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Länderberichte

Bulgarien nach den Europawahlen 2019

von Thorsten Geißler

GERB mit Abstand stärkste Partei. Vorsitzende der BSP tritt zurück

Wochenlang hatten die Demoskopen bei der Europawahl in Bulgarien ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der Regierungspartei GERB („Bürger für die europäische Entwicklung Bulgariens“, EVP-Mitglied) und der BSP (Bulgarische Sozialistische (vormals Kommunistische) Partei, PES-Mitglied) vorhergesagt, aber am Ende hatte GERB doch deutlich die Nase vorn.

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Wahlergebnis

Die bürgerliche Partei GERB erzielte am Wahlsonntag nach den noch nicht endgültigen Ergebnissen 30,94% der Stimmen und verwies die Sozialisten, die 24,4% erzielten, auf Rang 2. Ein gutes Ergebnis verbuchte auch die „Bewegung für Rechte und Freiheiten“ (DPS, ALDE-Mitglied), die die Interessen der türkischen Minderheit vertritt und 16,36% der Stimmen erzielte. Überraschend stark schnitt die radikalnationalistische WRMO („Innere Mazedonische Revolutionäre Organisation, EKR-Mitglied) ab. Sie kam auf 7,42% der Stimmen. Das Wahlbündnis „Demokratisches Bulgarien“, bestehend aus den „Demokraten für ein starkes Bulgarien“ (DSB, EVP-Mitglied), der Partei „Ja, Bulgarien“ und den bulgarischen Grünen erreichte mit 6,24% der Stimmen ein zufriedenstellendes Ergebnis. Somit werden fünf bulgarische Parteien Abgeordnete in das Europäische Parlament entsenden.

Alle anderen Parteien schafften nicht den Sprung über die faktische 5,88%-Sperrklausel, darunter die nationalistischen Parteien „Ataka“ und NFSB („Nationale Front zur Rettung Bulgariens“). Diese waren bei der letzten Parlamentswahl mit der WMRO ein Wahlbündnis unter dem Namen „Vereinte Patrioten“ eingegangen, bilden in der Nationalversammlung eine gemeinsame Fraktion und stellen zusammen mit GERB die Regierung. Auch die im Parlament vertretene populistische Partei „Wolja“ erzielt bei der Europawahl mit 3,6% ein eher enttäuschendes Ergebnis.

Bei der letzten Europawahl hatte GERB 30,4% der Stimmen erzielt, die BSP lag bei 18,94%, die DPS kam auf 17,26%, der nicht mehr existierende bürgerliche Reformblock verzeichnete 6,45%, Ataka kam auf 2,96% und die NFSB auf 3,05%.

GERB trotz Gegenwind erfolgreich

GERB hat die jüngste Wahl „auf den letzten Metern“ für sich entschieden. Eine Affäre, die in Bulgarien den Namen „Apartmentgate“ trägt, hatte zahlreiche Rücktritte prominenter GERB-Politiker ausgelöst, denen vorgeworfen wurde, Wohnungen weit unter dem Marktpreis erworben zu haben. Dies hatte zu einer Verunsicherung der GERB-Anhängerschaft geführt und die Partei befürchtete, bei der Wahl abgestraft zu werden. Doch dann warf Ministerpräsident Bojko Borissow in der Schlussphase des Wahlkampfes sein gesamtes politisches Gewicht in die Waagschale, tourte unermüdlich durch das Land, verwies auf die Erfolge der Regierung insbesondere im wirtschaftlichen Bereich und warnte vor einem Erfolg der BSP. Zugleich gab er sich demütig und versicherte, GERB habe aus der Affäre gelernt. Wichtige Unterstützung erhielt die Partei vom EVP-Spitzenkandidaten Manfred Weber, der auf einer Großkundgebung in Sofia vor mehreren tausend Menschen sprach. Als kluger Schachzug erwies sich auch, dass GERB bei der Wahl ein Bündnis mit der „Union Demokratischer Kräfte“ (SDS, EVP-Mitglied) und einigen anderen kleinen bürgerlichen Parteien eingegangen war. Die Anhängerschaft dieser Parteien ist nicht sehr groß, aber sie dürfte mit ihren Stimmen zumindest sichergestellt haben, dass GERB die psychologisch wichtige „30%-Hürde“ meisterte. Entsprechend erfreut über das Ergebnis zeigte sich Ministerpräsident Bojko Borissow. „Ich bin zufrieden. Wir sind Sieger trotz der Hasskampagne gegen uns, auch der Staatspräsident war gegen uns“, kommentierte der Regierungschef das Ergebnis.

