In den frühen Morgenstunden des 17. Mai 2020 wurde es Realität: Nach über zweijährigem Ringen um das historische Gebäude des albanischen Nationaltheaters in Tirana, bei dem vor allem Künstler, die Zivilgesellschaft sowie die Opposition unter der Führung der Demokratischen Partei (DP) sich gegen einen Abriss ausgesprochen hatten, ließ Bürgermeister Erion Veliaj das Theater gewaltsam räumen und abreißen. Es scheint, als ob die regierende Sozialistische Partei (SP) unter Ministerpräsident Edi Rama die Covid-19-Krise nutzt, um nicht nur in der „lästigen“ Theatersache Fakten zu schaffen.
Agenda-Setting in der Pandemie
Wie in den meisten Ländern der Welt hat auch in Albanien die Covid-19-Pandemie das öffentliche Leben lahmgelegt. Nachdem Anfang März die ersten offiziellen Fälle im Land bekannt wurden reagierte die Regierung und schloss zuerst die Schulen und Universitäten, dann Bars und Restaurants und verfügte anschließend eine allgemeine Ausgangssperre, die nur für einige Stunden am Tag aufgehoben wurde und in denen man Lebensmittel oder Arzneimittel einkaufen durfte. Die Land- und Seegrenzen wurden geschlossen und auch der Flughafen stellte den Personenverkehr ein. Dieses entschlossene Vorgehen der Regierung zahlte sich jedoch aus:
Am 18. Mai lag der Stand der insgesamt bestätigten Infektionen bei 933, mindestens 31 Menschen starben bislang an einer Covid-19-Erkrankung, 714 sind genesen.
Auch die politische Diskussion erlahmte zu Beginn der Pandemie, auch wenn an einigen Stellen deutlich wurde, dass die Regierung ihre Projekte weiterverfolgte. Insbesondere beim Kampf gegen die unabhängigen Medien geht sie dabei zunehmend autoritär vor. So warnte Premierminister Edi Rama zu Beginn der Pandemie Handynutzer vor jedem Telefonat per Sprachnachricht: „Wascht eure Hände, geht nicht aus dem Haus zum Vergnügen, lüftet so oft es geht und schützt euch vor den Medien.“ Am 15. Mai verfügte zudem die Gesundheitsbehörde die Schließung des regierungskritischen privaten TV-Senders Ora News, da es in Sendungen zu viele Studiogäste gegeben habe. Der vorläufige Höhepunkt wurde nun jedoch mit dem Abriss des Nationaltheaters erreicht.
Zerstörung eines Kulturguts
Das Theater (albanisch: Teatri Kombëtar) war das wichtigste Theater in Tirana. Der Komplex mit den Gebäuden des Nationaltheaters und des Experimentellen Theaters war ein historisches Ensemble, welches verschiedene architektonische und technische Stile und Herangehensweisen der Vergangenheit zeigt. Das Gebäude entstand in den 1930er-Jahren unter dem starken Einfluss des italienischen Futurismus im Rahmen des sogenannten "Circolo Scanderbeg" – eines Kultur- und Verwaltungskomplexes, der seine Funktion noch heute bewahrt. So befinden sich mehrere Ministerien und das Rathaus von Tirana in unmittelbarer Nähe. Die beim Bau verwendeten Materialien und Techniken galten auf europäischer Ebene als innovativ für Italien und darüber hinaus. Es stellte zudem eine wichtige Etappe in der Geschichte der Stadtplanung und der modernen Architektur dar.
Nach seiner Eröffnung 1940 wurde das Theater – 1944 in Kino-Theater „Kosova“ und 1945 in Volkstheater unbenannt – zu einem Zentrum, in dem die wichtigsten kulturellen Institutionen des Nachkriegsalbaniens eingerichtet wurden. Das Theater wurde dabei Zeuge vieler Ereignisse im Zusammenhang mit der Entstehung des albanischen Theaters, aber war auch eine Bühne für künstlerische, akademische und politische Ereignisse. Angesichts der historischen Fakten war dieser architektonische Komplex Teil der kulturellen und nationalen Identität des Landes.
