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Yossipik, CC BY-SA 4.0 , via Wikimedia Commons

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Israel ein Jahr nach dem Terrorüberfall der Hamas

z Michael Rimmel, Johannes Sosada

Ein Krieg, mehrere Fronten

Am 7. Oktober 2024 jährt sich erstmalig der Terrorüberfall der Hamas auf Israel und der seitdem an mehreren Fronten geführte Krieg. Noch immer befinden sich 101 von der Hamas verschleppte Israelis im Gazastreifen. Die Sicherheitslage im Land hat sich im letzten Jahr immer wieder verändert und zugespitzt. Insbesondere im Norden ist der Konflikt mit der Hisbollah über die Sommermonate immer weiter eskaliert. Israel verlegte bereits über die letzten Monate signifikante Kräfte in den Norden. Nach der Tötung von Hisbollah-Chef Nasrallah hat Israel mit einer Bodenoffensive im Südlibanon begonnen. Die Front mit der Hamas im Gazastreifen, sowie die im Norden mit der Hisbollah, sind dabei jedoch nicht die einzigen, mit denen sich Israel seit einem Jahr auseinandersetzen muss. So wurde Israel am 1. Oktober (erneut) direkt vom Iran mit einer Vielzahl von ballistischen Raketen angegriffen. Eine israelische Antwort auf diese Attacke steht bisher noch aus, ist aber zu erwarten. Entlang der verschiedenen Fronten und Konfliktherde lässt sich ein Jahr nach dem Terrorangriff der Hamas die (Sicherheits-)Lage in Israel wie auch die gegenwärtige Zuspitzung der Eskalation analysieren und nachvollziehen.

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Hamas im Gazastreifen

Eines der Kriegsziele, welches die israelische Regierung unmittelbar nach dem 7. Oktober 2023 ausrief, war die vollständige Kapitulation und Vernichtung der Hamas im Gazastreifen. Dieses Ziel konnte auch ein Jahr später bisher nicht erreicht werden. Auch wenn mittlerweile weite Teile der Hamas-Einheiten besiegt wurden, so kommt es doch immer wieder zu Re-Gruppierungen von Terroristen, sobald sich die IDF aus bestimmten Gebieten zurückzieht. Auch gelingt es der Hamas noch immer vereinzelt Raketen in israelisches Territorium zu schießen. Mittlerweile sind in Gaza über 350 israelische Soldaten gefallen. Auf palästinensischer Seite hat sich die Situation im Gazastreifen zu einer humanitären Notlage entwickelt. Palästinensische Angaben sprechen inzwischen von mehr als 41.000 Toten (dazu zählen auch Hamas-Terroristen) und hunderttausenden Binnenflüchtlingen. Seit Kriegsbeginn wurden weite Teile der Infrastruktur zerstört und Krankheiten breiten sich aus. Israel sieht sich auf internationaler Ebene immer wieder schweren Vorwürfen zu seiner Kriegsführung ausgesetzt – gleichzeitig nutzt die Hamas die Zivilbevölkerung als menschliche Schutzschilde und schießt immer wieder aus humanitären Zonen oder zivilen Einrichtungen wie Schulen, Kindergärten oder Krankenhäusern. Hauptthema auf israelischer Seite bleibt weiterhin die Befreiung der israelischen Geiseln, die von der Hamas verschleppt wurden. Auch wenn es im Kriegsverlauf mehrfach gelungen ist, einige Geiseln in spektakulären Rettungsaktionen zu befreien, so befinden sich noch immer 101 Personen in der Gewalt der Hamas, wobei die IDF davon ausgeht, dass ein Teil der Personen bereits tot ist. Im November 2023 konnte ein Teil der Geiseln im Austausch gegen palästinensische Terroristen und einen kurzzeitigen Waffenstillstand befreit werden. Erneute Verhandlungen und mögliche Deals scheiterten anschließend mehrfach. Derzeit sieht es nicht so aus, dass in irgendeiner Form ein Abkommen zustande kommt. Auch innerhalb der israelischen Regierung stehen viele einem möglichen Deal skeptisch gegenüber, da sie befürchten, dass die Hamas so überleben und das erklärte Kriegsziel ihrer Vernichtung nicht erreicht würde. Insbesondere die ultrarechten Koalitionspartner Netanyahus drohten mehrfach aus der Regierung auszutreten, sollte es zu einem Abkommen mit der Hamas kommen. Gleichzeitig führte das Schicksal der Geiseln zu starken Protesten im Land, bei denen vor allem der Regierung Untätigkeit vorgeworfen wird. Ein Jahr nach Ausbruch des Krieges ist außerdem weiterhin unklar, was nach einem Sieg über die Hamas mit dem Gazastreifen passieren soll. Israel hat eigentlich kein Interesse an einer langfristigen Besatzung des Gazastreifens. Aus Mangel an Alternativen, sowie der israelischen Prämisse, dass nie wieder eine Gefahr vom Gazastreifen ausgehen darf, könnte Israel jedoch dazu gezwungen sein, das Gebiet längerfristig militärisch zu kontrollieren. Zudem gibt es bisher keinen Plan, wie die Hamas nach einem möglichen militärischen Sieg, dauerhaft besiegt werden kann.