BSP-Vorsitzende muss aufgrund des Wahlergebnisses zurücktreten

Für die BSP bedeutet das Ergebnis eine herbe Enttäuschung. Zwar verzeichnete sie im Vergleich zur letzten Europawahl deutliche Gewinne, aber sie blieb unter ihrem Ergebnis bei der letzten Parlamentswahl (27,93%) und deutlich unter den ihr von den Meinungsforschern vorhergesagten 31 – 32%. Offenbar haben die monatelangen Machtkämpfe zwischen der nationalistisch-populistischen Parteivorsitzenden Kornelia Ninowa und ihrem Rivalen, dem pro-europäischen Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE), Sergej Stanischew, der Partei doch stärker geschadet als zunächst angenommen. Und möglicherweise haben ihr einige potenzielle Wähler auch übel genommen, dass die Partei seit Februar die Sitzungen des Parlaments boykottiert hat und sich ihre Abgeordneten damit für demonstratives Nichtstun bezahlen ließen. Ninowa versuchte anfänglich, das Ergebnis schönzureden: „Unsere große Sorge gilt der niedrigen Wahlbeteiligung in Bulgarien, besonders vor dem Hintergrund der Wahlbeteiligung in Europa. Im Gegensatz zu allen anderen Parteien, die Europaabgeordnete entsenden, haben wir eine Steigerung der absoluten Stimmenzahl und einen Europaabgeordneten mehr.“ Auch weigerte sie sich zunächst, von ihrem Parteivorsitz zurückzutreten, stattdessen kündigte sie an, dass baldmöglichst eine Urabstimmung über den künftigen Parteivorsitz stattfinden solle. Doch die kritischen Stimmen innerhalb der Partei, die unmittelbar nach Bekanntwerden des Wahlergebnisses eingesetzt hatten, wurden immer lauter. Ninowa sah sich während einer turbulenten Sitzung des Parteivorstandes am Dienstag nach der Wahl gezwungen, die „volle Verantwortung“ für die Wahlniederlage ihrer Partei zu übernehmen und ihr Amt niederzulegen. Es ist derzeit völlig ungewiss, wer künftig die BSP führen wird.

Partei der türkischen Minderheit kann ihre Wähler mobilisieren

Die „Bewegung für Rechte und Freiheiten“ (DPS) konnte erneut ihre äußerst disziplinierte Wählerschaft mobilisieren. Offenbar hat es ihr nicht geschadet, dass der in Bulgarien äußerst umstrittene Medienunternehmer Deljan Peewski auf Platz 2 ihrer Liste kandidierte. Das Ergebnis der Europawahl bedeutet auch, dass der Versuch der türkischen Regierungspartei, eine zweite Partei der ethnischen Türken in Bulgarien zu etablieren, gescheitert sein dürfte. Bei Konflikten zwischen der Türkei und Russland schlägt sich die DPS regelmäßig auf die Seite Moskaus.

WRMO punktet im nationalistischen Lager, das Wahlbündnis „Demokratisches Bulgarien“ bei den Auslandsbulgaren

Der WRMO ist es offenbar gelungen, nicht nur ihre eigene Wählerschaft zu mobilisieren, sondern auch Anhänger der beiden anderen nationalistischen Parteien zu sich herüberzuziehen. Die Partei führte zudem einen äußerst intensiven Wahlkampf, der Fragen zu dessen Finanzierung auslöste.

