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Auslandsinformationen

So funktioniert Fluchtursachenbekämpfung

von Dr. Manuel Schubert, Imke Haase

Der EU-Jordan Compact im Praxistest

2016 läutete die Supporting Syria and the Region-Konferenz in London inmitten der syrischen Flüchtlingskrise einen entscheidenden Paradigmenwechsel in der europäischen Entwicklungszusammenarbeit ein. Es wurden neue Finanzquellen mobilisiert und gleichzeitig wurde der entwicklungspolitische Fokus auf eine längerfristige Stärkung der Resilienzen der Erstaufnahmeländer gelegt. In diesem Artikel wird anhand des EU-Jordan Compacts beleuchtet, inwieweit sich der vielversprechende Ansatz eines Compacts in der Praxis bewährt hat.

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Eine von Flüchtlingen zurückgelassene Wiege steht auf einer sandigen Ebene.

Jordanien im Zentrum der Flüchtlingsströme

Weltweit befinden sich rund 65 Millionen Menschen auf der Flucht. Syrer stellen derzeit die größte Flüchtlingspopulation: Insgesamt sind zwölf Millionen Syrer geflohen; mehr als die Hälfte der gesamten syrischen Bevölkerung. Gut 50 Prozent sind Binnenvertriebene, der Rest befindet sich im Ausland. Von ihnen floh der Großteil in die angrenzenden Nachbarstaaten. Die Türkei nahm 2,8 Millionen Syrer auf, der Libanon 1,1 Millionen und Jordanien 0,7 Millionen.

Seine relative politische Stabilität machte das jordanische Königreich immer wieder zur ersten Anlaufstelle für Flüchtlinge in der konfliktgeladenen Region: Neben gut 630.000 palästinensischen Flüchtlingen nahm Jordanien unter anderem 130.000 Iraker, 30.000 Jemeniten und über 20.000 Libyer im Zuge verschiedener Flüchtlingswellen auf (siehe Abb. 1).

Die rund 660.000 syrischen Flüchtlinge in Jordanien, die derzeit beim Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) registriert sind, machen knapp sieben Prozent der jordanischen Gesamtbevölkerung aus. Offizielle jordanische Stellen sprechen gar von 1,3 bis 1,4 Millionen syrischen Flüchtlingen im Land. Vermutlich aber beziehen sie die ca. 600.000 Syrer mit ein, die bereits vor 2012 in Jordanien lebten.

Rund 90 Prozent der syrischen Flüchtlinge in Jordanien kamen innerhalb der ersten 18 Monate des Syrienkonflikts, der 2011 ausbrach, ins Königreich. Der hohe Zustrom stellte sowohl für die jordanischen Behörden als auch für die internationalen Organisationen eine immense Herausforderung dar. Binnen weniger Monate explodierten im gesamten Land die Preise für Wohnraum und Lebensmittel. Infolge der überlasteten Infrastruktur erließ die jordanische Regierung im Mai 2013 überarbeitete Einreisevorschriften, die den Flüchtlingszuzug strenger reglementierten. Seitdem sind die Grenzen praktisch geschlossen.

Etwa 20 Prozent der Flüchtlinge leben in einem der beiden offiziellen Flüchtlingscamps Zaatari und Azraq, wo eine kostenfreie Grundversorgung bereitgestellt wird. Die übrigen 80 Prozent der Flüchtlinge leben außerhalb dieser Camps, zumeist in der Hauptstadt Amman und in Städten im Norden des Landes. Viele sind akut von Armut bedroht. Dies wurde insbesondere im Krisenjahr 2015 deutlich, als massive finanzielle Engpässe im VN-Welternährungsprogramm dazu führten, dass die Zahl der Haushalte mit unzureichender Nahrungsversorgung stark anstieg (von 48 Prozent im Jahr 2014 auf 86 Prozent im Jahr 2015). Obwohl keine offiziellen Zahlen vorlagen, ist aber davon auszugehen, dass während dieses Zeitraums etwa ein Drittel der ca. 226.000 syrischen Flüchtlingskinder vornehmlich in urbanen Zentren Jordaniens illegal gearbeitet und aus diesem Grund keinen Schulunterricht besucht hat. Auch in den Folgejahren hat sich daran anscheinend nicht viel geändert. Schätzungen von Human Rights Watch gehen davon aus, dass etwa 60 Prozent der syrischen Familien auf die Einnahmen ihrer Kinder angewiesen sind.

Abb. 1: Jordanische Bevölkerung nach Herkunftsländern

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Quelle: Ghazal 2016, Zusammenstellung der Autoren.

Der gesellschaftliche Umgang mit der syrischen Flüchtlingskrise in Jordanien ist durch die Geschichte des Landes, insbesondere durch die Erfahrungen aus mehreren Flüchtlingswellen, geprägt. Ängste, dass die syrischen Flüchtlinge dauerhaft im Land bleiben könnten, schürten innerhalb der jordanischen Bevölkerung zunächst Ressentiments. Vor allem Narrative über Verdrängungswettbewerb auf den lokalen Arbeitsmärkten waren und sind unter der jordanischen Bevölkerung weit verbreitet. In der Tat ist es für viele, in erster Linie junge Jordanier nicht einfach, Beschäftigung zu finden. Die Jugendarbeitslosigkeit in Jordanien ist laut Schätzungen der Weltbank mit ca. 34 Prozent eine der höchsten der Region. Allerdings sind die meisten syrischen Flüchtlinge im informellen Niedriglohnsektor tätig. Dieser ist für viele der formal tendenziell besser ausgebildeten Jordanier wenig attraktiv. Wettbewerb um Arbeitsplätze ist daher eher mit den Gastarbeitern zu erwarten, die mehrheitlich aus Ägypten und Südostasien kommen.

