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13. August 1961: Bau der Berliner Mauer
Teil I
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Die Mauer in Berlin war das zentrale Element in der hermetisch abgeriegelten deutsch-deutschen Grenze und das steinerne Symbol für Kalten Krieg und deutsche Teilung. Die letzte Entscheidung über ihren Bau lag bei der Sowjetunion als der unbestrittenen Führungsmacht im Warschauer Pakt. Doch es war die DDR unter Staats- und SED-Parteichef Walter Ulbricht, die schon seit Beginn der 1950er Jahre auf den Mauerbau drängte, weil es darum ging, ein Ausbluten der DDR zu verhindern. 3 ½ Millionen Menschen verließen von 1945 bis 1961 aus Protest gegen Zwang, Unterdrückung und Misswirtschaft die DDR – zu einem Großteil junge, ausgebildete und arbeitsfähige Menschen unter 25 Jahren. Zwar rechtfertigte die SED die Mauer als Notwehrmaßnahme gegen „westlich-revanchistische Abwerbe- und Wühlarbeit“ und deklarierte sie als „antifaschistischen Schutzwall“. Doch wusste die Staatspartei wie alle Welt, dass angesichts der anhaltenden Massenflucht der Bürger aus ihrem Staat die Mauer die einzige Möglichkeit war, die Existenz der DDR zu sichern.
Die Ausgangslage: Massenflucht aus der DDR-Diktatur
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zerbrach die Anti-Hitler-Koalition der Siegermächte wegen fundamentaler ideologischer Differenzen sehr rasch. Das geteilte Deutschland wurde zum Schauplatz des Kalten Krieges zwischen den Supermächten Sowjetunion und USA. Er erreichte einen ersten Höhepunkt mit der ersten Berlin-Krise vom April 1948 bis zum Mai 1949, als die Amerikaner die sowjetische Absperrung aller Zufahrtswege nach und von Berlin aus mit der Luftbrücke beantworteten. Das Bemühen der kommunistischen SED, unter dem Schutz der sowjetischen Besatzungsmacht einen sozialistischen Staat nach sowjetischem Muster aufzubauen, war mit vielfältigem Gleichschaltungsdruck auf politische Gegner, mit Enteignungs- und Kollektivierungsmaßnahmen, mit Gegnerschaft zu den Kirchen verbunden. Zwang und Repression steigerten sich nach der Gründung der DDR 1949 und dann noch einmal nach dem Beschluss der 2. SED-Parteikonferenz im Juli 1952 zum „planmäßigen Aufbau des Sozialismus“. Dazu gehörten die Auflösung der Länder, ein forciertes Zurückdrängen der Privatwirtschaft, Zwangskollektivierung der Landwirtschaft, Bevorzugung der Schwer- zugunsten der Konsumgüterindustrie, überhöhte Rüstungs- und Militarisierungsbestrebungen, massive Einschränkungen der Meinungsfreiheit und ein zunehmend ungesetzliches Handeln der Justiz. Gegen all diese Repressions- und Gleichschaltungsmaßnahmen kam es im Juni 1953 zu einem Volksaufstand, der nahezu flächendeckend die gesamte DDR erfasste und bei dem neben sozialen massiv auch politische Forderungen wie die nach freien Wahlen und Abschaffung der Regierung gestellt wurden. Der Aufstand zeigte das ganze Ausmaß der Unzufriedenheit der DDR-Bevölkerung mit der SED-Diktatur. Er konnte nur mit Hilfe sowjetischer Panzer beendet werden.
Aus Protest gegen politische Unfreiheit und mangelhaften Lebensstandard verließen DDR-Bürger scharenweise ihr Land. 1959 flüchteten jeden Monat ca. 12.000 Menschen, 1960 schon 18.000, insgesamt waren es zwischen 1945 und 1961 3 ½ Millionen – zu annähernd 50 % junge Leute unter 25 Jahren alt, also eine auf Dauer nicht verschmerzbare Einbuße an Arbeits- und Fachkräftepotenzial. Die DDR war mit dieser Fluchtwelle in ihrer Existenz bedroht. Ihre Führungselite wusste, dass die massenhafte „Republikflucht“ – seit 1957 ein Straftatbestand – eine „Abstimmung mit den Füßen“ war, ein Akt politischer Fundamentalkritik.
