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Deutsch-Französische Spannungen und europäischer Handlungsdruck

z Anja Czymmeck, Nele Katharina Wissmann

Ukraine-Konferenz in Paris

Am 27. Februar 2024 hat Staatspräsident Macron sehr kurzfristig 20 Staats- und Regierungschefs, darunter 15 Vertreter der EU-Staaten sowie Großbritannien, die USA und Kanada zu einer Ukraine-Konferenz nach Paris eingeladen. Dies geschah unter dem Eindruck der äußerst schwierigen Lage an der ukrainischen Front und eines möglichen Wegfalls der Militärhilfen aus den USA an die Ukraine. In der Pressekonferenz zum Treffen polarisierte Macron mit einer Aussage zu einem möglichen Einsatz von Bodentruppen in der Ukraine, was vor allem auch in Deutschland auf heftige Kritik stieß. Außerdem sandte er gleich mehrere spitze Bemerkungen in Richtung des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz, was den Eindruck verstärkte, dass die Spannungen im deutsch-französischen Verhältnis, insbesondere auch mit Blick auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, derzeit immens sind. Dabei steht Frankreich selbst unter Handlungsdruck. Die Regierung hat wiederholt die Zahlen des Kieler Instituts für Weltwirtschaft dementiert, nach denen Frankreich im Feld der Militärhilfen an die Ukraine eines der Schlusslichter im europäischen Kontext darstellt (s. Infotafel). Macron, der zu Beginn der Invasion 2022 versucht hatte, den Gesprächsfaden zu Wladimir Putin als treibende europäische Kraft aufrechtzuerhalten, will nun wieder geopolitischer Tonangeber in Europa werden. Ob ihm dies gelingen wird, scheint eher unsicher. Die europäischen Partner distanzierten sich umgehend klar von dem Szenario eines Truppeneinsatzes in der Ukraine. Auch innenpolitisch könnte sich der französische Staatspräsident selbst auf Glatteis geführt haben. Die Opposition bezeichnete den Vorschlag Macrons als riskant und unüberlegt. Insbesondere das rechtspopulistische Lager in Frankreich dürfte den geopolitischen Schachzug des Präsidenten ausnutzen, um diesen im Rahmen der anstehenden Europawahlen gegen ihn zu verwenden.

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Vom Handlungsführer Frankreich zu Beginn der russischen Invasion ….

Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine vor zwei Jahren, dominierte dieser Krieg lange Zeit die außenpolitische Agenda Frankreichs. Präsident Macron vollführte seit geraumer Zeit – und nicht erst seit Beginn des russischen Angriffskrieges – einen gewagten und teils umstrittenen Drahtseilakt zwischen Moskau und Kiew. Dabei hat er auch seine westlichen Verbündeten, vor allem aber die osteuropäischen Länder und die Ukraine selbst, mehr als einmal irritiert. Dies ist umso wichtiger zu betonen, als dass genau diese Staaten sich nun hinter Macrons neuem Kurs sammeln, da dieser ihrer Einschätzung der akuten Gefahrenlager an der NATO-Ostflanke entspricht. Allerdings haben sich auch diese Länder, – mit Ausnahme von Litauen - klar vom Bodentruppen-Szenario distanziert.

Vor dem 24. Februar 2022 und auch noch in den Monaten danach war es Emmanuel Macron, der am längsten den Gesprächsfaden mit Wladimir Putin aufrechterhalten hatte. Macrons Äußerung im Frühjahr 2022, dass man „Russland nicht erniedrigen dürfe“ und sein späteres Plädoyer für Sicherheitsgarantien für Russland sorgten in Polen und den baltischen Staaten für Empörung. Bei der 59. Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2023 verschärfte er den Ton und erklärte, dass Russland den Krieg nicht gewinnen kann und darf. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ließ nach Macrons Auftritt in München verlauten, er glaube, dass der französische Präsident sich im Hinblick auf Putin nun wirklich gewandelt habe.

 

…. hin zur europäischen „Militärmacht“ ohne finanzielle und materielle Schlagkraft?

Für Diskussion hatten in den vergangenen Wochen die Hilfsleistungen für die Ukraine aus westlichen Ländern gesorgt. In diesem Zusammenhang bezeichneten ukrainische Beobachter und europäische Experten die französischen Hilfsleistungen als „enttäuschend“. Frankreich selbst wehrte sich dagegen heftig und gab an, 3,8 Milliarden Euro (davon 1,7 Milliarden Euro im Jahr 2022 und 2,1 Milliarden Euro im Jahr 2023) an Militärhilfe geleistet zu haben; sechsmal mehr als die Schätzung des Kieler Instituts für Weltwirtschaft.[1]. Der französische Verteidigungsminister Sébastien Lecornu kritisierte die Schätzungen des Instituts mehrmals und behauptete, dass die Zahlen nicht der Wirklichkeit entsprächen. Allerdings ist es aufgrund der französischen militärischen Geheimhaltung auch schwer, dies genau zu belegen.

