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Der Transnistrienkonflikt nach den Präsidentschaftswahlen in Russland, Moldau und Tiraspol

de Dr. Martin Sieg

Politische Perspektiven und strategische Ansätze

Nach dem Meseberger Memorandum vom Juni 2010 zwischen Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Medwedew haben die Bemühungen um eine Lösung des Transnistrienkonflikts zu einer Wiederaufnahme der offizieller Verhandlungen im 5+2 Format (Chişinău, Tiraspol, Russland, Ukraine, OSZE + EU und USA als Beobachter) im November 2011 geführt. Im April 2012 konnte eine Verständigung über die Grundsätze, Verfahren und die Agenda ihres weiteren Verlaufs erzielt werden.

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Bedeutsamer noch als dieser Fortschritt im Prozeduralen ist, dass sowohl die moldauische Regierung, die transnistrische Führung wie auch die russische Politik zwar bis vor kurzem von inneren Problemen, Wahlen und Krisen abgelenkt waren, inzwischen stattgefundene Präsidentschaftswahlen bzw. Führungswechsel allen drei Seiten künftig jedoch eine stärkere Konzentration auf den Verhandlungsprozess und ihre jeweiligen Strategien zur Konfliktbewältigung ermöglichen werden.

Im Dezember 2011 gewann Jewgeni Schewtschuk mit großem Vorsprung die „Präsidentschaftswahlen“ in Transnistrien und löste damit den seit 20 Jahren amtierenden „Präsidenten“ Igor Smirnow in der Führung der von Moldau abtrünnigen und international nicht anerkannten Region ab. Schewtschuk kündigte weitreichende politische und wirtschaftliche Reformen sowie, obgleich er an dem Ziel der Unabhängigkeit Transnistrien festhält, eine Politik der pragmatischen Annäherung an Moldau an. In Chişinău hat die seit 2009 regierende Koalition die europäische Integration zu ihrem zentralen Projekt erhoben, doch ihre Reformpolitik wurde durch eine fast drei Jahre anhaltende Verfassungskrise beeinträchtigt.

Diese Krise konnte im März durch die Wahl von Nicolae Timofti zum neuen Präsidenten vorläufig überwunden werden. Auch die russische Politik konzentrierte sich im Zeichen von Duma- und Präsidentenwahlen und der auf sie folgenden Umorganisation der Führung vor allem auf innenpolitische Entwicklungen. Die Wahlen in Transnistrien, in Moldau und Russland haben für Moskau, Chisinau und Tiraspol größere Planungshorizonte eröffnet; denn sie haben für alle drei Führungen eine größere Klarheit darüber geschaffen, welche Akteure und Interessen die Politik der jeweils beiden anderen Seiten in absehbarer Zeit bestimmen werden. Damit stellt sich die Frage: welche Perspektiven und welche strategischen Ansätze ergeben sich aus den mit diesen drei Wahlen jeweils verbundenen Entwicklungen für eine Lösung des Transnistrienkonfliktes?

Moldau: Politische Entwicklungen und strategische Optionen

Die Bedeutung der Präsidentenwahl in Moldau liegt in den Planungshorizonten, die sie eröffnet. Der Präsident wird eine vornehmlich repräsentative Rolle erfüllen, die Politik weiterhin von der Regierung bestimmt werden und sich damit auch die Parlamentarisierung des Regierungssystems fortsetzen, die sich seit 2009 in der moldauischen Verfassungswirklichkeit vollzogen hat. Doch stellt die Wahl Präsident Timoftis das vorläufige Ende einer dreijährigen politischen Krise dar.

Sie wurde einerseits durch die hohe verfassungsrechtliche Hürde von dreifünftel der Stimmen im Parlament für eine erfolgreiche Präsidentenwahl verursacht, bei deren Scheitern vorgezogene Neuwahlen erforderlich werden, was bereits zu zwei vorgezogenen Parlamentswahlen innerhalb der letzten drei Jahre geführt hatte. Diese Hürde ließ sich gegen die oppositionelle Partei der Kommunisten (PCRM) erst nehmen, als drei von deren Abgeordneten in die kleine Sozialistische Partei (PSRM) über- und damit die Front wechselten. Andererseits wurde die Krise aber ebenso von Grabenkämpfen innerhalb der Koalition geprägt, die zu einem erheblichen Glaubwürdigkeitsverlust der ihr angehörenden Parteien und einen Autoritätsverlust der von ihnen getragenen Regierung führte.

Dabei konkurrieren die Koalitionsparteien um die Kontrolle über administrative Res-sourcen, aber auch sehr viel stärker untereinander als gegenüber der PCRM um Wähler, zumal das Parteienspektrum in Moldau nach wie vor unkonsolidiert ist, starke Kräfteverschiebungen daher auch kurzfristig möglich sind. Die Folge war ein permanenter Machtkampf innerhalb der Regierung, der durch die infolge der Verfassungskrise stets drohenden Neuwahlen zusätzlich befeuert wurde und politische Energien band, zu Lasten von Reformen wie der Entwicklung von Strategien zur Lösung des Transnistrienkonfliktes.

Diese Interessengegensätze sind durch die Präsidentenwahl zunächst in den Hintergrund getreten, aber keineswegs aufgehoben. Die wichtigste Bruchlinie innerhalb der Koalition dürfte auch künftig zwischen Premierminister Vlad Filat, dem Vorsitzenden der stärksten Regierungspartei, der Liberal-demokratischen Partei (PLDM), sowie dem stellvertretenden Vorsitzenden der Demokratischen Partei (PDM), Vlad Plahotniuc verlaufen. Dabei spielt die Sorge, dass Plahotniuc – einer der reichsten moldauischen Unternehmer – seine überlegenen finanziellen Mittel zur Veränderung der politischen Kräfteverhältnisse einsetzen würde, eine entscheidende Rolle. Filat warf ihm bereits in der Vergangenheit vor, nur seine eigenen oligarchischen Interessen zu verfolgen.

Im Sommer und Herbst 2011 hatte diese Auseinandersetzung die Koalition an den Rand des Zusammenbruchs geführt. Damit hatte sich aber auch die Möglichkeit einer Rückkehr der PCRM an die Regierung abgezeichnet, die für Plahotniuc wie Filat als größere Bedrohung erscheinen musste, wären sie dadurch selbst in die Opposition gedrängt worden. Schließlich waren es nicht so sehr gemeinsame Interessen als vielmehr ein gemeinsamer Gegner, der die Einigung auf einen neuen Präsidenten motivierte.

Öffentliche Proteste organisiert

Am Ende kam sie nur unter massivem Druck zustande; die PCRM zog die Legitimität der Regierung, ja auch die einer eventuellen Präsidentenwahl immer deutlicher in Frage. Unter ihrer Federführung wurden öffentliche Proteste mit steigender Intensität organisiert. Die von der PCRM kontrollierten Medien bewegten sich in ihren Verlautbarungen am Rande des Aufrufs zum Umsturz. Schließlich wurde sogar die Präsidentenwahl von der Koalition kurzfristig vorgezogen, um einer angekündigten Massendemonstration um einige Stunden zuvorzukommen, von der Übergriffe, im schlimmsten Falle eine nicht mehr kontrollierbare Eskalation des politischen Konfliktes befürchtet wurde.

Dass der Tag dann friedlich verlief, die Opposition die erfolgte Präsidentenwahl damit faktisch hinnahm, konsolidierte zwar die Position der Regierung erneut; auch darf vermutet werden, dass sich die parteipolitischen Bemühungen Filats und Plahotniucs jetzt zunächst auf die nachhaltige Schwächung der PCRM konzentrieren als des für beide gefährlichsten Gegners. Danach dürften jedoch die Gegensätze zwischen beiden wieder stärker hervortreten.

Nach den Auseinandersetzungen zwischen Filat und Plahotniuc im vergangen Jahr sah es zunächst danach aus, dass sich letzterer aus der aktiven Parteipolitik stärker zurückziehen würde. Mittlerweile zeichnet sich jedoch ab, dass er die Position und Geschlossenheit der PDM wie auch seine eigene Position in ihr – auch gegenüber dem populäreren Vorsitzenden und Parlamentssprecher Marian Lupu – zu stärken versucht. Das aber wird fast zwangsläufig den latenten Konflikt mit der PLDM vertiefen.