Flüchtlingskrise in Europa ab 2015

Aus europäischer Sicht wurden Flucht und Migration lange als vornehmlich regionale Probleme wahrgenommen, die primär regionale Akteure, sprich die jeweiligen Nachbarländer, in die Pflicht nehmen sollten. Im Zuge der „Flüchtlingskrise“ in Europa fand hier ein Umdenken statt. Bereits im Sommer 2014 hatte es erste Anzeichen dafür gegeben, dass sich immer mehr Flüchtlinge auf den riskanten Weg nach Europa machten. Im Frühjahr 2015 setzte dann die eigentliche Flüchtlingswelle ein; allein im Mai 2015 erreichten fast 40.000 Flüchtlinge Deutschland. Im August hatte die deutsche Regierung ihre Flüchtlingsprognose bereits auf 800.000 Ankommende erhöht, viermal so viele wie im Vorjahr. „Wir schaffen das“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel auf der Sommerpressekonferenz am 31. August 2015 in Berlin. Mit der Ankunft von 890.000 Flüchtlingen und Migranten im Jahr 2015 und weiteren 280.000 bis Ende September 2016 hat Deutschland mehr Schutzsuchende aufgenommen als jeder andere Staat in der EU. Die meisten stammen aus Syrien, Afghanistan, Irak und Eritrea.

Befragt man die Flüchtlinge selbst zu den Gründen für ihre Flucht nach Deutschland, gibt eine Mehrheit der Befragten in einer 2016 durchgeführten Studie die Angst vor Krieg und Gewalt (70 Prozent) sowie Verfolgung (44 Prozent) an. Etwa 40 Prozent haben sich, bevor sie nach Deutschland geflüchtet sind, für mindestens drei Monate in einem Transitland bzw. einem Erstaufnahmeland aufgehalten. Rund 40 Prozent der Geflüchteten erklären zudem, das jeweilige Erstaufnahmeland nicht freiwillig verlassen zu haben, sondern die weitere Flucht aufgrund der prekären Lebensverhältnisse vor Ort, wegen Diskriminierung oder anhaltender Verfolgung angetreten zu haben. Dies deckt sich mit Berichten der VN, wonach sich im Jahr 2015 viele Syrer aus Erstaufnahmeländern nach Europa aufmachten, um Armut, fehlender Beschäftigung oder zum Teil Verschärfungen in den nationalen Aufenthaltsregelungen zu entkommen. Gleichzeitig gab es zu diesem Zeitpunkt kaum noch Hoffnung auf ein baldiges Ende des Kriegs in Syrien und damit auf eine zügige Rückkehr. Insofern scheinen die Bedingungen in den jeweiligen Erstaufnahmeländern zentrale Push-Faktoren für sekundäre Migrationswellen nach Europa zu sein.

Supporting Syria and the Region-Konferenzen in London und Brüssel

Mit der Konferenz Supporting Syria and the Region am 4. Januar 2016 in London, zu der die Regierungschefs von Großbritannien, Deutschland, Kuwait und Norwegen sowie der VN-Generalsekretär eingeladen hatten, vollzog sich ein sichtbarer Paradigmenwechsel auf entwicklungspolitischer Ebene: Ziel der Konferenz war es, sowohl von den Regierungen der Erstaufnahmeländer als auch von den internationalen Gebern langfristige Zusagen für zusätzliche technische und finanzielle Unterstützung zu erhalten. Im Gegenzug sollte der Zugang zu Jobs und Bildung für syrische Flüchtlinge und ärmere Bevölkerungsteile in den Erstaufnahmeländern verbessert werden. Die internationale Gemeinschaft einigte sich auf die Bereitstellung von Rekordsummen: rund zwölf Milliarden US-Dollar bis 2020 und von weiteren 40 Milliarden US-Dollar als Darlehen.

Internationale Finanzhilfen

Auf der Londoner Geberkonferenz wurden für 2016 sechs Milliarden US-Dollar für die Unterstützung bedürftiger Syrer in Syrien selbst und in den Aufnahmeländern Jordanien, Libanon und Türkei versprochen sowie weitere 6,1 Milliarden US-Dollar für den Zeitraum von 2017 bis 2020. Tatsächlich wurden im Jahr 2016 fast acht Milliarden US-Dollar bereitgestellt. Von den versprochenen 6,1 Milliarden US-Dollar für den Zeitraum 2017 bis 2020 wurden bis Februar 2017 ca. 2,8 Milliarden US-Dollar, d. h. 46 Prozent, zur Verfügung gestellt. Von den zugesagten Darlehen in Höhe von 40 Milliarden US-Dollar für den Zeitraum 2016 bis 2020 wurden bislang 31 Prozent, d. h. 12,6 Milliarden US-Dollar, bereitgestellt. Jordanien erhielt 2016 insgesamt 2,3 Milliarden US-Dollar Unterstützung; davon 1,4 Milliarden US-Dollar als Beihilfen und 923 Millionen US-Dollar in Form von Krediten.