Fakt ist, dass sich Frankreich im Rahmen der Finanzkrise 2008/2009 durch das Einfrieren bzw. Reduzieren des eigenen Militärbudgets als Militärmacht in die Sackgasse manövriert hat und zentrale Lieferungen, wie z.B. des Kampfpanzers Leclerc, den die Ukrainer gerne eingesetzt hätten, nicht möglich waren: Von den insgesamt gut 400 Leclercs der französischen Armee sind nur rund die Hälfte einsatzbereit, so Schätzungen.[2] Die andere Hälfte dient als Ersatzteillager. Geliefert wurden hingegen u.a. „Caesar“-Artillerie, Flugabwehr-Systeme des Typs „Crotale“ und AMX-Spähpanzer. Laut Militärexperten sind die Engpässe aber auch in diesen Bereichen mittlerweile so gravierend, dass nicht mehr geliefert werden kann und die Haushaltssituation auch keinen Spielraum zulässt. Das Land sieht sich aktuell einer Schuldenlast von mehr als drei Billionen Euro ausgesetzt. Die drei Milliarden Euro, die Frankreich für das laufende Jahr der Ukraine versprochen hat, sind im laufenden Haushalt bislang nicht gegenfinanziert. Die derzeitige Strategie Frankreichs ist es aus diesen Gründen, neues Material zu produzieren, dass die Ukraine dann kauft. Als Anschubfinanzierung stellt die französische Regierung dafür 200 Millionen Euro extra über ihren Ukraine-Hilfsfonds bereit. Die Strategie geht mit Macrons Einsatz für mehr europäische Souveränität einher und dem Wunsch, die europäische Industrie durch die eigene Waffenproduktion ankurbeln zu können. Diese Position wurde im Rahmen der Ukraine-Hilfskonferenz am 26. Februar aufgeweicht.

 

Ankündigungen der Ukraine-Hilfskonferenz aus deutsch-französischer Perspektive

Die Ukraine-Hilfskonferenz stand deutlich unter dem Eindruck der Absage von Bundeskanzler Olaf Scholz an eine Taurus-Lieferung an die Ukraine sowie das durch Staatspräsident Emmanuel Macron nicht ausgeschlossene Szenario des Einsatzes von Bodentruppen. Dieser kritisierte bei der Pressekonferenz am 26. Februar explizit Deutschland mit dem Verweis, dass die großen Zögerer für aktuelle Waffenlieferungen vor 2 Jahren noch lediglich die Lieferung von Schlafsäcken und Helmen in Aussicht gestellt hatten. Diese Äußerung kann als klarer Gegenschlag gegen Deutschlands Kritik gelesen werden, dass Frankreich nicht ausreichend Militärhilfen leistet. Gleichzeitig spiegelt sich In Macrons Aussage erneut eine mangelnde Sensibilität gegenüber deutschen Debatten wider. Mitten in der deutschen Taurus-Entscheidung eine europäische Bodentruppen-Debatte anzustoßen, war den deutsch-französischen Beziehungen nicht zuträglich.

Im Kontext des Ukraine-Kriegs ist klar festzustellen, dass Frankreich und Deutschland es verpasst haben, treibende europäische Kraft zu sein. Angesichts der seit Jahren andauernden Divergenzen im verteidigungs- und sicherheitspolitischen Bereich erstaunt dies kaum. Im Rahmen der jeweils bilateralen Sicherheitsabkommen, die Frankreich und Deutschland im Februar mit der Ukraine abgeschlossen haben, wäre es wünschenswert gewesen, eine wenn womöglich auch nur symbolische Einigkeit in diesem Bereich zu kommunizieren und sich dem Aggressor Russland somit als europäisches Führungstandem geeinigt gegenüberzustellen. Diese Chance hat man aber auf beiden Seiten vertan.

 

Ankündigungen der Ukraine-Hilfskonferenz

Die Staats- und Regierungschefs haben sich im Rahmen der Ukraine-Hilfskonferenz auf eine Vereinbarung über den verstärkten Kauf von Munition aus Drittländern für die Ukraine geeinigt, was im Widerspruch zu Frankreichs strategischer Autonomie und seinem Wunsch steht, die europäische Verteidigungsindustrie zu stärken.