Präsidentenwahl hat Zeitdruck auf die politischen Akteure verringert

Die Präsidentenwahl wird daher nicht zu einer grundlegenden Stabilisierung der Koalition führen. Aber sie hat den Zeitdruck auf die politischen Akteure deutlich verringert und damit auch den Zwang, kurzfristigen parteitaktischen Kalkülen zu Lasten der langfristigeren politischen Interessen des Landes zu folgen. Mussten die Parteien in den vergangen drei Jahren stets mit Neuwahlen maximal in Jahresfrist rechnen, spricht jetzt vieles dafür, dass das gegenwärtige Parlament bis zum Ende der regulären Legislaturperiode weiteramtiert.

Zugleich ist die Möglichkeit, dass es zu einer alternativen Koalitionsbildung unter Führung oder Beteiligung der PCRM kommt, deutlich unwahrscheinlicher geworden. In der Opposition dürfte diese eher deutlich geschwächt werden. Möglich ist hingegen, dass es zu weiteren Abspaltungen bzw. Übertritten in die PSRM kommt, die sich dann zu einem veritablen Konkurrenten im linken Wählerspektrum entwickeln könnte. Dieses Szenario trifft zwar in der PDM auf eine ambivalente Interessenlage, da auch ihr, selbst sozialdemokratisch ausgerichtet, damit eine stärkere parteipolitische Konkurrenz erwüchse; und auch der dritte Koalitionspartner, die nationalliberal ausgerichtete Liberale Partei, sieht eine stärkere PSRM als Bedrohung, teils weil sie diese als Instrument russischen Einflusses sieht, teils weil diese sie als alternativen Koalitionspartner ersetzen könnte.

Insgesamt jedoch begründen diese Aussichten die Erwartung, dass eine in der Mehrheit programmatisch deutlich auf die europäische Integration ausgerichtete Koalitionsregierung bis zum Ende der Legislaturperiode und vermutlich auch darüber hinaus im Amt bleibt. Damit eröffnet sich für Moldau die Chance, dass es zu einer entschiedeneren Reformpolitik im Inneren kommt, Chişinău sich aber auch stärker auf seine Strategie im Transnistrienkonflikt konzentriert.

In Bezug auf den Transnistrienkonflikt hat das verstärkte Engagement Deutschlands und der EU in den bilateralen Beziehungen mit Russland und in den 5+2 Verhandlungen für Moldau neue Chancen eröffnet, doch sieht sich die moldauische Politik dabei auch einer Reihe von Problemen und Dilemmata gegenüber. Das grundlegendste dieser Probleme besteht darin, dass eine Lösung einen funktionsfähigen Staat gewährleisten soll, für die Politiker und Anhänger der Koalitionsregierung aber auch nicht die europäische Integration des Landes gefährden oder behindern soll, die für sie klare Priorität hat.

In der innermoldauischen Debatte manifestieren sich entsprechende Sorgen nach wie vor an dem sogenannten Kozak-Plan, der von Russland 2003 vorgeschlagen worden war. Die Rechte, die er Transnistrien in einem Gesamtstaat eingeräumt hätte, sowie die darin vorgesehen Repräsentation Transnistriens in den gemeinsamen Institutionen, hätten Tiraspol eine weitgehende Vetomacht in der moldauischen Innen- und Außenpolitik verschafft und so das Risiko ständiger Politikblockaden aufgeworfen. Wenn die demokratische Konsolidierung und der Fort-gang von Reformprozessen in Moldau der Maßstab sind, ist insofern eine vorschelle Konfliktlösung schlechter als keine Lösung.

Schnelle Lösung dürfte beide Landesteile überfordern

Dieses Szenario zu verhindern, ist daher zwangsläufig eine primäre Sorge verantwortlicher Koalitionspolitiker. Tatsächlich dürfte jede schnelle Lösung des Konfliktes beide Landesteile überfordern; denn die politischen Systeme, einschließlich der Parteiensysteme, sind noch zu unterschiedlich, das gegenseitige Misstrauen ist noch zu ausgeprägt, die politische Lage in Moldau ist zu instabil, während sich in Transnistrien ein pluralistisches System noch stärker konsolidieren müsste. Eine gelungene Wiedervereinigung des Landes setzt daher einen Prozess der Annäherung und der Transformation beider Landesteile voraus.

Eines der Dilemmata, denen sich die Regierung in Chişinău dabei gegenübersieht, be-steht jedoch darin, dass die moldauische Politik von links nach rechts über mögliche Lösungswege zwischen eher föderativen Ansätzen einerseits, eher einheitsstaatlichen Konzepten andererseits, deutlich gespalten ist. Auch ist die öffentliche Meinung insbesondere unter den Anhängern der Koalitionsparteien auf Kompromisse kaum vorbereitet. Grundsätzlich gilt, dass auf dem linken politischen Spektrum, insbesondere in der PCRM die Mindestanforderungen für eine Lösung zwar auch in einem funktionsfähigen Gesamtstaat bestünden, doch gegebenenfalls unter Aufgabe des Ziels der europäischen Integration. Für die Koalition müsste zumindest auch dieses Ziel gewährleistet sein.

Für große Teile der öffentlichen Meinung liegt die Hürde für eine akzeptable Lösung allerdings noch weitaus höher, geht die Bereitschaft zu Kompromissen über einen eingeschränkten Autonomiestatus für Transnistrien nicht hinaus. Dazu trägt auch bei, dass die gegenseitige Wahrnehmung zwischen Transnistrien und der übrigen Moldau stark von negativen Stereotypen bestimmt ist, der Austausch zwischen Politik und Gesellschaft beider Landesteile bislang relativ begrenzt geblieben sind. Tatsächlich gibt es in Moldau nur einen begrenzten Kreis von Experten, die mit den inneren Verhältnissen Transnistriens eingehend vertraut sind.

Damit verbunden ist ein weiteres Problem. Denn auch die Möglichkeiten des Büros für Reintegration, das in der moldauischen Regierung für Transnistrien und für die Verhandlungen über eine Konfliktlösung verantwortlich ist, sind eng begrenzt. Das gilt schon für den Umfang der personellen Ausstattung. Vor allem lassen die finanziellen Mittel und insbesondere die Gehaltsstrukturen kaum zu, in stärkerem Umfang einen größeren Stab fähiger Experten zu beschäftigen. Die Führung wird von den laufenden Verhandlungen stark in Anspruch genommen und muss sich dabei zwangsläufig auf defensive Positionen konzentrieren: Den Schutz moldauischer Kerninteressen gegen-über darüber hinausgehenden Forderungen von transnistrischer und russischer Seite.

Koordinierung und Implementierung einer umfassenden Strategie fehlen

Die Entwicklung einer stärker initiativen, vorausplanenden und kohärenteren Strategie und ihrer öffentlichen Vermittlung kommt demgegenüber zwangsläufig zu kurz. Das Kernproblem liegt nicht in der Führung – der zuständige Stellvertretende Ministerpräsident Eugen Carpow ist ein verlässlicher Garant für die Wahrung moldauischer Interessen, Premierminister Filat verfolgt einen Kurs pragmatischen Engagements gegenüber Tiraspol. Es fehlt an den Kapazitäten für die Entwicklung, Koordinierung und Implementierung einer umfassenderen Strategie.

Bei der Entwicklung einer solchen Strategie sieht sich Chisinau jedoch einem weiteren Dilemma gegenüber. Denn die Konzeption der moldauischen Politik muss sich zwangsläufig zwischen zwei widersprüchlichen Sichtweisen bewegen. Einerseits ist der Konflikt ein politischer und geostrategischer. Je mehr der Konflikt als geostrategischer wahrgenommen wird, desto stärker scheint der Schlüssel zu seiner Lösung in Moldau zu liegen. Umso mehr kommt es dann darauf an, den Schulterschluss mit den westlichen Partnern, der EU und den USA in den Verhandlungen zu suchen, um möglichst viel Unterstützung gegenüber Russland zu erlangen.

Wird der Konflikt vor allem als politischer Konflikt gesehen, kommt es in der Politik gegenüber Transnistrien vor allem darauf an, die eigene Verhandlungsmacht zu wahren und zu verhindern, dass Transnistriens de facto-Eigenständigkeit gestärkt wird und seine Führung an Legitimität gewinnt. Diese Sichtweisen dominieren die Wahrnehmung des Konflikts in der moldauischen Öffentlichkeit, vor allem bei den Anhängern der Koalition und erschweren es, Zugeständnisse an Tiraspol zu vermitteln.

