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Veranstaltungsberichte

Stachel im Fleisch des Systems

DDR-Oppositionelle erinnern sich an das Revolutionsjahr 1989

Fünfundzwanzig Jahre sind in Bezug auf die deutsche Geschichte ein Wimpernschlag. Trotzdem wurde bei einem ganztägigen Symposium mit DDR-Oppositionellen über das Revolutionsjahr 1989 schon gegen Mittag deutlich, dass der Zeitraum reicht, um Erinnerungen verblassen zu lassen.

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Mehrfach vertaten sich Teilnehmer und Zeitzeugen gelegentlich bei ihren Wortbeiträgen im Monat, die Chronologie der Ereignisse geriet durcheinander und der Wortlaut von Dokumenten war nicht mehr einhundertprozentig vertraut. Doch nicht nur deswegen war es wichtig und richtig, dass Konrad-Adenauer-Stiftung, Deutsche Gesellschaft und Stiftung Aufarbeitung das Andenken an die dramatischen Tage wach halten, sondern auch, um einen konsensualen Blick auf die Geschichte zu entwickeln. Denn auch nach 25 Jahren versuchten sich Teilnehmer der insgesamt vier Panels mal mehr, mal weniger erfolgreich an eigenen Interpretationen – nicht ohne Widerspruch. Doch dazu später mehr.

Denn in weiten Teilen gab es vor allem eines: Übereinstimmung. Darin, dass die Wiedervereinigung, so selbstverständlich sie heute ist, noch bis zum Sommer 1989 in weiter Ferne lag. Politisch sowieso, vor allem aber in den Köpfen der Opposition. Als „Stachel im System“, so Günter Jeschonnek, setzten sich verschiedene Bürgerinitiativen - häufig mit Schutz der evangelischen Kirche - für Frieden und Menschenrechte ein oder mit Staatsbürgerschaftsrecht und Umweltfragen auseinander. Die Deutsche Frage aber spielte, wenn überhaupt, nur eine untergeordnete Rolle. „Die Mehrheit hatte die Einheit abgeschrieben“, erinnert sich Konrad Weiß. Die Zweistaatlichkeit Deutschlands war bis zum Sommer 1989 eine Selbstverständlichkeit. Die Propaganda des Regimes, die Teilung sei ein stabilisierender Faktor für Europa, hatte ihre Wirkung nicht verfehlt.

Das änderte sich. Nachdem die Opposition den Beweis erbracht hatte, in der Lage zu sein, dem Regime auf die Finger zu schauen und Manipulationen der Kommunalwahlen im Mai 1989 aufdeckte, nach Öffnung der Grenzen zu Ungarn und der Tschechoslowakei, nach Beginn von Glasnost und Perestroika sowie dem Wahlerfolg der Solidarność bei den polnischen Parlamentswahlen, begann die „Zeit des Abbruchs“. Für Stephan Hilsberg war die DDR im Frühherbst desselben Jahres „gelaufen“. Michael Beleites, Mitbegründer der Umweltbewegung in der DDR, geht sogar so weit, dass das „Hinwegfegen des alten Systems“ von da an auch ohne das Zutun der Bürgerinitiativen passiert wäre.

Diese konzentrierten sich unterdessen darauf, diejenigen zu mobilisieren, die bislang geschwiegen hatten und gleichzeitig darauf hinzuwirken, dass die sich bahnbrechenden Proteste friedlich blieben. Denn, so Jens Reich, „es war eine sehr gefährliche Situation“. Auf keinen Fall durften sich die Demonstranten provozieren lassen, hätte dies doch eine militärische Intervention der Sowjetunion sehr wahrscheinlich gemacht. Die Angst davor war noch bis zum 9. Oktober 1989, dem Tag der ersten großen Protestdemonstration in Leipzig, deutlich spürbar. „Wir konnten uns nicht vorstellen, dass das Regime dieses Mal untätig bleibt. Wir befürchteten ein ´Roll back` wie schon 1957 und 1968“, so Arnold Vaatz.