 

Die Hisbollah

Seit dem 8. Oktober beschießt die Hisbollah aus dem Libanon den Norden Israels. Mehrere tausende Raketen wurden dabei auf Israel abgeschossen, wovon die IDF einen großen Teil mit ihren Abfangsystemen abwehren konnte. Bis zu den Sommermonaten 2024 beschränkte sich die Hisbollah bei ihrem Beschuss vorwiegend auf den unmittelbaren Norden Israels aus dem über 60.000 Israelis evakuiert wurden. Auf den Raketenbeschuss antwortete die IDF meist mit gezielten Luftangriffen. Der andauernde Raketenbeschuss macht die Situation im Norden des Landes dabei seit Monaten untragbar. Viele Stimmen aus Bevölkerung, Politik und Militär fordern schon lange von der israelischen Regierung endlich (militärisch) tätig zu werden, um so eine sichere Rückkehr der Evakuierten zu gewährleisten. Nachdem 12 Kinder und Jugendliche bei einem Luftangriff der Hisbollah auf ein drusisches Dorf auf den Golanhöhen getötet wurden und Israel als Reaktion einen ranghohen Hisbollah-Kommandeur in Beirut tötete, spitzte sich die Situation weiter zu. Mit den Pager- und Funkgeräte-Explosionen, sowie den massiven Luftangriffen auf den Südlibanon seit Mitte September, hat nun die IDF die Initiative im Norden übernommen, verbunden mit dem Ziel der Bedrohung durch die Hisbollah längerfristig zu begegnen. Hierfür wurden schon seit längerem freiwerdende Einheiten aus dem Gazastreifen sowie zusätzliche Reservisten in den Norden verlegt. Mit der Tötung von Hisbollah-Anführer Hassan Nasrallah konnte der Terrororganisation ein weiterer und entscheidender schwerer Schlag zugefügt werden. So sind weite und zentrale Teile der Führungsriege der Hisbollah eliminiert und die Organisation damit momentan führungs- und orientierungslos. Der IDF hingegen gelingt es durch die erfolgreichen Militäraktionen der letzten Wochen nicht nur nach innen das Ansehen in der eigenen Bevölkerung wiederaufzubauen, sondern auch die Abschreckungsfähigkeit Israels nach außen nach dem massiven Versagen am 7. Oktober 2023 wiederherzustellen. Mit der nun begonnenen Bodenoffensive sollen die Terrorstrukturen der Hisbollah nachhaltig zerstört werden, sodass die Bewohner Nordisraels sicher in ihre Häuser zurückkehren können und auch langfristig keiner Bedrohung aus dem Libanon ausgesetzt sind. Die sichere und dauerhafte Rückkehr der aus dem Norden evakuierten Bürgerinnen und Bürger ist zuletzt auch als zusätzliches Kriegsziel von der israelischen Regierung offiziell verkündet worden. Das Ziel der gerade begonnenen Bodenoffensive scheint es daher zu sein, die Hisbollah mindestens bis hinter den circa 25 Kilometer hinter der israelisch-libanesischen Grenze verlaufenden Litani-Fluss zurückzudrängen – so es wie laut UN-Resolution 1701 eigentlich vorgesehen ist. Der am 1. Oktober erfolgte (erneute) Angriff des Iran kann auch als Reaktion auf den Beginn der Bodenoffensive gesehen werden: Mit der massiven Schwächung der Hisbollah droht dem Iran (nach der Zerschlagung der Hamas im Gazastreifen) der Verlust eines weiteren, sehr wichtigen Proxys.