Es ergeben sich aber folgende Probleme: Zwar hat die moldauische Regierung esvermocht, bei der EU und insbesondere auch der deutschen Regierung eine stärkere Unterstützung zu erlangen, als deren eigene Interessen an sich diktieren w ürden. Westliche Rückendeckung allein wird jedoch keine Verständigung erzwingen; auch weil das Verhältnis zwischen der EU und Russland letztlich von anderen Interessen dominiert wird. Je stärker Moldau hingegen versuchen würde, Transnistrien zu isolieren und Druck auf Tiraspol auszuüben, desto stärker würde Russland sich hingegen schon aus innenpolitischen Gründen gezwungen sehen, Tiraspol weiter und auch stärker zu unterstützen.

Außerdem würde selbst ein russisches Disengagement weder zu einer Veränderung der politischen Verhältnisse innerhalb Transnistriens führen, ohne die eine Vereinigung kaum gelingen kann; noch würde es allein die Bereitschaft zur Wiedervereinigung in Transnistrien herbeiführen. Moldau könnte dann nur auf die Wirkung wirtschaftlichen Drucks durch eine weitgehende Isolierung Transnistriens setzen, um Tiraspol zu einem Einlenken zu veranlassen; und in diesem Falle nur eine wirtschaftlich ruinierte Region mit gegenüber Chişinău tief verbitterten Eliten übernehmen. Soweit, den wirtschaftlichen Verfall Transnistriens um des politischen Ziels der Vereinigung in Kauf zu nehmen, sollte niemand gehen, der danach mit den Betroffenen in einem Land zusammenleben will.

Öffnung Transnistriens

Andererseits ist der Konflikt aber auch ein gesellschaftlicher und jedenfalls ohne gesellschaftliche Annäherung zwischen beiden Landesteilen kaum zu überwinden. Unter diesem Gesichtspunkt liegt der Schlüssel zu einer Lösung in Transnistrien. In dieser Hinsicht käme es vor allem darauf an, eine Öffnung Transnistriens zu fördern und die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verbindungen zwischen beiden Landesteilen zu intensivieren. Dafür braucht es eine Strategie des Engagements gegenüber Transnistrien. Die vertrauensbildenden Maßnahmen und die Arbeit der bilateralen Arbeitsgruppen müssen gezielt genutzt werden, um die wirtschaftlichen Einschränkungen, die sich aus der ungelösten Statusfrage in Transnistrien ergeben, abzubauen, die innermoldauische und internationale Verflechtung der transnistrischen Wirtschaft zu fördern und auch die wirtschaftlichen Strukturen in Transnistrien zu erhalten.

Es müssten gezielt auch die zivilgesell-schaftlichen Kontakte ausgebaut werden, möglichst ungehinderte Bewegungsfreiheit für die Gesellschaften zwischen beiden Landesteilen angestrebt werden, um so übergreifende gesellschaftliche Verbindungen und Einfluss unabhängig von den politischen „Beziehungen“ zu schaffen. Nicht zuletzt bedürfte es auch einer gezielten Zusammenarbeit mit den transnistrischen Autoritäten und den unterschiedlichen politischen Kräften. Dies müsste konditioniert geschehen, so dass Zugeständnisse und Unterstützung mit politischen Reformen verbunden würden. Dazu bedürfte Moldau aufgrund fehlender Mittel des Engagements der EU; dies würde auf eine direkte Ausweitung des Instrumentariums der Europäischen Integration von Chişinău auf Transnistrien hinauslaufen.

Gesellschaftliche und wirtschaftliche Verflechtung als Ziel

Das Ziel dieser Strategie wäre es also, nicht unmittelbar die politischen Gegensätze lösen zu wollen, sondern durch die gesellschaftliche und wirtschaftliche Verflechtung wie durch Reformprozesse in beiden Landesteilen die politische und geostrategische Dimension des Konfliktes sukzessive zurücktreten zu lassen. Sie würde, auf eine ideelle Formel gebracht, der Maxime folgen: Da Moldau die Transnistrier als Landleute betrachtet, behandelt es sie auch als solche.

Auch diese Strategie hat klare Nachteile: Sie erfordert von Moldau pragmatische Zugeständnisse, oft ohne unmittelbare Gegenleistung. Diese Zugeständnisse würden die Verhandlungsmacht Moldau schwächen und die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit und damit die de facto-Eigenständigkeit Transnistriens stärken; ein Großteil der transnistrischen Eliten würden sie lediglich als Sprungbrett zur endgültigen Unabhängigkeit sehen. Eine Strategie des Engagements gegenüber den transnistrischen Autoritätenund den unterschiedlichen politischen Kräften in der Region würde diesen zwangsläufig eine größere Legitimität verleihen. Es liegt daher auf der Hand, dass Moldau nicht ausschließlich einen dieser unterschiedlichen Ansätze verfolgen kann, sondern dass eine Strategie zur Konfliktbewältigung einer Abwägung der jeweiligen Vor- und Nachteile folgen muss.

Aufgrund der Komplexität dieser Abwägungsentscheidungen wird eine solche Strategie weder leicht zu entwickeln und durchzuführen noch öffentlich zu vermitteln sein. Zugleich müsste sie konsequent verfolgt werden; denn eine Politik, die von Fall zu Fall entscheiden würde, droht in vielen taktischen Nachteilen zu resultieren, ohne strategische Vorteile zu produzieren. Eine Strategie des verstärkten Engagements gegenüber Transnistrien birgt insgesamt die größeren Risiken, aber auch die größeren Chancen. Außerdem verfügt Moldau selbst kaum über andere politische Möglichkeiten, aktiv auf eine Konfliktbewältigung hinzuarbeiten. Es kann sonst nur auf die Hilfe seiner internationalen Partner oder auf Entwicklungen in Transnistrien hoffen, die außerhalb seines Einflusses liegen; und das sind bestenfalls ungewisse Aussichten.

Ohne ein verstärktes Engagement gegenüber Transnistrien, drohen die Fortschritte nicht weit über den Status Quo hinauszuführen; und eine Wiedervereinigung wird sicher nicht leichter, je länger er anhält. Zudem wird der Status Quo mit der Zeit auch zu einer Belastung für die europäische Integration werden, da die EU nach den Erfahrungen mit Zypern in Chişinău auch stärker auf eine Lösung drängen wird.

Innere Entwicklung Transnistriens

In Transnistrien fand eine Strategie stärkeren Engagements lange nur sehr begrenzte Ansatzpunkte; denn unter der Führung des früheren Präsidenten Smirnows blieb Transnistrien relativ abgeschlossen nach außen, autoritär geführt und reformresistent nach innen, gegenüber Chişinău in grundsätzlichen wie in praktischen Fragen kaum zu Kompromissen bereit. Stattdessen war Tiraspol fest auf das Ziel der Unabhängigkeit fixiert; und war dabei auch russischen Einflussnahmen nur schwer zugänglich.

So lief schon der Kozak-Plan den Intentionen Smirnows entgegen. Dass Smirnow im Dezember die ersten wirklich kompetitiven „Präsidentschaftswahlen“ in Transnistrien bereits in der ersten Runde mit weitem Abstand verlor, bezeugt, in welchem Umfang er zuletzt die Unterstützung sowohl des größten Teils der Bevölkerung, der wirtschaftlichen Eliten und nicht zuletzt auch Russlands verloren hatte.

Mit Schewtschuk hat Transnistrien jetzt einen „Präsidenten“ mit starker demokratischer Legitimation. Seine Wahl war das Ergebnis einer ebenso tief greifenden Frustration wie weit reichender Reformhoffnungen innerhalb der transnistrischen Bevölkerung. Der Lebensstandard weicht zwar nicht so weit von der übrigen Moldau ab, in Transnistrien gibt es heute jedoch weitaus mehr Rentner als reale Arbeitsplätze; ohne russische Subventionen für Renten und faktisch kostenlose Gaslieferungen ist die Region kaum überlebensfähig. Die Abwanderung war noch weitaus stärker als in der übrigen Moldau, sodass sich die Bevölkerung in den vergangenen 20 Jahren nahezu halbiert hat.

Wirtschaftliche Nachteile durch ungeklärte Statusfrage

Die ungelöste Statusfrage bringt schwere wirtschaftliche Nachteile mit sich. Die aus sowjetischer Zeit ererbte Schwerindustrie, die in die Hände russischer Investoren übergegangen ist, konnte die moldauische Transportinfrastruktur nur begrenzt nutzen, weil sich die Zollbehörden beider Landesteile nicht auf eine gemeinsame Kontrolle verständigen konnten. Da Eigentumsrechte in Transnistrien ungesichert sind, können transnistrische Unternehmer nur schwer Kredite im Ausland aufnehmen. Ihre Geschäfte müssen sie in der Regel über Konten bei russischen Banken abwickeln; die eigene Währung erschwert Transaktionen. Auslandsinvestitionen sind unter diesen Umständen nur in sehr begrenztem Umfang zu erlangen. Die wirtschaftlichen und sozialen Probleme Transnistriens hat Schewtschuk bereits in seiner Inaugurationsrede offen benannt und Abhilfe versprochen.

