Gleich zu Beginn der zwölften Europa-Rede der Konrad-Adenauer-Stiftung lobte Charles Michel die positiven gemeinsamen Errungenschaften, die während der Pandemie erreicht wurden, und berichtete von der Bewunderung für Europa im Ausland: „Sie sehen den größten Raum der Demokratie und Freiheit in der Welt. Den am weitesten fortgeschrittenen Raum des Wohlstands und der sozialen Entwicklung.“ Er machte jedoch ebenfalls deutlich, dass es Europa nur dann gelingen werde, sich den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts erfolgreich zu stellen, wenn es auf Einigkeit, eine globale Sicherheits- und Verteidigungsstrategie, Wohlstand, eine starke Handelskraft und „Strategische Autonomie“ setzte.
„Angriff auf unsere EU-Außengrenzen“
Mit Blick auf die globale Sicherheit ging Charles Michel auf das „Silo-Denken“ einzelner Staaten ein, wenn es beispielsweise um die Politikfelder Handel, Entwicklung, Wettbewerb, Nachbarschaft und Klimaschutz geht und schlug damit die Brücke zu den jüngsten Ereignissen an der Grenze zwischen Polen und Belarus. Er berichtete von der Aufforderung des Europäischen Rates an die Kommission, „alle notwendigen Maßnahmen im Einklang mit dem EU-Recht in die Wege zu leiten“ – und betonte in diesem Zusammenhang auch „die Debatte über die EU-Finanzierung der Grenzinfrastruktur“.
„Starke Verbündete bilden starke Allianzen“
Als der Ratspräsident auf die Verteidigung zu sprechen kam, verdeutlichte er anhand der jüngsten Entwicklungen in Afghanistan und im indopazifischen Raum, dass Europa zukünftig mehr Verantwortung übernehmen müsse und eine übermäßige Abhängigkeit von den USA auf Dauer „nicht gesund sei“. Damit verwies er sogleich auf den „Strategic Compass“, der von Josep Borrell, dem Hohen Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, erarbeitet wird und darauf abzielt die Grundlagen für eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungsstrategie unter den Mitgliedsstaaten der EU zu schaffen.
Insbesondere betonte Michel die Dringlichkeit, „defensive und abschreckende Cyber-Fähigkeiten zu schaffen“ und „Synergien zwischen der Zivil-, der Raumfahrt- sowie der Verteidigungsindustrie zu stärken“; so wurde im vergangenen April das neue Raumfahrtprogramm der EU verabschiedet - mit einem Rekordbudget von 13 Milliarden Euro.
„Die Corona-Pandemie hat bestehende Probleme in der EU schonungslos in den Fokus gerückt.“
Der Stiftungsvorsitzende Prof. Dr. Norbert Lammert, der an diesem Abend die Gäste im Berliner Allianz-Forum begrüßte, machte deutlich, dass das „gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Modell der EU Konkurrenz bekommen hat“ und sich ihre „Gestaltungsfähigkeit nach außen und ihr Nutzen nach innen“ beweisen müssen. Trotzdem sehe er die EU als eine „tragfähige Antwort auf den Verlust von Souveränität in Zeiten der Globalisierung“.
Im Anschluss an die Rede des Ratspräsidenten sprach Carla Hustedt, Leiterin des Bereichs „Digitalisierte Gesellschaft“ der Stiftung Mercator. Sie forderte bei der Bewältigung der Klimakrise, dem Umgang mit digitalen Technologien oder der Frage nach Europas Rolle in der Welt die „Berücksichtigung von möglichst diversen Stimmen.“ So unterstützt die Mercator Stiftung u. a. das europapolitische Engagement junger Menschen mit der Initiative „Wir sind Europa“, ein Projekt, das die Diskussion mit politischen Entscheidungsträgerinnen und – trägern ermöglicht.
In einer anschließenden Gesprächsrunde diskutierte Charles Michel mit Lukas Hochscheidt (Präsident, Polis180), Rina Hajdari (Absolventin, Hertie School of Governance), Anya Suprunenko (Exekutivdirektor, Europäisches Jugendparlament) und Peter Techet (Freier Journalist und Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Wir sind Europa) unter anderem, wie man junge Menschen besser in europäischen Dialog integrieren und mehr Chancengleichheit schaffen könne. Dies sei auch in der Konferenz zur Zukunft Europas ein Thema, wie Michel unterstrich. Dabei handelt es sich um ein politisches Gremium, das am 9. Mai 2021, dem Europatag, offiziell gestartet ist und bis 2022 neue Antworten für „die Zukunft der Europäischen Demokratie formulieren“ und „die nächsten Schritte der europäischen Integration vorzeichnen soll“.
„Europe Bottom-Up“
Dr. Volker Hassemer, Vorsitzender der Stiftung Zukunft Berlin, resümierte zum Abschluss, dass „Europa sich unmittelbar und selbst um ihr Eigentum kümmern müsse“. Bei allen Erfolgen habe sich die EU in den vergangenen Jahrzehnten zu sehr „top-down“, also von oben nach unten, entwickelt. Was Europa jetzt dringend brauche, sei die Mitwirkung Mitverantwortung von unten nach oben durch die Europäer und Europäerinnen.
Zwölfte Europa-Rede der Konrad-Adenauer-Stiftung
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