Es kam glücklicherweise anders. Die aus heutiger Sicht immer noch atemberaubende Geschwindigkeit der Proteste, führte am 9. November bekannterweise zur Maueröffnung in Berlin. Und die Opposition? War tief gespalten darüber, wohin der zukünftige Weg Deutschlands gehen soll. Während die eine Seite mit dem Aufruf „Für unser Land“ einer Wiedervereinigung eine Absage erteilte, setzte sich die andere auf Basis des Gründungsaufrufs von „Demokratie jetzt“ oder dem „10-Punkte-Programm“ dafür ein. „Wir wollten das sich bietende schmale Zeitfester schnell nutzen. Auch weil wir der Meinung waren, dass sich die über eine Millionen Stasimitarbeiter in einer gesamtdeutschen Bevölkerung von dann 80 Millionen mehr verdünnen“, so Gunter Weißgerber über seine Motive. Doch noch bevor die Opposition eine breite Debatte über das Ja oder Nein zu einer Wiedervereinigung beginnen konnte, erfolgte die Abstimmung darüber durch die Demonstrationszüge. Immer lauter dröhnte der Slogan durch die Straßen: „Wir sind ein Volk“. Die viel umjubelte Rede des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl vor 100.000 Menschen am 19. Dezember 1989 auf dem Dresdner Neumarkt wurde schließlich zum Initial zur Deutschen Wiedervereinigung.

Zu diesem Zeitpunkt stand bereits fest, dass es im März 1990 zu freien Volkskammerwahlen kommen wird. Für die Bürgerinitiativen eine Herausforderung, mussten sie sich doch, um ihre Interessen durchsetzen zu können, neue Strukturen geben. Während die Ost-CDU zusammen mit dem Demokratischen Aufbruch (DA) und der Deutschen Sozialen Union (DSU) in der „Allianz für Deutschland“ dabei auf die Unterstützung der CDU hoffen konnte und die SDP auf Hilfe der SPD, hatten es andere schwerer. „Wir konnten zu diesem Zeitpunkt noch nicht Partei. Die Geschichte zwang uns zur Professionalisierung aber im Kopf hatten wir noch unsere Bürgerrechtsflausen“, sagt Vera Lengsfeld rückblickend über das „Neue Forum“. Statt Flugblätter gab es am Stand der Ost-Grünen einen Tannenzweig, um wenigstens ein wenig das politische Farbenspiel zu bedienen und einen Wiedererkennungswert zu schaffen.

Womit wir bei den strittigen Punkten der Veranstaltung wären. Weiß und auch Hilsberg kritisierten die CDU dafür, sie habe „ohne Schamgefühl“ die ehemalige Blockpartei als gleichberechtigtes Mitglied aufgenommen. Diese „Absorbation der negativen Kräfte“ sei Schuld an Politikverdrossenheit und niedriger Wahlbeteiligung im Osten. Vaatz wie auch Günter Nooke räumten ein, dass die Ost-CDU zwar Erfüllungsgehilfe des Regimes war, sich die Partei aber gerade im Vergleich zur Linken nach 1989 grundsätzlich gewandelt habe. Alte Kader seien entlassen worden. Dank einer Eintrittswelle habe sich die Partei personell erneuert. Den inhaltlichen Neubeginn markiere der „Brief aus Weimar“.

Doch damit nicht genug. Auch der Begriff „Friedliche Revolution“ scheint weiterhin strittig. Zugegeben, Steffen Reiche wollte provozieren, als er sagte, der Osten habe 1989 nur das nachgeholt, wovon der ab 1961 ausgeschlossen war. Aber offenbar traf er damit einen Nerv bei seinen Mitdiskutanten. Während sich Reiche alternativ für den Habermasschen Terminus einer „nachholenden Revolution“ aussprach und Jeschonnek eine kritische Auseinandersetzung mit dem Begriff forderte, weil sich nur der kleinere Teil aktiv an der Revolution beteiligt habe, verteidigten andere ihn als absolut zutreffend. Gerd Poppe sagte: „Der Begriff `Friedliche Revolution` ist Allgemeingut. Es gibt zudem keinen besseren“.

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