Im Transnistrienkonflikt ist von Schewtschuk bei den Verhandlungen über den Status zunächst kein größeres Entgegenkommen gegenüber Chisinau zu erwarten. Auch er strebt ein Maximum an Eigenständigkeit für Transnistrien an, idealerweise die Unabhängigkeit. Seine Reformabsichten zielen so auch darauf ab, die Selbstständigkeit und Überlebensfähigkeit der Region zu stärken. Obgleich – oder weil – er nicht der Kandidat Russlands für die Präsidentenwahl war, wird Schewtschuk bei den Statusverhandlungen auch gegenüber Russland keine großen Bewegungsspielräume haben; denn er bleibt auf die finanzielle Unterstützung Moskaus angewiesen, muss wohl auch erst einmal seine eigenen Verbindungen nach Russland stärken; und die Konsolidierung seiner eigenen Machtposition in Transnistrien muss für ihn zunächst Priorität haben. Daher dürften die grundsätzlichen Positionen Tiraspols zunächst mehr als unter Smirnow von Moskau abhängen.

In vielen praktischen Fragen zeigt die neue Führung in Tiraspol jedoch sehr viel größere Verständigungsbereitschaft. Denn einerseits ist für Tiraspol der Abbau von Hemmnissen bei der Infrastruktur, den wirtschaftlichen Verbindungen und administrativen Trennlinien eine Voraussetzung, um die Lebensverhältnisse und wirtschaftlichen Bedingungen in der Region verbessern. Andererseits stärkt Tiraspol damit seine de facto-Unabhängigkeit und kann darauf setzen, dass ein größeres Maß an bilateraler Verständigung mit Chişinău auch seine Legitimation stärkt.

Dabei bestehen die Vorstellungen der gegenwärtigen Führung in Transnistrien auch nicht darin, die eigene Unabhängigkeit in Abgrenzung und aus Gegnerschaft gegen Chişinău zu erlangen, sondern sie mit einem engen und guten nachbarschaftlichen Verhältnis zu verbinden. Da die transnistrische Führung deshalb aber weit weniger Rücksichten auf die eigene Verhandlungsmacht und grundsätzliche Implikationen für die Statusfrage nehmen muss, ist seine Verhandlungsposition in dieser Hinsicht deutlich einfacher als diejenige Chişinăus.

Reformabsichten sollten ernst genommen werden

Da eine erfolgreiche Konfliktbewältigung jedoch auch von der Kompatibilität der politischen Systeme und einer demokratischen Konsolidierung abhängt, hängt sie zugleich entscheidend von Verlauf innertransnistrischer Reformen ab. Es wäre daher grundsätzlich im Interesse einer späteren Konfliktlösung, die Reformziele Schewtschuks und damit eine praktische Annäherung beider Landesteile auch unabhängig von einer gleichzeitigen Annäherung hinsichtlich der Statusfrage zu fördern.

Die Reformabsichten Schewtschuks sollten ernst genommen werden. Mit den personellen Neu- und Umbesetzungen, die Schewtschuk in der Administration vorgenommen hat, zeigt sich in der transnistrischen Führung eine größere Offenheit, ein stärkerer Pragmatismus. Die ideologischen Frontstellungen der Vergangenheit treten deutlich zurück. Die neue Führung zeigt ein Problembewusstsein, das auf wirtschaftliche Reformen hin zu einer funktionierenden Marktwirtschaft, besseren Investitionsbedingungen und größerer Rechtssicherheit zielt.

Im Prinzip soll es auch politische Reformen hin zu einem pluralistischen und stärker gewaltenteilenden System einschließen. Wie konkret die Reformkonzepte dabei sind, wie reformfähig die Strukturen, das ist eine schwierigere Frage. Doch in der grundsätzlichen Richtung werden diese Reforminteressen auch von der zweitem großen politischen Lager geteilt, das es in Transnistrien noch gibt. Dieses Lager hat sich in der Partei Obnovlenie gesammelt, die bei den beiden letzten „Parlamentswahlen“ jeweils die Mehrheit der Sitze im Obersten Sowjet ge-wann und von dem lokalen Sheriff-Konzern unterstützt wird, der große Teile der transnistrischen Wirtschaft übernommen hat.

Auch dieses politische Lager ist heute schon aus wirtschaftlichen Gründen an größeren Wachstumschancen, besseren Investitionsbedingungen und mehr Rechtssicherheit interessiert. Obnovlenie selbst wurde zu dem Zweck gegründet, um innerhalb des politischen Systems und gegenüber Smirnow die Reformkräfte zu stärken.

Instabiles Gleichgewicht

Im Augenblick herrscht zwischen Schewtschuk und Obnovlenie ein rudimentäres, wenn auch prekäres und instabiles Gleichgewicht, das den politischen Pluralismus in Transnistrien fördert und idealerweise zu einem Zwei-Parteiensystem führen könnte. Smirnows Lager bestand nur aus einer kleinen Machtelite, die von dem Zugriff auf die „staatlichen“ Ressourcen abhing. Mit dem Verlust der Macht wird dieses Lager weitgehend verschwinden.

Schewtschuk hingegen verfügte vor seiner Wahl zum „Präsidenten“ nur über vergleichsweise geringe Ressourcen, einen kleinen Kreis loyaler Unterstützer und seine eigene Entschlossenheit. Es war sein Ruf als entschiedener und glaubwürdiger Befürworter von Reformen, die ihm zu seinem Wahlsieg verholfen hat. Diesen Ruf hat er sich nicht zufällig als früherer Spitzenpolitiker in Obnovlenie erworben, deren Vorsitzender er war und durch die er zum „Parlamentssprecher“ geworden war.

Doch während diese Partei und ihre Unterstützer in der Geschäftswelt eine evolutionäre Transformation Transnistriens anstreb-ten, zeigte sich der Machtwille Schewtschuks in dem Versuch, einen Machtwechsel auch in Konfrontation mit Smirnow durchzusetzen. Über der Eskalation dieser Auseinandersetzung kam es zu einem tiefen Bruch mit seinen früheren Unterstützern, in dessen Folge er sowohl als „Parlamentssprecher“ zurücktreten und aus Obnovlenie austreten musste. Die organisierte Machtbasis, die er damals verlor, musste er sich als neugewählter „Präsident“ erst neu auf-bauen.

Dabei ging er jedoch mit einer Tatkraft und Konsequenz vor, die auch seine nunmehrigen Opponenten in und hinter Obnovlenie überraschte und zunehmend bedroht. Eine Verfassungsänderung, die von Obnovlenie noch gegen Smirnow durchgesetzt worden war, hatte zwar die Machtbefugnisse des „Präsidenten“ u.a. durch die Einsetzung eines dem „Parlament“ verantwortlichen „Ministerpräsidenten“ beschränken sollen. Schewtschuk zeigte jedoch seinen Führungsanspruch, indem er umgehend nahezu alle wichtigen Funktionen umbesetzte.

Damit machte er auch vor so machtvollen Gestalten wie dem damaligen „Minister“ für Staatssicherheit nicht halt, der demonstrativ durch bewaffnete Kräfte des „Innenministeriums“ aus seinem Amt entfernt wurde. Dass gerade dieser „Minister“ als enger Gewährsträger russischer Interessen in Transnistrien galt, spricht dafür, dass die neue Führung dabei die Ablenkung Moskaus im Vorfeld der dortigen Präsidentschaftswahlen ausnutzte. Auch die Verhaftung der früheren Zentralbankchefin Transnistriens ebenso wie der nicht ohne Druck erfolgte Amtsverzicht des Generalstaatsanwalts m ussten von Schewtschuks politischen Gegnern als Bedrohung wahrgenommen werden.

Seine Strategie dürfte darauf zielen, Obnovlenie zu spalten, um einen Teil seiner früheren Mitstreiter in das eigene Lager zu ziehen, Druck auf Sheriff auszuüben, um den Konzern mit seinen Ressourcen politisch zu neutralisieren und ihn durch die Abgabe von Geschäftsbereichen zu schwächen. Machtpolitisch wäre dieses Vorgehen auch insoweit plausibel, als Schewtschuk zunächst seine Machtposition konsolidieren musste, soll ihm nicht selbst die politische Marginalisierung drohen.