Auf der Nachfolgekonferenz in Brüssel wurden zusätzliche sechs Milliarden US-Dollar für 2017 und 3,7 Milliarden US-Dollar für die drei nachfolgenden Jahre zugesagt. Bis Mitte 2017 wurden hiervon 4,4 Milliarden US-Dollar bereitgestellt, 74 Prozent der versprochenen Summe für 2017, und 1,4 Milliarden US-Dollar für die nächsten drei Jahre. Zudem wurden auf der Konferenz in Brüssel weitere Darlehen in Höhe von 30 Milliarden US-Dollar für den Zeitraum 2017 bis 2020 versprochen, von denen bislang 2,5 Milliarden US-Dollar zur Verfügung gestellt wurden. Von den Beihilfen hat Jordanien bislang 626 Millionen US-Dollar (Stand Juli 2017) und 374 Millionen US-Dollar in Form von Krediten erhalten.

Die zentralen Beschlüsse der London-Konferenz mündeten schließlich in zwei Abkommen, die als Compacts bekannt wurden; eins zwischen der EU und Jordanien und eins zwischen der EU und dem Libanon. Mit der Türkei wurde eine separate Vereinbarung im März 2016 getroffen. Mit den Compacts vollzog sich in der Region ein entwicklungspolitisch wichtiger Schritt: Er bewegte sich weg von einer kurzfristigen und chronisch unterfinanzierten Politik der Not- und Ersthilfe für Flüchtlinge, hin zu einer engeren Verzahnung der wirtschafts- und entwicklungspolitischen Instrumente. So sollten in den jeweiligen Aufnahmeländern die wirtschaftliche Resilienz und Absorptionskapazitäten gestärkt werden. Humanitäre Hilfe sollte in nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit übergehen. Spezifische Zusagen zum Schutz der Flüchtlinge, einschließlich eines legalen Bleiberechts, blieben allerdings aus.

In den Folgemonaten schloss die EU mithilfe eines neuen Migrationspartnerschaftsrahmens (Migration Partnership Framework, MPF) weitere solcher länderspezifischen Compacts mit anderen Schlüsselländern ab, darunter Niger, Nigeria, Mali, Senegal und Äthiopien. Neben Anreizen für eine freiwillige Rückkehr sehen diese auch neue, legale Wege der Migration vor sowie langfristige Investitionen in den jeweiligen Aufnahmeländern, um Fluchtursachen zu bekämpfen. Insgesamt wurden 2016 für den MPF Mittel in Höhe von knapp acht Milliarden Euro für die nächsten fünf Jahre vorgesehen.

Auch auf internationaler Ebene hat das Prinzip der Compacts Konjunktur. So fand am 19. September 2016 der erste VN-Gipfel zu Wanderungsbewegungen statt. Resultat war die Verabschiedung der „New Yorker Erklärung“, die die Erarbeitung von zwei neuen, globalen Übereinkünften vorsieht. Von diesen zwei Compacts widmet sich einer Flüchtlingen (Refugee Compact) und der zweite Migranten (Migration Compact). Mit dem Refugee Compact sind Mechanismen festzulegen, die im Falle akuter Flüchtlingskrisen greifen. Der Migration Compact behandelt im Gegensatz hierzu keine praktischen Fragen. In ihm geht es vielmehr um Grundlagenarbeit, da es keine verbindliche Definition von Migranten gibt und das internationale Recht zudem vage und kaum entwickelt ist. Ergebnisse der Beratungen und zwischenstaatlichen Verhandlungen sind im September 2018 zu erwarten. Ein Blick auf die 2016 im Nachgang der London-Konferenz entstandenen europäischen Compacts lohnt sich daher auch vor dem Hintergrund dieser aktuell diskutierten globalen Compacts.

Zentrale Komponenten des Jordan Compacts

Der Jordan Compact zielt speziell darauf ab, mittelfristige Bleibeperspektiven für Flüchtlinge in Jordanien zu schaffen und Beschäftigungsmöglichkeiten für Syrer und Jordanier gleichermaßen zu erhöhen. Im Mittelpunkt steht dabei ein zusätzliches Handelsabkommen mit der EU, als Ergänzung zum bestehenden Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Jordanien.

Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Jordanien

Die Beziehungen der EU zu Jordanien basieren auf dem Europa-Mittelmeer-Abkommen zur Gründung einer Assoziation, das seit 1. Mai 2002 in Kraft ist. Bei Assoziierungsabkommen handelt es sich um enge wirtschaftliche Kooperationsverträge zwischen Drittstaaten und der EU. Ziel ist ein möglichst ungehinderter Handel durch die Abschaffung von Beschränkungen im Warenverkehr. Neuere Assoziierungsabkommen beinhalten oft auch Regelungen zum politischen Dialog und zu einer engen Zusammenarbeit in Kultur, Wissenschaft und Bildung.