Das Wahlbündnis „Demokratisches Bulgarien“ hat seine Hauptanhängerschaft im gebildeten, urbanen Milieu. 40% der Stimmen, die diese Formation erzielte, kamen aus der Hauptstadt Sofia, hier wurde die Partei nach GERB und der BSP dritte Kraft. Bei den Auslandsbulgaren erzielte das „Demokratische Bulgarien“ sogar 28,76% der Stimmen und wurde in dieser Wählergruppe stärkste Partei.

Überblick über die bulgarischen Abgeordneten im Europäischen Parlament

GERB wird künftig zumindest mit sechs Abgeordneten (bisher ebenfalls sechs) im Europäischen Parlament vertreten sein:

Die Spitzenkandidatin Marija Gabriel (40) verfügt über umfangreiche politische Erfahrung auf europäischer Ebene. Derzeit ist sie EU-Kommissarin für digitale Wirtschaft und Gesellschaft.

Andrej Kowatschew (51) gehört dem EU-Parlament seit 2009 an und war bisher einer der stellvertretenden Vorsitzenden der EVP-Fraktion. In Bulgarien ist er landesweit bekannt.

Andrej Nowakow (30) ist seit 2014 EU-Parlamentarier. Er ist einer der Hoffnungsträger von GERB und wurde mit einem Preis des FORBES-Magazins für die erfolgreichsten jungen europäischen Politiker Europas „30 unter 30“ ausgezeichnet.

Auch Eva Maydell (33) gehört dem Europaparlament seit 2014 an. Sie ist Mitglied im Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz und in der Delegation für die Beziehungen zur Volksrepublik China.

Asim Ademow (50) zog 2017 als Nachrücker in das Europäische Parlament ein, nachdem Maria Gabriel zur EU-Kommissarin gewählt worden war. Er war bisher Mitglied des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres.

Alexander Jordanow (67) ist Mitglied der SDS (Union Demokratischer Kräfte). Der Literaturprofessor und ehemalige Parlamentspräsident wird für diese Partei neu in das EU-Parlament einziehen.

Sollte Maria Gabriel erneut zur EU-Kommissarin gewählt werden, wird für sie die ehemalige Ministerin für die bulgarische EU-Ratspräsidentschaft Liljana Pawlowa nachrücken. Es ist jedoch auch nicht völlig ausgeschlossen, dass GERB ein siebtes Mandat zugesprochen wird.

Die BSP wird mit fünf Abgeordneten (bisher vier) in das EP einziehen.

Spitzenkandidatin der BSP bei der Wahl war Elena Jontschewa (55). Sie wird diese Partei, der sie nicht angehört, im EU-Parlament vertreten. Die in Bulgarien sehr bekannte Journalistin ist derzeit von der Staatsanwaltschaft wegen Geldwäsche angeklagt.

Peter Witanow (52) gehört seit 2017 der bulgarischen Nationalversammlung an.

Zwetelina Penkowa (31) zieht neu in das EU-Parlament ein. Die Investmentbankerin ist zwar langjähriges BSP-Mitglied, politisch bisher jedoch ein unbeschriebenes Blatt.

Iwo Hristow (48) zieht neu in das Europaparlament ein, bisher war er Kabinettschef von Staatspräsident Rumen Radew, der mit Unterstützung der BSP in sein Amt gewählt wurde.

Sergej Stanischew (53) ist ehemaliger Ministerpräsident Bulgariens (2005 – 2009), 2014 wechselte er von der nationalen auf die europäische Ebene. Bereits seit 2011 ist er Vorsitzender der Europäischen Sozialdemokraten (SPE). Der Rivale von Kornelia Ninowa schob sich durch Vorzugsstimmen weiter nach vorn auf der Liste, möglicherweise auf Platz 2.

