Das politische und regionale Umfeld Mauretaniens hat sich seit der Wahl von Präsident Mohamed Ould Ghazouani im Jahr 2019 deutlich verändert. Ghazouani trat in die Fußstapfen seines Vorgängers Mohamed Ould Abdel Aziz, der das Land nach einem Putsch seit 2008 regierte. Die Wahl von Mohamed Ould Ghazouani 2019 war der erste demokratische Wechsel im Präsidentenamt in der Geschichte des Landes. Entsprechend ist eine problemlose Wahl auch keine Selbstverständlichkeit für den seit 1960 unabhängigen Staat, dessen unmittelbare Nachbarschaft in den letzten Jahren von zahlreichen Umbrüchen geprägt ist. Das Land zählt zudem aufgrund der weitverbreiteten Armut zu den ärmsten der Welt.
Eine instabile politische Geschichte
Mauretanien ist ein muslimischer Staat und zeichnet sich durch eine tief verwurzelte religiöse Prägung aus, wobei der Islam eine zentrale Rolle im staatlichen Gefüge sowie im gesellschaftlichen Leben spielt. Etwa 99 Prozent der Bevölkerung bekennen sich zum sunnitischen Islam. Die Scharia, als islamisches Rechtssystem, fungiert als Grundlage des juristischen Systems und beeinflusst sämtliche Bereiche des gesellschaftlichen Lebens.
Nach dem Ende der französischen Kolonialzeit durchlief die neu gegründete „Islamische Republik Mauretanien“ eine turbulente politische Geschichte. Nach den Wirren um die einstige Kolonie Spanisch-Sahara, auf welche Mauretanien bis 1979 Ansprüche anmeldete, kam es innerhalb nur weniger Jahre zu mehreren Staatsstreichen. Einschneidend war der Militärputsch des Oberst Maaouya Ould Sid’Ahmed Taya im Jahr 1984, welcher eine Phase der Liberalisierung einleitete. Neben der Einführung einer neuen Verfassung, wurden auch erstmals mehrere Wahlen für Präsident und Parlament organisiert, die jedoch von der Opposition häufig als manipuliert und gefälscht kritisiert wurden. Ein weiterer Putsch beendete Tayas langjährige Regierungszeit, welcher 2005 durch eine Gruppe von Offizieren abgesetzt wurde und ins Exil floh. Die neue Militärregierung versprach, innerhalb der nächsten Jahre demokratische Verhältnisse einzuführen, sodass es zu einem Verfassungsreferendum und Parlamentswahlen kam. Jedoch kam es 2008 zu einem erneuten Militärputsch unter Führung von General Mohamed Ould Abdel Aziz. Dieser wurde bei den abgehaltenen Wahlen 2009 und 2014 offiziell im Amt bestätigt. Aziz‘ Präsidentschaft war gekennzeichnet von dem Versuch, mehr Stabilität und Sicherheit nach Mauretanien zu bringen, auch wenn Kritiker die autoritäre Herrschaftsweise und Unterdrückung der Medien anprangerten. Bei den Wahlen 2019 hielt sich Präsident Aziz an seine Amtszeitbegrenzung und trat nicht mehr zur Wahl an. Stattdessen konnte sein politischer Ziehsohn Mohamed Ould Ghazouani mit 52 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang die Nachfolge antreten. Er setzte die auf Stabilität und Sicherheit ausgerichtete Politik seines Vorgängers fort.
Ghazouani selbst ist am 4. Dezember 1956 geboren und trat bereits frühzeitig in die Militärakademie Mauretaniens ein. Er machte Karriere in den Streitkräften und war unter anderem Generalstabschef der mauretanischen Armee sowie Verteidigungsminister. Vor allem unter der Präsidentschaft von Mohamed Ould Abdel Aziz war er einer der Hauptakteure der Militärhierarchie.
Mauretanien als Partner der EU
Mit der Reihe an Militärputschen in Tschad, Mali, Burkina Faso und zuletzt in Niger sieht sich die Europäische Union einer Reihe von Herausforderungen gegenüber: Es bleiben kaum noch Partner in der Sahelregion, mit denen sie in Sicherheitsfragen kooperieren kann. Insbesondere Niger galt als Schlüsselpartner für die Sahel-Strategie der Europäischen Union.
Für den mauretanischen Staat ist vor allem die Lage in Mali besorgniserregend, das mit seiner tausende Kilometer langen Grenze zu Mauretanien erhebliche Sicherheitsbedenken hinsichtlich militanter Gruppen aufwirft. In den letzten Jahren hat sich diese Grenze zunehmend zum Schauplatz von terroristischen Aktivitäten, Schmuggel und grenzüberschreitenden Konflikten entwickelt, was nicht nur die Sicherheit der Region gefährdet, sondern auch nach Europa ausstrahlt. So haben die Präsenz terroristischer Gruppen, wie al-Qaida im Islamischen Maghreb (AQIM) und der Islamische Staat in der Großsahara (ISGS), die Sicherheitslage erheblich verschärft. Umso wichtiger erscheint eine gute Beziehung der Europäischen Union mit Mauretanien, da man auch in Europa das Überschwappen terroristischer Aktivitäten auf Mauretanien oder die Länder des Maghreb fürchtet. Denn dies könnte zusätzliche Implikationen auf die ohnehin schon starke Migrationsbewegung Richtung Mittelmeer haben.