Durch das Assoziierungsabkommen mit Jordanien wurde schrittweise eine Freihandelszone zwischen der EU und Jordanien in Übereinstimmung mit den WTO-Regeln eingerichtet. 2007 wurde sie durch ein Abkommen zur weiteren Liberalisierung des Handels mit landwirtschaftlichen Produkten ausgeweitet. Seit Mai 2012 führt die EU mit Jordanien zudem einen „Sondierungsdialog“ über ein vertieftes und umfassenderes Freihandelsabkommen (DCFTA).

Im Prinzip handelt es sich dabei um eine klassische wirtschafts- und beschäftigungsfördernde Maßnahme: Der Export jordanischer Produkte in die EU wird erleichtert, dadurch sollen Umsätze jordanischer Unternehmen gesteigert und in der Folge mehr lokale Beschäftigung generiert werden – so die ökonomische Logik. Eine Schlüsselstellung nimmt dabei der Teil des Assoziierungsabkommens ein, der die Ursprungsregeln definiert. Der also anhand der Wertschöpfungskette festlegt, welche Produkte als Made in Jordan klassifiziert werden. Abhängig von der jeweiligen Warenkategorie, durften gemäß Assoziierungsabkommen bisher höchstens 30 bis 50 Prozent des jeweiligen Endprodukts außerhalb Jordaniens hergestellt werden, um noch als Made in Jordan zu gelten. Mit dem Jordan Compact wurde diese Hürde zugunsten jordanischer Produzenten angepasst: Exportwaren können seitdem bis zu 70 Prozent aus nicht jordanischen Materialien und Vorprodukten bestehen – ein entscheidender Wettbewerbsvorteil für jordanische Unternehmen, die an den europäischen Absatzmärkten interessiert sind.

Ziel des ''EU-Jordan Compacts'' ist es, für Flüchtlinge mittelfristige Bleibeperspektiven in Jordanien zu schaffen.

Diese Vereinfachung der Ursprungsregelungen gilt allerdings nicht vollumfänglich. Erstens werden lediglich 52 Produktgruppen vom Abkommen erfasst. Zu diesen gehören unter anderem Mineralien wie Salze, Säuren und Öle, Kunststoffe, Häute, Felle und Holz, Steine, Schiefer, Keramik, Glas und Flaschen, Metalle, Werkzeuge, elektronische Maschinen, Videogeräte, Motoren sowie Möbel und Spielzeug. Nicht erfasst werden hingegen Baumwolle, Garne, Teppiche, Gewebe, Kleidung oder Schuhe. Zweitens müssen die absatzfähigen Produkte in einer von 18 ausgewählten Industrie- und Entwicklungszonen hergestellt werden. Drittens – und hier findet die wirtschafts- und entwicklungspolitische Verzahnung statt – müssen die in den Zonen ansässigen Unternehmen syrische Flüchtlinge beschäftigen. Die Mindestquote syrischer Arbeitnehmer liegt derzeit bei 15 Prozent, ab 2019 bei 25 Prozent. Über diesen Mechanismus sollen zunächst 200.000 syrische Flüchtlinge in ausgewählten, produktionsnahen Berufen in legale Beschäftigung gelangen. Sobald diese Schwelle erreicht ist, sollen die vereinfachten Ursprungsregeln auch für Unternehmen außerhalb der Industriezonen gelten.

Für Unternehmen, die sich in einer der Industriezonen ansiedeln, flankiert die jordanische Regierung den Jordan Compact mit weitreichenden Steuervergünstigungen bzw. -befreiungen. Mehr als 100 Millionen US-Dollar wurden zudem in die Infrastruktur der Industriezonen investiert. Einige dieser Zonen befinden sich in direkter Nachbarschaft zum größten jordanischen Flüchtlingscamp Zaatari – ein potenzieller Standortvorteil.

Bestandsaufnahme: Was wurde durch den EU-Jordan Compact erreicht?

Zwei Jahre nach der Geberkonferenz in London fällt die Bilanz des Jordan Compacts ernüchternd aus. Bislang haben es nur zwei jordanische Betriebe geschafft, im Rahmen des Jordan Compacts in die EU zu exportieren. Sie lieferten Waren im Wert von ca. 500.000 Euro nach Spanien und Zypern. Sieben weitere Unternehmen erfüllen derzeit die formalen Exportkriterien, konnten allerdings noch keinen Absatz generieren. Woran liegt es, dass der Jordan Compact bislang keine export- und beschäftigungsfördernde Wirkung entfalten konnte?

1. Wettbewerbsfähigkeit jordanischer Produkte

Ein zentraler Grund für die mäßige Bilanz des Jordan Compacts ist die insgesamt wenig auf internationalen Absatz ausgerichtete jordanische Wirtschaft. Aus Sicht von Youssef Shammali, Generalsekretär beim jordanischen Ministerium für Industrie und Handel, sei es wichtig, jordanisch-europäische Unternehmensnetzwerke zu fördern sowie stärker für jordanische Produkte in Europa zu werben.

Salah Isayyied, Gründer einer Beratungsfirma für jordanische Unternehmen in Deutschland, glaubt, dass die Erwartungen der jordanischen Wirtschaft derzeit nicht realistisch seien. Auf jordanischer Seite würden Kenntnisse fehlen, wie die eigenen Produkte auf dem EU-Markt vermarktet werden können – nicht zuletzt, weil es bislang keine prägenden Erfolgsbeispiele hierfür gebe. Die Marktvoraussetzungen und -lücken in Europa müssten intensiver geprüft werden.

