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Die US-Wahlen und das Ende der Gemütlichkeit für die kanadische Regierung

Wenige Wochen vor der Übernahme der G7 -Präsidentschaft hat der Wahlkampf in Kanada längst begonnen

Die Präsidentschaftswahlen in den USA haben in der kanadischen Regierungspolitik eine unerwartet hektische Betriebsamkeit ausgelöst. Für die fast schon abgeschriebene Minderheitsregierung Justin Trudeaus ergeben sich zumindest kurzfristig neue Felder, um Handlungsfähigkeit in schwierigen Zeiten zu demonstrieren. Wenige Wochen vor der Übernahme der G7 -Präsidentschaft hat der Wahlkampf in Kanada längst begonnen. Die Konservativen um Pierre Poilievre führen nach wie vor eindeutig in allen Umfragen.

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Die Wahlen in den USA verschaffen der Regierung Trudeau nur schwachen Auftrieb

Das eindeutige Wahlergebnis bei den Präsidentschaftswahlen in den USA kam für viele Kanadier und die hiesigen Medien dann doch unerwartet und überraschend. Die Folgen für Kanada sind womöglich größer als bisher vermutet und Einfluss auf den bereits angelaufenen Wahlkampf in Kanada hat die Wahl Donald Trumps womöglich doch.

Seit Monaten sagen die Umfrageinstitute in Kanada einen Regierungswechsel voraus.  Die seit 2015 in Opposition befindlichen Konservativen genießen derzeit hohes Vertrauen, rund 60 Prozent der Kanadier wollen einen Regierungswechsel. Viele trauen der noch amtierenden Regierung Justin Trudeau nicht mehr zu, die anstehenden Herausforderungen zu bewältigen.

Kanada steht vor einer Belastungsprobe: Der konsumtive Staatshaushalt führte zu einer hohen Verschuldung, das Haushaltsdefizit liegt inzwischen bei über 40 Milliarden kanadischen Dollar und in Folge zu einer steigenden Steuer - und Abgabenbelastung. Die bisher in dieser Dimension ungekannte Wohnungsnot, u.a. aufgrund hoher Zuwanderung in den letzten Jahren und schwacher Baukonjunktur, greift weiter um sich. Die Wirtschaftskraft Kanadas schwächelt und aufgrund sinkender Produktivität der Industrie gehen dringend notwendige Investitionen zurück. Die Qualität der gesundheitlichen und medizinischen Versorgung hat sich nach Ansicht vieler Fachleute deutlich verschlechtert.   Spätestens bei der im Oktober 2025 regulär stattfindenden Parlamentswahl zum House of Commons wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Regierungswechsel in Kanada kommen. Mit sehr deutlichen Aussagen zur Senkung der hohen Steuer- und Abgabenpolitik, zur Energie- und Klimapolitik, die zwischen Provinzen und Bundesebene in Kanada verantwortlich getrennt ist, sowie zur Wohnungsbaupolitik, versteht es der konservative Oppositionsführer, Pierre Poilievre, die Regierung bei jeder sich bietenden Gelegenheit in die Enge zu treiben. Und die Regierung Justin Trudeaus ließ in den letzten Wochen kaum eine Gelegenheit aus, Regierungspolitik manchmal als womöglich nicht zu Ende gedacht erscheinen zu lassen. Mit Mehrheit der Liberalen unterstützt einmal mehr durch die NDP um Parteichef Singh hat das Parlament ein Gesetz zur zweimonatigen Aussetzung der kanadischen „Mehrwertsteuer“ auf bestimmte Waren des täglichen Bedarfs und bestimmte Artikel beschlossen, dessen Umsetzung womöglich aufgrund komplizierter Einzelfallregelungen seinen eigentlichen Effekt verfehlen könnte. Die Regierung wollte kurz vor Weihnachten die Entlastung der unteren Einkommensschichten und eine Abfederung der hohen Energie- und Lebenshaltungskosten für die kanadische Bevölkerung erreichen. Erstaunlicherweise wird diese Steuer u.a. auf Alkohol (u. a. Bier und Wein), Süßigkeiten oder den weihnachtlichen Tannenbaum gesenkt bzw. für zwei Monate ausgesetzt. Erwartungsgemäß kritisieren Opposition und Teile der Wirtschaft, aber ebenso mancher der Provinzregierungen, dieses auf den Zeitraum vom 14.Dezember 2024 bis 15.Februar 2025 begrenzt Vorhaben als schwerlich umsetzbar und kompliziert. Einige Steuern, die reduziert oder ausgesetzt werden, erheben manche Provinzen gar nicht. Die Opposition brandmarkte es als durchsichtiges Wahlkampfmanöver, das sich als Strohfeuer entpuppen werde, aber die Steuerzahler viel Geld koste. Bei einem Loch von etwa 40 Milliarden Dollar im kanadischen Haushalt ein Projekt mit über 1 Milliarde Folgekosten, denn  jeder Kanadier soll obendrein noch eine Einmalzahlung in Höhe von 250 kanadischen Dollar erhalten.