So erklärte der tschechische Premierminister Petr Fiala, er habe bei den Gesprächen in Paris „große Unterstützung“ von den europäischen Partnern für seinen Vorschlag erhalten, Kiew mit Munition aus Drittländern zu versorgen. Die Tschechische Republik führt eine Kampagne an, um 1,4 Milliarden Euro für Munition für die Ukraine aufzubringen, als Ausgleich für ein blockiertes US-Hilfspaket und Verzögerungen bei EU-Lieferungen. Der französische Präsident erklärte, Paris werde sich an der Initiative beteiligen. Für Frankreich ist dies ein wichtiger Schritt. Zuvor hatte Paris argumentiert, dass überstürzte Käufe von Nicht-EU-Waffen und -Granaten die europäischen Verteidigungshersteller zu einem Zeitpunkt entmutigen könnten, an dem der Kontinent mehr Eigenständigkeit braucht.

Macron kündigte außerdem an, dass sich die Staats- und Regierungschefs darauf geeinigt haben, eine Fähigkeitskoalition für "Deep Strikes" einzurichten, die sich auf Mittel- und Langstreckenraketen konzentrieren wird. Es blieb aber unerwähnt, welche Länder genau sich in welcher Form beteiligen.

 

Kritik an Macrons Bodentruppen-Szenario

Zahlreiche europäische Staaten zeigten sich irritiert von Macrons Vorstoß zum potenziellen Einsatz westlicher Bodentruppen auf ukrainischem Staatsgebiet. Inzwischen wurde dieser jedoch von der eigenen Regierung und zahlreichen Militärexperten eingeordnet. Der französische Verteidigungsminister Sébastien Lecornu sprach in diesem Zusammenhang am 27. Februar vor dem Verteidigungsausschuss der Nationalversammlung von „Ideen rund um Minenräumung und Ausbildung“.[3] Militärexperten werteten den Vorstoß Macrons als eine strategische Taktik, um Frankreich in einer offensiven Führungsrolle zu positionieren, ohne sich aber explizit zu verpflichten. Außerdem wurde hervorgehoben, dass das Bodentruppen-Szenario im Rahmen einer Antwort auf eine Journalistenfrage geäußert wurde, die wiederum explizit auf eine Äußerung des slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico Bezug nahm, dass die Pariser Runde über die Entsendung von Bodentruppen gesprochen habe.

Klar ist, dass Emmanuel Macron kommunikativ einen großen Coup erzielte, gleichzeitig wird seine Äußerung als Staatspräsident einer Nuklearmacht in Konfrontation zu Russland von zahlreichen Kommentatoren als gefährlich eingeordnet. Nach Einschätzung französischer Experten handelt es sich jedoch keinesfalls um eine verbale Entgleisung, sondern geht einher mit der französischen Philosophie der Abschreckung, die zur „strategischen Ambiguität“ gegenüber Russland passt, also eigentlich den Gegner im Unklaren zu lassen, zu welchen Schritten man tatsächlich bereit ist.  Sollte dies das Ziel des französischen Staatspräsidenten gewesen sein, ist die Strategie nicht unbedingt aufgegangen, denn nach bereits vielen Ankündigungen Macrons ohne Substanz ist fraglich, ob eine große Abschreckungswirkung gegenüber Russland erzielt werden konnte. Frankreich hat sich mit dieser Position innerhalb der Europäischen Union isoliert und offenbarte einmal mehr die Schwierigkeiten der westlichen Unterstützer der Ukraine gemeinsame Linien zu finden.

Auch innenpolitisch könnte sich die Äußerung Macrons zum Bodentruppen-Einsatz als gefährlich erweisen. „Der Krieg gegen Russland wäre eine Torheit“, kritisierte der Vorsitzende der Partei France insoumise Jean-Luc Mélenchon und bezeichnete Emmanuel Macrons Äußerungen als „unverantwortlich“. Auch der Erste Sekretär der Sozialistischen Partei, Olivier Faure, äußerte sich wie folgt dazu: „Den ukrainischen Widerstand unterstützen, ja. Gegen Russland in den Krieg ziehen und den Kontinent mitreißen. Wahnsinn“. Ebenso kritisch äußerte sich die Vertreterin der extremen Rechten Marine Le Pen auf X: „Ich weiß nicht, ob sich jeder über die Schwere einer solchen Erklärung im Klaren ist. Emmanuel Macron spielt den Kriegsherrn, aber es ist das Leben unserer Kinder, über das er so unbekümmert spricht. Es geht um den Frieden oder den Krieg in unserem Land",

Im bürgerlich-konservativen Lager äußerte sich Éric Ciotti, Vorsitzender der Partei Les Républicains ebenfalls ablehnend: „Die Ankündigung einer möglichen Bodenmobilisierung französischer Soldaten in der Ukraine verändert die Natur des Konflikts! Diese mit schrecklichen Konsequenzen behaftete Erklärung von Emmanuel Macron erfolgte ohne die geringste parlamentarische Debatte. Ist diese Position wohlüberlegt?“, fragte er.