Im März 2020 wurde das Nationaltheater Albaniens vom europäischen Denkmalschutzverbund „Europa Nostra“ auf die Liste der sieben am stärksten gefährdeten Denkmäler in Europa aufgenommen, als ein außergewöhnliches Beispiel moderner italienischer Architektur aus den 1930er Jahren und als eines der prominentesten Kulturzentren Albaniens. Mit dem Abriss am 17. Mai ging nun dieses Kulturgut unwiederbringlich verloren.
Kampf um das Theater seit 2018
Die Diskussion um das Nationaltheater begann im März 2018, als Premierminister Rama ein Bauprojekt für ein neues Theater vorstellte.
Das Projekt für das neue Nationaltheater nahm jedoch weniger als die Hälfte der ursprünglichen Fläche ein, nämlich 3.000 m². Der Rest war für den Bau von Hochhäusern und eines Einkaufszentrums vorgesehen. Rama argumentierte, dass es „unmöglich“ sei, das 80 Jahre alte Theatergebäude zu renovieren und stattdessen mehrere Millionen Euro öffentlicher Gelder für eine öffentlich-private Partnerschaft (Public Private Partnership – PP) ausgegeben werden müssen.
Das Bauprojekt für das neue Nationaltheater hätte durch ein Sondergesetz umgesetzt werden sollen, das im Parlament, in dem Rama die absolute Mehrheit hat, verabschiedet wurde. Das sogenannte „Fusha-Gesetz“ (benannt nach dem Unternehmen Fusha shpk, welches den Auftrag erhalten sollte), hatte schwerwiegende Mängel, u.a. wegen der Vergabe von Staatseigentum ohne Ausschreibung. Als die Nachricht über das geplante Sondergesetz bekannt wurde, gründeten Künstler und Aktivisten die „Allianz zum Schutz des Theaters“, der auch viele Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Historiker, Akademiker und Journalisten beitraten. Sie organisierte Proteste, startete eine Petition, wendete sich an nationale und internationale Organisationen und unternahm auch rechtliche Aktionen. Sie hat das Theater 27 Monate lang vor dem Abriss geschützt.
Im Juli 2018 hatte auch die Europäische Kommission die albanische Regierung um Klärung der Gründe für die Verabschiedung des Sondergesetzes gebeten. Eine von 15 Fragen des Schreibens war, ob das Sondergesetz mit den Verpflichtungen Albaniens aus dem Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen, vereinbar sei. Auch Thorsten Frei MdB, damals Berichterstatter für Albanien der CDU/CSU-Fraktion im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags, äußerte in einem Interview Zweifel:
„Das Sondergesetz für das Nationaltheater ist sehr zweideutig, wenn es darum geht, wie es mit der EU-Gesetzgebung und der albanischen Verfassung zusammenpasst. So wie ich es sehe, hatte Präsident Meta recht, das Gesetz zurück ins Parlament zu schicken […] Der Fall des Nationaltheaters wird genau zeigen, wie ernst Edi Rama den EU-Beitritt nimmt.“
Am 25. Juli 2019 reichte Präsident Ilir Meta beim Verfassungsgericht Klage ein und beantragte, das Sondergesetz für das Nationaltheater für verfassungswidrig zu erklären. Da das Gericht zu diesem Zeitpunkt nicht arbeitsfähig war, wurde diese Klage erst Ende 2019 zur Prüfung vorgelegt. Am 30. Dezember 2019 ersuchte das Verfassungsgericht das Parlament, den Ministerrat, das Finanzministerium, das Kulturministerium und die Stadtverwaltung von Tirana, ihre Argumente für das Sondergesetz vorzubringen. Der Fall war jedoch noch nicht vor Gericht gekommen.
Im Februar 2020 gab die Gemeinde Tirana bekannt, dass das Projekt für den Bau eines neuen Theatergebäudes gescheitert sei. Fusha shpk sei nicht in der Lage gewesen, das Projekt in kurzer Zeit und gemäß den Forderungen zu realisieren.
Eskalation seit Anfang Mai
Nachdem es lange still um das Theater gewesen war, beschloss die albanische Regierung im Mai 2020, das Land auf dem das Nationaltheater stand, an die Gemeinde Tirana zu übertragen, um so über den Abriss zu entscheiden. Präsident Meta reichte beim Verfassungsgericht erneut eine Klage gegen diesen Beschluss ein. Am Abend des 14. Mai genehmigte der Stadtrat von Tirana dennoch heimlich den Abriss des albanischen Nationaltheaters.