 

Die US-Wahl überraschte Kanada

Während also der Meinungsstreit über diese Einzelmaßnahme anhält, überraschte die kanadische Regierung das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen in den USA dann doch. Ob sich die kanadische Regierung - wie nun behauptet wird - auf eine zweite Amtszeit Donald Trumps ausreichend vorbereitet habe, sei dahingestellt. Das dann doch eindeutige Ergebnis zugunsten Donald Trumps aber war ein Weckruf an die kanadische Regierung.  Der seit 2017 bestehende, angeblich eher inaktive Ausschuss auf Regierungsebene für die Beziehungen zwischen Kanada und den USA wurde offenbar umgehend reaktiviert. Aber letztlich entscheidend für die Regierung Trudeau war nicht nur die erneute Wahl Trumps, sondern die unmissverständliche Aufforderung zum Handeln in Fragen der illegalen Migration und des Drogenhandels durch Trump direkt in Interviews. Es mag sich um eine mehr oder weniger provokant getätigte Aussage Donald Trumps gehandelt haben, aber für Justin Trudeau war es die womöglich letzte Chance, wieder Handlungsfähigkeit seiner Regierung zu demonstrieren. Und das so öffentlich für die Kanadier wie irgend möglich. Die Ansage Donald Trumps an Kanada und Mexiko, dass er für den Fall einer nicht klaren Eindämmung illegaler Zuwanderung aus Kanada in die USA sowie einer ebenso erwarteten Bekämpfung des Drogenhandels über die Grenzen hinweg,  25 Prozent Zölle auf Waren aus Kanada erheben wolle, war eine Kampfansage, die sofortiges Handeln auf Seiten der kanadischen Regierung auslöste. Allein die Drohung trifft die kanadische Wirtschaft zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt, denn schon jetzt kämpft Kanada mit einer schwachen Produktivität der eigenen Wirtschaft und einer Abhängigkeit des Handels von etwa 80 Prozent von den USA. Die Verflechtungen der kanadischen und der US-amerikanischen Automobil- und Zuliefererindustrie würden bei solchen Zöllen verheerende Auswirkungen auf die wirtschaftliche Stabilität Kanadas nach sich ziehen. Schon vor der US-Wahl hatte die kanadische Handelskammer vor schweren Verlusten im Falle der Wahl Trumps gewarnt. Die Exporte der Erdöl-, Gas- und Bergbauindustrie könnten um 40 Prozent, die Automobilexporte um 20 Prozent und das kanadische Bruttoinlandsprodukt (BIP) bis 2028 um 1,7 Prozent einbrechen (The Globe and Mail, 10.10.2024). Diese Gefahr sehend und die Drohungen Trumps aufgreifend, nutzte Justin Trudeau die Chance zu einem unmittelbaren Blitz-Besuch bei Donald Trump in der ersten Dezemberwoche und informierte danach medienwirksam zunächst die Parteivorsitzenden im Parlament und dann die Öffentlichkeit über die ersten Ergebnisse. Eine Fortsetzung sei geplant, zumindest für die Zeit nach dem Amtsantritt Trumps am 20. Januar 2025. Bis dahin fänden nun zahlreiche Delegationsgespräche statt, um auch die Abhängigkeiten der USA vom Rohstoff- und Gaslieferanten Kanada aufzuzeigen. Es bleibt unabhängig von tatsächlichen Ergebnissen ein geschickter Schachzug und es ist erstaunlich, wie es Trudeau offenbar gelang, sich als der einzige Sachwalter und Staatsmann der kanadischen Bevölkerung gegenüber der neuen Trump-Administration zu präsentieren. Ob der vermeintliche Erfolg hier eintritt, bleibt abzuwarten, denn die Forderungen Trumps gehen über Migrationsfragen und Drogenbekämpfung hinaus.  