Zwar hatte die DDR-Staatsführung schon im Mai 1952 begonnen, die Grenze zur Bundesrepublik von der Lübecker Bucht bis ins Vogtland mit Stacheldraht abzusperren und Zwangsumsiedlungen im Grenzgebiet vorzunehmen. Auch in Berlin wurden zahlreiche Straßen von Ost nach West stillgelegt, doch die 81 Sektorenübergänge blieben ein Schlupfloch von Ost nach West. Mehrfach bedrängte SED-Chef Walter Ulbricht den sowjetischen Staats- und Parteichef Nikita Chruschtschow, einer Schließung der Staatsgrenze der DDR in Berlin zuzustimmen, um den durch die Massenflucht entstehenden wirtschaftlichen und sozialen Schaden zu stoppen. Chruschtschow war dieser Gedanke nicht fremd – in Moskau war er auf Ulbrichts Drängen bereits im Dezember 1952 einmal erwogen worden. Seither war die innerhalb des Ostblocks starke DDR als westlicher Vorposten des Kommunismus zu einem elementaren Baustein im Satellitengefüge der Sowjetunion geworden, der nicht beschädigt werden oder gar verloren gehen durfte (Görtemaker, 1990, 360).
Chruschtschows Ultimatum
So entschloss sich Chruschtschow 1958 zu einer Offensive in der Berlin-Frage: Am 27. November stellte er den drei westlichen Alliierten ein auf sechs Monate begrenztes, bereits am 10. November bei einer Rede im Moskauer Sportpalast angedrohtes Ultimatum: Sie sollten West-Berlin und damit den Viermächtestatus preisgeben und Berlin solle zu einer Freien Stadt gemacht werden. Andernfalls werde Moskau einen einseitigen Friedensvertrag mit der DDR schließen und ihr sämtliche sowjetischen Rechte an und in Berlin einschließlich der Kontrolle der Zugangswege übergeben. Gewiss versprach sich Ulbricht von diesem Modell, eine Freie Stadt Berlin mitten in der DDR werde rasch unter sowjetischen Einfluss geraten und damit auch das Fluchtproblem gelöst werden.
Die Westmächte reagierten auf das erpresserische Ultimatum mit dem Vorschlag einer Viermächte-Außenministerkonferenz in Genf im Sommer 1959, also nach Ablauf des Ultimatums. Deutsche aus West und Ost sollten als „Berater“ dabei sein, was eine Aufwertung der DDR und damit einen Punktgewinn für die Sowjets bedeutete. Noch vor Beginn der Konferenz am 11. Mai 1959 wiederholte Chruschtschow bei einer Rede in Leipzig seine Drohung eines separaten Friedensvertrages mit der DDR und lehnte es ab, in der Frage der deutschen Wiedervereinigung eine „Grundfrage“ zu sehen. Da damit die Hoffnung, sich in Genf über ein Wiedervereinigungsmodell für Deutschland verständigen zu können, nahezu zerstoben war, beschlossen die Außenminister, sich auf das Berlin-Problem zu konzentrieren. Aber auch hier kam man keinen Schritt weiter, und so wurde die Konferenz am 5. August 1959 ohne Ergebnis in der Deutschland- und Berlinfrage beendet (Steininger, 2002, 52 ff.).
Immerhin war mit der Genfer Konferenz Chruschtschows Ultimatum vom Tisch. Offenbar kam es ihm eher darauf an, den Status quo in und um Berlin zu sichern, nachdem Stalins „großer Bluff“ (Wolfrum, 2009, 30) einer Neutralisierung Deutschlands mit seinen Noten von 1952 gescheitert und die Integration der Bundesrepublik in das westliche Bündnis nicht zu verhindern gewesen war. Zweifellos entsprach dieses Bemühen um Konsolidierung des Erreichten den Interessen der westlichen Alliierten und auch denen des Bundeskanzlers. Dieser hatte seine deutschlandpolitische Position mehrfach gegenüber den westlichen Verbündeten erläutert: Bemühen um Wiedervereinigung „Ja“, aber nicht um den Preis von Frieden und Freiheit, d.h.: nicht mit dem Risiko einer kriegerischen Auseinandersetzung und auch nicht mit der Gefahr, dem kommunistischen Einfluss anheim zu fallen. In diesem Sinne war ihm, was ihm seine politischen Gegner zu Unrecht oft vorgehalten haben, die in der Westintegration liegende Freiheit tatsächlich ‚wichtiger’ als die Wiedervereinigung; sie war ihm unerlässliche Vorbedingung der Einheit. Im Vorrang der Freiheit vor der Einheit waren sich alle demokratischen Parteien in der Bundesrepublik einig. Adenauer setzte auf die mittel- bzw. langfristige ‚Magnetwirkung’ der Überlegenheit des bundesrepublikanischen Systems gegenüber dem sowjetgesteuerten DDR-Modell: Sie werde schließlich zur Flucht der Bürger aus der Diktatur oder zum Aufstand gegen sie führen, was zugleich das Ende des SED-Regimes bedeuten werde (Görtemaker, 1999, 358 f.). Bis dahin müsse der Viermächtestatus für Berlin aufrecht erhalten werden.