Dass Präsident Ghazouani strikt gegen inneren Extremismus vorgeht und ein strenges Grenzregime eingeführt hat, wird daher von den europäischen Partnern geschätzt. Vor allem nach dem Ende der Militär- und Polizeimissionen in Mali und Niger wird vermehrt auf Mauretanien geschaut. Ein neues Migrationsabkommen zwischen der EU und Mauretanien, das 2024 vereinbart wurde, zielt darauf ab, legale Migration zu fördern und die Schleuserkriminalität zu bekämpfen. Mauretanien soll dabei eine Schlüsselrolle in der Region einnehmen. Dies zeigt, wie eng die innenpolitischen Entwicklungen Mauretaniens mit globalen geopolitischen Interessen verknüpft sind.
Seit Jahresbeginn 2024 wurden nach offiziellen spanischen Angaben mehr als 12.000 Menschen gezählt, die auf den Kanarischen Inseln registriert wurden. Die meisten gelangten in kleinen und kaum seetüchtigen Booten an die Küsten der Inseln. Das sind bereits mehr als im gesamten ersten Halbjahr 2023, als ebenfalls ein starker Anstieg der Ankünfte registriert worden war.
Ein wirtschaftspolitischer Balanceakt
Neben der Migrationsfrage versucht Mauretanien einen wirtschaftspolitischen Balanceakt in der Region. Es ist dabei zu beobachten, dass die mauretanische Regierung darauf bedacht ist, sich keinen regionalen oder internationalen Bündnissen anzuschließen. Damit sollen die Türen in vielfältige Richtungen offengehalten werden. Ein Beispiel war zuletzt der Versuch Algeriens im Frühjahr 2024, die Maghreb-Union zu revitalisieren unter Einbindung von Tunesien und Libyen, jedoch ohne Marokko. Der mauretanische Präsident Ghazouani ist dem Treffen ferngeblieben, möglicherweise auch um das Verhältnis zu Marokko nicht zu gefährden, das zunehmend wirtschafts- und sicherheitspolitische Interessen in der Sahel-Region artikuliert. Auf der anderen Seite hielten diese Bedenken Mauretanien nicht davon ab, kurz vor dem Maghreb-Treffen ein neues wirtschaftliches Freihandelsabkommen mit Algerien zu unterzeichnen. Mauretanien muss sich demnach genau überlegen, wie und in welchem Ausmaß mit anderen Ländern in der Region kooperiert werden soll, um vermeintliche andere Partner nicht zu verprellen.
Neben dem Maghreb besitzt Mauretanien auch wirtschaftliche Interessen mit seinen anderen Nachbarländern. So ist das Land Teil der geplanten Nigeria-Marokko Gaspipeline, einer der ambitioniertesten Energieinfrastrukturinitiativen Afrikas. Auch Mauretanien soll mit dem Durchqueren der Pipeline seines Territoriums von dem Projekt profitieren. Damit wird nicht nur die Energieversorgung Westafrikas verbessert, sondern hat auch das Ziel, die Pipeline an die Maghreb-Europa-Pipeline anzuschließen, welche Marokko mit Spanien verbindet. Das Projekt verdeutlicht symbolisch die strategischen Vorteile, die Mauretanien als verbindendes Scharnier zwischen Maghreb und Subsahara bietet.
Für Deutschland und Europa scheint das Land auch hinsichtlich erneuerbarer Energien ins Blickfeld zu rücken. So hat die EU den Wüstenstaat mit seinen unzähligen Sonnenstunden bereits in den Rang eines Schlüsselpartners für die EU Global Gateway Initiative gehoben, um das Entwicklungspotenzial für die Erzeugung von grünem Wasserstoff auszuschöpfen. Damit tritt die EU in Konkurrenz mit weiteren britischen-australischen Großprojekten in Mauretanien, welche grünen Wasserstoff in der Region vorantreiben möchten. Wirtschaftspolitisch folgt Präsident Ghazouani einer Vision zur Förderung wirtschaftlicher Diversifikation, um die Abhängigkeit des Landes von den traditionellen Rohstoffexporten wie Eisenerz zu reduzieren.
Bilanz der Präsidentschaft Ghazouani seit der letzten Wahl
Mit 52 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang gewann Ghazouani die letzte Präsidentschaftswahl 2019. Seitdem gab es einige Reformen, die mit Unterstützung von Oppositionsparteien umgesetzt wurden. So wurde 2022 teilweise ein proportionales Repräsentationssystem eingeführt, das erstmals bei den Parlamentswahlen 2023 zur Anwendung kam. Dennoch profitieren die politischen Parteien mit den meisten Stimmen auch weiterhin überproportional bei der Sitzverteilung im Parlament: So erhielt die Regierungspartei „El Insaf“ mit ca. 35 Prozent der Stimmen 107 von 176 Sitzen im Parlament. Darüber hinaus wurde die Unabhängige Nationale Wahlkommission im Jahr 2022 reformiert und gilt nun als unparteiischer, was die Glaubwürdigkeit und Integrität des Wahlsystems gestärkt hat. Eine weitere positive Entwicklung war die Vereinbarung einer Charta des nationalen Verständnisses im Jahr 2023 zwischen der Regierungspartei „El Insaf“ und führenden Oppositionsparteien. Diese Charta legt Prinzipien der nationalen Einheit fest und bildet nun eine Grundlage für politischen Konsens und Zusammenarbeit.