 

NATO-Partner Kanada und die Arktis

Die neue US-Regierung unter Donald Trump erwartet von allen NATO-Verbündeten bekanntlich eine deutliche Steigerung ihrer eigenen Verteidigungsanstrengungen und eine Erhöhung der nationalen Verteidigungsbudgets. Vom sog. 2-Prozent-Ziel der NATO ist Kanada mit derzeit rund 1,3 Prozent des BIP meilenweit entfernt.  Die Drohung Trumps mit Austritt der USA aus der NATO durch seine Regierung mag rechtlich nicht umsetzbar sein, als Druckmittel gegenüber Kanada und auch den europäischen Verbündeten wirkt es. Dass Kanada das NATO-Ziel von bisher 2 Prozent des BIP bislang auf 2032 als Zielmarke herausgeschoben hatte, wurde offenbar von der neuen Trump-Regierung mit Blick auf Kanadas Verteidigungsanstrengungen sogleich in den Gesprächen mit der kanadischen Regierung mit eingefordert. Es hat offenbar sogleich Handeln und Aktivitäten auf Seiten Kanadas ausgelöst.

Es mag Zufall sein oder nicht. Mit der jetzt aktuell vorgestellten neuen Arktis-Strategie Kanadas will die hiesige Regierung nach Jahren der Debatte nun einen eigenen Schwerpunkt aufgrund der Gefahren durch Russland und China in der Arktis setzen. Damit will Kanada offenbar auch gegenüber den USA seine Bereitschaft dokumentieren, mehr in die gemeinsame Verteidigung des NATO-Bündnisses zu investieren.  So sollen nicht nur rund 34 Milliarden kanadische Dollar in den Ausbau der Verteidigungsinfrastruktur investiert werden, sondern weitere Milliarden in den kommenden Jahren auch in die Dual-Use-Infrastruktur und den Ausbau von Versorgungswegen.

Fragen der Versorgungssicherheit und der Versorgungsinfrastruktur bis hin zur Cybersicherheit bekommen hier eine neue Dimension. Die kanadische Außenministerin Melanie Joly verkündete am 06.12.24 zudem, dass gesondert für die Belange der Arktis Kanada zwei neue Konsulate in der Arktis einrichten werde, mit einem eigenen Botschafter für die Arktis an der Spitze. Auch die Provinzen und die Belange der indigenen Bevölkerung sollten bei Fragen des Landbesitzes stärker beachtet werden. Dennoch ist allen Anrainern und Beteiligten inzwischen klar, dass ohne eine zivil- und militärisch nutzbare Infrastruktur die Verteidigung und Überwachung der Arktis und der jeweiligen Seewege nicht gelingen wird. Nach Jahren der Debatte über die strategische Bedeutung der Arktis und zahlreichen Initiativen der NATO- Bündnispartner soll gemeinsam mit den USA und den nordischen Staaten der Europäischen Union ein ergänzendes Bündnis die Sicherheit der Arktis stärken.  Die erkennbar gestiegenen Grenzverletzungen und Aktivitäten Russlands und Chinas erforderten nun eine klare Antwort auch Kanadas. Die Sicherheit der Seewege und internationalen Handelsrouten, die sich bei Eisfreiheit zumindest zeitweise neu ergeben könnten, erforderten gemeinsame Anstrengungen aller nordischer Länder. Die Arktis- Agenda müsse neu aufgegriffen werden, denn die Abstimmungen im sog. Arctic-Council gerade mit Russland verliefen meist ohne erkennbare Reaktion oder gar Einsicht.