Isayyied spricht mit der Identifikation von Marktlücken einen wichtigen Punkt an. Die zentrale Frage beim Jordan Compact ist es, welche jordanischen Produkte sich in den geöffneten Produktkategorien auf dem EU-Markt überhaupt durchsetzen können. In dem ressourcenarmen Land sieht sich die Wirtschaft im regionalen Vergleich hohen Logistikkosten ausgesetzt, die die Wettbewerbsfähigkeit jordanischer Produkte systematisch untergraben. Gerade auf den kompetitiven und teilweise stark subventionierten EU-Märkten haben jordanische Produkte auch unter vereinfachten Ursprungsregeln schlechte Absatzchancen.

Außenhandel zwischen Jordanien und der EU

Die EU ist Jordaniens größter Handelspartner, der zu 16,9 Prozent des gesamten jordanischen Handels im Jahr 2015 beitrug. Jordanien ist der 58. Handelspartner der EU und repräsentiert 0,1 Prozent des Gesamthandels der EU mit der Welt.

Die EU importiert derzeit Waren im Wert von 0,4 Milliarden Euro aus Jordanien. Die wichtigsten Importgüter sind Chemikalien (47 Prozent aller Importe), gefolgt von Maschinen- und Transportausrüstungen (14 Prozent aller Importe).

Die EU exportiert aktuell Waren im Wert von 4,1 Milliarden Euro nach Jordanien (Stand 2016), insbesondere Maschinen- und Transportausrüstungen (35 Prozent), gefolgt von landwirtschaftlichen Produkten (19 Prozent) und Chemikalien (16 Prozent).

Der beidseitige Handel von Dienstleistungen betrug 1,5 Milliarden Euro im Jahr 2014, davon EU-Importe im Umfang von 0,6 Milliarden Euro und EU-Exporte in Höhe von 0,9 Milliarden Euro.

Zudem könnte die Beschränkung auf 52 Produktgruppen eine gravierende Markteintritts-hürde darstellen. Viele der bereits erfolgreich in die EU exportierenden Unternehmen sind in der Chemiebranche, im Maschinenbau oder im Kleidungs- und Textilbereich tätig. Gerade diese Sektoren werden bislang nur teilweise vom Jordan Compact erfasst.

2. Standortbindung

Ein weiterer konzeptioneller Schwachpunkt des Jordan Compacts ist es, dass die vereinfachten Ursprungsregeln auf Waren beschränkt sind, die in einer der 18 ausgewählten Industriezonen produziert werden. Damit werden in erster Linie Anreize für Neugründungen gesetzt, sich an den entsprechend geförderten Standorten niederzulassen. Für bestehende Betriebe, insbesondere für solche, die bereits erfolgreich in die EU exportieren, ist der Jordan Compact weitaus weniger attraktiv. Für diese müssten die aus einer Standortverlagerung erzielten Einsparungen die Kosten einer vollständigen Betriebsumsiedlung mehr als ausgleichen. Die Industriezonen dürften somit vornehmlich für betriebliche Erweiterungen interessant sein. Dabei ist allerdings fraglich, ob solche „Mischbetriebe“ dann noch in den Genuss aller Vorzüge des Jordan Compacts kommen können.

Zudem ist die Infrastruktur in den Industriezonen unterentwickelt. Mehrere Betriebe klagten in den letzten Monaten über eine unzureichende Energieversorgung in ihren Zonen. So komme es regelmäßig zu Produktionsstopps aufgrund von Stromausfällen, was die Existenz der noch jungen Betriebe zunehmend bedrohe.

Die Favorisierung inländischer Arbeitnehmer in Jordanien ist aus betrieblicher und Branchensicht nachteilig.

3. Inländerfavorisierung

Das jordanische Wirtschaftsrecht sieht generell eine 50-prozentige Inländerquote für alle Betriebe mit Sitz im Königreich vor. Dies erhöht zwar die Chancen für Jordanier, eine Anstellung zu finden, begründet aber auch ein systemimmanentes Lohngefälle zwischen jordanischen und nicht jordanischen Arbeitnehmern. Bei ansonsten gleicher Arbeitnehmerqualität werden Jordanier stets höhere Gehälter durchsetzen können als ihre ausländischen Mitbewerber aus Syrien, Ägypten oder Asien. Aus betrieblicher Sicht wirkt sich diese Regelung gewinnschmälernd aus. Auf Branchenebene erwächst daraus ein entscheidender Wettbewerbsnachteil für arbeitsintensive Produktion in Jordanien, d.h. für solche Betriebe, die im Mittelpunkt des Jordan Compacts stehen.