Marginalisierung Schewtschuks droht nicht mehr Mittlerweile droht jedoch nicht mehr seine Marginalisierung. Eher schon könnte ein Szenario eintreten, in dem Schewtschuks machtpolitische Entschlossenheit und Durchsetzungskraft ihm ein einseitiges Übergewicht über alle oppositionellen Kräfte verschaffen könnte. Entscheidend dafür wird sein Vorgehen gegen Sheriff als seines potentesten Gegners sein. Schewtschuk kann sich dabei auf das Ziel einer Bekämpfung oligarchischer Strukturen berufen. Dies auch nicht ganz zu Unrecht; denn das Unternehmen ist aus intransparenten Geschäften und Privatisierungen entstanden, allerdings unter den generell wenig rechtsstaatlichen Rahmenbedingungen der Zeit und so viel anders wohl auch nicht, wie die Vermö-gen vieler Geschäftsleute in der übrigen Moldau.

Politisch und wirtschaftlich bedeutsamer als der Ursprung ist, dass das Unternehmen vergleichsweise gut gemanaged und erfolgreich ist, zum Teil auf den Export ausgerichtet und heute selbst an einem verlässlichen Rechtsrahmen und einer Öffnung Transnistriens interessiert ist. Es ist dabei nicht nur der gewichtigste Träger eigenständiger wirtschaftlicher Interessen Transnistriens, sondern auch politisch der einzige eigenständige Machtfaktor gegenüber Schewtschuk. Fällt dieser Machtfaktor aus, würde nur noch der russische Einfluss ein Gegengewicht zu ihm bilden. Innerhalb Transnistriens aber würden effektive Checks und Balances nicht mehr existieren.

Schewtschuk würde damit eine faktische Machtfülle erlangen, die über die von Smirnow besessene noch deutlich hinausginge. Mit Fehlen eines pluralistischen Machtsystems wird sich auch keine wirkliche Gewaltenteilung einstellen können, kein konstruktives Zusammenspiel demokratischer Institutionen. Transnistrien bleibt dann zwangsläufig einer autoritären Führung verhaftet. Schewtschuks machtpolitischer Erfolg würde damit seine eigenen Reformintentionen konterkarieren. Die Voraussetzungen auch für eine spätere Lösung des Konfliktes hängen damit nicht nur von den Erfolgen der Reformpolitik Schewtschuks ab, sondern ebenso davon, dass sich der bestehende Plura-lismus politischer Kräfte stabilisiert und nicht durch eine zu einseitige Machtverteilung aufgehoben wird.

Eine Konfliktlösung wird aber auch davon abhängen, dass sowohl Trennlinien zwischen den unterschiedlichen Identitäten als auch Vertrauensdefizite zwischen Transnistrien und der übrigen Moldau überwunden werden. Obgleich sich die Bevölkerung beider Landesteile aus denselben ethnischen Gruppen zusammensetzt – nur in unterschiedlicher proportionaler Zusammensetzung –, wäre es verfehlt, Transnistrien lediglich als eine Art Moldau im kleinen zu begreifen, dessen Gesellschaft sich leicht in einen Gesamtstaat integrieren ließe.

Konflikt hat viel von seiner Schärfe verloren

In Transnistrien gibt es zwar ländliche Gebiete mit überwiegend moldauischer Bevölkerung, die sich nicht schwer in einen Gesamtstaat einfügen ließen. Aber die Bevölkerung und besonders die Eliten in den Zentren Ribnita und Tiraspol sind sehr viel stärker russisch geprägt; und anders als die größere Zahl russischsprachiger Bürger auf dem rechten Ufer haben sie auch stärker eine eigenständige Identität entwickelt, in bewusster Unterscheidung zur übrigen Moldau. Die 20 Jahre der Teilung mit unterschiedlichen Bildungssystemen, Narrativen und Geschichtsbildern, auch gegenseitiger Propaganda, hat dazu beigetragen. Inzwischen lebt die zweite Generation in Transnistrien, gewöhnt an die Eigenständigkeit der Region und mit begrenztem Bezug zu Moldau.

Sicher hat der Konflikt mittlerweile viel von seiner Schärfe verloren. Eine gewaltsame Eskalation, wie bei anderen schwelenden Konflikten im euroatlantischen Raum, ist nicht mehr zu erwarten. Familiäre Bande gibt es noch, in vielen Fällen, zwischen Teilen der Gesellschaften auf den beiden Ufern des Dnister. Den Mentalitäten nach ist das Verhältnis beider Landesteile und vor allem der Eliten weniger von einem Gegeneinander als von einen Nebeneinander geprägt, aber auch nicht von einem Miteinander. Das Selbstverständnis vieler Menschen in den beiden Landesteilen weicht voneinander ab. Die transnistrische Bevölkerung lebt stärker in einem multiethnischen Umfeld, doch do-miniert von russischer Sprache und Kultur - ohne dass sich die meisten Transnistrier als russische Bürger verstünden oder sich Russland anschließen wollten, auch wenn sie vielfach russische Pässe haben.

Gegenüber Moldau wird das Verhältnis von Vorbehalten bestimmt. Die meisten Transnistrier, vor allem unter den Eliten, sprechen kein oder nicht gut Rumänisch. Sie fühlen sich der moldauischen Titularnation nicht zugehörig, wären also in einem Gesamtstaat nur noch eine Minderheit. Damit verbindet sich die Befürchtung, benachteiligt zu werden oder gar einer Rumänisierungspolitik ausgesetzt zu werden.

Misstrauen wiegt schwer

Diese Sorge mag übertrieben erscheinen; denn die russische Sprache ist auch in der übrigen Moldau weit verbreitet, leben dort mehr Russischsprachige – und oft auch nur Russischsprachige – als in Transnistrien. Ein Zusammenleben in einem Staat wäre daher an sich nicht problematisch; und eine endgültige Konfliktlösung würde auch Garantien für eine Gleichberechtigung enthalten. Schwerer wiegt allerdings das Misstrauen, das wiederum vor allem unter den Eliten beider Seiten besteht.

Nicht nur gab das Verhalten von Smirnow moldauischen Verhandlungspartnern wenig Grund zum Vertrauen, umkehrt gaben auch frühere moldauische Regierungen transnistrischen Eliten wenig Anlass dazu. Würde Chişinău geschlossene Vereinbarungen tatsächlich einhalten? In Transnistrien bezweifeln das viele Menschen. Ob diese Zweifel berechtigt sind oder nicht, ist eine andere Frage.

Hinzu kommt das negative Image, das die Propaganda beider Seiten lange vom jeweils anderen gezeichnet hat. Frühere moldauische Regierungen haben daran mitgewirkt, dass Transnistrien in Moldau wie auch im Westen das Bild eines Schurken- und Schmugglerstaates, eines „schwarzen Lochs“ Europas bekam. Im Kern war vieles daran nicht ganz falsch, aber doch überzeichnet, einseitig auf die negativen Aspekte ausgerichtet, vom der Absicht bestimmt, Transnistrien zusätzlich zu delegitimieren. Mangels Zugang, Interesse oder verlässlicher Quellen konnte und kann man kaum einem moldauischen oder westlichen Medium ein halbwegs adäquates Bild Transnistriens entnehmen, meist nur die negativen Stereotypen.

Natürlich gab es stets Unterschiede zwischen den politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen in Chişinău und Tiraspol. Das autoritäre Regime Smirnows, auch seine Selbstisolierung, haben zu dem negativen Image Transnistriens beigetragen. Das autoritärere Regime trug auch dazu bei, dass die Verflechtung zwischen politischer Macht und wirtschaftlichen Gewinnchancen, Korruption, mangelnde Rechtstaatlichkeit oder die Bedeutung von Schmuggelgeschäften in Transnistrien stärker und länger ausgeprägt blieb.

Aber viele dieser Unterschiede waren gradueller Natur. So verschieden waren die Methoden nicht, mit denen in Chişinău und in Tiraspol Besitzverhältnisse und oligarchische Strukturen entstanden. Vertrauensbildend aber war und ist das negative Image, das in Moldau von Transnistrien dominiert, für die dortigen Eliten nicht.

Stärkung der Rechtssicherheit wichtigstes Reformziel

Für die transnistrischen Eliten ist damit eine weitere Sorge verbunden: Dass eine Wiedervereinigung wirtschaftlich einer Art feindlicher Übernahme gleichkommen könnte. Oligarchische Strukturen mögen in Transnistrien ausgeprägter sein, es gibt sie jedoch in beiden Landesteilen; und auf beiden Seiten gibt es genug Erfahrungen, wie Verbindungen zur Regierungsmacht und Instrumentalisierungen des Justizsystems über die Umverteilung von Besitzständen entschieden.