 

Iran und seine weiteren Proxys

Neben der Hamas und der Hisbollah beschießen immer wieder die Huthi aus dem Jemen und iranische Milizen aus Syrien und dem Irak Israel. Die Raketen und Drohnen dieser Proxys haben dabei nicht nur die Hafenstadt Eilat im Süden Israels erreicht, sondern mehrfach auch Tel Aviv und weitere Orte im Norden des Landes. Insbesondere seit der Eskalation mit der Hisbollah versuchen die Huthi verstärkt Ziele im Zentrum Israels anzugreifen. Im Juli wurde bei einem Drohnenangriff auf Tel Aviv ein Israeli getötet – Israel zerstörte in Reaktion darauf wichtige Hafenanlagen in Hodeida. Trotz eines internationalen Militäreinsatzes kommt es immer wieder zu Angriffen der Huthi auf Frachtschiffe im Roten Meer oder dem Golf von Aden, weswegen große Reedereien inzwischen die Region umfahren. Inzwischen hat Israel auch in Jemen zum zweiten Mal strategische Ziele der Huthi angegriffen – mehr als 1.800 Kilometer von der israelischen Landesgrenze entfernt. Die iranischen Milizen, Huthi und Hisbollah haben dabei gemeinsam, dass sie als Proxys des Iran von diesem nicht nur ideologisch, sondern auch finanziell und materiell ausgerüstet werden. Dem Iran ist es dabei über Jahre fortlaufend gelungen, einen Ring aus gut ausgerüsteten Terrororganisation um Israel zu legen, welche das Land nun aus verschiedenen Richtungen fortwährend attackieren. Einen zunächst einschneidenden Präzedenzfall stellte der erstmalige direkte Angriff des Iran auf Israel im April 2024 dar. Die angekündigte Attacke folgte nach einem gezielten israelischen Luftschlag auf ein iranisches Konsulatsgebäude in Damaskus, bei dem hochrangige Kommandeure der Hisbollah wie auch der iranischen Revolutionsgarden getötet wurden. Die israelische Luftabwehr konnte die Leistungsfähigkeit seiner Luftverteidigung unter Beweis stellen, indem es auch mit Unterstützung befreundeter Staaten 99 % aller Geschosse abfing. Der Angriff lässt sich insofern als Zäsur bezeichnen, als dass der Iran damit seine Bereitschaft signalisiert hat, nicht nur indirekt durch seine Proxys, sondern auch direkt zur Kriegspartei zu werden. Diese Bereitschaft hat der Iran mit seiner wiederholten direkten Attacke erneuert. Im Vergleich zum April setzte der Iran diesmal keine Drohnen, sondern ausschließlich ballistische Raketen ein, wodurch die verbliebene Vorwarnzeit wesentlich geringer ausfiel. Auch bei dieser Attacke konnte ein Großteil der Geschosse abfangen und israelische Personenschäden verhindern – es kam aber auch zu Einschlägen u.a. auf israelischen Militärbasen. Die Attacke lässt sich als länger angekündigte Reaktion auf die Tötung des Hamas-Anführers Haniyya in Teheran Ende Juli, wie auch auf die begonnene Bodenoffensive im Libanon lesen. Der Iran stand vor dem Dilemma, dass ein Affront wie die Tötung Haniyyas in Teheran oder auch das israelische Vorgehen gegen die Hisbollah eigentlich nicht unbeantwortet gelassen werden konnte. Ansonsten drohte ein Verlust der Glaubwürdigkeit gegenüber der eigenen Bevölkerung und Proxys. Mit dem erfolgten Angriff wiederum provoziert der Iran jedoch einen massiven Gegenschlag – Israel kündigte bereits im Vorfeld an, im Falle eines iranischen Einsteigens umfangreich zurückzuschlagen. Dieser Gegenschlag könnte aus iranischer Sicht vor allem das seit Jahren voranschreitende Atomprogramm gefährden. Auf israelischer Seite lässt sich feststellen, dass aufgrund der Ereignisse im letzten Jahr die Bereitschaft einer atomaren Bewaffnung des Iran aktiv entgegenzutreten, deutlich gestiegen ist. Sie hängt aber auch davon ab, inwiefern die USA – kurz vor den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen dort – Israel bei einer solchen Reaktion unterstützen werden. In der israelischen Politik gibt es jedenfalls verstärkt Stimmen auch außerhalb der gegenwärtigen Regierung, die – ähnlich wie beim jetzigen Vorgehen gegen die Hisbollah – ein aggressiveres Vorgehen fordern.