Der vom Stadtrat gefasste Beschluss Nr. 50 vom 14. Mai 2020 besagt, dass das Gebäude auf der Grundlage des Gutachtens des Instituts für Bauwesen abgerissen werden soll. Das Gutachten wurde erst einen Tag zuvor, am 13. Mai, verfasst und bescheinigt, dass das Gebäude nicht für die Durchführung von Aktivitäten geeignet sei und dass es ungeachtet etwaiger Renovierungen nicht sicher gemacht werden könne. Der Stadtratsbeschluss gab darüber hinaus dem Inspektorat für Territorialschutz das Recht, das Gebäude zu räumen, zu betreten und dann abzureißen. In der Entscheidung wurde kein Datum für den Abriss genannt.
Die Abstimmung durch den Gemeinderat war nicht gesetzlich verankert. Zum einen kann der Gemeinderat nur auf der Grundlage von etwas entscheiden, das der Gemeinde gehört. In diesem Fall gehört ihr zwar das Grundstück, auf dem das Theater steht, aber nicht das Gebäude selbst. Zweitens ist das Gutachten ein verwaltungsrechtlicher Rechtsakt, der nur einer gerichtlichen Überprüfung unterzogen werden kann. Eine politische Institution wie der Gemeinderat von Tirana hat keine Zuständigkeit für einen Rechtsakt, der von einer zentralen Regierungsinstitution vorgelegt wird.
Drittens ist unklar, wie die Abstimmung stattgefunden hat. Es wurde keine öffentliche Ankündigung für die Stadtratssitzung veröffentlicht, wie es das Gesetz vorschreibt.
Viertens, tritt eine Entscheidung des Gemeindesrates in Kraft erst zehn Tage nach der Bekanntmachung und nicht mit sofortiger Wirkung.
Auch der albanische Ombudsmann hat eine administrative Untersuchung der Eigentumsübertragung des Nationaltheater-Grundstücks an die Stadtverwaltung von Tirana eingeleitet. Die Untersuchung zielt darauf ab, herauszufinden, ob „die Handlungen der staatlichen Institutionen unter Verletzung der Rechte der Bürger begangen wurden“.
Unverständnis über den Abbruch
Präsident Meta nannte die Entscheidung der Regierung und der Stadtverwaltung von Tirana, das Nationaltheater abzureißen „eine gut strukturierte kriminelle Aktivität.“ Die Handlungen und Entscheidungen der Regierung seien „unglaublich“ gewesen. Es sei ein „unverzeihliches verfassungsmäßiges, rechtliches und moralisches Verbrechen“, vor allem zu einem Zeitpunkt, wo die Rechtmäßigkeit dieses Abrisses noch vom Verfassungsgericht überprüft wird.
Auch die Demokratische Partei (DP) hatte sich immer gegen den Abriss des Nationaltheaters gestellt und forderte dessen vollständige Sanierung unter Wahrung der historischen und kulturellen Werte. Der Vorsitzende der DP, Lulzim Basha, bezeichnete vor ein paar Tagen den Abriss des Theaters als „rote Linie“. So erklärte er:
„Jeder Akt zum Abriss des Theaters ist ein reiner Kriegsakt, gegenüber den Bürgern und nicht nur gegenüber der Kunst und den Künstlern […]“
Nach dem Abriss blockierte Basha, begleitet von der Vorsitzenden der Sozialistischen Bewegung für Integration (LSI), Monika Kryemadhi, und anderen Vertretern der Opposition den Boulevard „Dëshmorët e Kombit“ im Zentrum der Hauptstadt.
