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Länderberichte

Autokephalie der orthodoxen Kirche in der Ukraine

Eine Entscheidung für Jahrhunderte

Die Ukraine hat Kirchengeschichte geschrieben. Der Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios I., Ehrenoberhaupt der Weltorthodoxie, hat die im Dezember 2018 gegründete „Orthodoxe Kirche der Ukraine“ am 6. Januar 2019 als eigenständige (autokephale) Landeskirche anerkannt. Das Dokument, welches hierzu vom Oberhaupt der neuen Kirche, dem 39 Jahre alten Metropoliten Epifanij, unterzeichnet wurde, wird „Tomos“ genannt, ein kirchlicher Begriff, welcher im letzten Jahr Eingang gefunden hat in die innerukrainische politische Debatte.

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Spätestens seit dem orthodoxen Weihnachtsfest ist er auch im Wortschatz der ukrainischen Öffentlichkeit angekommen. Die Dreiteilung der ukrainischen Orthodoxie in das Moskauer und Kiewer Patriarchat sowie die Autokephale Orthodoxe Kirche gehört seitdem der Vergangenheit an. Künftig wird es in der Ukraine zwei orthodoxe Kirchen geben: die Orthodoxe Kirche der Ukraine und die Russisch-Orthodoxe Kirche (ROK).

Nächste Schritte: Anerkennung durch 14 weitere orthodoxe Landeskirchen

Die Orthodoxe Kirche der Ukraine ist mit dem Tomos 14 weiteren orthodoxen Landeskirchen gleichgestellt, muss von diesen allerdings noch anerkannt werden. Russland als eine der Landeskirchen verurteilte bereits im Vorfeld die Vergabe des Tomos durch den Ökumenischen Patriarchen an die Ukraine aufs Schärfste, die ROK hatte im Herbst letzten Jahres aus diesem Grund ihre Beziehungen mit Konstantinopel abgebrochen.

Metropolit Epifanij hofft auf eine baldige Anerkennung zunächst durch die griechisch-orthodoxe sowie die rumänische Kirche, vorerst nicht zu erwarten ist dagegen die Anerkennung seitens der traditionell eng mit Moskau verbundenen Kirchen Serbiens und Bulgariens. Klar auf die Seite der ROK stellte sich bereits die orthodoxe Kirche Antiochiens, deren kanonisches Territorium sich in Syrien befindet, einem engen militärischen Verbündeten Russlands.

Gesetzliche Regelungen für den Wechsel von Gemeinden

In der letzten Woche verabschiedete die Werchowna Rada nach zweijähriger Diskussion ein Gesetz, das Strukturen vorgibt, wie der Übertritt von Gemeinden generell und damit auch zur neuen orthodoxen Kirche zu erfolgen hat. In jedem Fall müssen 2/3 der Gläubigen der jeweiligen Gemeinde diesem Wechsel zustimmen. Es ist zu erwarten, dass mit der neuen Gesetzeslage die Übertritte zahlreicher werden. Allerdings ist ein solcher Wechsel mit einem nicht unerheblichen Aufwand verbunden. Jede dieser Gemeinden muss sich mit ihrem Statut neu registrieren lassen.

Damit verbunden ist auch die Überführung des Eigentums der Gemeinde. Kirchengebäude aber gehören in der Ukraine auch aufgrund eines bislang fehlenden Restitutionsgesetzes fast ausnahmslos entweder dem Staat oder den Kommunen. Sogar die Klosteranlage der Lawra, das Heiligtum der Russischen Orthodoxie in Kiew, gehört dem ukrainischen Staat und wurde unter Jurisdiktion des Moskauer Patriarchats bisher lediglich verwaltet.

Wechselstimmung und nationale Konsolidierung

Bis Ende letzten Jahres gehörten offiziell noch ca. 12.000 Gemeinden zur Jurisdiktion des Moskauer Patriarchats, allerdings stieg der Anteil der Gläubigen, die sich dem Kiewer Patriarchat zugehörig fühlten, zwischen 2013 und 2018 von 25,9% auf 42,6%. Nur noch 19,1% gaben 2018 an, Anhänger des Moskauer Patriarchats zu sein. Die deutliche Zuwendung der Gläubigen zum Kiewer Patriarchat stand in einem engen Zusammenhang mit der gesellschaftlichen und nationalen Konsolidierung der Ukraine in den Jahren nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und dem Konflikt mit den von Russland unterstützten Separatisten in der Ostukraine.

Insgesamt bekennen sich in der Ukraine 67% der Bevölkerung zur Orthodoxie. Der Wunsch nach einer eigenständigen orthodoxen Kirche der Ukraine gewann in den Jahren nach der Unabhängigkeit 1991 immer mehr Befürworter. Auch aufgrund des andauernden Konflikts mit Russland und der dadurch entstandenen politischen Abgrenzung zum Nachbarland wurde er zu einem der wichtigsten Anliegen von Staatspräsident Poroschenko im vergangenen Jahr. Seit Sommer wirbt er mit der Losung „Armee, Sprache, Glauben“ und erklärte kürzlich während seiner „Tomos-Tour“ durch verschiedene Städte der Ukraine: „Der Tomos ist ein Sieg der Ukraine und eine Niederlage Russlands – nicht kleiner und vielleicht wichtiger als ein Sieg an der Front“.

Auch wenn dieser Satz für viel Widerspruch insbesondere bei Militärs sorgte, so fasst er anschaulich zusammen, wie nachhaltig der russische Einfluss auf die Ukraine durch den Machtverlust der ROK geschwächt wird. Bislang war das Moskauer Patriarchat trotz aller Beteuerungen von weitreichender Autonomie ein wirkungsvolles Instrument von „Soft Power“ in den Händen des Kremls gewesen.

Hohes Vertrauen in die Institution Kirche

Dieser neue Abschnitt der Kirchengeschichte hat das Blatt für die nächsten Jahrzehnte, wenn nicht sogar Jahrhunderte gewendet und wäre auch bei politischen Wechseln im Präsidentenamt unumkehrbar. 72% der Menschen in der Ukraine bezeichnen sich als religiös, im Westen des Landes sind es sogar 89%, dagegen im Osten nur 40%. In Korrelation dazu steht auch das hohe Vertrauen in die Institution Kirche und ihre Rolle als moralische Autorität. Eine Staatskirche, wie sie die ROK in Russland darstellt, wünscht man sich in der Ukraine nicht, Religions- und Gewissensfreiheit, Toleranz gegenüber anderen Glaubensrichtungen haben gemäß Umfragen einen sehr hohen Stellenwert.

Bisher gibt es keine Anzeichen dafür, dass sich ein Konflikt innerhalb der orthodoxen Gemeinden in der Ukraine anbahnen könnte. Orthodoxe Kirche und Politik der Ukraine aber tun gut daran, den nun folgenden Übergangsprozess weiterhin transparent und tolerant zu gestalten. Das hilft ihr auch nach außen, bei der Anerkennung durch die anderen orthodoxen Landeskirchen. Die russische Politik wird versuchen, eben diese zu verhindern.

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Gabriele Baumann

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Leiterin des Projekts Nordische Länder

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