4. Kosten der Legalisierung

Ein Ziel des Jordan Compacts ist die Legalisierung bereits bestehender Beschäftigung. Problematisch gestaltet sich hierbei der langwierige und komplizierte Beantragungsprozess. Dutzende Schritte müssen sowohl vom künftigen Arbeitgeber als auch vom Flüchtling eingeleitet werden, um eine einjährige Arbeitsgenehmigung zu erhalten. Maha Kattaa, Koordinatorin für die syrische Flüchtlingskrise bei der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), ergänzt: „Die Schwierigkeit (…) ist nicht nur der Prozess an sich, sondern auch, dass es nicht der Flüchtling ist, der die Arbeitsgenehmigung beantragt, sondern der Arbeitgeber für den Flüchtling. Im Kontext der Flüchtlinge handelt es sich (allerdings) um saisonale Arbeit, sie beziehen Tageslöhne und ziehen von einem Arbeitgeber zum nächsten. In diesen Branchen findet man keinen Arbeitgeber, der interessiert daran ist, eine einjährige Arbeitsgenehmigung für jemanden zu beantragen, der nur drei Monate für (einen Arbeitgeber) arbeitet.“

Aus diesem Grund vereinfachte die jordanische Regierung das Genehmigungsverfahren jüngst für den Landwirtschaftssektor: Syrische Flüchtlinge können nun über Landwirtschaftskooperativen eine Arbeitsgenehmigung erhalten, wodurch ein Wechsel zwischen verschiedenen Arbeitgebern innerhalb des Verbundes erlaubt wird.

Ein wichtiger Einflussfaktor sind auch die Kosten, die bei der Legalisierung einer bestehenden Beschäftigung anfallen. Betrachtet man die Entwicklungen im Zeitablauf, fällt auf, dass die Anzahl der beantragten bzw. ausgestellten Arbeitsgenehmigungen sprunghaft anstieg, als die Antragsgebühren erlassen wurden. Gleiches galt für die Beantragung von Arbeitsgenehmigungen, als die Nachweispflicht des Arbeitgebers zeitweise ausgesetzt wurde, wonach ein neuer Arbeitnehmer bei der Sozialversicherung anzumelden ist.

Bisher gibt es kaum Anreize, syrische Flüchtlinge in Jordanien legal zu beschäftigen.

Zwar ist es grundsätzlich rechtswidrig, syrische Flüchtlinge ohne Arbeitsgenehmigung bzw. ohne Anmeldung zur Sozialversicherung anzustellen. Ebenso wie bei Tausenden ägyptischen und asiatischen Gastarbeitern spielen solche „Formalia“, in der Praxis aber eine untergeordnete Rolle. Die Aufdeckungsgefahr ist gering und etwaige Strafen für Verstöße fallen vergleichsweise moderat aus. Im Erwartungswert bestehen insofern kaum Anreize, syrische Flüchtlinge in Jordanien legal zu beschäftigen, sollten dadurch zusätzliche Lohnnebenkosten entstehen.

5. Anreize für Flüchtlinge

Charles Simpson, Wissenschaftler beim Boston Consortium for Arab Region Studies, beschreibt, dass die Regelungen des Jordan Compacts nur unzureichende Anreize für syrische Arbeitnehmer setzen: „Ein Hindernis stellt (…) die Tatsache dar, dass zum Zeitpunkt der Arbeitsgenehmigungsinitiative bereits so viele syrische Flüchtlinge in der informellen Wirtschaft tätig waren.“ Die Nettolöhne in der informellen Wirtschaft fielen vergleichsweise hoch aus, sodass sich eine alternative legale Beschäftigung aus individuellem Kalkül heraus häufig nicht lohne. Zudem arbeiteten viele Syrer in der nicht verarbeitenden Industrie mit flexibleren Arbeitszeiten und unter körperlich weniger schweren Arbeitsbedingungen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Löhne in der Textilbranche, die bislang die Mehrheit der neu angesiedelten Betriebe in den Industriezonen stellt, äußerst gering sind. Gerade in diesem Sektor gibt es obendrein nur wenig erfahrene Arbeitskräfte: Die syrische Textilbranche befand sich in und um Aleppo, deren Flüchtlinge zumeist in die Türkei, nicht nach Jordanien flohen.

Auch die Beschränkung auf 18 Industriezonen lässt legale Arbeit im Rahmen des Jordan Compacts für viele Flüchtlinge unattraktiv werden. Die große Mehrheit der syrischen Flüchtlinge lebt außerhalb der beiden offiziellen Flüchtlingscamps. Die 18 Industriezonen liegen hingegen meist fernab von den großen Ballungszentren. Transportkosten und -zeiten müssten folglich von den Flüchtlingen selbst getragen werden. Die Mehrheit der Frauen im Flüchtlingslager Zaatari, so zeigt eine Umfrage des UNHCR, möchte zudem aus Sorge vor zu langer Abwesenheit von ihren Familien und der vermeintlich unsicheren Umgebung außerhalb des Lagers nur innerhalb des Flüchtlingscamps arbeiten.

Erschwerend hinzu kommen die Regelungen des jordanischen Arbeitsrechts, die syrischen Flüchtlingen nur in bestimmten Berufen erlauben, beschäftigt zu sein. Für geschlossene Berufsgruppen, wie etwa medizinische Berufe, Lehrer, oder Ingenieure, erhalten Flüchtlinge weiterhin keine Arbeitsgenehmigung. In anderen Sektoren, wie etwa im Baugewerbe oder im Servicebereich, gibt es die bereits erwähnten Inländerquoten.