 

Drohende Eskalation im Nahostkonflikt

Unmittelbar nach dem 7. Oktober 2023 gab es die Befürchtung, dass es in den palästinensischen Gebieten zu einer gewaltsamen Eskalation kommt. Diese Befürchtung bewahrheitete sich zunächst nicht im befürchteten Umfang; mit dem fortlaufenden Krieg in Gaza hat sich die Situation aber immer weiter verschärft. Immer wieder kommt es zu palästinensischen Terrorangriffen mit Toten. Die israelische Armee sieht sich dabei dazu gezwungen, komplexere Militäraktionen durchzuführen, zuletzt auch mit Luftangriffen und Drohnen. Nach Angaben der UN wurden seit dem 7. Oktober 2023 über 700 Palästinenser in der Westbank getötet, darunter immer wieder auch Zivilisten. Auch kommt es verstärkt zu Gewalt durch radikale Siedler gegenüber palästinensischen Einwohnern. Israel wurde diesbezüglich von internationalen Partnern schwer kritisiert – Länder wie die USA und die EU haben Sanktionen gegen einige radikale Siedler ausgesprochen. Die sich zuspitzende Sicherheitslage bindet dabei immer mehr israelische Sicherheitskräfte, die eigentlich in anderen Landesteilen dringend gebraucht werden. Von israelischer Seite herrscht vor allem die Befürchtung, dass es zu einem großangelegten Angriff auf eine oder mehrere israelische Siedlungen in der Westbank kommen könnte, zu Terroranschlägen wie bei dem Überfall in Tel Aviv parallel zum jüngsten iranischen Raketenangriff, bei dem sieben Menschen ermordet wurden, oder auch zu einem koordinierten Angriff auf israelische Wohnorte unmittelbar an der Grenze durch ein Durchbrechen der Grenzanlagen – ähnlich wie am 7. Oktober 2023. Die israelische Regierung hat nicht zuletzt auch vor diesem Hintergrund in einem Beschluss (68 dafür, neun dagegen), der auch von Teilen der Opposition getragen wurde, der Gründung eines möglichen palästinensischen Staates eine Absage erteilt. Die Situation in der Westbank verbleibt somit äußerst fragil und eine weitere Eskalation scheint jederzeit möglich.

 

Innere Verfasstheit Israels

Nach dem 7. Oktober 2023 kam es in Israel in Anbetracht der existenzbedrohenden Situation zunächst zu einem Moment der nationalen Einheit, in dem existierende Differenzen und polarisierende Diskussionen, wie um die umstrittene Justizreform, zunächst ausgesetzt wurden. Unter anderem trat eine der größten Oppositionsparteien – die Partei „Nationale Einheit“ – der Regierung Netanyahus bei und ihr Anführer Benny Gantz wurde Mitglied im neu gebildeten Kriegskabinett. Im fortschreitenden Kriegsverlauf trat Gantz im Juni 2024 aufgrund verschiedenster Differenzen wieder aus der Regierung aus. Eines der Hauptstreitthemen, welches weite Teile der israelischen Gesellschaft polarisiert, ist die Einführung der Wehrpflicht für Ultraorthodoxe. Die Ultraorthodoxen sind in Israel bisher von der Wehrpflicht befreit, gleichzeitig steigt ihr Anteil an der Bevölkerung aufgrund der hohen Geburtenrate rapide an. Von dem prozentual geringer werdenden Anteil der säkularen Bevölkerung Israels, welche gleichzeitig durch den Wehrdienst die größte Last an der aktuellen Kriegssituation zu tragen hat, wird dieser Umstand als äußerst ungerecht angesehen. Der israelische Oberste Gerichtshof stellte hierzu im Juni 2024 einstimmig fest, dass es keinen rechtlichen Rahmen für die jahrzehntelange Praxis gibt, Ultraorthodoxe nicht zum Wehrdienst heranzuziehen. Aktuelle Versuche die Ultraorthodoxen verstärkt einzubinden und zum Militärdienst heranzuziehen, haben erwartungsgemäß massive Proteste ausgelöst. An der derzeitigen Regierung beteiligte ultraorthodoxe Parteien kündigten unter anderem an, bei einem Fortschreiten der Bemühungen die Regierung zu verlassen. Im Sommer hat die IDF damit begonnen die ersten Heranziehungsbescheide an Ultraorthodoxe Wehrpflichtige zu versenden; der Heranziehung ist aber nur ein Bruchteil nachgekommen. Weiterhin ist auch die Konfliktlinie zwischen eher säkularen und eher religiös-nationalistischen Juden im Land präsent. Diese spiegelt sich besonders in der Auseinandersetzung um die umstrittene Justizreform wider. Nachdem diese nach Ausbruch des Krieges vorerst auf Eis gelegt wurde, gibt es nun immer wieder (zaghafte) Versuche seitens verschiedener Regierungsparteien, das Thema erneut auf die Agenda zu setzen. Auch mit der jüngsten Ankündigung Gideon Saars, gemeinsam mit seiner Partei „Neue Hoffnung“ der Regierung beizutreten, werden einige Karten in der aktuellen politischen Auseinandersetzung neu gemischt. Nachdem viele Kommentatoren Netanyahu nach dem 7. Oktober 2023 bereits mehrfach anzählten, ist es ihm bisher nicht nur gelungen seine Regierung in weiten Teilen zusammenzuhalten, sondern auch Kritiker wie Saar zurückzuholen. Dies führt dazu, dass einige Regierungsparteien im Vergleich zu den ersten Monaten des Krieges in aktuellen Umfragen wieder bessere Zustimmungswerte erhalten. Auch wenn die aktuelle Regierung bei Wahlen weiterhin keine Mehrheit hätte, so wäre der Likud nach einer aktuellen Umfrage (30. September 2024) mit 25 Sitzen wieder stärkste Kraft in der Knesset. Wie sich diese Tendenzen in den kommenden Wochen und Monaten weiterentwickeln, hängt letztendlich davon ab, ob das Trauma des 7. Oktober im Land überwunden werden kann. Damit ist die gegenwärtige, nach wie vor zentrale, innerisraelische Konfliktlinie verbunden: der Umgang mit dem Schicksal der in den Gazastreifen verschleppten israelischen Geiseln. Angehörige und Freunde der Geiseln haben lautstarke und effektive Initiativen gegründet, die täglich für die Freilassung der Geiseln demonstrieren. Sie werfen der Regierung vor, nicht genügend für ihre Freilassung zu tun und nicht an einem möglichen Abkommen, dass zu einer Befreiung führen würde, interessiert zu sein. Mit zunehmender Kriegsdauer haben sich die Proteste weiter intensiviert. Sollte es der israelischen Regierung trotz des militärischen Fortschritts gegen Hamas in Gaza nicht gelingen, weitere Geiseln zu befreien (oder schlimmer sollte ein großer Teil der verbliebenden Geiseln tot sein), dürften sich diese Proteste vor allem rund um den ersten Jahrestag wieder verschärfen.

