Dr. Andre Kagelmann (Köln) und Thomas Scholz (St. Louis) besprechen die Möglichkeiten der filmischen Darstellung der Weimarer Republik
Das gesamte einleitende Podium: (von links nach rechts): Vytene Muschick (Budapest), Moderatorin Delia Airoldi (Neapel), Dr. Andre Kagelmann (Köln), Thomas Scholz (St. Louis)
Mit diesen Fragen setzte sich die zweite Berliner Europatagung der Konrad-Adenauer-Stiftung im September 2019 zum Thema Demokratie 1.0: Die Weimarer Medienrepublik und die Folgen für die europäische Kultur auseinander. Schon im Vorjahr hatten die Teilnehmer, über 50 Germanisten aus mehr als 15 europäischen Ländern, die Weimarer Republik nicht von der Position des Scheiterns zu betrachten versucht, sondern stattdessen von ihrem Beginn her. Dies ermöglicht auch die Wahrnehmung des Potentials der Weimarer Republik in der Vorbildfunktion für eine Demokratie. Nach einer kurzen Zusammenfassung der Forschung über die Weimarer Republik als Krisenzeit aber auch als eine Zeit, die eine demokratische Öffentlichkeit und Massenkultur vorantrieb, stellte Tagungsleiter Michael Braun die leitende Frage für die erste Tagungssektion: Was haben die Medien mit der ersten deutschen Republik gemacht und was können wir von Weimar lernen?
Die Verhandlung von Moralität im Film der Weimarer Republik
Prof. Dr. Stefan Neuhaus (Koblenz) eröffnete die erste Tagungssektion, die sich mit dem Thema Masse und Macht im Kino befasste. Mit Blick auf Fritz Langs M und Gerhard Lamprechts Emil und die Detektive argumentierte Neuhaus, dass beide Filme die wankende Rechtsverfassung der Weimarer Republik thematisieren und die Kategorien von Gut und Böse durchkreuzen. Im Anschluss daran zeichnete Prof. Dr. Christiane Schönefeld (Limerick) eine Genealogie des Kinos zur Zeit der Weimarer Republik nach und fragte, wie diese Werke Einfluss auf die Zivilgesellschaft genommen haben. Dem Film als Massenmedium wurde der Kunstwerkstatus oft abgesprochen; stattdessen wurde ihm eine entsittlichende Wirkung nachgesagt – die Moral wurde aufgrund der Themen der Filme, zum Beispiel Sexualität, Prostitution und Gewalt, zum umkämpften Begriff. Demnach zeigt das Kino als Massenmedium in der Weimarer Republik das Potential für die sowohl ethische als auch ästhetische Erziehung des Bürgers.
Zum Abschluss der ersten Tagungssektion führte Dr. André Kagelmann (Köln) die Teilnehmer in den Film M ein. Laut Kagelmann ist das zum innersten Kern des Filmkanons gehörende Werk ein Genre-Mix aus Gerichtsfilm, Gangster- und Kriminal-, Stadt- und Studiofilm. Als Psycho- und Soziogramm einer Stadt bietet M einen psychologischen Kommentar zur Großstadt in der Zeit der Weimarer Republik.
Die Weimarer Republik jenseits ihrer nationalen Grenzen
Zu Beginn der zweiten Tagungssektion warf Prof. Dr. Roman Dziergwa (Posen) einen Blick auf die politischen und literarischen Entwicklungen in Polen. Im Fokus stand die Reise Thomas Manns nach Warschau im Jahr 1927. Mann, der als offizieller Repräsentant der Weimarer Republik in Polen aufgrund seines literarischen Erfolgs wahrgenommen wurde, nahm laut Dziergwa eine versöhnliche Position während seines Besuches ein: Mann sprach über die Wirkung des Ersten Weltkriegs, über die Wichtigkeit, die europäischen Beziehungen aufrecht zu erhalten, und sprach sich ebenso dafür aus, die Differenzen von Deutschland und Polen beizulegen. Im Anschluss referierte Prof. Dr. Bogdan Mirtschev (Sofia) über den internationalen Einfluss auf die Weimarer Republik mit Hilfe von drei Mythen. (1) Die mythisch gehaltene Heldenfigur Herzog Hermann prägte die kulturelle Welt in der Weimarer Republik. (2) Vom Osten her fungierte die bolschewistische Revolution als Vorbild für die sozialistische Revolution von 1918. (3) Gleichzeitig kann man auch vom Westen einen Einfluss auf die Kultur in der Weimarer Zeit erkennen: Die USA stellte den Massen den amerikanischen Lebensstil anhand der Popkultur durch Kinofilme und Tanzmusik vor. Mirtschev verstand diese Mythen als Hoffnungsträger, die eine mögliche Überwindung der Problematiken der Weimarer Republik erzählerisch darstellen.
