Asset-Herausgeber

von Hans-Gert Pöttering

Zum 50. Todestag Konrad Adenauers (* 5. Januar 1876, 19. April 1967)

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„Man kann (...) nicht in der Zukunft gut wirken, wenn man nicht aus der Vergangenheit lernt (...).“ Dieser Satz Konrad Adenauers von 1952 besitzt auch heute, fünfzig Jahre nach dem Tod des ersten deutschen Bundeskanzlers, unverändert Gültigkeit. Er ist Anspruch und Mahnung zugleich. Für uns, die Konrad-Adenauer-Stiftung, sind Grundsätze unseres Namensgebers Leitlinien, Auftrag und Verpflichtung bei unserem Einsatz für Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit.

Über die Zukunft nachzudenken, ist eine der wichtigsten Aufgaben der Politik. Wer verantwortlich handelt, der muss das Gestern kennen und sich der Wirkungen seines Handelns in der Gegenwart und für die Zukunft bewusst sein.

Konrad Adenauer war ein Meister der Realpolitik. Er galt und gilt als geschickter Pragmatiker, unter Zeitzeugen wie Historikern. Sein Instinkt, sein Geschick und seine Weitsicht haben ihn zu einem herausragenden Politiker des 20. Jahrhunderts gemacht. Dabei erkennen wir in vielen seiner überlieferten Äußerungen vor allem eines: Leidenschaft!

Über das Wesen des Politikers hat er gesagt: „In der Vorstellung vieler ist der Politiker und Staatsmann ein Mensch, der mit dem Verstand und mit kühler Berechnung arbeitet.“ Zugleich wusste er, dass mehr dazugehört: „Wer für das Wohl eines (...) Volkes verantwortlich ist (...), der muss ein heißes Herz haben für sein Volk und sein Land.“

Nicht allein sein rheinisches „heißes Herz für Volk und Land“ aber erklärt die mit seinem Namen dauerhaft verbundenen Erfolge: die Leistung des Wiederaufbaus und die politischen Weichenstellungen der jungen Bundesrepublik Deutschland, die Grundlagen zur Wiederherstellung der deutschen Einheit und der Einigung Europas. Sie lassen sich nur erklären, führt man sich seine Grundsätze politischen Handelns sowie das Fundament seiner Weltanschauung vor Augen.

Keime des Vertrauens

Vertrauen zu schaffen war einer seiner wesentlichen Grundsätze. Es war für ihn die „Grundlage aller gemeinsamen (...) Erfolge“. Vertrauen erwachse „aus der ethischen Basis des politisch Handelnden“. Dazu zählten für ihn Ehrlichkeit, Wahrhaftigkeit und Stetigkeit. Denn „nichts ist mehr dazu angetan, die ersten Keime des Vertrauens wieder zu zerstören, als (...) Unstetigkeit“.

Stetigkeit bedeutete für ihn auch Konsequenz, vor allem hinsichtlich getroffener Entscheidungen: „Nicht immer hin und her, sondern das, was man als richtig erkannt hat, immer wieder weiter betonen und verfolgen.“

Er hatte genaue Vorstellungen, welche Voraussetzungen ein solches konsequentes Handeln benötigt: Klarheit „über die geistige Struktur der Zeit, in der wir leben“. Klugheit, vor allem aber Erfahrung als Grundstein für richtiges Handeln, für realistisches und überlegtes Handeln; sich mäßigen und beherrschen zu können; und ganz besonders: den Mut zu haben, als richtig Erkanntes „zu sagen, zu vermitteln und durchzuführen“.

Diese Eigenschaften befähigen zu konsequentem politischen Handeln – und Konsequenz war für Konrad Adenauer ein entscheidendes Mittel in der Politik – Konsequenz und Geduld. Die Tugend der Geduld zeichnete Konrad Adenauer besonders aus. Durch „die ganze Hast und Unruhe unserer Zeit“ würden „Politiker, die Geduld verlieren und immer meinen, jeden Tag etwas Neues sagen zu müssen“. Das gilt in zunehmendem Maße für unsere heutige Zeit.

Geduld ist mitentscheidend für politischen Erfolg. Ohne sie werden wir aktuelle Herausforderungen wie die Globalisierung, das friedliche Zusammenleben der Kulturen und Religionen oder die Bekämpfung des Klimawandels nicht mit Erfolg bestehen. Ohne Geduld hätten wir in der Vergangenheit weder die deutsche Einheit erreicht, noch gelänge die europäische Einigung.

Sechzig Jahre Römische Verträge

Auch sechzig Jahre nach der Unterzeichnung der Römischen Verträge kann eine kriselnde, um das Vertrauen ihrer Bürger ringende Europäische Union von Konrad Adenauer lernen. Zum einen von seinem Pragmatismus: Die Europäische Union darf sich nicht in abstrakten institutionellen Diskussionen und Luftschlössern verlieren, sondern muss konkrete Lösungen für den Schutz ihrer Bürger finden. Der Europäische Rat zum 60. Jubiläum der Römischen Verträge am 25. März 2017 in Rom bietet eine gute Gelegenheit, durch Maßnahmen zur besseren Zusammenarbeit im Bereich der inneren Sicherheit und durch eine Stärkung der verteidigungspolitischen Kooperation ein Signal europäischer Handlungsfähigkeit zu senden.