 

Fazit

Israel hat auch im aktuellen Kriegsverlauf zeigen können, dass es in der Lage ist, existenziellen Bedrohungen an mehreren Fronten parallel zu begegnen. Gerade „äußere“ Fronten und Gefahren, so bedrohlich sie auch waren oder noch sind, erscheinen durch die starke Resilienz und den Zusammenhalt der israelischen Bevölkerung beherrschbar und besiegbar. Auch mit Herausforderungen, wie der lautstarken internationalen Kritik am israelischen Vorgehen, antisemitischen Ausschreitungen in zahlreichen Ländern (auch in befreundeten europäischen Ländern und den USA), oder Ankündigungen die Lieferung essenzieller Waffensysteme einzuschränken, konnte Israel umgehen. Die bisherigen Kampfhandlungen und die prekäre Lage in der Region haben letztendlich auch nicht dazu geführt, dass arabische Länder der Abraham Abkommen (oder andere, welche mit Israel bereits seit längerem diplomatische Beziehungen unterhalten) diese abbrechen möchten. Für die Zukunft des israelischen Staates sind daher nach einem Jahr Krieg, sowie dem noch immer nicht überwundenen nationalen Trauma des 7. Oktober, die ungelösten Bruch- und Konfliktlinien innerhalb der israelischen Gesellschaft die größte Bedrohung. Um dieses zu bewältigen, bedarf das Land keiner Unterstützung von außen, sondern vielmehr eines politisch-gesellschaftlichen Selbsteingeständnis, dass ein weiteres innergesellschaftliches Zerwürfnis das Land schwächen und eine essenzielle Gefahr darstellt – insbesondere in einer so prekären Sicherheitslage wie der jetzigen. Bei einem bereits stattfindenden direkten militärischen Konflikt mit dem Iran und einem damit verbundenen noch nicht beendeten Krieg an mehreren anderen Fronten, ist es für Israel daher von zentraler Bedeutung die innere Zerrissenheit zu überwinden. Nach einem Jahr Krieg wäre es daher an der Zeit, diese wichtigste Front endgültig innerpolitisch beiseitezulegen. 

Der Text wurde am Abend des 6. Oktober 2024 fertiggestellt.

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Michael Rimmel

Michael Rimmel Tobias Koch

Leiter des Auslandsbüros Israel

michael.rimmel@kas.de +972 (0) 2 567 1830 +972 (0) 2 567 1831

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