Die DPS erhält drei Sitze im EU-Parlament. Der Spitzenkandidat Mustafa Karadeja (49), der auch Parteivorsitzender ist, hat erklärt, auf das Mandat verzichten zu wollen.

Delijan Peewski (38) ist derzeit Abgeordneter in der Nationalversammlung und Eigentümer eines Medienimperiums. Er ist in Bulgarien äußerst einflussreich und ebenso umstritten.

Ilhan Kiutschuk (33) ist seit 2014 Abgeordneter im EU-Parlament und Vorsitzender der DPS-Jugendorganisation.

Iskra Mihajlowa (61) ist ehemalige Umweltministerin und seit 2014 Mitglied des Europäischen Parlaments.

Angel Dschambaski (40) zog 2014 für die WRMO als einziger Abgeordneter in das EU-Parlament ein. Er gilt als äußerst fleißig und dürfte durch seine starke Medienpräsenz zum guten Abschneiden seiner Partei beigetragen haben. Allerdings fällt er immer wieder durch aggressive rechtsextreme Hetze auf. So äußert er sich beispielhaft auf seiner offiziellen Website u.a. mit folgen Worten: „Erzählen Sie mir etwas über die Integration, über die Toleranz, über den „Liberalismus“, über den „Humanismus“, über die gesamte Sorosoiden-Zigeunerschützende-Gruppe. Dann werde ich Ihnen sagen, wie man einen Strick benutzt.“[1]

Wahrscheinlich hat die WRMO ein zweites Mandat erobert. In dem Fall wird der Schauspieler und Regisseur Andrej Slabakow (58) die Partei künftig im EU-Parlament vertreten. Er hat sich überraschend durch Vorzugsstimmen auf den zweiten Listenplatz nach vorne gekämpft.

Für das „Demokratische Bulgarien“ wird voraussichtlich der ehemalige DSB-Parteivorsitzende Radan Kanew (43) neuer EU-Parlamentarier. Der Jurist gehörte bis 2017 dem bulgarischen Parlament an, hatte sich dann jedoch zunächst weitgehend aus der Politik zurückgezogen.

Einordnung und Ausblick

Die Wahlbeteiligung in Bulgarien war mit 26,2% äußerst niedrig, 2014 waren noch 35,84% der wahlberechtigten Bulgaren zu den Urnen gegangen. Dazu beigetragen haben dürfte die Tatsache, dass der Freitag vor der Wahl arbeitsfrei war. Viele Bulgaren nutzten das Wochenende für einen Kurzurlaub und waren am Wahlsonntag nicht in ihrer Heimatgemeinde.

Das Ergebnis der Europawahl bedeutet für GERB eine gute Ausgangsposition für die im Herbst anstehenden Kommunalwahlen. Die Partei schnitt erneut gut in den größeren Städten ab und hat damit beste Chancen, ihre Bürgermeisterämter zu halten. Die BSP hat weiterhin ihre Hochburgen bei älteren Menschen im ländlichen Raum, vorwiegend im Nordwesten und Südosten des Landes. Die DPS ist unangefochtene Kraft bei der türkischen Minderheit. Die Zukunft des Wahlbündnisses „Vereinte Patrioten“ ist ungewiss, nachdem es der WRMO gelungen ist, „Ataka“ und die „Nationale Front für die Rettung Bulgariens“ in den Schatten zu stellen. Das „Demokratische Bulgarien“ hat nach derzeitigem Stand durchaus Aussicht, sich als bürgerliche Formation dauerhaft auf der politischen Bühne zu etablieren.

[1] https://www.djambazki.org/index.php?/media/view/1331/v-sypernik-pernik-djambazki-kym-roma-ubil-aleks-shte-vi-razkaja-kak-se-izpolzva-vyje. (Zugriff am: 28.05.2019).

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