6. Formalisierung von illegalen Betrieben und Neugründungen

80 Prozent aller neuen Jobs in Jordanien werden durch Kleingewerbe geschaffen. Für einen Großteil der syrischen Flüchtlinge, insbesondere für Frauen, die häufig von zu Hause aus arbeiten, bildet diese (teil-)selbstständige Erwerbstätigkeit die Haupteinkommensquelle. Ab Sommer 2016 sollten syrische Flüchtlinge im Rahmen des Jordan Compacts die Möglichkeit erhalten, diese Kleinstbetriebe zu formalisieren sowie neue Betriebe zu gründen. Die entsprechenden rechtlichen Rahmenbedingungen für kleinste sowie klein- und mittelständische Betriebe stammten ursprünglich aus den 1950er Jahren. Ungeachtet der Herkunft eines Gewerbetreibenden, wurden sie in der Vergangenheit nur lückenhaft umgesetzt. Wenngleich im Zuge des Jordan Compacts wichtige Normen und Vorschriften überarbeitet wurden, scheint es gravierende Probleme bei der einheitlichen Anwendung dieser neuen Regeln zu geben. Zudem wurden nicht alle wichtigen Gesetze überarbeitet. So müssen sich beispielsweise Ausländer, einschließlich der syrischen Flüchtlinge, als Investoren registrieren, wenn sie ein Unternehmen gründen wollen. Dazu muss ein syrischer Gründer nicht nur einen jordanischen Unternehmenspartner finden. Nachgewiesen werden muss auch ein Mindestguthaben von 50.000 jordanischen Dinar (ca. 59.500 Euro) auf einer nationalen Bank – für die meisten syrischen Flüchtlinge eine exorbitant hohe Markteintrittshürde.

7. Fehlende Arbeitsmarktstrukturen

Ein weiteres Problem bei der Einstellung syrischer Flüchtlinge – und dies wird nicht im Jordan Compact behandelt – ist das generelle Fehlen klassischer Arbeitsmarktbörsen. So gibt es weder staatliche noch private Einrichtungen zur Arbeitsvermittlung bzw. zum Austausch von Arbeitsangebot und -nachfrage. In einer Studie der ILO zeigte sich ein Großteil der jordanischen Unternehmen bereit, Flüchtlinge einzustellen. Kritisiert wurde, dass eine zentrale Vermittlungsstelle fehle. Auch Syrer erklärten sich bereit, in den Industriebetrieben zu arbeiten, doch auch hier unterstrichen viele das Problem der fehlenden Arbeitsvermittlung. Um Arbeitsmöglichkeiten zu identifizieren, bleiben in der Folge sowohl Flüchtlinge als auch Jordanier gleichermaßen abhängig von intransparenten und ineffizienten Methoden wie etwa über persönliche bzw. familiäre Kontakte.

Das Fehlen klassischer Arbeitsmarktbörsen in Jordanien erschwert die Vermittlung syrischer Flüchtlinge.

8. Europäische Investitionen

Von offizieller Seite wurde mehrfach argumentiert, dass der Jordan Compact ausländische Investitionen anziehen würde. Bislang scheint jedoch kein europäisches Unternehmen Interesse bekundet zu haben, sich in den Industriezonen anzusiedeln bzw. dort zu investieren. Salah Isayyied erklärt dies mit der nach wie vor geringen Attraktivität des jordanischen Absatzmarkts und der fraglichen Lage als Produktionsstandort: „Das Abkommen alleine ist nicht attraktiv für ein Unternehmen. (…) Steuernachlässe, die Investitionsgesetze, (usw.) das sind alleine keine Beweggründe für ein Unternehmen, in Jordanien zu investieren. (…) Solche Angebote bekommt Deutschland aus allen Ländern der Welt.“ Er ergänzt: „Man fragt sich: Wie stark ist die jordanische Industrie e ntwickelt, welche Voraussetzungen gibt es? Welche Infrastruktur ist vorhanden? Die Transportwege in die EU, die Sicherheit im Land usw. – es gibt viele offene Fragen. Und ein Unternehmen braucht konkrete Antworten, um die Entscheidung zu treffen, in einem fremden Land zu investieren.“ Insofern sei es nicht überraschend, dass die meisten ausländischen Investitionen in Jordanien aus den Golf-Staaten stammten und nicht auf die europäischen Absatzmärkte abzielten. Dabei sind die Investitionen aus Europa zentral für den Erfolg des Jordan Compacts. Bisher wurde kein einziger neuer Arbeitsplatz geschaffen, es wurden nur bestehende formalisiert bzw. substituiert.

9. Fiskal-, wirtschafts- und sozialpolitische Effekte

Generell gibt es unterschiedliche Aussagen darüber, inwieweit sich Freihandelsabkommen überhaupt als entwicklungspolitisches Instrument eignen, um Absorptionsfähigkeiten zu stabilisieren. So wuchs zwar die jordanische Textilindustrie beispielsweise infolge ähnlich strukturierter Abkommen zwischen Jordanien und den USA zu einem bedeutenden Teil des jordanischen Produktionssektors heran. Doch stehen genau diese Abkommen auch in der Kritik, keinen Beitrag zum allgemeinen Steueraufkommen Jordaniens zu leisten, da Unternehmen unter dem Dach dieser Abkommen größtenteils von Steuern und Abgaben befreit sind. Weiter wird kritisiert, dass auf diesem Weg kaum Jordanier beschäftigt wurden, da Gastarbeiter aus Südostasien aufgrund von Ausnahmeregelungen ca. 70 bis 80 Prozent aller Beschäftigten ausmachen. Folglich werde der Großteil der Gewinne und Gehälter ins Ausland überwiesen und so würden auf dem heimischen Markt keine weiteren Nachfrageeffekte generiert.

