تقارير البلدان
Ersten offiziellen Angaben zufolge hat kein einziger Oppositionsvertreter bei der gestrigen Wahl einen der 110 Sitze im belarussischen Unterhaus errungen. 109 Mandate seien bereits in der ersten Runde vergeben worden, in einem Wahlkreis komme es dagegen in zwei Wochen zu Stichwahlen, weil keiner der Kandidaten die notwendige absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen erreicht habe.
Damit entspricht das Ergebnis den Erwartungen. Bereits im Vorfeld hatte das belarussische Regime klargemacht, dass von einer freien und fairen Wahl keine Rede sein konnte. Die Opposition wurde bei der Besetzung der Wahlkommission kaum berücksichtigt, zahlreichen ihrer Kandidaten wurde die Registrierung zur Kandidatur verweigert. Diejenigen, die dennoch registriert wurden, konnten ihren Wahlkampf nicht frei führen. So wurden Vertreter der politischen Bewegung „Sag die Wahrheit“ angegriffen und kurzzeitig verhaftet. Ähnliches passierte anderen Oppositionsvertretern. Druckereien weigerten sich, Wahlkampfmaterialien von Oppositionsparteien zu drucken.
Auch bei der Auszählung selbst sprechen unabhängige Beobachter von zahlreichen Unregelmäßigkeiten. Wie schon in der Vergangenheit war es den Beobachtern zwar gestattet, den Prozess der Stimmabgabe zu beobachten. Die Auszählung der Stimmen erfolgte jedoch ohne Möglichkeiten zur Überprüfung.
Angesichts der bereits im Vorfeld absehbaren unfairen Wahlbedingungen sowie der noch immer nicht erfolgten Freilassung der politischen Gefangenen (zurzeit mindestens 14 Personen), hatten zahlreiche Oppositionsbewegungen zum Boykott des Urnengangs aufgerufen. Die Belarussischen Christdemokraten und die Bewegung „Europäisches Belarus“ hatten bereits im Frühjahr ihre Nichtteilnahme an den Wahlen angekündigt. Dagegen nominierten die Belarussische Volksfront (BNF) und die Vereinigte Bürgerpartei (OGP) zwar ihre Kandidaten, erklärten aber bereits zu diesem Zeitpunkt, diese zurückziehen zu wollen, sollten ihre wesentlichen Bedingungen (fairer Wahlkampf und Freilassung der politischen Gefangenen) nicht erfüllt werden. Konsequenterweise vollzogen sie am 15. September 2012 diesen Schritt. Zudem riefen sie die Bürger auf, der Wahl fernzubleiben.
Das Regime reagierte darauf sichtlich nervös. Kandidaten, die das ihnen gesetzlich garantierte Recht, ihre Botschaft in Kurzauftritten im Radio und Fernsehen zu verbreiten, zum Boykottaufruf nutzten, verloren ihre Sendezeit. Die vorab aufgezeichneten Ansprachen wurden nicht gesendet. Die Leiterin der Zentralen Wahlkommission Lidija Jermoschina schlug angesichts dessen schon vor, Agitation für Wahlboykotte generell zu verbieten und die garantierte Radio- und Fernsehwerbung der Kandidaten durch Debatten zu ersetzen.
Der Grund für die Nervosität des Regimes war die Befürchtung, die Wahl könnte durch niedrige Beteiligung entwertet werden. Fällt die Wahlbeteiligung auf unter fünfzig Prozent, ist die Abstimmung ungültig. Laut offiziellen Angaben lag die Beteiligung jedoch bei 74,2 Prozent und damit deutlich höher als notwendig.
Unklar bleibt allerdings, ob diese Zahl der Realität entspricht. Zumindest einzelne Beobachter gehen von deutlich niedrigeren Werten aus. Der Vorsitzende der Christdemokraten Vitalij Rymashevskij spricht gar von nur 44,7 Prozent. Da seit Lukashenkas Amtsantritt 1994 jede Wahl laut Aussagen der OSZE gefälscht worden war, ist eine Korrektur der Wahlbeteiligung nach oben zumindest nicht auszuschließen.
Die Möglichkeit zu einer solchen Korrektur besteht vor allem über die vorzeitige Stimmabgabe: Personen, die am Wahltag selbst verhindert sind, können bis zu fünf Tage vorher ihre Stimme abgeben. Bei dieser Stimmabgabe bleiben die Urnen fünf Nächte lang ohne Kontrolle der Wahlbeobachter in den Stimmbüros.
Das Regime sorgt zudem dafür, dass möglichst viele Wahlberechtigte ihre Stimme vor dem Wahltag abgeben. Insbesondere Studenten, Soldaten und die Kollektive staatlicher Fabriken werden häufig gezwungen, geschlossen vorzeitig zu wählen. Damit erhöhen sich zugleich die Manipulationsmöglichkeiten.
Die Angst vor Verlust des Arbeits- oder Studienplatzes dient den Behörden auch am Wahltag selbst als Instrument, die Bevölkerung zur Stimmabgabe zu bewegen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob ein Boykottaufruf überhaupt Aussicht auf Erfolg haben kann.
Wie in den vergangenen Jahren machten die belarussischen Behörden auch diesmal deutlich, dass sie an einer unabhängigen Berichterstattung und Wahlbeobachtung nicht interessiert sind. Zahlreichen ausländischen Journalisten wurde die Einreise verweigert, darunter auch Mitarbeitern des ZDF und des Deutschlandfunks. Das gleiche Schicksal traf die grüne Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck und den litauischen Parlamentarier Emanuelis Zingeris, die ebenfalls kein Visum erhielten, obwohl sie offizielle Mitglieder der OSZE-Wahlbeobachtungskommission waren.
Die OSZE zeigte sich dementsprechend unzufrieden mit Verlauf von Wahlkampf und Wahl selbst. Matteo Mecacci, der Leiter der Wahlbeobachtungsmission erklärte, die Wahlen seien von Anfang an nicht fair gewesen. Die meiste Kritik betraf die Besetzung der Wahlkommissionen und Stimmauszählungen.
Lediglich 0,09 Prozent aller Mitglieder der lokalen Wahlkommissionen stammten aus den Reihen der Opposition. Während Lukashenka damit das von ihm gewünschte handzahme Parlament erhalten hat, ist die Opposition weiterhin tief zerstritten. Bereits im Frühjahr waren Versuche gescheitert, sich hinsichtlich der Frage Wahlbeteiligung oder Boykott auf eine gemeinsame Linie zu einigen. In den letzten Wochen ist es darüber zu einer heftigen Auseinandersetzung mit teilweise persönlichen Angriffen gekommen. Insbesondere die Aktivisten der Bewegung „Sag die Wahrheit“, die sich entschlossen hatten, sich bis zum Ende an den Wahlen zu beteiligen, waren Zielscheibe teilweise harscher Kritik. Damit vertieft sich die bereits seit vielen Jahren zu beobachtende Spaltung der demokratischen Kräfte weiter. Gerade angesichts der relativen Bedeutungslosigkeit der Parlamentsahlen, könnte der tiefe Riss im Oppositionslager das wichtigste Ergebnis dieser Abstimmung sein. In Zeiten, in denen Belarus mehr denn je auf eine demokratische Alternative zum herrschenden Autoritarismus angewiesen ist, eine beunruhigende Entwicklung.
Lukashenka hat allen Grund zur Zufriedenheit.
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