Die Stärkung der Rechtssicherheit stellt daher das wichtigste Reformziel in Chişinău wie in Tiraspol dar. Unsicherheit und Misstrauen der transnistrischen Eliten werden sich aber nicht schnell überwinden lassen. Als den gegenüber moldauischen Geschäftsleuten potentiell schwächeren Akteuren stellt sich für transnistrische Wirtschaftseliten zwangsläufig die Frage, wer ihre Rechte hinsichtlich der Sprache, der Besitzverhältnisse, des künftigen Status von Transnistrien in einem Vereinigungsprozess garantiert. Wer gewährleistet die tatsächliche Beachtung entsprechender Vereinbarungen? Das Vertrauen in die moldauische Regierung ist begrenzt, noch begrenzter das Vertrauen in moldauische Gerichte.

Wesentlich ausgeprägter dürfte das Vertrauen in die Schutzmacht Russlands auch nicht sein; denn die Politik Moskaus folgt letztlich ihren eigenen Interessen; und die Geschäftsinteressen russischer Oligarchen – die bereits große Teile der transnistrischen Industrie übernommen haben – stellen dabei ebenfalls einen Risikofaktor dar.

Die Einbeziehung der Europäischen Union und der Prozess der europäischen Integration können hingegen eine solche Garantiefunktion erfüllen: Die EU als solche, weil ihre Politik aufgrund ihrer multilateralen Struktur ein höheres Maß an Kontinuität, insofern Berechenbarkeit und Verlässlichkeit verspricht; und der Prozess der europäischen Integration aufgrund der zentralen Funktion, die der Gewährleistung rechtlicher Standards in ihr zukommt. In wirtschaftlicher Hinsicht besitzt die EU für Transnistrien bereits ein hohes Maß an Attraktivität. Zwar bedingen Rücksichten gegenüber Russland zumindest insoweit eine Zurückhaltung gegenüber der EU in Transnistrien, als Moskau in der europäischen Integration Moldaus eine Konkurrenz zu eigenen Integrationskonzepten im postsowjetischen Raum sieht.

Doch mehr als gegenüber Russland eröffnen die Absatzmärkte in der EU wie auch Investitionen aus der EU für Transnistrien Wachstumschancen. Die Wunschvorstellung so manches transnistrischen Unternehmers für die Zukunft seiner Region wäre daher, ein unabhängiger Staat zu werden, der selbst der EU beitritt. Indirekt kann die europäische Integration daher grundsätzlich auch die Attraktivität einer Wiedervereinigung mit Chişinău erhöhen. Zudem erhoffen viele Transnistrier auch stärkere unmittelbare wirtschaftliche Hilfen der EU. Politisch scheint die EU für sie hingegen Partei für Chişinău zu nehmen, was insofern zwangsläufig ist, als die territoriale Integrität und die Nichtanerkennung Transnistriens für die EU außer Frage steht.

Darüber hinaus ist jedoch die Kenntnis der EU und der europäischen Integration auch bei den transnistrischen Eliten bislang begrenzt geblieben. Dass die EU ihr eigenes Engagement gegenüber Transnistrien im Rahmen vertrauensbildender Maßnahmen ausbaut, wird jedoch dazu beitragen können, ihr eigenes Profil auch als Garant legitimer Interessen der Menschen in Transnistrien zu stärken.

Die Interessenlage Russlands

Russland sieht sich im Transnistrienkonflikt einer nicht widerspruchsfreien Gemengelage unterschiedlicher Interessen bzw. außen- und innenpolitischer Ziele gegenüber. Einerseits hat Russland ein Interesse nicht nur an der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit der EU, sondern auch an einer engeren Einbindung in die euroatlantischen Sicherheitsstrukturen, einschließlich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Deshalb hat Moskau sich mit dem Merseburger Memorandum darauf eingelassen, das gemeinsame Bemühen um eine Lösung des Transnistrienkonflikts zum Anknüpfungspunkt und faktisch zur Voraussetzung einer vertieften sicherheitspolitischen Zusammenarbeit mit der EU zu machen.

Da die EU gegenüber Moldau jedoch die Fortsetzung demokratischer Reformen unterstützt, damit zugleich die prowestlichen Kräfte stärkt und für Chişinău zumindest die Option der europäischen Integration sichern will, erfordert eine gemeinsame Konfliktbewältigung von Moskau aber auch deutliche Zugeständnisse. Denn Russland ist andererseits nicht nur daran interessiert, einen eventuellen NATO-Beitritt Chişinău zu verhindern, worüber eine Verständigung mit Moldau möglich ist. Es hat auch Vorbehalte gegenüber einer Vertiefung der europäischen Integration des Landes. Denn sie würde zwangsläufig den russischen Einfluss schwächen und läuft der Absicht entgegen, Moldau in eigene Integrationsmodelle im post-sowjetischen Raum: Die Zollunion mit Kasachstan und Belarus bzw. die Eurasische Union, einzubeziehen.

Russlands abstrakte Interessen bewegen sich insofern je nach Erreichbarkeit zwischen einem Maximalziel und einem Minimalziel. Das Maximalziel bestünde darin, Moldau fest in eigene Integrationsstrukturen einzubeziehen, entweder mittels eines Kompromisses mit Chişinău über Transnistrien, der durch Vorbehaltsrechte für Tiraspol im Rahmen einer Konfliktlösung abgesichert werden könnte, oder mittels der in ihrer Folge veränderten Mehrheitsverhältnisse in Moldau; die russische Truppenpräsenz in Transnistrien und ihre Fortdauer, mittlerweile ohnehin mehr von symbolischer als militärischer Bedeutung, wäre dabei wohl nur eine nachrangige Frage.

Das Minimalziel wäre ein ehrenvoller Abzug; zwar unter Wahrung der moldauischen Neutralität, auch möglichst weitgehender Rechte für Transnistrien, doch ohne die Handlungsfähigkeit des Gesamtstaates zu beeinträchtigen und unter Akzeptanz der europäischen Integration Moldaus. Transnistrien ist dabei für Russland primär ein Mittel, um Einfluss auf Moldau auszuüben. Deshalb – wie auch aus prinzipiellen Erwägungen und Kostengründen – ist Russland trotz seiner Unterstützung für Tiraspol an der Unabhängigkeit Transnistriens oder gar einer Übernahme in den eigenen Staatsverband strategisch ebenso wenig interessiert wie die EU. Sollte der Status Quo andauern und Chişinău künftig eine weitere Vertiefung der europäischen Integration verstellen, würde die Bereitschaft zu einer derartigen Lösung vermutlich noch am ehesten in Moldau selbst wachsen.

Für Russland verbinden sich mit solchen Perspektiven Widersprüche zwischen kurz- und langfristigen Interessen. Je mehr sich die politische Lage in Moldau stabilisiert und je weiter Moldau zugleich in Richtung euro-päischer Integration fortschreitet, desto irreversibler wird diese Entwicklung. Die Verhandlungen zwischen Chişinău und Brüssel über ein tief greifendes Freihandelsabkommen haben Anfang des Jahres begonnen. Mit seinem Abschl uss und dem Prozess der Implementierung würde die Einbeziehung Moldaus in alternative Integrationsmodelle und damit auch Russlands weiterreichende Ziele zunehmend illusorisch.

Moskau hat erheblichen Einfluss

Deshalb hat Russland durchaus ein grundsätzliches Interesse an einer baldigen Konfliktlösung; denn selbst wenn sich darin nicht annähernd so weit gehende Vorbehaltsrechte für Transnistrien durchsetzen ließen, wie noch im Kozak-Plan vorgesehen, kann sich Russland angesichts der latenten politischen Krise und Instabilität in Chişinău von einer schnellen Vereinigung eine Verschiebung der politischen Mehrheitsverhältnisse in der gesamten Moldau zu eigenen Gunsten versprechen.

Moskau hat auch in Chişinău noch erheblichen Einfluss auf Teile des Parteienspektrums und der Wählerschaft. Das gilt besonders für die PCRM, die in der Opposition ihrerseits auf die Unterstützung Moskaus und russischer Medien angewiesen ist. Einflussmöglichkeiten gibt es aber auch in anderen Parteien, in der PSRM beispielsweise, aber auch in die Koalitionsparteien hinein.

Mit der Zeit und insbesondere angesichts einer politischen Konsolidierung in Moldau dürften diese Kräfte – vor allem die PCRM – aber eher geschwächt als gestärkt werden. Während sich also für Moldau mit zunehmendem Andauern des Status Quo die faktische Trennung von Transnistrien zu vertiefen droht, droht sich Chişinău für Moskau auch zunehmend eigenen Einflüssen zu entziehen.