 

Ausblick

Der Europawahlkampf in Frankreich ist bisher kaum angelaufen, aber nun bringen die Themen Landwirtschaft und Sicherheit Dynamik in den Prozess. Insbesondere die Sicherheitspolitik hat Macron mit den Äußerungen im Rahmen der Ukraine-Hilfskonferenz auf die Tagesordnung gesetzt, noch bevor das am 16. Februar 2024 mit der Ukraine geschlossene bilaterale Sicherheitsabkommen im Parlament von der Regierung erläutert werden soll. Es geht jetzt in erster Linie darum, als Atommacht auch Führung zu beanspruchen. Allerdings wird sich Marine Le Pen nun als Beschützerin des französischen Volkes und der französischen Armee etablieren wollen, dort wo sie früher aufgrund ihrer Putin-Nähe klar in die politische Enge gedrängt werden konnte. Erschwerend kommt hinzu: Die Zustimmung für die Ukraine scheint in Frankreich zu erodieren, so verlor sie 12 Prozentpunkte im Vergleich zu Mitte Juni 2023 und 24 Punkte im Vergleich zu März 2022 zu Beginn der russischen Invasion. Auch im Bereich der Zustimmung zu Waffenlieferungen zeichnet sich eine Veränderung ab: Nur noch 50 % der Franzosen befürworten die Lieferung von Waffen an die Ukraine durch die EU (-15 Punkte im Vergleich zum Beginn des Krieges).[4]

Auch wenn Macrons Aussagen eher strategischer Natur waren, so hat der offene deutsch-französische Schlagabtausch der vergangenen Tage das Vertrauen zwischen Deutschland und Frankreich weiter geschädigt. Zahlreiche Beobachter sprechen von einem absoluten Tiefstand der Beziehungen – was auch im gesamteuropäischen Kontext und angesichts der akuten Gefahrenlage in Europa besorgniserregend ist und nur einem wirklich in die Hände spielt, nämlich Putin, der nur darauf wartet, dass die Einheit Europas erodiert. Für Bundeskanzler Scholz hatte diese Diskussion um die Äußerung Macrons nur den Vorteil, dass sein umstrittenes Nein zur Taurus-Lieferung kurz überlagert wurde. Der Zwist und die Spannungen im deutsch-französischen Verhältnis, der hauptsächlich den nicht zueinanderfindenden Charakteren von Scholz und Macron geschuldet ist, müssten aber dringend beseitigt werden, denn je näher die Europawahlen rücken, desto schädlicher ist das Ganze.

 

Zur Information Zahlen des Kieler Instituts für Weltwirtschaft[1]

Hilfeleistungen insgesamt
1.796 bn € (Frankreich Rang: 14/ Deutschland Rang 2)
0.067% of GDP (Frankreich Rang: 28/ Deutschland Rang 10)

Humanitäre Hilfeleistungen
0.361bn € (Frankreich Rang: 8/ Deutschland Rang 1)
0.013% of GDP (Frankreich Rang: 26/ Deutschland Rang 8)

Finanzielle Hilfeleistungen
0.799bn € (Frankreich Rang: 10/ Deutschland Rang 7)
0.030% of GDP (Rang: 19/ Deutschland Rang 16)

Militärische Hilfeleistungen
0.635bn € (Frankreich Rang: 16/ Deutschland Rank 2)
0.024% of GDP (Rang: 26/ Deutschland Rank 11)

[1] Ukraine Support Tracker, Kiel Institut für Weltwirtschaft

 

 

[1] Diese Zahlen werden explizit im Sicherheitsabkommen zwischen Frankreich und der Ukraine vom 16. Februar 2024 aufgeführt. Siehe hierzu auch Infobox Seite 5.

[2] Siehe hierzu z.B. Zeitung Le Point vom 16. Januar 2023.

[3] Mitschnitt der Sitzung des Verteidigungsausschusses der Nationalversammlung: https://videos.assemblee-nationale.fr/video.14688382_65de054811579.commission-de-la-defense--m-sebastien-lecornu-ministre-des-armees-27-fevrier-2024

[4] IFOP, Le regard des Français sur la crise en Ukraine – Vague 6, 23. Februar 2024.

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Leiterin des Auslandsbüros Frankreich

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