Von internationaler Seite wurde vor allem Unverständnis über die Art und Weise des Abbruchs mitten während der Covid-19-Pandemie sowie den fehlenden Dialog bemängelt. So teilte der deutsche Botschafter in Tirana in einem Statement auf Facebook mit:
„Der eilige Abriss des Nationaltheaters in Tirana heute im Morgengrauen ist für mich in der Form, wie wir ihn gesehen haben, schwer nachvollziehbar. Gerade im aktuellen Ausnahmezustand sind Dialog zwischen Regierung und Zivilgesellschaft sowie transparentes Regierungshandeln besonders wichtig.“
Der Bürgermeister von Tirana, Erion Veliaj, rief in seinem ersten öffentlichen Auftritt nach dem Abriss hingegen die Künstler zur Zusammenarbeit beim Bau eines neuen Theaters auf. Er bezeichnete die Entscheidung, das Gebäude abzureißen, „als die schwierigste in seinem Leben“, fügte jedoch hinzu, dass „es das Richtige war“. […] „Ich reiche Ihnen meine Hand, um ein besseres Projekt zu machen. Am Ende wird sich das Produkt durchsetzen“, sagte Veliaj und fügte hinzu: „Das alte Theater ist weg, es ist Zeit, zusammenzukommen.“
Veliaj erklärte, dass das Institut für Bauwesen das alte Gebäude als „gefährlich“ eingestuft habe, und dass es kein Kulturdenkmal sei und nicht auf der Liste des geschützten Kulturerbes stehe. Premierminister Edi Rama hatte zuvor nie aufgehört zu propagieren, dass das Theatergebäude eine „alte Kiste“ sei, die abgerissen werden müsse um ein neues, moderneres Theatergebäude bauen zu können.
Sechzehn zivilgesellschaftliche Organisationen haben den Abriss des Nationaltheaters durch die albanische Regierung und die Gewalt gegen Demonstranten bei der Räumung verurteilt. In einer Presseerklärung warnten sie davor, dass eine größere Gefahr hinter dem Abriss des Theaters zu diesem Zeitpunkt in Albanien die Unterdrückung des freien Denkens und des zivilen Widerstands ist. Sie forderten lokale und internationale Institutionen und Botschaften auf, gegen die autoritären Tendenzen der albanischen Regierung zu reagieren.
Die Organisationen fügten hinzu, dass die Demokratie, die grundlegenden Menschenrechte und die Existenz der Zivilgesellschaft in Albanien nie zuvor in größerer Gefahr gewesen seien:
„Wir befinden uns in einer schwierigen Lage und sind von Gewalt und ständiger staatlicher Repression bedroht.“
Medienberichten zufolge, hat die Korruptionsstaatsanwaltschaft SPAK nach einer Anklage der „Allianz zum Schutz des Nationaltheaters“ vom 6. Mai, Ermittlungen eingeleitet. Die Allianz beschuldigt Bürgermeister Veliaj des Machtmissbrauchs und der Korruption. Die Allianz hat zudem drei Bauingenieure des Instituts, welche das Gutachten für den Abriss des Nationaltheaters verfasst hat, wegen Amtsmissbrauchs verklagt. So erklärte die Allianz, das von den Ingenieuren vorgelegte Gutachten beruhe auf gefälschten Unterlagen. Drei von fünf Ingenieuren, die den Bericht verfasst haben, hätten den Zustand des Gebäudes des Nationaltheaters nie persönlich begutachtet.
Die Legalisierung von Cannabis: Ein Schelm, wer Böses dabei denkt
Der Abriss des Nationaltheaters war sicherlich der vorläufige Höhepunkt einer ganzen Reihe von umstrittenen Regierungsvorhaben bzw. -entscheidungen während der Covid-19-Pandemie. Neben den eingangs erwähnten Einschränkungen der Pressefreiheit, hat insbesondere die Diskussion um die Legalisierung von Cannabis zuletzt für Aufsehen gesorgt.
Bis 2016 hatte es einen massiven Aufwuchs von Cannabisplantagen im Land gegeben, bis man das Problem mit Unterstützung der italienischen Guardia di Finanza in den Griff bekam. Am 9. Mai 2020 erwähnte Premierminister Rama nun in einer Pressekonferenz, dass man einen Gesetzesentwurf zur Legalisierung von Cannabis für die medizinische Verwendung vorbereite:
"Wir haben Experten der Region aus Ländern konsultiert, die positive Erfahrungen gemacht haben. Nicht mit der Legalisierung von Freizeit-Cannabis, sondern mit der Einführung von medizinischem Cannabis in der Verarbeitungsindustrie.“
Einige Tage später stellte der albanische Generalstaatsanwalt Olsian Cela seinen Jahresbericht vor. Dem Bericht zufolge gab es 2019 mehr Cannabisplantagen im Land, was dieses Phänomen erneut für mehrere Regionen Albaniens beunruhigend macht.