Der Befehl zum Bau der Mauer
Nachdem die Genfer Konferenz und kurz darauf, im September 1959, ein Treffen zwischen Eisenhower und Chruschtschow in Camp David ohne Ergebnis geblieben waren, auch ein für Mai 1960 in Paris angesetzter, vornehmlich zum Weiterkommen in der Berlin-Frage gedachter Viermächtegipfel schon vor dem offiziellen Beginn gescheitert war und als schließlich im Juni 1961 Chruschtschow bei einem Treffen mit dem neuen amerikanischen Präsidenten Kennedy in Wien sich überzeugen musste, dass dieser entschlossen war, die Interessen des Westens – auch in Berlin – zu verteidigen, (Taylor, 2009, 167 f.), erklärte sich der Kreml-Chef mit dem Bau der Mauer in Berlin einverstanden, ja, er gab – nach eigenen Worten – letztlich selbst den Befehl dazu (Hertle, 2009, 31). Er konnte sicher sein, dass die Amerikaner nicht eingreifen würden, weil ihre drei „Essentials“ bzgl. Berlin, die Kennedy in einer Fernsehansprache am 25. Juli 1961 noch einmal akzentuiert hatte, durch den Mauerbau nicht infrage gestellt werden würden: Truppenpräsenz der drei Westmächte in Berlin, freier Zugang nach Berlin, Freiheit, Sicherheit und Lebensfähigkeit des Westteils Berlins. Außerdem hatte Kennedy durch seinen Beauftragten John Mc Cloy, den ehemaligen Hohen Kommissar der USA in der Bundesrepublik, signalisieren lassen, auf diesen Positionen werde man tatsächlich beharren, aber einseitigen Maßnahmen der Sowjets in ihrem Sektor keinen Widerstand entgegensetzen (Görtemaker, 1999, 364). Die durch Chruschtschows Ultimatum ausgelöste zweite Berlin-Krise machte klar, dass keine der beteiligten Kräfte bereit war, um der Berlin-Frage willen eine militärische Auseinandersetzung, möglicherweise einen Atomkrieg, zu riskieren (Conze, 2009, 299).So wird in der Nacht zum 13. August 1961, einem Sonntag, unter dem Decknamen „Operation Rose“ damit begonnen, die Grenzen zu den Westsektoren Berlins mit Stacheldraht, Pflastersteinen und Barrikaden aller Art abzuriegeln. Nationale Volksarmee und sowjetische Truppen sichern die von Volks- und Grenzpolizei und von Kampfgruppenmitgliedern durchgeführte Aktion rund um West-Berlin ab. Wenige Tage später werden die provisorischen Sperren durch eine Mauer aus Hohlblocksteinen ersetzt. Ulbrichts Behauptung bei einer internationalen Pressekonferenz am 15. Juni 1961 in Ost-Berlin, niemand habe die Absicht, eine Mauer zu errichten, erweist sich im Nachhinein als dreiste Lüge. Möglicherweise hat er aber auch den Begriff „Mauer“ bewusst ins Spiel gebracht, um die Fluchtbewegung weiter anzuheizen und so den seinerzeit noch zögernden Chruschtschow zur Zustimmung zu stimulieren (Wolfrum, 2009, 38; Taylor, 2009, 177 f.).
Der Mauerbau riss nicht nur von einer Stunde auf die andere Familien, Verwandte, Freunde und Bekannte auseinander. Er verschärfte auch den Repressions- und Unrechtscharakter der DDR, denn sie konnte nun die Überwachungsmaßnahmen nach Innen verstärken und gezielter und schärfer gegen oppositionelle Regungen vorgehen. West-Berlin konnte nun nicht mehr für DDR-Bürger verführerisches Schaufenster des demokratischen und kapitalistischen Westens sein (Conze, 2009, 297). Insofern hat man nicht von ungefähr vom Mauerbau als von einer „zweiten Geburt“ der DDR gesprochen.
weiter mit Teil II