Asset-Herausgeber

von Schwester Theresa-Maria Neuhaus

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Die Sorge um Kranke und Sterbende ist seit jeher ein zentraler Auftrag der Kirche. Im spezialisierten und ökonomisierten Gesundheitssystem hat er nicht an Bedeutung verloren. Bei der seelsorglichen Zuwendung zu den Kranken geht es vorrangig darum, den einzelnen Menschen in seiner besonderen Würde wahrzunehmen und zu achten – in Angst und Ohnmacht, Aggression, Hilflosigkeit, angesichts von Sterben und Tod. Es sind schwere Krisen, Grenzsituationen, existenzielle Erfahrungen und persönliche Lebensgeschichten, in die wir als Seelsorger einbezogen werden. Es darf sich nie eine Routine dabei entwickeln; stets handelt es sich um den konkreten Menschen in seiner persönlichen Lebenslage – es gilt, ihm darin von Angesicht zu Angesicht zu begegnen. In einer tieferen Dimension wird die Beziehung zum Herrn lebendig: „Ich war krank und ihr habt mich besucht“ (Mt 25, 36).

Für mich persönlich begann es damit, dass ich berufsbegleitend über zwei Jahre lang die Katholische Akademie des Erzbistums Köln besuchte und dort die Ausbildung zur Krankenhausseelsorgerin erfuhr. Seit 2005 lebe ich in einem Konvent von zurzeit zehn Thuiner Franziskanerinnen am Franziskus-Krankenhaus in Berlin. Während dieser vierzehn Jahre habe ich immer wieder erlebt, was es bedeutet, hart an Grenzen zu arbeiten, dicht bei den Menschen zu sein – direkt vor Ort, nicht anonym, nicht fremd –, im oft hektischen Krankenhausalltag Zeit zum Zuhören mitzubringen, das Leben durch einen anderen Geist zu beleuchten und Ruhe hineinzubringen. Eine besondere Ressource meiner Arbeit erfahre ich im gemeinsamen und persönlichen Gebet und im Gottesdienst. Jesus Christus ist der Maßstab – ER ist Quelle von Trost und Kraft, von Heilung und Segen. ER ist ein Freund des Lebens, der Kleinen, der Schwachen, der Ausgegrenzten und Kranken. Diese „Quelle“ trägt und belebt meinen Einsatz. Ich darf für jeden Einzelnen da sein, ihn in seiner Lebensgeschichte kennenlernen, ihm Empathie und Mitgefühl entgegenbringen und in der persönlichen Begegnung Trost und Kraft vermitteln. Oft bin ich erstaunt über das Vertrauen und die Offenheit, mit denen die Menschen mir begegnen. Wir können miteinander beten oder schweigen, in der Bibel lesen oder einfach über Gott und die Welt sprechen. Auch Segnungen und Rituale können guttun und wahre Wunder wirken.

Ein Beispiel war eine schwerkranke ältere Frau, sie kam aus Südamerika, und die Tage ihres Lebens waren gezählt. In ihrer Heimat wurde ein Enkelkind geboren, dessen Taufe bevorstand, aber die Großmutter konnte nicht mehr in die Heimat reisen. So kam das junge Elternpaar mit dem Kind zu uns. Im Krankenzimmer organisierten wir kurzerhand, sehr unkonventionell, die Taufe. Es war für die schwerkranke Frau die Erfüllung ihres letzten Wunsches.

Dann gab es ein Paar, das vor Ausbruch einer lebensbedrohlichen Krankheit des Mannes keine Möglichkeit mehr hatte, zu heiraten. So wurden innerhalb kürzester Zeit die notwendigen Dokumente zusammengebracht und durch die Eltern des erkrankten Sohnes eine Blitzhochzeit im Krankenzimmer mit der Standesbeamtin organisiert. Es war für alle Beteiligten ein sehr bewegendes Fest.

Ich erinnere mich auch an einen ehemaligen Piloten, der sich weit vom Glauben entfernt hatte. Durch viele Begegnungen und Gespräche entstand der Wunsch, wieder in die Kirche aufgenommen zu werden, der ihm erfüllt werden konnte. Ebenso lebhaft ist mir die Begleitung eines etwa fünfzigjährigen Mannes in Erinnerung, der angsterfüllt und sehr unruhig, bereits vom Tod gezeichnet, den Wunsch hatte, noch vieles mitzuteilen. Nach jedem Gespräch bat er, ich möge ihm den Psalm 23 vortragen: „Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir fehlen.“ Er empfing dadurch immer sehr viel Ruhe. So war es nahezu wundersam für seine Frau und eine frühere Partnerin, dass er in großem Frieden gehen konnte. Sein letztes Gebet war dieser Psalm.

Einige Male wurde auch deutlich, wie viel Unversöhntheit das Leben und Sterben noch belastet. Ein Weg zur Versöhnung ist oft möglich. Doch gibt es auch überraschend viele Menschen, die nie besucht werden. Da ist es mir wichtig, einfach da zu sein und ihnen zuzuhören.

Seelsorgliche Begleitung wird vom christlichen Glauben getragen, und so ist es unerlässlich, sich gegenseitig in der Gemeinschaft und im Glauben zu stärken. Das geschieht konkret in der Teamarbeit der mit mir tätigen Seelsorger, einer evangelischen Pfarrerin und einem katholischen Ordenspriester, die Entlastung und Bereicherung bringt. Großartigen Teamgeist erfahre ich auch auf unserer Palliativstation. Kollegialer Austausch und gegenseitige Unterstützung sowie die Begegnungen und Gespräche mit Ärzten und allen Mitarbeitenden sind mir daher sehr wichtig.

Schwester Theresa-Maria Neuhaus, geboren 1953 in Münster (Westfalen), seit vierzehn Jahren hauptamtliche Seelsorgerin im Franziskus-Krankenhaus in Berlin.

Franziskus-Krankhaus Berlin: Seelsorge und Kapelle

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