Jedoch ist die Bilanz von Ghazouanis Präsidentschaft nicht frei von Kontroversen und Herausforderungen. Kritik an der regierenden Partei führt mitunter zu Verhaftungen von Oppositionellen oder Medienschaffenden. Die Meinungs- und Pressefreiheit bleibt trotz aller Reformen noch immer eingeschränkt. Darüber hinaus ist Korruption ein strukturelles Problem in Mauretanien. Präsident Ghazouani hat die Bekämpfung der Korruption zu einer politischen Priorität erhoben. Es gibt jedoch Bedenken, dass Ghazouanis Anti-Korruptionsmaßnahmen vorrangig gegen politische Gegner eingesetzt werden, darunter gegen seinen ehemaligen Mentor und Vorgänger im Präsidentenamt, Mohamed Ould Abdel Aziz. Dieser wurde 2023 wegen Korruption zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt, was zu politischen Spannungen im Land führte. Aziz strebte eine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2024 an, wurde jedoch unter Verweis auf seine Haftstrafe nicht zur Wahl zugelassen.
Gegenkandidaten und Ausblick auf die Wahlen 2024
Zu den wichtigsten der sechs Gegenkandidaten gehört Biram Dah Abeid, ein prominenter Aktivist im Kampf gegen moderne Sklaverei. Trotz der Hindernisse und Haftstrafen, die er in den letzten Jahren für sein Engagement erlitten hat, konnte er bei der letzten Wahl 19 Prozent der Stimmen auf sich vereinen. Sein Einsatz für die Abschaffung der Sklaverei, die in Mauretanien erst 1981 offiziell abgeschafft wurde, hat ihn zu einer bedeutsamen Figur in der politischen Landschaft gemacht. Abeid selbst stammt aus einer „Haratin“-Familie, welche historisch von Sklaverei betroffen war und oft diskriminiert wurde. Traditionell gibt es Bevölkerungsgruppen, die trotz offizieller Abschaffung der Sklaverei nach wie vor unter den Folgen dieser Praxis leiden. Davon betroffen sind insbesondere die „Afro-Mauretanier“, die seit Generationen den „Bidhan“, einer arabisch-berberischen Gruppe, als Sklaven dienen. Die „Bidhan“ machen 20 bis 30 Prozent der Bevölkerung aus. Ein bedeutender Anteil der Bevölkerung sind mit 40 Prozent Anteil die „Haratin“, ehemalige Sklaven, die nun freigelassen sind und sich als eigene Kaste verstehen. Bis zu 20 Prozent der Bevölkerung gelten informell noch immer als Sklaven. Trotz ihres signifikanten Anteils an der Bevölkerung werden die „Afro-Mauretanier“ systematisch von Machtpositionen ausgeschlossen.
Eine weitere herausfordernde Stimme ist Hamadi Ould Sid' El Moctar, der Anführer der islamistischen Oppositionspartei „Tewassoul“. Er und seine Partei setzen sich für eine noch stärker islamisch geprägte Regierung und Gesellschaft ein. Dementsprechend besitzen sie eine breite Anhängerschaft in Teilen der konservativen und religiösen Bevölkerung.
Für die wahrscheinliche Wiederwahl von Ghazouani stellen die Gegenkandidaten trotz ihrer hohen Bekanntheit keine ernsthaften Gefahren dar. Seine Partei hat einen deutlichen Vorsprung vor der zweitstärksten Partei „Tewassoul“, insbesondere seit den letzten Parlamentswahlen 2023. Die bevorstehende Wahl könnte somit als Bestätigung seiner Regierungsweise angesehen werden und ein aktuelles Meinungsbild der Bevölkerung über die Beliebtheit von Ghazouani vermitteln. Es wird daher für die Präsidentschaftsunterstützer wichtig sein, die Wahlen bereits mit absoluter Mehrheit, wie 2019, in der ersten Runde am 29. Juni zu entscheiden und nicht in eine Stichwahl am 14. Juli gehen zu müssen. 2019 bezeichnete die Opposition die Wahl Ghazouanis als einen „neuen Militärputsch“. Die Akzeptanz des Ergebnisses, in welcher Form auch immer, wird daher aufzeigen, inwiefern die in den letzten Jahren zwischen Regierungspartei und Opposition vereinbarten Reformen tragfähig sind und somit zur Stabilisierung des Landes beitragen. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund der Bedeutung Mauretaniens als zuverlässiger Partner der EU in einer instabilen Sahelzone wichtig.
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