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Ernüchterung

Die europäische Perspektive auf die transatlantischen Beziehungen

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Der anfängliche Schock nach den US-Präsidentschaftswahlen 2016 ist in der EU inzwischen Ernüchterung gewichen. Die europäischen Reaktionen auf die neuen transatlantischen Unwägbarkeiten sind vielfältig: mehr EU-Zusammenarbeit anstreben, gleichgesinnte Partner suchen, Reihen schließen, Dialogmöglichkeiten ausloten.

„Mit Freunden wie diesen, wer braucht da Feinde?“

Während sich einige Bedenken als übertrieben herausstellten, wurden andere bestätigt. Die Relativierung internationaler Institutionen und Abkommen sowie das unberechenbare Auftreten in wichtigen Formaten (G7) durch Washington wird in der EU mit großer Sorge gesehen. Die als konfrontativ und unberechenbar wahrgenommene Haltung der USA führt auch bei überzeugten Transatlantikern zu großer Ernüchterung. Sinnbildlich dafür waren die Worte des Präsidenten des Europäischen Rats, Donald Tusk, im Mai 2018: „Die letzten Entscheidungen […] betrachtend, könnte man denken: Mit Freunden wie diesen, wer braucht da Feinde?“

Reaktionen der EU

  1. Mehr europäische Zusammenarbeit in der Sicherheitspolitik: Der als erratisch empfundene außenpolitische Kurs Trumps verlieh den Überlegungen, die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU zu stärken, neuen Elan. Ziel: Den beachtlichen Rückstand zu den USA in Forschung, Fähigkeiten und Einsatz bereitschaft nicht noch weiter anwachsen zu lassen. Dennoch bleibt die EU vom in der 2016 beschlossenen Globalen Strategie formulierten Ziel einer „strategischen Autonomie“ noch Lichtjahre entfernt. Insbesondere für die baltischen Länder aber auch für Polen sind die Sicherheitsgarantien durch die NATO nach wie vor ein wichtigerer Garant für die eigene Unversehrtheit.
  2. Mehr Zusammenarbeit mit Gleichgesinnten: Angesichts des Rückzugs der USA aus mehreren multilateralen Formaten wurde eine engere Zusammenarbeit mit Gleichgesinnten angestrebt. Das gelang vor allem in der Handelspolitik: Freihandelsabkommen mit Japan, eine grundsätzliche Einigung mit Mexiko sowie laufende Verhandlungen mit Australien und Neuseeland. In der Klimapolitik gelang es zumindest, u. a. mit China, Japan oder Kanada, den Willen zu einer ehrgeizigen Umsetzung des Klimaabkommens zu bekräftigen.
  3. Reihen schließen: Bemerkenswert ist der Grad an Geschlossenheit innerhalb der EU bei Handelsfragen. Versuche, einen Keil zwischen die Europäer zu treiben, blieben bislang erfolglos. Die Politik der Trump-Administration hat eher dafür gesorgt, die Fliehkräfte innerhalb der EU zu schwächen, denn sie zu stärken.
  4. USA weiterhin einbinden: Alternativen zur transatlantischen Partnerschaft sind dünn gesät. Rufe nach einer Politik der Äquidistanz zwischen den USA und Russland sind eher von den politischen Rändern zu vernehmen. Durch seine Rolle im Ukraine- und Syrienkonflikt hat Russland in den Augen vieler Europäer jegliche Glaubwürdigkeit verspielt. Auch der Vertrauensvorschuss gegenüber China ist begrenzt. Die Interessen in zentralen Politikbereichen sind zu unterschiedlich. Entsprechend bemüht sich die EU, den Gesprächsfaden mit den USA in mehreren Dossiers (u. a. WTO) wieder aufzunehmen und Kontakte auch jenseits des Weißen Hauses (Kongress, Zivilgesellschaft) zu pflegen.
  5. Resonanz in der Parteienlandschaft: Der Einfluss des Trump-Erfolgs auf die europäische Parteienlandschaft ist noch nicht abschließend einzuschätzen. Einige rechtspopulistische Parteien hatten sich neuen Schub erhofft; dies ist aber nur eingeschränkt festzustellen. Auch Steve Bannons Initiative The Movement erfährt bislang nur begrenzt Resonanz. Marine Le Pen etwa ist im Vorfeld der Europawahlen um Distanz bemüht. Die traditio nell transatlantisch gesinnte Europäische Volkspartei (EVP) versucht es mit einer differenzierten Strategie: 1. Bekenntnis zur trans atlantischen Partnerschaft, 2. Pflege von Kontakten zu gleichgesinnten Stimmen im Kongress, 3. Entgegenkommen, wo die Kritik als gerechtfertigt wahrgenommen wird und 4. Widerstand, wenn die EU auf grundsätz licher Ebene ange griffen wird.
  6. Unterschiede bei den Mitgliedstaaten: Nicht alle Mitgliedstaaten zeigen sich gleichermaßen ernüchtert: Die polnische PiS-Regierung setzt etwa weiter auf amerikanische Militärpräsenz. Länderspezifische Unterschiede gibt es auch in der öffentlichen Meinung. Nach einer Gallup- Umfrage ist in den meisten Ländern das Misstrauen gegenüber Trump und den USA stark ausgeprägt. Dies gilt vor allem für Westeuropa, die skandinavischen Länder und die iberische Halbinsel. Nur in vier EU-Staaten überwiegen noch die positiven Bewertungen: Polen, Italien, Ungarn und Rumänien.

Jähes Erwachen

Der Zustand der transatlantischen Beziehungen zwingt die EU dazu, eine strategische Debatte zu führen, auf die sie bislang nur unzureichend vorbereitet ist. Während die USA sich bereits auf einen Systemwettbewerb mit China vorbereiten, ist die EU von einer einheitlichen Chinastrategie noch weit entfernt. Insofern war das Aufwachen aus der transatlantischen Traumwelt unvermeidlich, geschah aber ruppiger, als es der EU lieb sein kann. Wichtig wäre, auch einem schwierigeren transatlantischen Partner deutlich zu machen, dass über kurzfristige Deals hinaus funktionsfähige internationale Institutionen und enge transatlantische Zusammenarbeit entscheidende Faktoren im künftigen Systemwettbewerb sind.

 
 

Olaf Wientzek ist Koordinator für Europapolitik der Konrad-Adenauer-Stiftung.

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