Zum anderen sollte sich die Europäische Union von Adenauers Forderung nach Stetigkeit inspirieren lassen: Die Europäische Union und die Mitgliedstaaten werden bei den größten Herausforderungen viel Geduld und Ausdauer benötigen. Dies gilt für die Migrationspolitik, für die Unterstützung der Demokratisierungsprozesse in der europäischen Nachbarschaft, und auch im Bereich der Wirtschaftspolitik bedarf es nicht eines Überbietens durch immer neue wohlklingende Forderungen, sondern eines langen Atems. Zur Stetigkeit gehört auch, bewährte Prozesse der repräsentativen Demokratie zu verteidigen und nicht für jede heikle europapolitische Frage ein Referendum auszurufen. Stetigkeit erfordert zudem den Mut, bestehende Regeln und Zuständigkeiten der EU-Institutionen zu akzeptieren, zu befolgen und nicht vorschnell vor sachlich unbegründeten Forderungen nach einer Renationalisierung einzuknicken.

Konrad Adenauer hat bereits zu Beginn des europäischen Integrationsprozesses die Grenzen eines auf sich allein gestellten Nationalstaats erkannt: „Kein europäisches Volk ist allein in der Lage, sich militärisch zu schützen oder wirtschaftlich zu entwickeln. Bestünde man darauf, in der heutigen Welt die traditionellen Begriffe des Nationalismus hochzuhalten, so bedeutete dies die Aufgabe Europas.“

Ob kommunale, nationale, europäische oder globale Ebene: Wer in der Politik Entscheidungen trifft, sollte sich Adenauers Grundsätzen politischen Handelns bewusst sein. Ja, bei mancher Diskussion wünscht man sich geradezu, dass sie wieder mehr ins Bewusstsein rücken. Sie besitzen auch im 21. Jahrhundert Aktualität und Gültigkeit.

Abendländische Kultur

Gleiches gilt für sein grundsätzliches Politikverständnis: „Für mich ist Politik nicht lediglich Methode, Umweg, Ausweg“, sondern „das Verfolgen von Zielen, die man sich gesetzt hat auf Grund der Weltanschauung, die man in sich trägt.“

Konrad Adenauers Weltanschauung ruhte auf dem christlich-abendländischen Fundament. Es bildete den Orientierungsrahmen für sein ganz konkretes politisches Handeln. Er fühlte sich und seine Weltanschauung „geprägt von den beiden großen Komponenten der abendländischen Kultur, dem Christentum und dem Humanismus der griechisch-römischen Antike“.

Diese Prägung kennzeichnete seine Politik der Westbindung wie auch seine wirtschafts- und sozialpolitischen Entscheidungen. Es waren keine Einzelmaßnahmen, die den tagesaktuellen Erfordernissen geschuldet waren. Vielmehr besaßen sie eine strukturpolitische Dimension.

Diese Dimension ist heute wichtiger denn je. Der Adenauer’sche Gestaltungsund Orientierungsrahmen ist neu zu festigen. Dabei geht es um nichts Geringeres als die Auseinandersetzung mit den Grundfragen des gesellschaftlichen Zusammenlebens in Deutschland, Europa und der Welt. Es gilt, zu erläutern, wie die christlich-abendländischen Grundlagen uns helfen, den Erfordernissen und Herausforderungen unserer Zeit gerecht zu werden; welche Bedeutung die christlichen Werte im 21. Jahrhundert noch immer haben.

Welt im Wandel

Unsere Welt befindet sich im Wandel. Nur wenn wir unsere normativen Grundlagen stets neu definieren, wird es uns gelingen, diesen Wandel und seine Folgen zu bewältigen.

Auch im 21. Jahrhundert müssen Prinzipien wie Personalität, Solidarität und Subsidiarität, Begriffe wie das christliche Menschenbild und die daraus abgeleitete Unantastbarkeit der Menschenwürde, die Grundwerte Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit die Grundlage unseres Gemeinwesens sein. Dieser lange als selbstverständlich vorausgesetzte Wertekonsens wird heute durch das auf Spaltung, Diffamierung, Ausgrenzung und Isolation setzende autokratisch orientierte Modell populistischer Bewegungen in ganz Europa herausgefordert. Umso wichtiger ist es daher für das bürgerliche Lager, offensiv für seine christdemokratische Wertegrundlage einzustehen.

Das Bewusstsein für die eigenen Werte setzt die Kenntnis ihrer geschichtlichen Entwicklung voraus. Die Geschichte der christlich-demokratischen Idee einer breiten Öffentlichkeit zu vermitteln, ist ein Schwerpunkt unserer Stiftungsarbeit. Unser Anspruch und unser Bestreben ist es, mit unserer Arbeit die Werte und Prinzipien der christlichen Demokratie vorzuleben, sie mit Leben zu füllen. Denn sie sind zugleich Maßstab und Ziel unserer täglichen Arbeit in Deutschland und in unseren etwa achtzig Auslandsbüros mit Projekten in über 100 Ländern in Europa und der Welt.

Gleiches gilt für die Politik: Ohne eine Neubelebung unserer Werte werden wir verloren gegangenes Vertrauen in die Politik nicht wiedergewinnen. Nur mit einem klaren Kompass werden wir die Menschen davon überzeugen, notwendige Reformprozesse und Modernisierungsmaßnahmen mitzutragen.

Die Neubelebung der Aktualität und Gültigkeit der Grundprinzipien einer auf den christlichen Werten beruhenden Politik ist ein Schlüssel zur Bewältigung der vor uns liegenden Herausforderungen in Gegenwart und Zukunft sowie zur Rückgewinnung von Vertrauen in die Politik.

Getreu diesen Leitgedanken setzt die Konrad-Adenauer-Stiftung ihre Arbeit auch im 62. Jahr seit ihrer Gründung, fünfzig Jahre nach dem Tod ihres Namensgebers mit unverändertem Engagement fort: in Deutschland, Europa und der Welt.

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Hans-Gert Pöttering, geboren 1945 in Bersenbrück, Mitglied des Europäischen Parlaments (1979 bis 2014), Vorsitzender der EVP-ED-Fraktion (1999 bis 2007), Präsident des Europäischen Parlaments (2007 bis 2009), Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung.

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