nicht das Risiko eingehen, bei einem zweiten Referendum wiederum ein „nein“ zu erhalten.

Der Vertrag wurde jetzt überarbeitet. Was genau hat sich geändert?

Die Regierung hat sich bemüht, bei den “Neuverhandlungen” des Abkommens Bedenken und Kritik der verschiedenen Verfechter des „nein“ zu berücksichtigen. Jedoch gab es in den für die Kritiker wichtigsten Punkten – politische Partizipation der ehemaligen Guerilleros und dem Thema Übergangsjustiz - keine wesentlichen Änderungen. Dies war allerdings wohl auch nicht möglich, die FARC hätte Änderungen in diesen Bereichen nicht akzeptiert. Insofern gab es drei relevante Neuerungen:

Erstens verpflichtet sich die FARC jetzt ausdrücklich, ein Inventar ihres Besitzes aufzustellen und damit ihre Opfer (sowohl individuell als auch in Gruppen) zu entschädigen.

Zweitens wird die FARC nun nicht mehr so viele Privilegien haben, was die Gründung einer politischen Partei angeht. Die FARC-Partei wird die gleiche Unterstützung erhalten, wie jede andere größere Partei auch.

Und der dritte und vielleicht wichtigste Punkt: das neue Abkommen wird keinen Verfassungscharakter mehr haben. Damit können zukünftige Präsidenten bzw. Regierungen Änderungen beschließen.

Den Rebellen wird politische Teilhabe zugestanden. Wie soll diese aussehen? Und wird das aus Ihrer Sicht in dem Land funktionieren?

Die FARC sollen in den ersten acht Jahren ab 2018 jeweils fünf Sitze im Senat und fünf im Repräsentantenhaus bekommen; dieser Punkt wurde im neuen Abkommen nicht angetastet. Was im neuen Abkommen jedoch klargestellt wird, ist dass die neue politische Bewegung der FARC für die sogenannten “circunscripciones especiales de paz” (d.h. zusätzliche Parlamentssitze zur Repräsentation historisch besonders von Konflikt gezeichneter Regionen) keine garantierten Sitze bekommt.

Ob das alles funktioniert bleibt abzuwarten. Ohne Zweifel kann man jedoch davon ausgehen, dass Hardliner in der kolumbianischen Politik Zulauf bekommen werden, nämlich von der Hälfte der Bevölkerung, die dem Abkommen skeptisch oder gar ablehnend gegenübersteht und die sich von Präsident Santos nicht ernstgenommen fühlt. Dies wird wohl zu einem harten Wahlkampf in 2018 führen und evtl. die Polarisierung in der kolumbianischen Bevölkerung noch verstärken. Außerdem ist nicht ausgeschlossen, dass frustrierte und verbitterte Gegner des Abkommens und vor allem Gegner der sehr moderaten Strafen für FARC-Guerilleros das Recht in die eigene Hand nehmen und Selbstjustiz üben. Es wäre nicht das erste Mal in der kolumbianischen Geschichte.

Bleibt zu hoffen, dass die Kolumbianer gemeinsam in Richtung Zukunft gehen und der Preis für eine Übereinkunft mit der FARC nicht mit einer Teilung der kolumbianischen Gesellschaft bezahlt werden muss.

Das Interview führte Stefan Stahlberg von der Online-Redaktion der Konrad-Adenauer-Stiftung.

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