Handlungsempfehlungen

1. Jeder syrische Flüchtling sollte uneingeschränkten Zugang zum jordanischen Arbeitsmarkt haben, d. h.

a.Arbeitsgenehmigungen sollten arbeitgeberunabhängig gelten und vom Flüchtling beantragt werden können oder, idealerweise, gänzlich abgeschafft werden,

b.Arbeitsgenehmigungen sollten nicht nur für bestimmte Berufe ausgestellt werden, sondern sämtliche Tätigkeiten umfassen,

c. Flüchtlinge sollten ohne nationalen Partner und ohne Bürgschaften bzw. das Hinterlegen von Sicherheiten Unternehmen gründen können.

2. Die Restriktion auf 18 Industriezonen sollte aufgehoben werden. Eine (Energie-)Infrastruktur, die betrieblich notwendigen Bedingungen entspricht, muss bereitgestellt werden.

3. Die Restriktion auf 52 Produktgruppen sollte aufgehoben werden.

4. Die Inländerfavorisierung, d. h. die Mindestquote für jordanische Arbeitnehmer, sollte aufgehoben werden.

5. Die Strafen für illegale Beschäftigung / Schwarzarbeit sollten erhöht werden.

6. Die Kontrollen für illegale Beschäftigung / Schwarzarbeit sollten verstärkt werden.

7. Öffentliche und / oder private Arbeitsmarktagenturen sollten gegründet werden, um Nachfrage und Angebot eine Marktplattform zu geben.

8. Ein öffentliches (Nah-)Verkehrssystem sollte etabliert werden, um die individuellen Transportkosten zu den Industriezonen in Jordanien zu minimieren.

9. Staatliche Investitionen in Infrastruktur, insbesondere hinsichtlich günstigerer Transportwege in die EU (und die Region), sollten getätigt werden.

10. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollten langfristig in die Steuer- und Sicherungssysteme einzahlen.

Fazit

Im Zuge der EU-Abkommen mit wichtigen Erstaufnahmeländern von syrischen Flüchtlingen vollzog sich auf entwicklungspolitischer Ebene eine bemerkenswerte Kehrtwende. Dabei ging es nicht nur darum, finanzielle Hilfe bereitzustellen. Vielmehr sollten insbesondere die Resilienzen der Erstaufnahmeländer und ihre Absorptionskapazitäten langfristig gestärkt werden. Das „jordanische Modell“ hat in seinen theoretischen Grundzügen dabei Vorbildcharakter entwickelt. Es förderte das Bewusstsein für internationale Verantwortungs-übernahme und diente bereits als Blaupause für Folgeabkommen mit afrikanischen Staaten.

Dieser Paradigmenwechsel ist prinzipiell positiv zu bewerten. Doch kommen gut zwei Jahre nach der ersten Geberkonferenz am Fallbespiel des Jordan Compacts konzeptionelle Schwächen zutage. Um tatsächlich die Lebensumstände von Flüchtlingen und Jordaniern gleichermaßen zu verbessern, sind vor allem ein beherzteres Öffnen der Märkte und die Schaffung einer beschäftigungsfördernden Infrastruktur erforderlich (siehe Handlungsempfehlungen).

Einerseits sollte die EU ihre zögerliche Haltung gegenüber einer Öffnung ihrer Absatzmärkte ablegen und andererseits sollte sich Jordanien mit innenpolitisch heißen Eisen wie der Inländerfavorisierung und notwendigen Infrastrukturinvestitionen kritisch auseinandersetzen sowieArbeitsvermittlungsagenturen gründen.

Schließlich birgt die Integration syrischer Flüchtlinge für die jordanische Wirtschaft trotz aller bestehenden Schwierigkeiten auch nicht zu vernachlässigende Chancen. Abgesehen davon, dass keine Sprachbarrieren existieren, verfügen syrische Flüchtlinge tendenziell über Kenntnisse und Fähigkeiten, die in Jordanien höhere Beschäftigungsrelevanz haben. Zudem ist zu erwarten, dass die Gehälter und Löhne, die an Syrer gezahlt werden, die Binnennachfrage ankurbeln und eine höhere Multiplikatorwirkung entfalten.

Das Fallbeispiel des EU-Jordan Compacts zeigt, dass Passgenauigkeit und Wirkung der Abkommen in der Realität kontinuierlich überprüft und gegebenenfalls um konkrete wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Maßnahmen ergänzt werden müssen. Andernfalls laufen die ambitionierten Compacts Gefahr, ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht zu werden.

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Dr. Manuel Schubert ist Leiter des Regionalprogramms Golf-Staaten der Konrad-Adenauer-Stiftung. Bis Juli 2017 leitete er das Auslandsbüro in Jordanien.

Imke Haase ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Auslandsbüro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Jordanien.

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