So hatte sich die Außenministerin Kanadas bereits beim Halifax-International-Security- Summit vom 22.-24.11.2024 gleichlautend mit ihrem Amtskollegen Bill Blair eingelassen, der als kanadischer Verteidigungsminister bereits seit 2019/2020 eine verbesserte kanadische Arktis-Strategie einschließlich zusätzlicher Finanzmittel einfordert. Die Aktivitäten Russlands, aber auch Chinas hätten unmittelbar nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine wieder deutlich zugenommen.

Es wird demnach jetzt auf eine zu verbessernde Zusammenarbeit der nordischen Staaten Finnland, Schweden, Norwegen, Dänemark, Island, Deutschland, sowie Kanada und die USA mit Alaska ankommen, um die Arktis strategisch als Einfallstor vor Aggressionen Russlands und Chinas zu schützen. Die Seekabel-Infrastruktur, die Pipeline-Infrastruktur, die Straßen -und Seewegeinfrastruktur rücken dabei noch stärker als bisher ins Blickfeld Kanadas. Die bisher kaum ausreichende Infrastruktur von Straßen oder Schienen in Nord-Süd-Richtung oder die Verbesserung der maritimen Verteidigung mit Blick auf den indo-pazifischen Raum und den Nordatlantik oder die notwendige Stärkung der Luftstreitkräfte im Rahmen von NORAD in den USA werden neu bewertet werden müssen.

 

Unerwartete Hilfe im Wahlkampf

Bis vor wenigen Wochen hätte kaum jemand in Kanada erwartet, dass sich durch die US-Wahl hier für die noch im Amt befindliche Regierung von Justin Trudeau zumindest kurzfristig neue Möglichkeiten der Profilierung ergeben könnten. Aber gerade die US-Wahl verschaffte dem noch amtierenden Premierminister die Möglichkeit, seine Regierungspolitik zu verteidigen und die Bevölkerung Kanadas auf schwierige Zeiten vorzubereiten. Die mit dem neuen Trump-Administration erzielten Vereinbarungen aber waren im Ergebnis wenig klar. Die Konservativen um Pierre Poilievre bleiben deshalb für viele Menschen im Land die einzige Hoffnung auf Veränderung und wirtschaftlichen Aufschwung. Das Vertrauen in die amtierende Regierung scheint nachhaltig beschädigt. Dennoch haben nach fast 10 Jahren in der Opposition die Konservativen noch kein durchgreifendes Patentrezept gegen die unerwartete und indirekte Schützenhilfe aus den USA gefunden. Sie befinden sich in dieser Frage allerdings in einer schwierigen Lage, denn der überraschend wieder gewählte Präsident der USA ist laut Medien in Kanada nicht sonderlich beliebt. Eine konträre Positionierung zur Regierung Trudeau ist für die Konservative Partei demnach kaum möglich, will sie sich nicht dem Verdacht aussetzen, hier gegen die Interessen Kanadas zu argumentieren. Es bleibt letztlich nur die offenbar berechtigte Kritik, dass Justin Trudeau nicht wirklich Vorzeigbares erreicht habe.  Das Wahljahr 2025 dürfte für Kanada ein wichtiges und spannendes werden. Die meisten politischen Beobachter setzen auf vorgezogene Neuwahlen im Frühjahr 2025.

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Dr. Bernd Althusmann

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