Weimar in gedruckter Form
In der nächsten Sektion erläuterte Prof. Dr. Stephané Pesnel (Sorbonne) die Rolle des im Jahr 1939 in Paris verstorbenen Joseph Roth für die Weimarer Republik. Für diese Tagung erwies sich Roth als interessante Figur der Weimarer Republik, nicht nur weil sich seine journalistische Laufbahn fast identisch mit den Eckdaten der Weimarer Republik deckt, sondern auch weil sich Roth als feinfühliger Beobachter der Weimarer Republik erwies: Seine Publizistik offenbart eine Sensibilität für die Symptome der politischen Zeit und ein feines Gespür für das Medium der Zeitung als „literarisches Laboratorium“. Danach erörterte Thomas Scholz (St. Louis) die Rolle der Kunst in der Weimarer Republik anhand des Comics Berlin von Jason Lutes. Im Fokus des Vortrags lag der Topos der Kunst, die, laut Scholz, sich in diesem Werk als Schlüssel, Symbol und zugleich Katalysator für die Republik offenbart. Zu Beginn des Textes ist der Weg zur Neuen Sachlichkeit, mit dem Anspruch die Realität so abzubilden, wie sie ist, deutlich erkennbar. Aber auch auf das allmähliche Verschwinden des künstlerischen Diskurses mit Hinblick auf den politischen Wechsel zum Nationalsozialismus hin wird in den Panels des Comics künstlerisch und erzählerisch hingewiesen.
Deutsche Schriftsteller und ihre Werke zur Zeit der Weimarer Republik
Auf Yvan Golls Prosa und Lyrik der 1920er Jahre lag der Fokus von Prof. Dr. Eva Kocziszky (Veszprém). Für die Tagung hatte Goll vor allem Bedeutung, da er die zwei führenden Metropolen Paris und Berlin kannte und auch in beiden heimisch war. Diese Doppelperspektive des Heimischseins und gleichzeitig Fremdbleibens erzeugt in seinen Werken einen satirischen Ton. Obwohl Goll als zwischen den Stühlen sitzender Literat verstanden wurde, argumentierte Kocziszky, dass Goll in seinen Werken nicht zwischen Frankreich und Deutschland vermittle, sondern die unterschiedlichen Konzepte der Moderne in Paris und Berlin schildere. Dr. Antje Büssgen (Löwen) konzentrierte sich im anschließenden Vortrag auf Stefan Zweig und seine Intention, mit Hilfe von Zeitungsartikeln, Vorträgen und anderen Schriften die Herausbildung einer übergreifend europäischen und humanistischen Friedenshaltung herauszubilden.
Die Weimarer Republik heute
Am letzten Tag eröffnete Prof. Dr. Oliver Jahraus (München) die Europatagung mit einem Vortrag zur Erfolgsserie Babylon Berlin. Zunächst erläuterte Jahraus die Bedeutung des Erinnerns anhand der Kategorien des kommunikativen und kulturellen Gedächtnisses nach Jan Assmann. Im Anschluss darauf deutete Jahraus Babylon Berlin als Generator und Katalysator von politischen Fragen, und demnach auch didaktisches Prinzip. Jahraus argumentiert, dass diese Serie die Ästhetisierung des Politischen veranschaulicht, in der Offenheit und Geschlossenheit als Strukturen verhandelt werden.
Wiederholend kamen die Teilnehmer zum Einverständnis, dass die literarischen und kulturellen Werke der Weimarer Republik sich mit einer Problematik befassen, mit der sich auch die humanistische Intelligenz der Gegenwart beschäftigt. Die Abschlussdiskussion, die von Prof. Dr. Christian Benne (Kopenhagen) geleitet wurde, nahm dies ebenso zum Dreh- und Angelpunkt: Welche Rolle spielen die Massenmedien für die Meinungsbildung? Wie kann man diese Meinungsbildung, die in einer Metropole wie Berlin passiert, mit der Meinungsbildung auf dem Land kontrastieren? Und welche Rolle spielt hierbei die Kunst?
Trotz der diversen Vorträge und den lebhaften Diskussionen bleiben noch viele Fragen offen, die in der nächsten Tagung im Jahr 2020 besprochen werden sollen. Diese hat den Leitgedanken: Europa erlesen, Europa erzählen.
Adeline Bauer, Washington University in St. Louis (USA) / Berlin
Über diese Reihe
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