Zugleich aber erschwerte die politische Instabilität Moldaus für Russland bislang eine Abwägung seiner tatsächlichen Interessenlage. Denn die jetzige Regierung in Chişinău ist auch zugunsten einer Konfliktlösung nicht zu Kompromissen über die europäische Integration bereit, ebenso wenig wie zur Verständigung auf Vorbehaltsrechte für Transnistrien, die dieses Ziel gefährden würden. Zumindest bis zur Wahl Präsident Timoftis konnte Russland aber auf die Möglichkeit setzen – und selbst darauf hinarbeiten –, dass kurzfristig eine andere, den eigenen Interessen gegenüber aufgeschlossenere Koalition unter Beteiligung der PCRM die Regierung übernehmen könnte.

Es war eine Konsequenz, dass Russland bei der Konkretisierung und eventuell Modifikation seiner eigenen Position im Transnistrienkonflikt zunächst eine abwartende Haltung einnahm. Dazu trug auch bei, dass Transnistrien keine hohe Priorität in der russischen Agenda zukommt. Darüber hinaus bestimmen nicht nur außenpolitische Interessen, sondern auch innenpolitische Rücksichten die russische Politik. Denn es gibt in Russland auch Akteure, die gewillt sind, an der eigenen Position in Transnistrien unabhängig von der Politik Chişinăus festzuhalten.

Russland zielt darauf, sich möglichst viele Optionen offenzuhalten

Zwar spielt Transnistrien im innerrussischen Diskurs allenfalls eine marginale Rolle. Das kann sich aber ändern, wenn der Eindruck entsteht, der Kreml würde russische Interessen opfern oder die eigenen Landsleute dort im Stich lassen. In diesem Fall wäre mit deutlicher Kritik seitens eher nationalistischer Kräfte zu rechnen. In der Vergangenheit wäre besonders von Smirnow zu erwarten gewesen, dass er in diesem Sinne an seine russischen Unterstützer appelliert hätte. Dabei steht nicht in Frage, dass die russische Führung eine Verständigung über Transnistrien auch gegen innenpolitische Widerstände durchsetzen kann, sondern ob die Vorteile die politischen Kosten aufwiegen. Schließlich hat gerade Putin sich innenpolitisch nicht zuletzt dadurch zu legitimieren gesucht, dass er sich als Verteidiger russischer Interessen auch gegenüber dem Westen profiliert hat.

Russlands Politik gegenüber Transnistrien beruhte bislang weniger auf einer kohärenten Strategie, sondern zielte darauf, sich möglichst viele Optionen offen zu halten bzw. zu eröffnen. Innerhalb Transnistriens hat Russland daher mit dafür Sorge getragen, dass es im Dezember zu einer wirklich kompetitiven „Präsidentschaftswahl“ und damit zur Abwahl Smirnows kam, indem es die Gegenkandidatur von Anatol Kaminski, des Nachfolgers Schewtschuks als „Parlamentssprechers“ und Vorsitzenden von Obnovlenie massiv unterstützte und seinen Einfluss nutzte, um größeren Manipulationen vorzubeugen.

Dass am Ende Schewtschuk als wesentlich populärerer Politiker gewann, wurde dabei in Kauf genommen; denn einerseits ist Moskau bewusst, dass sich gegen die verbreitete Frustration in der Bevölkerung über die übrigen politischen Eliten und angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage nicht auf Dauer regieren lässt und insofern auch eine größere demokratische Mitbestimmung ebenso wie wirtschaftliche Reformen erforderlich sind.

Andererseits bleibt der Einfluss Russlands auch mit Schewtschuk gewahrt. Auch wenn er bei der Neubesetzung der Machtpositionen nicht immer im Einvernehmen mit Moskau gehandelt haben mag, kann er sich kaum größere Konflikte mit Russland leisten; und Moskau dürfte seinerseits dafür sorgen, dass der eigene Einfluss auch durch die Revision mancher Personalentscheidung in Transnistrien gewahrt bleibt. Zugleich will und kann Schewtschuk im Transnistrienkonflikt nicht die Kompromisslosigkeit Smirnows fortsetzen. Im Augenblick bedeutet das für die Statusverhandlungen, dass die Position Russland mehr denn je maßgeblich ist. Schewtschuk wird kaum über russische Vorstellungen hinaus gehen können oder wollen noch sich – anders als Smirnow – Kompromissen verweigern, die von Russ-land unterstützt werden.

Moskau war zuletzt durch die Duma- und Präsidentenwahlen von der moldauischen und transnistrischen Politik abgelenkt. Weder bei der Neubesetzung der transnistrischen Regierungsfunktionen nach der Wahl Schewtschuks, noch bei der moldauischen Präsidentenwahl im März gab es daher eine ähnlich hochrangige russische Einflussnahme wie in ähnlichen Fällen in der Vergangenheit, beispielsweise nach den moldauischen Parlamentswahlen vom November, als Sergei Naryschkin als damaliger Leiter der Präsidialadministration zu Koalitionsgesprächen nach Chişinău fuhr.

Welche Politik Moskau unter der neuen Präsidentschaft Putins gegenüber Transnistrien verfolgen wird, ist angesichts der komple-xen Interessenlage Russlands nur schwer vorherzusehen. Das gilt auch für seine Positionierung gegenüber den inneren Machtkämpfen in Transnistrien. So sollte auch Russland an sich ein Interesse daran haben, ein grundlegendes Gleichgewicht zwischen den politischen Lagern aufrechtzuerhalten und damit einer zu weit gehenden Schwächung Obnovlenies entgegenzuwirken; wofür auch die Unterstützung Obnovlenies und Kaminskis in früheren Wahlen spricht.

Doch böten sich mit einer Schwächung Obnovlenies und der hinter der Partei stehenden wirtschaftlichen Kräfte auch Gelegenheiten zur Übernahme weiterer lukrativer Teile der transnistrischen Wirtschaft durch russische Investoren – und damit eines sehr weitgehenden Ausbaus der wirtschaftlichen Kontrolle Transnistriens.

Russland könnte Ausbau seine Unterstützung Transnistriens ausbauen

Da zugleich die Überlebensfähigkeit Transnistriens wie auch das Ausmaß der gegenseitigen Attraktivität im Verhältnis zur übrigen Moldau entscheidend von der wirtschaftlichen Entwicklung abhängt, ist es möglich, dass Russland seine Unterstützung für Transnistrien ausbaut – auch um dessen Position in den Verhandlungen mit Chişinău zu stärken. Darauf könnte jedenfalls hindeuten, dass Dimitri Rogosin als neu ernannter Beauftragter des russischen Präsidenten für Transnistrien bereits Mitte April mit einer sehr umfangreichen Wirtschaftsdelegation nach Tiraspol kam.

In Moldau ist die Ernennung Rogosins auf Vorbehalte gestoßen; auch weil ihr keine Konsultation oder Information vorausging. Dabei erschwert die vergleichsweise Intransparenz der russischen Politik eine Einschätzung der mit solchen Personalentscheidungen verbundenen politischen Absichten. Als profilierter Verfechter nationaler Interessen Russlands kann die Ernennung Rogosins ein Abrücken von der stärker kooperativen Politik Medwedews im Meseberg-Prozess andeuten. Aus demselben Grund könnte aber gerade ein Mann wie Rogosin Kompromisse innerhalb Russlands vermitteln, ohne schnell eines Ausverkaufs russischer Interessen verdächtigt zu werden.

Grundsätzlich sollte das strategische Kalkül hinter seiner Ernennung aber nicht überschätzt werden; viele Personalentscheidungen sind mit dem Übergang zu einer neuen Präsidentschaft zu treffen; und so wichtig ist Transnistrien dabei nicht. Fest steht nur, dass die Zuständigkeit für Transnistrien mit Rogosin, der bereits zuvor vom NATO-Botschafter zum Vizepremier befördert wurde, in der neuen Administration hochrangig angesiedelt wurde.

Welche Politik Moskau jedoch letztlich im Transnistrienkonflikt verfolgen wird, das dürfte damit noch nicht entschieden sein. Seine bisherigen Positionen, die auf weitgehende Vorbehaltsrechte für Transnistrien und damit indirekt auch auf eine Verankerung des russischen Einflusses in Moldau zielen, wird es sicher nicht leicht aufgeben, vielleicht auch erst einmal den Druck auf eine Lösung im eigenen Sinn erhöhen. Um sich selbst nicht in eine passive und damit eher defensive Lage zu bringen, wäre es naheliegend, wenn Moskau, nachdem sich die neue Administration um Putin eingearbeitet hat, die Initiative mit einem neuen Lösungsvorschlag ergreift.