„Es gab eine höhere Aktivität in Kruja, Vlora, Gjirokastra und Shkodra", sagte er. „Uns liegt kein offizielles Dokument der Polizei oder der Staatsanwaltschaft vor, das die wahren Ursachen dieses Phänomens erklärt. Ich betrachte es als ein sehr beunruhigendes Element, und es wird eine unserer Prioritäten im Jahr 2020 sein“, erklärte Cela. Im Jahr 2018 wurden 292 Fälle von Cannabisplantagen von den örtlichen Strafverfolgungsbehörden im ganzen Land untersucht. Im Jahr 2019 lag diese Zahl bei 628, d.h. 115% höher.
Noch ist unklar, ob und welche Zusammenhänge es zwischen Ramas Ankündigung für ein Gesetz und dem Zuwachs an Cannabisanbau gibt.
Kein gutes Omen für die Eröffnung von EU-Beitrittsverhandlungen
Das Vorgehen der albanischen Regierung wirft einige Fragen auf, auch was die bevorstehende Eröffnung der EU-Beitrittsgespräche angeht, die unter dem starken Vorbehalt der Erfüllung von 15 Vorbedingungen steht. Diese betreffen vor allem die Umsetzung der Justiz- und Rechtsstaatsreform, die Medienfreiheit sowie den Kampf gegen die Korruption und Organisierte Kriminalität. Die jüngsten Maßnahmen, haben das Potential, diesen Prozess zu unterminieren und zu beschädigen.
Was den Abriss des Theaters angeht, so kann man durchaus eine andere Meinung haben: Das Gebäude war stark renovierungsbedürftig und entsprach sicherlich nicht mehr dem Stand der Technik. Auch in anderen Ländern stellt sich täglich die Frage, welche Gebäude bestehen bleiben sollen und wo abgerissen und neu gebaut werden kann. Wichtig ist jedoch in einer Demokratie, dass es dabei zu einem Dialog zwischen den verschiedenen Seiten kommt. So haben viele internationale Akteure, wie z.B. die Botschaften der EU-Mitgliedsstaaten in Albanien oder auch die EU-Kommissarin für Kultur, Mariya Gabriel, die Regierung mehrfach dazu aufgerufen, den Dialog mit der Zivilgesellschaft zu suchen. Dies wurde unterlassen.
Hinzu kommt, dass viele rechtliche Fragen rund um den Abriss, wie das Sondergesetz, die Übertragung vom Staat an die Stadt Tirana, sowie die Entscheidung des Gemeinderats nicht juristisch überprüft wurden. Der althergebrachte Rechtsgrundsatz des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Audiatur et altera pars) wurde mit der unwiederbringlichen Zerstörung des Theaters ad absurdum geführt. Eine gerichtliche Überprüfung des insgesamt sehr kontrovers diskutierten Abrissplans wurde durch diese Nacht- und Nebel-Aktion jedenfalls unmöglich gemacht und damit (erneut) eine Chance vertan, mit Mitteln des Rechtsstaats einen Interessensausgleich zu suchen und somit möglicherweise für einen großen Teil der albanischen Bevölkerung eine akzeptable Lösung zu finden.
Die Maßnahmen der albanischen Regierung kommen zu einem für sie scheinbar taktisch klugen Zeitpunkt. Albanien hat die Covid-19-Pandemie gut überstanden und inzwischen sind fast alle Einschränkungen wieder aufgehoben oder weit gelockert worden. Dennoch gilt weiterhin bis 23. Juni der Ausnahmezustand, der u.a. auch die Versammlungsfreiheit einschränkt. Das mag dazu verleitet haben, den Abriss des Theaters jetzt durchzuziehen, da man sich vielleicht weniger Proteste erhofft, auch da die Menschen durch die von Covid-19 verursachten wirtschaftlichen und sozialen Schäden andere Probleme haben. Es ist jedoch offen, ob dieser Sieg nicht letztendlich ein Pyrrhussieg sein wird. Mit der unilateralen Entscheidung zum Abriss des Theaters hat man sich jedoch auf jeden Fall einen Bärendienst erwiesen, was die Übernahme und Anwendung allgemeiner europäischer Standards angeht.
Bitte melden Sie sich an, um kommentieren zu können