Austesten ließe sich damit auch die Kohärenz der Vorstellungen Moldaus, der EU und der USA, ausnutzen gegebenenfalls das Auftreten von Unterschieden. Denn der Kompromissbereitschaft Chişinăus könnten auch aus innenpolitischen Gründen Grenzen gesetzt sein, die seinen westlichen Partnern nicht ganz zu vermitteln sind. Dabei können die Zuständigen in Moskau darauf setzen, aufgrund anderer Zugänge und eines umfangreicheren Erfahrungshintergrundes mit den Verhältnissen in Moldau wie Transnistrien – und damit auch mit den Implikationen unterschiedlicher Lösungsvorschläge – insgesamt besser vertraut zu sein als ihre westlichen Verhandlungspartner.

Den 5+2 Verhandlungen dürften also noch schwierige Kontroversen bevorstehen. Da eine Konfliktlösung, die grundsätzlichen Vorstellungen der Regierung in Chişinău und der EU zur Gewährleistung eines funktionsfähigen Gesamtstaats und der europäischen Integration Moldaus entspricht, aus russischer Sicht zwangsläufig ein erhebliches Zugeständnis darstellt, müsste es für Moskau durch übergeordnete Vorteile aufgewogen werden. Ob die bisherigen Angebote der EU wie die im Meseberger Memorandum in Aussicht gestellte Einrichtung eines ge-meinsamen politischen und sicherheitspolitischen Komitees dazu hinreichen, ist fraglich.

Die Chancen für eine Verständigung mit Russland dürften deshalb letztlich von der umfassenderen Entwicklung der Beziehungen zwischen Russland und dem Westen abhängen. Sie hängen damit von der Frage ab, ob unter Putin das Interesse an der eigenen Modernisierung und einer besseren Integration Russlands in die euroatlantische Sicherheitsarchitektur zu einer weiteren Annäherung an EU und NATO führt, oder die fortbestehenden Interessengegensätze, die Konkurrenz um Integrationsmodelle im postsowjetischen Raum und nicht zuletzt auch die innere Entwicklung Russlands wieder verstärkt zu Konflikten führen wird.

Dass die Fortsetzung und Tragweite der Annäherung zwischen EU und Russland aber zumindest ebenfalls fraglich erscheint, bildet einen zusätzlichen Grund für Moldau und die EU, die 5+2 Verhandlungen stärker durch eine Politik des direkten Engagements gegenüber Transnistrien zu flankieren.

Ansatzpunkte einer Konfliktbewältigung

Nach der Verständigung über die Verfahren und Grundsätze sollten die 5+2 Verhandlungen u.a. darauf abzielen, eine Verständigung über fundamentale inhaltliche Prinzipien einer Konfliktlösung zu erzielen. Sie müssten eine Bekräftigung der territorialen Integrität und Souveränität Moldaus einschließen, welche von allen anderen Verhandlungspartnern außer Tiraspol und so auch von Russland anerkannt wird. Sie müssten Transnistrien Sicherheiten bieten hinsichtlich des Schutzes von Sprache und Kultur, Schutzes vor Benachteiligungen in einem wiedervereinigten Staat, sowie eines eigenen Status Transnistriens, der das Ausmaß seiner politischen Selbstbestim-mung innerhalb Moldaus bestimmt und gewährleistet.

Darüber hinaus müssten sie das Ziel eines funktionsfähigen Gesamtstaates verankern; worunter zu verstehen wäre, dass die Abgrenzung der jeweiligen Kompetenzen primär vertikal zwischen den einzelnen Landesteilen erfolgen sollte anstatt einer hori-zontalen Teilung der Macht in den gesamtstaatlichen Institutionen, die das Risiko einer Blockierung des politischen Systems aufwerfen würde.

Der Zweck solcher Prinzipien wäre nicht, bereits die Struktur einer endgültigen Konfliktlösung vorwegzunehmen. Er bestünde vielmehr darin, die fundamentalsten Gegensätze auszuräumen, durch die die Verhandlungen sonst immer wieder blockiert zu werden drohen, um diese auf eine Agenda konstruktiver Lösungsansätze hin zu leiten. Die konkreten Bestimmungen einer endgültigen Konfliktlösung wären erst in einem längerfristigen Prozess der gegenseitigen Annäherung zu finden.

Die Züge einer endgültigen Konfliktlösung sind schon deshalb heute kaum zu umrei-ßen, weil ihre Voraussetzungen erst geschaffen werden müssen; denn es besteht eine grundsätzliche Interdependenz zwischen den politischen Entwicklungen in beiden Landesteilen und den konstitutionellen Möglichkeiten bei einer Wiedervereinigung. Angesichts der Unterschiede zwischen den politischen Systemen, den Instabilitäten auf beiden Seiten und dem gegenseitigen Misstrauen wäre ein funktionierender Gesamtstaat heute vermutlich nur mit einem so begrenzten Ausmaß an regionaler Autonomie für Transnistrien zu gewährleisten, das für Tiraspol inakzeptabel wäre.

Das Ausmaß an Eigenständigkeit und Vorbehaltsrechten, das für Tiraspol akzeptabel sein könnte, dürfte jedoch in einem dysfunktionalen Staat resultieren und für Chişinău inakzeptabel sein; zudem würde es von Tiraspol vermutlich nur als Vorstufe zu dem Ziel einer endgültigen Unabhängigkeit ausgenutzt werden. Soweit es jedoch gelingt, die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verbindungen zu intensivieren, Misstrauen abzubauen und zugleich Demokratie und Rechtssicherheit in beiden Landesteilen zu stärken, wird auch die Kompromissfähig-keit beider Seiten steigen.

Je stärker sich die demokratischen und rechtsstaatlichen Standards annähern, desto sinnvoller könnte es dann sogar erscheinen, die Kompetenzen der unterschiedlichen Landesteile gegenüber der gesamtstaatlichen Legislative auszuweiten. Denn wenn Transnistrien oder große Teile der dortigen Wählerschaft eine eigene politische Identität behalten und ein eigenes Parteiensystem in der Region damit fortbesteht, kann es dazu kommen, dass Mehrheitsbildungen im nationalen Parlament dann ni cht in wirklich nationalen Wahlen ermittelt werden, sondern praktisch in Kompromissen jeweils mit oder gegen die transnistrischen Parteien.

Je mehr Fragen aber auf gesamtstaatlicher Ebene zu regeln sind, desto stärker könnten Entscheidungen, die als Entscheidungen für oder gegen nationale Mehr- oder Minderheiten wahrgenommen würden, die Funktionalität demokratischer Prozesse beeinträchtigen und zugleich ihre Legitimität in beiden Landesteilen untergraben.

Entscheidend ist, dass eine dauerhafte Überwindung der Teilung einen politischen Prozess der gegenseitigen Annäherung zwischen Transnistrien und Chişinău voraussetzt. Dieser Prozess kann durch eine Strategie des gezielten Engagements gegenüber Transnistrien unterstützt werden. Die EU und ihre Mitgliedsstaaten werden die Öffnung der Region, eine engere wirtschaftliche und soziale Verflechtung zwischen beiden Landesteilen sowie die bilateralen Verhandlungen zwischen Chişinău und Tiraspol, durch einen Ausbau ihrer Förderung für die vertrauensbildenden Maßnahmen unterstützen.

Darüber hinaus stellt sich aber auch die Frage, ob Moldau und die EU stärker Instrumente zur direkten Zusammenarbeit mit Tiraspol entwickeln sollten, ähnlich den Angeboten, die sich an die Zielländer der Nachbarschaftspolitik richten. Zwar könnte das die Legitimität Tiraspols stärken, auch dem dortigen Streben nach Unabhängigkeit weiteren Auftrieb geben. Der Vorteil bestünde jedoch nicht nur darin, die politischen und wirtschaftlichen Reformen Schewtschuks in Transnistrien konkreter unterstützen zu können und so auch größere Einflussmöglichkeiten zu erschließen.

Zugleich könnte nur mit derartigen Angeboten auch eine wirksamere Konditionalität verbunden werden, indem sie an Voraussetzungen hinsichtlich der Verwirklichung rechtsstaatlicher und demokratischer Standards und nicht zuletzt auch der Entwicklung des politischen Pluralismus in Transnistrien gebunden werden. Denn letztlich werden diese Forderungen zwar noch keine hinreichende, aber eine notwendige Bedingung einer erfolgreichen Konfliktbewältigung sein.

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